Centraltheater Leipzig nimmt "Nazistück" vom Spielplan
"Unmissverständliche Distanz nicht erkennbar"
18. Februar 2013. Das Centraltheater Leipzig hat einen Tag nach der Premiere (am Freitag, den 15. Februar) am vergangenen Samstag mitgeteilt, dass die Produktion "Nazistück" bis auf Weiteres vom Spielplan des Spinnwerks, der "theaterpädagogischen Werkhalle" des Centraltheaters, genommen wird.
"Aus Sicht der künstlerischen Leitung des Centraltheater finden im Kontext der Inszenierung rechtsradikales und antisemitisches Gedankengut weder eine hinlängliche künstlerische Reflexion, noch ist eine unmissverständliche Distanz zum Gegenstand 'alltäglicher Rassismus und rechtsradikale Ideologie' in ausreichendem Maße erkennbar", heißt es in einem Statement des Theaters vom Montag.
Zum pädagogischen Ansatz der Arbeit im Spinnwerk gehöre die künstlerische Autonomie der jungen Akteure genauso wie die gemeinsame Verantwortung für die erarbeiteten Ergebnisse.
Das "Nazistück" von Gregor Zocher, in dem an einigen Stellen Bezug auf reale rechtsradikale Vorkommnisse in Leipzig genommen wird, war seit Dezember 2011 geprobt worden. Die Premiere sollte ursprünglich im Mai 2012 stattfinden und wurde kurz vorher erst verschoben, dann abgesagt und später neu angesetzt für Februar 2013.
(Centraltheater Leipzig / sd)
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr meldungen
neueste kommentare >
-
Filmpreis für Harfouch Nachbarin
-
Nathan der Weise, TT Berlin Mechaniken des Ausgrenzen
-
State of Affairs, Hamburg Let‘s entertain you
-
State of Affairs, Hamburg Echt?
-
Wasserschäden durch Brandschutz Sachlage
-
Filmpreis für Harfouch Drastik und Humor
-
Stahltier, Berlin Historien-Drama
-
Liveblog Theatertreffen verborgen
-
Wasserschäden durch Brandschutz Abschaltung
-
Mein Herz dein Bunker, Berlin Techno-Wimmelbild
http://diskurspogo.de/nazis-rein/
Darf man das, was man kritisiert, nach-spielen?
Bietet man damit dem absolut Inhumanen ein Podium?
Ich glaube, das ist eine Gewissensfrage, die nur jeder für sich selbst entscheiden kann, da es keine objektive Antwort gibt. Man kann das Re-enactment ge- oder missbrauchen und jedes Kunstwerk kann ge- oder missbraucht werden.
Zu allen Zeiten wurde darüber gestritten, ob man das Hässliche (Böse) darstellen dürfe. Denken Sie an die Darstellung des Elends im Naturalismus. Eine absolute Antwort gibt es nicht.
Das Böse/Hässliche ist darstellbar, fragt sich nur, in welcher Form. Wenn die Form allzu konkret gewählt wird, begibt man sich einerseits in die Gefahr, dass das Dargestellte möglicherweise völlig unreflektiert und bejahend übernommen wird, anstatt weiter darüber nachzudenken. Andererseits kann das Durchqueren des Bösen, des Phantasmas, der obszönen Unterseite der Macht usw. sich genau gegenteilig auswirken, nämlich zum Guten hin, im Sinne einer inneren Reinigung, ich denke da zum Beispiel an Artauds Theaterverständnis oder an die Poesie von Dantes "Göttlicher Komödie". Eines ist für mich dabei aber klar, Abstraktion bzw. die Repräsentation der Malerei ist manchmal doch das Schönere, wenn auch das Schönere im Schrecken, als die allzu konkrete, reine Präsenz. Man schaue sich nur einmal Botticellis Zeichnungen zu Dante an.
Das "arg Relativistische" empfinde auch ich als Problem. Aber ich würde weder Milo Rau noch Stefan Otteni noch dem Centraltheater Zustimmung zu Neonazi-Thesen unterstellen. Bei einer Neo-Nazi-Demo schon. Insofern kann ich mit dem immer wieder in die Diskussion geworfenen Begriff der Rahmung praktisch wenig anfangen. Es gibt Fälle, wo ich ihn brauchbar finde. Hier eher nicht. Übersehe ich da etwas?
In dieser Hinsicht scheinen mir Romuald Karmakars "Himmler-Projekt" und "Hamburger Lektionen" einen grandiosen Weg gefunden zu haben. Entscheidend dafür sind für mich nicht so sehr der weiße Hintergrund und der Verzicht auf Kostümierung, sondern, dass Manfred Zapatka dort, wo er sich verspricht, nochmal neu ansetzt. Hier findet meines Erachtens mit ganz einfachen Mitteln eine Distanzierung statt, die Reflexion statt Empathie bewirkt.
Post 7 ist Blödsinn, Ihres Namenspatrons nicht würdig und milliardenfach abgegessen. Macbeth, Richard III., Jago etc. sind Metaphern, Himmler, Breivig, NSU sind Realitäten. Breivig hat sich nicht auf Shakespeare berufen, die NSU-Mörder folgen nicht seinem Modell.
@6: Ich finde es nicht richtig, Theater (oder irgend etwas anderes) als Totalität zu beurteilen. "Das" Theater ist nicht "verkommen". Das ist Totalitätsdenken, welches darauf aus ist, ein schlechtes System durch ein vorgeblich "besseres" zu ersetzen und den Leuten einzureden, dann werde alles gut. Das finde ich nach den Erfahrungen mit Systemen aller Art im 20. Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß
Über den inhaltlichen Punkt von Melitta kann ich leider nicht sprechen, da ich das Stück nicht gesehen habe.
Es gibt Aufführungen von Wagner-Opern (Mime, Beckmesser, 1. Lohengrin-Finale...) oder von Bachs Johannes-Passion (die hassverzerrten Juden/Turbachöre) die so dirigiert sind, dass sie mir wie antisemitische Propaganda vorkommen. Und doch werden Wagner-Aufführungen staatlich reichlichst subventioniert und gefördert... Da wird mir schon mulmig zumute. Aber soll ich Wagner verbieten? Wer bin ich, dass ich anderen vorschreiben will, was sie zu hören habe oder nicht? Vielleicht irre ich mich ja selbst.
Es geht darum, die Gefahr wieder zu spüren und darüber in die (Selbst-)Reflektion zu kommen. In folgendem Sinne: Nein, wir ent-scheiden uns, wir lassen uns nicht verführen! Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen, wir reagieren nicht reflexartig, sondern setzen das Denken dazwischen!
Auch der LVZ-Artikel "Ideologische Innenschau" (18.2.2013), der den Vorzug hat, ein wenig auf die Inszenierungs-Details hinzuweisen, verweist das Unternehmen keineswegs ins Märchenreich der (politischen) Naivität (siehe Kreuzer-Frage schon nach dem Namen des Stückes) und kann diesem einiges abgewinnen und zwar durchaus in der diskussionsanregenden Lesart, die den Machern des Projektes wohl vorschwebte.
Was jetzt meineserachtens wichtig wäre, ist, sich für das Für und Wider des Projektes/der Absetzung alle Zeit der Welt zu nehmen, um en Detail den Problemen, den Schwierigkeiten und (vermeintlichen?) Unwägbarkeiten auf die Spur zu kommen. Es ist, als kämen hier Karmakar- und Redingströme ("Oi Warning", "Für den unbekannten Hund" ) zusammen, das ist nicht alltäglich. Der Kreuzer hat (18.2. Tobias Prüwer "Nazi spielt man nicht") bereits angekündigt, sich im April des Gegenstandes anzunehmen. Mittlerweile gibt es zu diesem Prüwer-Artikel 5 Kommentare, die im Tenor in etwa gen Posting 6 von Melitta gehen und dem Centraltheater und dessen Leiter allerlei Vorwürfe machen.
Ich bezweifle, daß die Breivik-Monolog-Absetzung in Weimar ein geeigneter Bezugspunkt ist, jetzt das Verhalten des CT im Falle des "Nazistückes" zu werten.
Nicht nur, weil in Leipzig letztlich die Premiere (wenn auch verspätet) am dafür vorgesehenen Ort und mit Rückendeckung des verantwortlichen Theaters über die Bühne gegangen ist.
Kritikerinnen und Kritikern des Verhaltens des Intendanten möchte ich allerdings aus eigener Erfahrung den Gedanken ans Herz legen, daß die Wirkung einer Premiere, eines Inszenierungsabends und all das, was es im Vorfeld sonst so gab, Diskussionen, Probenarbeit, Kommunikation zwei ganz verschiedene Paar Schuhe sind: Theater wurde doch wohl auch von den Künstlern gemacht, weil Kommunikation und Vorfeldklärung den theatralischen Prozeß gerade nicht (!) erschöpfen, oder täusche ich mich ? Für das allerdings, was der Abend dann freisetzt, ist letztlich Herr Hartmann in der Pflicht und der Verantwortung, und diese konnte er so offenbar nicht übernehmen. Aber beileibe, soviel Zeit hat ein Projekt am Theater nun auch selten wie "Nazistück" es hatte, und an den meisten anderen Theatern wäre das wohl auch nicht unbedingt versucht worden; insofern wäre es schön, tatsächlich jetzt einige Differenzierungen Beteiligter zu vernehmen: auch auf nachtkritik de. wird das Projekt mittlerweile wahrgenommen: ein Gros der sonstigen Stadttheaterproduktionen "schafft" das nicht -kein Zynismus, glauben Sie mir- ..
seit einiger Zeit treibt mich ein Gedanke um.
Nachdem ich einige Jahre lang eine Reihe von Wagner-Kongressen und Veranstaltungen besucht habe, treibt mich der Gedanke um, dass Wagner den Charakter verdirbt.
Wagnerianer gehören zu den intolerantesten, aggressivsten, irrationalsten und freudianisch höchst belasteten Zeitgenossen (affektive Bindung an den Gegenstand ihrer Verehrung), die es gibt. Es gibt kaum einen Wagner-Kongresse, wo nicht die Emotionen mobartig hochkochen.
Und doch finanziert der Staat Wagner-Aufführungen noch und nöcher, wo Leute drin sitzen, die sich an den machtberauschten Akt-Finali dieser Opern aufgeilen und Allmachtsräusche erleben. Irgendwie will das nicht in meinen Kopf rein.
Auf den 1. Blick gehört das hier nicht zum Thema. Auf den 2. Blick schon. Es geht um die Frage, ob Wagner gefährlich ist, weil er Kleinbürgern Allmachtgefühle injiziert. Ernst Toller hat das auf das Schlagwort vom "entfesselten Wotan" gebracht (im Kleinbürger nämlich entfesselt).
Ich würde gerne lesen, was Andere darüber denken.
Was hat es zu bedeuten, dass Angela Merkel ausgerechnet alljährlich bei den Bayreuther Festspielen Energie tankt? Warum liebt sie Wagner?
Warum subventionieren Kulturpolitiker die Verbreitung der Werke eines Mannes, der noch 1881 die Phantasie hatte, alle Juden in eine "Nathan"-Vorstellung zu stecken und das Theater dann abzufackeln? Eines Mannes, der Äußerungen publiziert hat, mit denen er heute kein öffentliches Amt mehr bekleiden könnte? Warum soll ausgerechnet hier zwischen Privatperson und Werk unterschieden werden? Warum wird in Sachen Wagner ständig verharmlost und abgewiegelt?
Es steht außer Frage, dass Wagner einer der größten Künstler war, den man nicht verbieten kann. Das wäre blöd. Aber seltsam ist das schon: kleine Nazistücke werden abgesetzt, um die Allgemeinheit nicht in Versuchung zu führen, aber Wagner wird an jeder Klitsche mit Steuergeldern subventioniert.
Ich sah gerade in Leipzig "Die Feen" von Wagner, wo der Held seine moralische Überlegenheit beweisen soll, indem er ohne mit der Wimper zu zucken zuschauen soll, wie seine Kinder ins Feuer geworfen werden. So eine Moral ist doch krank. "Gelob sei, was uns hart macht." Ich verstehe einfach nicht, dass da nicht jemand mal "Halt" schreit.
Wie gesagt: ich bin ratlos.
Naja, man kann auch ein kleines "Nazistück" machen und ganz brav "Die Feen" im
Gewandhaus frequentieren, ohne wie der kafkasche Galeriebesucher sein "Halt" geltend zu machen; aber, ach, was sage ich, der spielt ja auch nur mit dem Gedanken daran. Ein nicht zu unterschätzendes Argument, finde ich, ist, daß man nur allzugerne als Wissende(r) auftretend auf "Nazis" hindeutet, und dabei geradewegs in die entgegengesetzte Richtung läuft, Strukturen nachzuspüren, die der früheren Haltung nicht unähnlich scheinen und wirkungsmächtig sind. Man zeigt halt Rieger, Reiger, und Gott bewahre, Regier, aber eben gerade nicht Wagner, nicht Wagnerianer, nicht Merkel und nicht all die vielen Internationalen, die Wagner nicht weniger mobhaft verehren wie die hierzulande "Einheimischen". Ist doch auch ein Phänomen, daß es auch außerhalb Deutschlands nur marginal um die braune Vergangenheit des Grünen Hügels geht im Grunde und viele Kongresse halt dann höchst international sind ! Natürlich hat es gegen den "Klassiker" der Kindesopferung (von mir aus von Abraham über Jesus bishin zu Wagner und der heutigen Wiederbelebung seines "Erstlingswerkes") schon immer wieder "Halt, halt"-Rufer gegeben wie etwa Walter Kaufmann ("Der Glaube eines Ketzers") oder Friedrich Wilhelm Korff ("Der komische Kierkegaard"), aber es stimmt natürlich: diese Stimme(n) komm(en)t noch zu kurz,
sowohl inszenatorisch als auch von der Werkproduktion und Zuschauerreaktion her..