Jeder stirbt für sich allein - Der Shorty zum Theatertreffen 2013
Zwischen Tod-Ernst und Irrwitz
von Esther Slevogt
Berlin, 6. Mai 2013. Das bibbernde Menschlein, der vom Lauf der Dinge zerquetschte Erdenwurm, ist immer wieder ein tolles Literatur- und Theaterthema. Und theatertreffentauglich ist er natürlich auch. Besonders wenn er so herzzerreißend lebt und leidet, wie in den Romanen von Hans Fallada. Es ist schon die zweite Fallada-Adaption nach Kleiner Mann, was nun?, die Luk Perceval eine Einladung nach Berlin eingebracht hat: wohl auch deshalb, weil sich in diesen Arbeiten ganz gut studieren lässt, wie man auf postdramatischem Weg doch noch so etwas wie Ernst und tiefere Einfühlung (und gar existenzielle Berührung) herstellen (oder es zumindest versuchen) kann.
In der Adaption von Falladas letztem Roman "Jeder stirbt für sich allein" laufen dann die Vertreter der Spezies "Kleiner Mann" zunächst immer von der einen zur anderen Bühnenseite quer durchs Bild: die Nazis, Hausfrauen, Uniformierten, Zivilisten. Dahinter erhebt sich das düstere Riesenmodell dieser Stadt, zusammengebaut aus tausenden von Alltagsgegenständen der frühen 1940er Jahre: so, wie sie vielleicht aus Sicht der alliierten Bomberpiloten ausgesehen haben mag, die diese Stadt in Schutt und Asche legten, während unten sich die Menschen weiterhin mit ihrem Leben und ihrer Feigheit abmühten. Solange, bis sie nicht mehr können: wie das mittelalte Ehepaar Quangel eben, das im Zentrum der Handlung steht – Mitläufer erst, angepasste Stillhalter, die dann der Tod des einzigen Sohnes an der Front aufrüttelt und in einer stillen Form des Widerstands über sich selbst hinaus wachsen lässt. Das könnte auch heute noch sein, der berühmte kleine Mann, der in den Zwängen dieser immer gnadenloser aussortierenden, nur noch von Effektivitätskategorien strukturierten Gesellschaft so lange zappelnd zu funktionieren versucht, bis es nicht mehr geht.
Luk Perceval baut ein überzeichnetes und auch immer wieder allegorisches Menschen- und Menschheitspanorama. Das Romanpersonal, all die kleinen Arbeiter, Soldaten und Ganoven sind ins Archetypische gezogene Karikaturen, die ähnlich funktionieren wie bei Wilhelm Busch: Gerade in der Überzeichnung liegt ihre Wahrhaftigkeit. Wobei diese grellen, berlinernden, sächselnden oder manchmal in virtuosen Irrwitz hochspulenden Schauspieler (besonders Mirco Kreibich!) der Nebenfiguren melodramatisch geerdet werden vom konstant bleibenden Tod-Ernst der Hauptfiguren Anna und Otto Quangel (Oda Thormeyer, Thomas Nierhaus) oder dem zerrissenen Nazi-Kommissar Escherich (André Szymanski). Das hat Höhen und Tiefen, und einige Längen auch – besonders im ersten Teil. Aber kalt lässt es auf keinen Fall. So hat der eine Teil des Berliner Publikums dann in den Pausen auch kräftig gemurrt und manchmal schon vorzeitig das Weite gesucht. Der andere hat am Ende heftig gejubelt.
Hier geht's zur Nachtkritik der Premiere vom 13. Oktober 2012 am Hamburger Thalia Theater.
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