Medienschau: Die Zeit – Das Zürcher Leitungsduo zum Ende seiner Intendanz
Vergiftete Debatte
Vergiftete Debatte
31. August 2023. In der Wochenzeitung Die Zeit spricht Matthias Daum mit den beiden Chefs des Zürcher Schauspielhauses, Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann, die im September 2023 in ihre letzte Saison am Schweizer Haus starten.
Beider Verträge waren nicht über die Saison 2023/24 hinaus verlängert worden; ihr künstlerisches Programm und die Ausrichtung des Theaters sind seither Gegenstand einer polarisierten Debatte, die wir auch auf nachtkritik.de begleitet haben (etwa hier und hier) und zu der sich die Intendanten nun im Zeit-Interview selbst äußern.
Im Gespräch betonen sie, dass ihre Nichtverlängerung nicht im Zusammenhang mit dem Verlangen eines höheren Budgets gestanden habe. Vom Interviewenden mit der geringen Auslastungszahl von "gerade mal 50 Prozent" konfrontiert, gibt Blomberg unumwunden zu: "Das ist zuwenig. Punkt." Auch ihn treffe das sehr, ergänzt Nicolas Stemann – und gibt zu bedenken, dass Neu-Starts, zumal mit neuen Ausrichtungen, Zeit bräuchten. "Unser Interims-Nachfolger Ulrich Khuon hatte in Berlin über drei Jahre lang Gegenwind, wurde als Schwabe angefeindet, als Wessi", spielt Stemann auf den Intendanzstart Ulrich Khuons 2009 am Berliner Deutschen Theater an. "Das Deutsche Theater war leer!"1, behauptet Stemann weiter. "Da muss man Ruhe bewahren, auch wenn es mal zu heftigen Reaktionen kommt."
Darauf angesprochen, wie sie sich die Vorgänge in der Rückschau erklärten, die letztlich zu der Nichtverlängerung ihrer Verträge führten, antwortet Stemann, "Polarisierung und Spaltung" zeigten sich ja auch außerhalb des Theaters. "Gesellschaftliche Veränderungen können schmerzhaft sein. Zudem gibt es immer auch politische Interessen, diese Themen zu eskalieren", sagt er. Im Kern gehe es dabei um eine Gerechtigkeitsdebatte. "Unsere Hoffnung mit diesem Projekt war, mit den Mitteln der Kunst eine Debatte zu führen, die weniger verhärtet ist, spielerischer, konstruktiver als in anderen Medien."
Sein Kollege Benjamin von Blomberg hätte sich denn auch "gewünscht, dass unser Projekt vor allem auch als ein künstlerisches wahrgenommen worden wäre". Das Zürcher Schauspiel habe durch seine Hausregisseurinnen und -regisseure "immer wieder eine differenzierte Sprache für viele dieser Debatten gefunden", mit denen das Haus zu renommierten internationalen Festivals eingeladen worden sei. "Um das wahrzunehmen, war die immer wieder auch polemisch geführte Debatte Gift."
(Die Zeit / cwa)
1 Das Deutsche Theater Berlin weist gegenüber nachtkritik.de auf folgende Auslastungszahlen für die Jahre 2009 bis 2013 hin:
2009/10: 173.000 Besucher:innen, 82,8% Auslastung
2010/11: 165.000 Besicher:innen, 81,1% Auslastung
2011/12: 161.000 Besucher:innen, 76,2% Auslastung
2012/13: 164.000 Besucher:innen, 81,6% Auslastung
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Ich finde so ein Zitat von zwei weissen, able-bodied Cis-Männern aus gut betuchten Verhältnissen, die nun mal die höchste Position repräsentieren, schon auch grotesk. Oder zumindest, dass das im Artikel nicht kommentiert wird.
Wenn Manuel Hoffnungen auf eine "diverse" Intendanz äußert, muss Manuel nun enttäuscht werden. Der Abschuss der jetzigen Intendanz könnte ein Rückschlag für Diversität und ein Zeichen für eine klassisch bürgerliche und moderate Ausrichtung im Sinne der SVP und FDP bedeuten. Unter solchen Umständen wird es wohl schwierig sein, breitere soziale und kulturelle Perspektiven in die Intendanz einzubringen. Da tragen aber Stimmen wie Manuel, die u.a hier auf Nachtkritik unter diversen Pseudonymen diese Kritik an dieser Intendanz ohne Belege vorantrieben, ihren Anteil dazu bei. Dabei hat sich diese Intendanz und das ganze Team ja gerade um Diversität bemüht. So wie ich das einschätze muss Manuel nicht zwingend wirklich interessiert sein an "Diversität". Ich kann an keiner konkreten Handlung festhalten, dass sich Manuel wirklich für ein diverses Schauspielhaus interessiert. Diese Intendanz wiederum hat es durch konkrete Taten belegt, dass sie es zumindest versuchte.
Die Behauptung, dass Manuel und ähnliche anonyme Stimmen als "Agent Provocateurs" des Bürgertums" agieren könnten, ist natürlich ein starkes Statement, das ohne konkrete Beweise mit Vorsicht zu behandeln ist - und ich hier trotzdem anbringen will. Unter den genannten Umständen geben Anonymität und die Unklarheit über die Interessengruppen, die möglicherweise hinter Aussagen wie jener von "Manuel" stehen, Anlass zur Besorgnis. Deshalb stelle ich die Frage (ohne wirklich eine Antwort zu erwarten): Wer bist du Manuel? Für wen sprichst du wirklich? Für dich? Oder für andere?
Es geht mir auch gar nicht um das künstlerische Programm von Stemann/Blomberg, Lilienthal oder Mundel oder was für gute Arbeit sie leisten, was sie ja auch tun. Es ist einfach nach wie vor erschreckend, wie wenig divers Führungspositionen besetzt sind, man aber von den spezifischen Themen profitiert. Das ist für mich scheinheilig. Wie viele Intendant*innen mit einer Behinderung fallen Ihnen denn z. B. ein? Bei 20 % Menschen mit Behinderung in der Schweiz. Da wäre ich knallhart für Quote. Es gibt ja zu allem Statisken. „Zürich ist divers, warum soll man das nicht abbilden?“ Auch und gerade in Führungspositionen.
Also den beiden Intendanten kann man nicht vorwerfen, dass zu sie zuwenig "divers" waren. Sie wurden gewählt mit einem Leistungsauftrag, dem sie nachgingen und den sie umgesetzt haben. Dann wurden sie abgeschossen, weil sie diesen Auftrag erfüllt haben und nicht, weil sie ihn nicht erfüllt haben.
Es sollten die besten Konzepte und Ideen sich durchsetzen, neue Leitungsmodelle & nicht Identitäten, letztlich weder weisse, noch behinderte, noch PoC Identitäten. Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind sehr gross. Die Digitalisierung (insbesondere auch die vom Regierungsrat gerade gesprochenen 3 Mio Digitalbühnen-Gelder, siehe Link unten) erfordern Fokus auf Inhalte und Themen, die alle was angehen, Behinderte und Nicht-Behinderte. Schweizer:innen und Migrant:innen. Das sind Themen wie: Zukunft der Arbeit, Digitalisierung, Machtverhältnisse, demokratischer Zusammenhalt etc.
Insofern müsste der erste Schritte sein: Eine Ausschreibung, bei der Konzepte und neue sinnreiche Modelle im Zentrum stehen - und nicht die "Identitäten" der Leitungspersonen.
Das ginge nur mit einer anonymen Bewerbungsrunde, damit eben Kriterien wie "weiss", "behindert", "Hautfarbe" keine Rolle spielen, sondern die Qualität und Reflexionstiefe des inklusiven Ansatzes, wie ihn die Stadt schliesslich verlangt.
(...)
Um zu verhindern, dass (...) Eitelkeiten diese Wahl antreiben, müsste das Bewerbungs-Verfahren anonym sein und 2023/2024 Konzepte von Teams besprochen werden - und nicht "Menschen". Wenn da nun eine Findungskommission aus Intendant:innen und Personalberater:innen nun sozusagen nach Gefühl jemand sucht, der scheinbar "passt", führt das zwangsläufig zum Pressemitteilungs-Spass - ohne nachhaltigen Wirkung.
Was die Ziele angeht, bin ich ihrer Meinung:
Die Digitalisierungsschritte und weiteren Inklusionsschritte müssen natürlich ausgefeilt konzipiert sein, Leute mit Geh- und Seh- und Hörbehinderungen miteinschliessen, als auch Entwicklung von Produktionen oder Uebersetzungformen mit "einfacher Sprache" mitdenken. Das ist sehr sehr wichtig und insofern müssen UNBEDINGT Leute mit Inklusions- und Digital-Kompetenzen Teil dieser Leitung sein.Ein Blick auf die Schweizer Spitzenforschung würde helfen, denn die dort angewandten anonymen Verfahren führen zu Nobelpreisträger:innen. Das übliche Findungskommissionsverfahren führt zu oberflächlichen Entscheidungen - und genau das ist sehr stark zu befürchten. Aber wer weiss, vielleicht hat man ja was gelernt aus dem Desaster.
Link zum Entscheid auf die neuen Digitalbühnen-Gelder vom Kanton Zürich
https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2022/10/regierungsrat-unterstuetzt-staedtische-kulturhaeuser.html
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(Der Kommentar wurde um eine nicht überprüfbare Passage gekürzt.
Mit besten Grüßen aus der nachtkritik-Redaktion)