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Unsere auswahl ist subjektiv

Presseschau vom 8. September 2010 – Samuel Schwarz fordert im Tagesanzeiger, die Stadttheater aufzulösen und das Geld den Künstlern zu geben

Befreit euch aus veralteten Hierarchieformen!

8. September 2010. Die Idee, das Subventionssystem grundlegend umzukrempeln und Fördergelder direkt an Künstler zu vergeben, wird nicht nur von einigen nachtkritik-Kommentatoren diskutiert. Im Interview mit Alexandra Kedves im Zürcher Tagesanzeiger spricht Regisseur Samuel Schwarz davon, dass das holländische Modell für die Schweiz Vorbild sein könnte: "Man unterstützt nicht Häuser, sondern lebendige Teams mit eigenständiger, individueller Organisationsform. Sprich: Der Verteilschlüssel bei den Subventionen muss und wird anders aussehen."

Presseschau vom 4. September 2010 – Schorsch Kamerun in der taz zu Fragen der Kulturfinanzierung

Diese Einflussnahme wird immer subtiler

4. September 2010. Er habe habe das Staatstheater bisher als großen Freiraum empfunden, sagt Schorsch Kamerun im Gespräch mit Till Briegleb in der taz (4.9.2010). "Gerade im Vergleich zu dem sogenannten Independent-Musik-Bereich, aus dem ich komme. Räume, die unangestrichen sind von Markeninteressen, gibt es dort kaum noch. Wenn wir mit den Goldenen Zitronen auf einem Festival spielen, dann hängen meistens rechts und links der Bühne große Werbebanner. Im Theater ging das bisher noch ganz gut ohne. Diesen luxuriösen Status darf man nicht leichtfertig aufgeben!"

Presseschau vom 3. September 2010 – Anna Bergmann spricht in der SZ über die Probleme junger Regisseure im deutschen Stadttheatersystem

Aufschrei nach mehr Anarchie

3. September 2010. In der Süddeutschen Zeitung spricht die Regisseurin Anna Bergmann, "erfolgreich, umworben, professionell gemanagt", kritisch Klartext über das durchkonventionalisierte Stadttheater. "Nehmen Sie meine Inszenierung Bunbury vom Thalia Theater, die zum Festival Radikal jung nach München eingeladen wurde", beginnt sie das Interview mit Vasco Boenisch, "eine Scheiß-Inszenierung. Warum wird gerade die eingeladen? Ich habe große Stücke in der Provinz inszeniert, aber nie ist irgendjemand von einem größeren Haus angereist und hat sich eine Arbeit von mir angeschaut. Es werden immer nur die gleichen großen Eckpfeiler Deutschlands abgeklappert. Und daraus soll sich der Regienachwuchs entwickeln?"

Presseschau vom 2. September 2010 – SZ und FAZ berichten über israelische Reaktionen auf den Künstler-Boykott der Siedlung Ariel

Weckruf an das alte Friedenslager

2. September 2010. Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung berichten von den Reaktionen auf den Künstler-Boykott des Kulturzentrums in der Westbank-Siedlung Arie. Peter Münch schreibt in der Süddeutschen (1.9.2010): "Israels Kulturszene ist in Aufruhr, und wer etwas auf sich hält, der meldet sich (...) zum öffentlichen Bekenntnis". Die Boykott-Unterstützer pochten "auf ihr Recht zur politischen Korrektheit", die Gegner "beschwören die Kultur als höheres Gut, jedenfalls höher als die Politik" – eine Diskussion, "wie sie die desillusionierte und bisweilen zynische Politik in Israel lange nicht gesehen hat".

Presseschau vom 24. August 2010 – Interview mit Matthias Lilienthal in der Süddeutschen Zeitung

Gen Globalisierung des Stadttheaters

24. Juli 2010. Als Matthias Lilienthal kürzlich bekannt gab, seinen Vertrag am Berliner HAU über 2012 hinaus nicht verlängern zu wollen, schlug ein nachtkritik-Kommentator vor: "Er sollte Nachfolger von Castorf werden." Aber nein, die Ambitionen des ehemaligen Volksbühnen-Dramaturgen (bis 1998) gehen offenbar nicht in Richtung Rosa-Luxemburg-Platz, wie er Peter Laudenbach im Interview für die Süddeutsche Zeitung sagte. Für ihn sei die Leitung der Volksbühne – Frank Castorfs Vertrag läuft 2013 aus – keine Option, machte Lilienthal deutlich. Castorfs Nachfolger solle jemand sein, "der von Franks Ästhetik sehr weit weg ist. (...) Ich bin einfach viel zu nah dran, um dieses Theater neu zu erfinden. Als Volksbühnen-Intendant würde ich meiner eigenen Vergangenheit begegnen, ich müsste mich selber aus dem Theater austreiben."

Presseschau vom 26. August 2010 – zum Tod von Christoph Schlingensief

Haltet ein!

22./23./26. August 2010. Am Samstag, den 21. August, ist Christoph Schlingensief gestorben. Auf seiner offiziellen Web-Seite ist zu lesen: "Im Sinne von Christoph Schlingensief bitten wir statt Blumen und Kränze um eine Spende für das Operndorf Afrika."

Presseschau vom 9. August 2010 – Johan Simons lobt den deutschen Repertoire-Betrieb und benennt dessen Schwächen

Himmel und Hölle des En-Suite-Systems

9. August 2010. Die Neue Zürcher Zeitung druckt heute eine Rede von Johan Simons ab, des künftigen Intendanten der Münchner Kammerspiele, die dieser im Mai zur Eröffnung der Fachtagung "Achtung Transit – Meet International Theatre Makers" der Berliner Festspiele gehalten hat. Simons entwickelt darin Gedanken zum Repertoiresystem deutscher Prägung und zum En-suite-Betrieb, wie er etwa in Simons' niederländischer Heimat gepflegt wird.

Presseschau vom 6. August 2010 – Armin Petras spricht über Kleist und die Utopie des Wir

Die Deutschen zum Kämpfen bringen

6. August 2010. Der Regisseur Armin Petras, Intendant des Berliner Maxim Gorki Theaters und mit seinem Alter Ego Fritz Kater auch erfolgreicher Dramatiker, hat sich im Gespräch mit Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung zu einer Utopie des "Wir" bekannt. Wobei Petras einschränkt: "Mir geht es um die These der Hirnforscher, die sagen, es gibt kein Ich. Das Ich ist eine Fiktion. Wenn ich von Wir spreche, werde ich natürlich sehr schnell missverstanden. Im Sinne von: Ich möchte die FDJ wiederhaben."

Presseschau vom 20. Juli 2010 – Christina Weiss interviewt Jürgen Flimm kurz vorm Start der Salzburger Festspiele

Eine echt uremotionale, nicht-aufgeklärte Sache

20. Juli 2010. An diesem Wochenende beginnen die Salzburger Festspiele, und in der Welt spricht die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss mit Jürgen Flimm. Der fühlt sich im Moment "ziemlich gut aufgestellt". Auf die Frage, was ihn als Theatermann reizt, die Staatsoper in der schwierigen Phase der Auslagerung ins Schillertheater zu managen, sagt er: "Der Reiz hat mehrere Facetten. Die eine war der Anruf von André Schmitz, der sagte: 'Wir brauchen dich hier!' Das ist einfach ein guter Satz, der mir gefallen hat. Die zweite ist die langjährige Freundschaft, die mich mit Daniel Barenboim verbindet. Dazu kommt aber auch eine Salzburgmüdigkeit wegen der endlosen Auseinandersetzungen mit dem politisch besetzten Kuratorium der Festspiele."

Presseschau vom 15. Juli 2010 – Senftenbergs Intendant Sewan Latchinian spricht übers Sparen

Mit Patenschaften wider die Krise

Hamburg, 15. Juli 2010. Im Interview mit Martin Eich in der Zeitung Die Welt (15.7.2010) bringt Sewan Latchinian, Intendant der Neuen Bühne Senftenberg mit einem Jahresetat von nur 4,5 Millionen Euro, beim Nachdenken über die finanzielle Misere der Theater ein Patenmodell ins Gespräch: "Mittelfristig wäre nachzudenken, ob die großen Häuser nicht im Rahmen einer Patenschaft kleine unterstützen wollen." So asozial es sei, "wie wenig Geld viele Theater und Schauspieler bekommen, so ungerecht hoch wirken auch Etats mancher Häuser oder Gagen einiger Darsteller. Es ist bemerkenswert, was gerade an kleinen und mittleren Theatern immer wieder an innovativen, ästhetisch und dramaturgisch hochwertigen Produktionen entsteht. Und doch erfahren diese Inszenierungen oft nicht genügend Aufmerksamkeit, auch weil andere, finanziell besser gestellte Häuser prominente Namen einkaufen."

Presseschau vom 8. Juli 2010 – Gerhard Stadelmaier und Peter Kümmel über Romane und Repräsentationsnotstände auf heutigen Bühnen

Gegenwart statt Ohrensessel

1. Juli 2010. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geißelt Gerhard Stadelmaier bei seinem traditionellen Ausblick auf die Spielpläne der kommenden Saison die Mode der Zeit: "In Frankfurt sind nur ungefähr zwanzig Prozent des Spielplans episch verseucht, an den Münchner Kammerspielen dagegen gut achtzig, im Berliner Gorki Theater an die neunzig Prozent. Den Bühnen scheint die Lust aufs neuere Drama ziemlich vergangen." Dabei handele es sich natürlich um Bequemlichkeit, denn: mit einem Stück sei man "immer in Gesellschaft: von fremden Leuten" und "immer in einer anderen Welt". Der Roman dagegen bietet den "Gemütsschutz des Ohrensessels", der "Schmökerer darf sich was wünschen". Bei den "richtigen neuen Stücken" diagnostiziert Stadelmaier einen "eindeutigen Schlag ins Exotische", egal ob es sich um die Probleme eines Bauherrn mit Handwerkern (Roland Schimmelpfennig) handelt, deutsch-ivorische Begegnungen (Gintersdorfer/Klaßen) oder um "schick resignierte Soziologen, die die Welt im Monopoly-Spiel beherrschen".

Presseschau vom 30. Juni 2010 – Susanne Gaensheimer verteidigt Entscheidung für Schlingensief als Gestalter des deutschen Biennale-Pavillons

Provokation als einzig möglicher Diskussions-Auslöser

Frankfurt am Main, 30. Juni 2010. Zwei Frankfurter Zeitungen, die Frankfurter Allgemeine und die Frankfurter Rundschau, berichten heute (30.6.2010) über die (Nicht-)Vorstellung der Pläne für den deutschen Pavillon auf der nächsten Biennale von Venedig im Frankfurter Museum für Moderne Kunst. Dessen Leiterin Susanne Gaensheimer ist Kuratorin des Pavillons und hatte Anfang Mai die Wahl Christoph Schlingensiefs als Pavillon-Gestalter bekannt gegeben. Inzwischen hatte Arno Sighardt, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, ob dessen nationalsozialistischer Monumentalität den Abriss des Pavillons gefordert; Gerhard Richter hatte überdies die Berufung Schlingensiefs als Niedergang der Malerei gewertet und kritisiert ("Die nehmen einen Performer, dabei haben wir Tausende Künstler").

Presseschau vom 21. Juni 2010 – Interview mit Anne Tismer im Zeit-Magazin

Faustine, Woyzickine, Schweinsteigerine

Juni 2010. Im aktuellen ZEIT-Magazin (17.6.2010, Nr. 25) ist ein Interview abgedruckt, das Ijoma Mangold mit Anne Tismer geführt hat und das auf Wunsch der Künstlerin komplett ohne Kommata veröffentlicht ist. Die ehemalige Star-Schauspielerin erzählt darin, dass die Film-Aktion Meechfieber, für die sie 2004 mit dem Aktionskünstler John Bock zusammenarbeitete, für sie "bis dahin das größte Kunsterlebnis" war. Alles, was sie vorher gemacht hat, hält sie für "totalen Pipifax". Als Schauspieler müsse man "ja nicht mal den Text selber schreiben", das Schwierigste sei noch das Auswendiglernen. Um Kostüme und Bühne kümmerten sich andere, und "dann sitzt immer einer unten zum Aufpassen dass alles klappt. Also ehrlich – das ist doch lächerlich. Ich verachte das jetzt. Man muss sich auch immer das Gehirn ausleeren weil sonst fluttern da Gedanken rum – das ist nicht so angesagt – bringt alles durcheinander – und Mädchen müssen das mehr als Jungs."

Presseschau vom 16. Juni 2010 – Interview mit dem Potsdamer Intendanten Tobias Wellemeyer im Tagesspiegel

Scheitern muss sein dürfen

Potsdam, 16. Juni 2010. Für den Berliner Tagesspiegel (16.6.2010) hat Heidi Jäger ein ausführliches Interview mit dem Potsdamer Intendanten Tobias Wellemeyer geführt, der in seiner ersten Spielzeit an der Havel nicht nur mit einem zurückhaltenden Publikum zu kämpfen hatte, sondern vor allem auch die Unterfinanzierung seines Hauses beklagt. Trotz der leicht gestiegenen Zuschüsse der Stadt entstehe ein finanzieller Fehlbedarf, da diese gebraucht würden, um die Tariferhöhungen aufzufangen. Man müsse versuchen, die Einnahmesituation zu verbessern, "indem wir mehr Karten verkaufen oder aber sie teurer machen", auch wenn er das eigentlich nicht wolle. Musical-Bespielung und eine verstärkte Vermietung des Hauses werden diskutiert.

Presseschau vom 14. Juni 2010 – ein Zwischen-Überblick zu den Wiener Festwochen in der taz

Im Land der alten Männer

Wien, 14. Juni 2010. "Theater ist das Land alter Männer und ihrer Fantasien", beginnt Uwe Mattheiss seinen Zwischenbericht von den Wiener Festwochen in der taz (14.6.2010). Diesen Eindruck vermitteln ihm zumindest die langen Abende des Festivals: Robert Lepage rette in "Lipsynch", "einer neunstündigen moralischen Anstalt, ein armes nicaraguanisches Mädchen vergeblich vom Hamburger Strich". Auch Luc Bondy kümmere sich in "Helena" um "gefallene griechische Frauen" und führe noch einmal "den Krieg um die Schönheit". Frank Castorf lote in seiner "Drei Schwestern"-Adaption immerhin "nicht nur weibliche Hysterisierungspotenziale aus", sondern entdecke "die prekarisierten bürgerlichen Intellektuellen als Erben des von Marx und Engels verachteten Lumpenproletariats".

Presseschau vom 10. Juni 2010 – Volksbühnen-Chefdramaturg Rosinski wehrt sich gegen Castorfs Vorwürfe

"Ich habe alles gegeben"

Berlin, 10. Juni 2010. Jetzt spricht der Entlassene: Nachdem Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, gestern in einem Interview eher nebenbei mitteilte, dass er seinen Chefdramaturgen entlassen habe, schießt Stefan Rosinski heute auf allen Kanälen zurück. "Die Vorwürfe von Castorf gegen mich sind unhaltbar", äußert er Birgit Walter und Ulrich Seidler gegenüber in der Berliner Zeitung. "Ich habe alles gegeben, um die Volksbühne wieder auf Kurs zu bringen", verteidigt er seinen Kurs. Währenddessen fahnden die beiden Autoren süffisant nach einem Nachfolger: "Günstiger wäre es, die Chefdramaturgie der Volksbühne gleich abzuschaffen und eine befristete Stelle für einen Sündenbock auszuloben. Wer würde, bei allem, was über Rosinskis unbewiesene Qualitäten als Dramaturg zu sagen wäre, dazu nicht taugen?"

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