Presseschau vom 21. Februar 2016 – Die Süddeutsche Zeitung verteidigt die Absage einer Handke-Aufführung am Residenztheater München

Scheitern erlaubt

Scheitern erlaubt

21. Februar 2016. Das Münchner Residenztheater hat eine Premiere abgesagt, nämlich Peter Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" in der Regie von Philipp Preuss, geplant für den 10. März 2016. "Die künstlerischen Differenzen über Wege und Ziele waren zuletzt unüberbrückbar geworden", hieß es in der entsprechenden Pressemitteilung des Theaters. In der Süddeutschen Zeitung (20.2.2016) nimmt Christine Dössel nun die Beteiligten gegen etwaige Skandalrufer in Schutz: Zwar sei eine solche Absage "ein harter Schritt", aber "Inszenierungen sind künstlerische Prozesse, so komplex wie fragil. Dass da mal was schiefgeht, ist eher normal."

Dass das Residenztheater keinen Ersatzregisseur gesucht habe, sei "bei einem so unerprobten, offenen und schwierigen Text wie dem von Handke verständlich." Es habe in diesem Fall weder "mit dem Verlag ein Problem gegeben noch internen Krach", wie der verantwortliche Dramaturg Sebastian Huber der SZ gesagt habe. "Man habe sich einfach irgendwann eingestehen müssen: 'Das ist jetzt nicht mehr produktiv. Wir schaffen das nicht." Dössel zeigt dafür Verständnis: "So schmerzhaft so ein Scheitern auch ist – es sich einzugestehen ist ehrlich und hat mit Respekt und Verantwortung zu tun: gegenüber dem Text, dem Publikum, den Schauspielern und gegenüber der Kunst." An einer Institution "wie dem Stadttheater mit seinen festen Subventionen" müsse "das Scheitern erlaubt sein. Wenn nicht hier, jenseits des marktökonomischen Diktats, wo dann?"

(wb)

 

Mehr dazu: Am 24. Februar 2016 teilte das Münchner Residenztheater in einer Presseaussendung mit, dass ersatzweise Mateja Kolezniks Inszenierung von "Nora oder ein Puppenheim" ab dem 10. März in München zu sehen wird. Kolezniks Ibsen-Inszenierung hatte im Januar am Stadttheater Klagenfurt Premiere gefeiert.

 

Kommentare  
abgesetzter Handke am Resi: welche Differenzen genau?
Wohl wahr, Scheitern ist erlaubt. Aber es ist ein Unterschied, ob man sich selbst oder jemandem anderen Scheitern attestiert. Nicht alles, was von außen als Scheitern betrachtet wird, muss es objektivierbar sein. Deshalb wäre es nützlich, wenn man erführe, zwischen wem genau es künstlerische Differenzen gegeben hat. Zwischen dem Regisseur und dem Autor? dem Intendanten? dem Ensemble? dem Dramaturgen? Wie brüchig das Verdikt ist, dass eine Inszenierung gescheitert sei, erfährt man täglich, wenn man die diversen Meinungen auf nachtkritik.de liest. Nur: die sind wenigstens pseudonym unterzeichnet und, wichtiger noch, überprüfbar. Eine abgesetzte Inszenierung ist es nicht. Vielleicht wäre sie tatsächlich schmerzhafter als die Absetzung wegen eines behaupteten Scheiterns - wir werden es nicht wissen.
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