Presseschau vom 3. Januar 2016 – Der Freitag empfiehlt dem Theater, sich zwecks Rettung an Fernsehserien zu orientieren
Urinierende Schauspieler
Urinierende Schauspieler
3. Januar 2016. "Die Bühnen stecken seit Jahren in einem fürchterlichen Dilemma", konstatiert Axel Brüggemann in der Zeitung Der Freitag. "Ihr Prinzip der Inszenierung ist ihnen von den Protagonisten unserer Wirklichkeit geraubt worden: Politiker, Sportler oder Gewerkschaftsbosse beherrschen den Mechanismus der eigenen Inszenierung inzwischen besser als so mancher Regisseur. Sie brauchen keine Bühne mehr, um die Wirklichkeit zum Theater zu verwandeln".
Ja, selbst ein Großteil der Fernsehzuschauer sei inzwischen auf Facebook und Twitter zum 'Inszenierer' der eigenen, medialen Wirklichkeit geworden. In einer Zeit, in der das reale Handeln zunehmend auf professioneller Selbstdarstellung basiert, auf der Verwandlung des Scheins in Wirklichkeit, werde die Bühne daher "mit ihrer gewollt verkünstelten Wirklichkeit in eine Sinnkrise gerissen."
Rettung kommt für Brüggemann nun ausgerechnet daher, wo der Theaterbetrieb von jeher eher den Feind, also Seichtheit und Verblödung vermutet: von den Fernsehserien: die geschliffenen Monologe, mit denen z.B. in "House of Cards" der von Kevin Spacey gespielte Frank Underwood "die Zeit aufhebt und sich an den Zuschauer wendet, lösen das Medium Fernsehen als Trennung von Wirklichkeit und Schein auf."
Vielleicht sei es genau das, was dem Theater fehlt, schreibt Brüggemann: "die Ironie des eigenen Mediums. Der Bühne scheint der eigene Anspruch als moralische Anstalt im Wege zu stehen. Sie meidet die hemmungslose Offenlegung der eigenen Inszenierung, um in ihr die inszenierte Welt als Selbstverständlichkeit zu ordnen. Zu oft fehlt ihr der spielerische Umgang mit der eigenen Rolle in der heutigen Gesellschaft des Spektakels. Die erschreckend realistischen Dialoge in 'House of Cards' oder 'Altes Geld' lassen uns mehr schaudern als urinierende Schauspieler im vermeintlich modernen Blut-Schweiß-und-Sperma-Theater."
(sle)
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Im Allgemeinen schwebende Abhandlungen sagen etwas Richtiges und viel Falsches. Ohne Roß und Reiter zu nennen kann Brüggemann viel erzählen: in den hunderten von Theatern von Kiel bis Konstanz sieht und hört man -klare aussagen -phantastische Interpretationen -eigenwillige opernhafte Inszenierungen (wo bleibt die vorlage?) -simples -lausiges -schlechtes was also nun? Ausgerechnet Fernsehserien als Richtungspol aufzuführen ist der endgültige Abgesang in einer Theaterdiskussion, die nötig ist, weil sie immer da ist. Außer (mit abstrichen) House of Cards kann man die im dt Werbefernsehen (von ard bis rtlnitro) laufenden Serien locker durch immerwiederkehrende Worthülsen von Schäuble, Merkel, Seehofer, Gabriel, Oppermann, Wagenknecht, de Maiziere ..... senden: gleiches Ergebnis .... Gesellschaft lullert sich ein