Kolumne: Zeug & Stücke — Teresa Präauer über Hosenrollen
Hosenrolle
von Teresa Präauer
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17. November 2015. Ich will zurück nach Iowa. "Ach, geh doch zurück nach Iowa!" Nein, Wien ist eh auch gut, sagt die ZEIT in der aktuellen Ausgabe ihres Magazins. Hinzugefügt werden darf, dass die Stadt Wien ja aus mehreren Dörfern besteht. Was bloß heißt, dass es uns Bewohnern leicht fällt, einander geografisch aus dem Weg zu gehen. Das macht es auch einfacher, hier in Wien an seinem sogenannten Roman zu arbeiten, anstatt dort, in Iowa, ständig davon abgelenkt zu werden.
Als Riesenpenis verkleidet
Doch, einmal noch zu den Attraktionen einer amerikanischen Kleinstadt: Ein Abend im Zeichen des Gender Bender und des Spiels mit dem geschlechtlichen und sozialen Rollentausch. Ich reise gedanklich zurück, und zwar in den Nachtclub "Studio 13", wo einmal im Monat die "I.C. Kings" auftreten. Eine Gruppe von Frauen, die mit aufgeklebten Bärten, zurückgegelten Haaren und übertriebenem Machogehabe den Männern im Club erotisch Konkurrenz machen und gleichzeitig die Statussymbole von Männlichkeit verulken. Verarschen möchte ich es nicht nennen, denn dazu ist die Show der Drag Kings eindeutig zu phallisch besetzt: Eine der Damen tritt überhaupt als Riesenpenis verkleidet auf. Während der einzelnen Nummern gilt es, sich als Gast spielerisch im Pimp-Verhalten zu üben und "Lobster Boi" und "The Giant King" einzeln Dollarnoten zuzustecken. Lernen konnte man diese Geste eine Woche zuvor bei den Drag Queens, denen man brüderlich zuraunen mochte, dass sie auch ein Dirndl gut ausfüllen könnten.
Von den Kings berauscht, kaufe ich mir am nächsten Tag eine Hose und gehe mit Barbara Vinken essen. Die wohnt freilich nicht in Iowa City, ich kenne sie auch nicht persönlich. Ich habe aber ihr Buch "Angezogen" auf dem Esstisch liegen, in dem sie schreibt, dass die, bis über den Schritt hinauf, knalleng sitzende Hose von Frauen erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts, und bis heute, getragen wird. Zuvor sind es ausschließlich die Männer gewesen, die in Strümpfen Beinmuskulatur, so vorhanden, und Gemächt ausgestellt haben. Soweit Barbara Vinken, während ich im Café der Buchhandlung "Prairie Lights" sitze, lese und Scrambled Eggs esse.
Die verschleierte Frau des Feministen
Was sagt das Mode- und Kostümlexikon? Für die "Hosenrolle" im Theater finden sich Belege seit dem 17. Jahrhundert, die Hose der Schauspielerin ist dabei allerdings eine weite Pluder- oder Trikothose. In der Geschichte von Oper und Operette sind es Männerrollen in der Stimmlage des Mezzosopran oder Kontra-Alt, die von Frauen gesungen werden. Die Liste der Beispiele geht von Händel über Mozart bis Strauss und Wagner. Umgekehrt, das Auftreten von Männern in Frauenkleidern, gibt es bereits bei Shakespeare, und das ist auch der Tatsache geschuldet, dass es Frauen nicht erlaubt war, Theater zu spielen. Wo doch "all the men and women merely players" seien auf der Weltenbühne.
Eine Bühnenkünstlerin, die seit mehr als 30 Jahren "Gender as Performance" behauptet und ausagiert, ist Diane Torr. 2012 erschien über ihren Workshop "Man for a Day" die gleichnamige filmische Dokumentation von Katarina Peters. Ich habe diesen großartigen Film damals von Freundinnen empfohlen bekommen und muss diese Empfehlung seither weitergeben. Zwischen Iowa City und Wien liegen mindestens 15 Flugstunden, der Atlantische Ozean und sieben Stunden Zeitunterschied. Und viele Gespräche. Mit dem Mann aus Saudi-Arabien, der sich als Feminist bezeichnet und dessen Frau komplett verschleiert ist, mit der Frau aus Afghanistan, die fürs Foto immer wieder einen Schal locker über den Kopf legt, mit der neuen Bekannten aus Syrien, die jetzt in Wien wohnt und mir erzählt, eine sehr kurze Hose hätte man in Damaskus nicht tragen dürfen. Mit der schönen indischen Kollegin im Sari, die sagt, mit weißen Frauen wie dir im Modekatalog sind wir aufgewachsen. Mit der Mexikanerin, die sagt, zieh dich nicht immer schwarz an. Und so weiter. — Ich beobachte es, denn ich bin eine Voyeurin. Die beste Voraussetzung, um ins Theater zu gehen.
Teresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Ihre Bücher erscheinen im Wallstein Verlag, als Taschenbücher bei S. Fischer, und wurden vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Künstlerroman "Johnny und Jean", nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015. In ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" denkt sie über die Einzelteile nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.
Zuletzt schrieb Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" übers Heimkommen, über amerikanische Newbies in Iowa City, das Wir, Masken und Smartphone-Fotografie auf der Bühne, über Aussprache, Schauspieler-Memoiren, Cosplayers auf der Leipziger Buchmesse und funkelnden Glitzer-Staub im Theater.
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Der kult der Hässlichkeit in den postindustriellen Armutskulturen ist pure Einöde. Es würde sich lohnen darüber nachzudenken, warum diese Hosenfrauen Männer ausgrenzen, die bebuntete Rockfrauen aus anderen Ländern heiraten.
Danke, Frau Präauer!