Buchhinweise Januar 2013 - Maria Happel, Emil Jannings und die gefährliche Kunst der Schauspieler
Das Spiel mit Menschen
Dieses Buch sei allen dringend ans Herz gelegt, den Theatermachern genauso wie den passionierten oder gelegentlichen Theatergängern, nicht minder den Freunden der Theaterwissenschaft, besonders jenen, die sich der Performativitäts- und Postdramatikforschung ergeben haben.
Es ist nicht nur, was selten genug vorkommt, hervorragend, nämlich gut lesbar geschrieben und weiß zudem die Qualität von Argumenten an ihrer Genauigkeit zu messen; es ist vor allem ein (mit reichlich Abbildungen und sehr schönen Illustrationen versehenes) Buch, das die eifrig geführten Debatten um das Gegenwartstheater historisch verankert, die Streitereien um die Modernität von Spielstilen und Ästhetiken, die Frage nach dem Umgang mit dem Text und dem Publikum, die Angemessenheit der Mittel und Methoden. Man lernt viel bei der Lektüre, sehr viel, auch das Abschiednehmen von womöglich lieb gewonnen (Vor)Urteilen. Dass die Autorin, die Leipziger Theaterhistorikerin Gerda Baumbach, schon jetzt einen Folgeband versprochen hat – sehr schön.
Gerda Baumbach geht von einer konkreten Theatererfahrung aus, von den Inszenierungen Benno Bessons, die Heiner Müller gern mit dem Verachtungstitel "kulinarisches Theater" belegt hat. "Bessons Inszenierungen", schreibt sie, "gingen in der damaligen Erwartung versteckter Botschaften der Gesellschaftskritik nicht auf." Denn das Theater sollte für ihn "sinnliche Anstalt" sein; er setzte auf das "gemeinsame Vergnügen von Schauspieler und Publikum". Der Schauspieler war ihm deshalb kein "Menschendarsteller", sondern einer, der "mit der menschlichen Existenz, mit dem Menschsein" spielt.
Der Schauspieler als Menschendarsteller – das ist die, vor allem durch (den Schauspieler, Dramatiker und Intendanten) August Wilhelm Iffland im 18. Jahrhundert prominent gewordene "bürgerliche Übereinkunft", die seit gut 200 Jahren das Theater bestimmt, bis heute. Diese Übereinkunft bleibt, so Baumbach, auch dann der "allgemeine Ausgangspunkt", wenn sie – wie etwa im postdramatischen Theater – ausdrücklich aufgekündigt wird, auch dann also, wenn sie zur Gegenposition stilisiert wird, die es zu Stärkung der eigenen, eben der postdramatischen, braucht.
Das jedoch ist eine arg "eingeschränkte historische Sicht", die zwingend nur "unzureichende Befunde für Praxen der Gegenwart" zulässt. Baumbach untersucht demzufolge ältere und parallele Praktiken, verschiedene Stile und ihre Begründungen – und findet das "Schauspielerische" in einer "spezifischen Haltung zur menschlichen Existenz". Der Schauspieler studiert "Menschsein und legt praktische Proben dieses seines Studiums in praxi vor". Schauspielerei ist demnach nicht "jenseits von Zeit und Raum" angesiedelt, nicht "eingefroren in der unterstellten Nachahmung und Darstellung des Menschen durch den Menschen". Ein Schauspieler entwirft Menschenbilder und umspielt, hinterfragt sie. Er (oder natürlich: sie) ist nicht bloß Werkzeug und Material eines anderen Künstlers, sondern Künstler und Instrument in einer Gestalt, "gleichsam Fagottist und Fagott". Deshalb fasziniert, emotionalisiert und polarisiert das Spiel der Schauspieler, deshalb auch wurden sie immer wieder als gefährlich wahrgenommen: Sie zeigen nicht nur Menschenbilder, sie machen sie, zu jeder Zeit anders, auch im besten Sinne unmöglich. Jede eingeschränkt historische Sicht kann den entscheidenden Witz der Schauspieler darum nur verfehlen: ihr Spiel mit der Frage, was den Mensch zum Menschen macht. (Dirk Pilz)
Gerda Baumbach:
Schauspieler. Historische Anthroplogie des Akteurs.
Band 1: Schauspielstile.
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012, 296 S., 29 Euro
Frau Berghaus kann Frau Happel leiden
Es fällt nicht schwer, sich in die Darstellungskunst der Maria Happel zu verlieben. Mir etwa passierte das erstmals, als ich sie als Grusche in Ruth Berghaus' Inszenierung von Bertolt Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" am Wiener Burgtheater sah: Maria Happel war da ganz irdisch, beherzt zupackend im Hier und Jetzt und zugleich von einer geradezu schmerzenden Wahrhaftigkeit. Einige Jahre später gelang es ihr – in Achim Freyers Inszenierung der "Eingeborenen" von Franz Xaver Kroetz –, selbst noch unter einem riesigen Pappmaché-Kopf ihre Figur der Irmi bis in die nicht vorhandene Mimik mit Leben zu beseelen.
Nun ist es keinesfalls so, dass große Schauspielerinnen und Schauspieler immer viel über ihre Kunst zu erzählen wüssten, doch da man erst in jüngerer Zeit einige schöne und kluge Bücher, zum Beispiel von Eva Mattes oder Gert Voss zu lesen bekam, gab es Grund, sich auf die Lektüre von Maria Happels "Das Schnitzel ist umbesetzt" zu freuen.
Nun ja. Über Achim Freyer erfährt man, dass Maria Happel viel mit ihm gearbeitet und dass er ihr einmal gezeigt habe, welche Wirkung ein Strich auf einem Blatt Papier haben kann. C'est tout. Von Ruth Berghaus ist zu lesen, dass ihr Mund zuckte, als sie streng sein wollte, aber eigentlich über Maria Happel lachen musste. Und dass Berghaus sie leiden konnte. Aha. Treuherzig vorgebracht, ziehen kurze, mal halbwegs amüsante, mal rührselige Episoden an uns vorüber. Allerhand privater Kleinkram breitet sich aus, aber leider verfügt Happel nicht über das erzählerische Talent, um aus den flüchtigen Anekdoten so etwas wie ein Zeitbild entstehen zu lassen.
Über ihre Kunst erfährt man: nichts! Wenn man von Plattitüden absieht. Und von Halbwahrheiten wie derjenigen, dass dem Publikum die emotionale Identifikation mit einer Figur besser gelinge, wenn diese – wie die so oft von Maria Happel verkörperte Edith Piaf – tatsächlich gelebt habe. Wer Maria Happel als große Künstlerin kennenlernen will, der lasse besser die Finger von diesem Buch und kaufe sich stattdessen ein Billet fürs Burgtheater. (Wolfgang Behrens)
Maria Happel:
Das Schnitzel ist umbesetzt. Was bisher geschah …
Amalthea Verlag, Wien 2012, 232 S., 22,95 Euro
Der Saftige
Ein Preis und ein Film: Mehr ist von Emil Jannings, einstmals einer der populärsten deutschen Filmstars, kaum in Erinnerung geblieben. Er war der erste überhaupt, der 1928 den gerade in Hollywood neu begründeten Academy Award, besser bekannt als Oscar, erhielt. Und er war der Professor Rath im "Blauen Engel" – und wurde von Marlene Dietrich an die Wand gespielt. "Saftig" und "fleischig" – zu diesen Begriffen flüchteten Kritiker sich häufig, wenn sie seine Rollen beschrieben, die zwischen sentimental und brutal angelegt waren. In gerade einmal fünfzehn Tonfilmen wirkte er zwischen 1930 und 1945 mit, die spätestens ab 1935 – in dem Jahr erschien "Der alte und der junge König" – unter scharfer Beobachtung vor allem des selbsternannten Kultur-Nazis Joseph Goebbels standen.
Der Pakt mit dem Teufel erwies sich für den 1884 im schweizerischen Rorschach geborenen Theodor Friedrich Emil Janenz als verhängnisvolle Symbiose, die ihn nach dem Ende der Terrorherrschaft nicht mehr auf die Füße kommen ließ. Verbittert und gram auf alle Kollegen, die ihm nach 1945 seiner Meinung nach einen "Persilschein" hätten ausstellen können, ist er 1950 als schwer kranker Mann am Wolfgangsee gestorben.
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ist nun die erste Biografie über Jannings erschienen. Aber auch nach deren Lektüre weiß man nicht wirklich, wer und wie dieser Mensch war. Vor allem seine Rolle im zwölf Jahre währenden "Tausendjährigen Reich" bleibt seltsam diffus. Der Biograf Frank Noack beschränkt sich darauf, ausgiebig Theater- und Filmkritiken zu zitieren. Damit füllt er eine Vielzahl der über 500 Seiten des Buches; dafür verzichtet er leider darauf, Licht in den braunen Nebel zu bringen, durch den Jannings watete.
Überhaupt ist der historische Hintergrund, vor dem sich die Karriere des Ufa-Stars abspielte, bestenfalls scherenschnittartig aufbereitet. Dass es während Jannings aktiver Zeit einen Krieg gab, dem Millionen zum Opfer fielen, wird eher en passant erwähnt. Auf das Leben und die Laufbahn Jannings, der das Nazitreiben offenbar weitgehend kommentarlos an sich vorüberziehen ließ, schienen die Ereignisse keinerlei Auswirkungen gehabt zu haben. Er lavierte sich irgendwie durch – mal mit, öfter noch ohne Goebbels Wohlwollen. Aber den Zorn des Reichspropagandaleiters auf sich gezogen zu haben bedeutet ja noch nicht, aktiven Widerstand geleistet zu haben. Sein (berufliches) Überleben hatte der Schauspieler eher der Tatsache zu verdanken, dass er, darin dem viel aufmüpfigeren Hans Albers ähnlich, sakrosankt war. Seine Popularität, die bis nach England und immer noch Amerika reichte, war sein Garantieschein für eine weitgehend sorgenfreie Existenz während Hitlers Regime.
Wenigstens für diese Beliebtheit liefern die ausufernd zitierten (Theater-) Rezensionen genügend Belege. Einer seiner größten Fans war der Kritiker Herbert Jhering, der Jannings große Bühnenzeit ebenso aufmerksam wie begeistert verfolgte und in seinen Besprechungen seine Einzigartigkeit im Heer der Stadt- und Staatstheaterschauspieler von Anfang an heraushob. "Ich unterschied mich von meinen Kollegen dadurch, dass mir jedes falsche Pathos fehlte. Ich konnte keine unechten Töne von mir geben, ich gestaltete aus der Natur heraus, ganz so, wie ich die Rolle empfand", gab Jannings in einem autobiografischen Bericht zu Protokoll. Dank dem "Untheatralischen", das ihm mancher Theaterdirektor zu Beginn seiner Laufbahn als "Talentlosigkeit" vorhielt, gehört Jannings bis heute zu den Wegbereitern jener Schauspielkunst, die erst nach 1945 aufblühen sollte. (Rainer Nolden)
Frank Noack:
Jannings. Der erste deutsche Weltstar.
Collection Rolf Heyne, 558 Seiten, zahlr. Abb., 29,90 Euro.
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