Don Karlos - Schauspiel Köln
Den Königsweg verfehlt
von Andreas Wilink
Köln, 18. Dezember 2020. Nichts ist wie jemals zuvor, die Zeit verwüstet und schöne Tage sind zu Ende, mag der die Atemluft raubende Würgegriff auch ein anderer sein, damals im Spanien Habsburgs, der katholischen Inquisition und des "Schreckens der Geschichte" (Mircea Eliade) und während unserer akuten Heimsuchung. Und weil eben alles anders ist und eine Premiere ohne Publikum im virtuellen Raum und von Kameras aufgezeichnet stattfindet, damit sie überhaupt sein kann, darf auch die Kritik vielleicht der Regel zuwider laufen und den Kritiker ins Spiel bringen. Eine meiner ersten nennenswerten Theaterkritiken, die sich auf ein eben solches Ereignis bezog, war der "Faust" am Schauspiel Köln, inszeniert von dem dort 1979 bis 1985 amtierenden Intendanten Jürgen Flimm, mit Hans Christian Rudolph, Wolf-Dietrich Sprenger und Susanne Lothar. Das liegt beinahe vier Jahrzehnte zurück. Meine Überschrift lautete: "Abschied vom Lustort Welt". Sie passt auch für das bald endende Jahr 2020. Und leider auch für diesen in seiner Absicht aller Ehren werten Inszenierungs-Versuch.
Nora - Schauspiel Köln
Dicke runde Null
von Martin Krumbholz
Köln, 24. Oktober 2020. Ein monströses Stativ ziert die Rampe im Depot 1 am Schauspiel Köln: Wir befinden uns im hell ausgeleuchteten Studio eines Foto-Shootings, bald läuft ein knappes Dutzend "Models" auf, posiert kurz vor der Kamera, während das geknipste Bild auf Screens erscheint, verschwindet, dem nächsten Platz macht. Robert Borgmann hat für seine Ibsen-Überschreibung das soziale Umfeld der Vorlage ein wenig umorganisiert, den Plot in die Gegenwart verlegt; so ist der Bankier Torvald Helmer ein Modefotograf, eben aufgestiegen zum "Creative Director" einer bedeutenden Agentur, seine Frau Nora ein Model – durchaus kein trällerndes Püppchen, das abwechselnd Lerche und Eichhörnchen gerufen wird, sondern sich selbstbewusst in Szene setzendes Subjekt, gespielt von Sophia Burtscher.
Die Walküre - Schauspiel Köln
Im Keller der Tradition
von Max Florian Kühlem
Köln, 22. Oktober 2020. Mitten im Wirrwarr der visuellen und akustischen Reize, der Symbole, Einrichtungsdetails, Kostüme, Requisiten und Stimmen der Performer*innen lohnt es sich, einmal kurz Luft zu holen und zu reflektieren, was das hier eigentlich für ein Ort ist: Das Gebäude am Offenbachplatz ist das eigentliche Kölner Schauspiel. Während einer Pause der noch bis 2023 währenden Sanierung kann darin aktuell gespielt werden. Intendant Stefan Bachmann, der Erfolg und große Freiheit gefunden hat in der Interimsspielstätte Depot im Stadtteil Mülheim, nennt es jetzt "Außenspielstätte". Das Duo T.B. Nilsson und Julian Wolf Eicke hat den Innenraum nun umgebaut zur abgeranzten Kneipenbühne "Heidi's am Offenbach" und fragt darin nach unserem Verhältnis zur Tradition.
Wut - Schauspiel Köln
Ritt auf dem güldenen Penis
von Martin Krumbholz
Köln, 25. September 2020. 100 Seiten Text? 150? Schlappe 28. Und Schauspieler? Vier oder fünf (wie seinerzeit in München oder Berlin)? Pralle neun. Das Zahlenverhältnis zeigt, worauf es hier ankommt. Sicher nicht auf "Werktreue"; das wäre auch Unfug angesichts der schier aus den Nähten platzenden Jelinek'schen Konvolute, die zu großzügigen Strichen gar selbst noch einladen. Ersan Mondtags Inszenierung verdichtet Elfriede Jelineks 2015 entstandene "Wut" vielmehr zu einer opulenten, wüsten, trashigen, in weiten Teilen formidablen Sprechoper.
Regie: Herrmann Müller
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