Presseschau vom 30. Januar 2018 – Der Tages-Anzeiger macht Vorschläge für den Umgang mit künstlerisch gescheiterten Produktionen
Courage zum leeren Spielplan
Courage zum leeren Spielplan
30. Januar 2018. "Muss gespielt werden?", fragt Alexandra Kedves im Tagesanzeiger (30.1.2018). Die Frage zielt darauf, ob eine geplante Inszenierung auch zur Premiere gebracht und ins Repertoire übernommen werden sollte, wenn ihr Scheitern absehbar sei. Kedves bezieht sich konkret auf die Bulgakow-Inszenierung Hundeherz von Alvis Hermanis – laut Kedves "ein künstlerisches Debakel", das innerhalb und außerhalb des Teams für jeden absehbar gewesen wäre, der auch nur eine Probe miterlebt hätte. "Hätte man nicht die Zuschauer vor der Verschwendung von zweieinhalb Stunden Lebenszeit bewahren müssen? Und auch die Schauspieler?"
Kedves fordert "Courage zum leeren Spielplan". Ferner denkt sie, wieder am Beispiel Hermanis, darüber nach, ob ein Haus eine langfristige vertragliche Zusammenarbeit aufkündigen sollte, wenn das künstlerische Ergebnis nicht zufrieden stellt – auch trotz "Konventionalstrafen für Vertragsbruch". Manchmal brauche es weniger Mut dafür, zu scheitern, als dazu, das Scheitern zu verhindern.
Kedves schlägt die Schaffung einer "Art Fonds-Perdu" vor – "(f)ür Dinge, die sich vielversprechend anliessen, aber lieber rechtzeitig gekappt statt bis zum bitteren Ende weiterverfolgt werden sollten". Und weiter: "So ein Konzept würde das Risiko der Willkür und des völligen Fehlentscheids bergen, würde Unsicherheiten schaffen, gewiss. Und es wäre eine grosse Verantwortung auch für den Intendanten; als in Luzern unlängst tatsächlich eine Arbeit abgesagt wurde, gab das zu reden. Andererseits würden so auch personell Kräfte frei, die man kurzfristig für Neues einsetzen könnte; die so auch schnell auf Brandaktuelles reagieren könnten."
(Tagesanzeiger / miwo)
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Tatsächlich wird an jedem Theater, immer wieder bei sich abzeichnenden Problemen in einer Produktion, auch in Erwägung gezogen die Inszenierung 'nicht rauszulassen'!
Bevor diese letzte und schwierigste Option gezogen wird, versucht man allerdings der Produktion noch auf die Beine zu helfen.
Zum Beispiel der Intendant/in 'übernimmt' auf den letzten Metern die Regie, oder es wird nochmal umbesetzt ( wenn die Leitung der Meinung ist es liege an den Schauspielern), das Bühnenbild wird weggeschmissen....usw.
Voraussetzung dafür, ist allerdings, das die Leitung (Intendanz/Dramaturgie) welche in den letzten Probentagen das zu erwartende Ergebnis der Probenarbeit begutachtet(meistens schon vorinformiert durch den Dramaturgen der Produktion) die Sache auch wirklich misslungen findet..... und da, genau da, scheiden sich die Geister!!
Bei jemanden mit Alvis Hermanis Reputation natürlich noch mehr.
Wer will sich bei grossen Namen sicher sein, dass das Ganze missglückt ist. Alvis die Regie wegnehmen; no way!!
Nicht wenn man weiter mit ihm arbeiten will.
Das ganz bleibt eine Machtfrage.
Bei jungen Regisseuren wird schnell und sehr selbstbewusst zwischen 'gelungen' und 'missglückt' unterschieden, und sich auch oft getäuscht, aber bei den grossen Tieren?!? Schwierig.
Und noch schwieriger wird die ganze Situation bei Inszenierenden Intendanten; wer um Himmels Willen soll hier aus der restlichen Theaterleitung ein Korektiv sein!? Hui! Da muss ich gleich das Theater wechseln.
Aber auch bei VW ist das schwierig, oder bei der UBS...,
Wenn ein grosser Name wie Alvis Hermanis zum Abschuss freigegeben ist, ja dann ist sich auch Frau Kedves sicher ob das Kunst ist, oder ob das weg kann!
Einfach weil ich bei Ihren wichtigen Besprechungen und Kommentaren vor dem Bildschirm sitzend immer nur schweigend aber eben äußerst dankbar nicke: DANKE
Gleichzeitig frage ich mich aber auch ob ein Artikel wie der oben besprochene es überhaupt wert ist? Ich wäre froh über eine generelle Bestandsaufnahme von Ihnen, wie kann es weitergehen, haben wir die Talsohle erreicht, oder braucht es erst verbrannte Erde, also die Schließung der meisten Theater in der nächsten Wirtschaftskrise?
Nach der Lektüre von Kedves Artikel ist mir gar nicht klar, wie sie darauf kommt, dass Ihre Meinung zu einzelnen Arbeiten maßgeblich sein könnte?? Das Schauspielhaus selbst kann doch gut sehen, wie es sich verkauft. Und: 13 Vorstellungen ist jetzt auch nicht die Welt. In einem gesunden Theaterbetrieb gibt es Selbstregulation dergestalt, dass schlecht besuchte Inszenierungen nicht bis zum Nimmerleinstag gespielt werden. Schon aus Budget- und Dispositionsgründen. (So wird beispielsweise Ersan Mondtags erste Arbeit am BE, die am 14.12.17 Premiere hatte, am 31.3.18 zum letzten Mal gespielt. Großer Name, kurze Laufdauer.) Es passiert auch immer wieder, dass Vorstellungen abgesagt werden, wenn der Verkauf katastrophal ist. Was also will Alexandra Kedves? So ein Fonds gibt es doch (implizit) schon. Es gibt ja Premieren, die abgesagt werden, wenn eine Produktion sichtlich und total auf Grund läuft.
Und was soll dieses merwürdige Tiere-und-Kinder-Moratorium?
Das Abo-System ist erfahrungsgemäß die Grundlage für überlange Vorstellungsserien, denn die Häuser mit Abonnements im Verkauf disponieren diese ja typischerweise für große Teile einer Spielzeit. Ohne Abo ist man da als Betriebsdirektion/Intendanz flexibler.
Kulturjournalisten die sich mit den Kämmerern und ihren neoliberalen Positionen gemein machen...,
Eine Tendenz, die insbesondere in Zürich und insbesonders beim Tagesanzeiger zu beobachten ist. (Lukas Bärfuss hat mehrfach auf den Wechsel in den Kulturressorts von NZZ und Tagi hingewiesen)
Übrigens, Barbara Villiger Heilig (Theaterkritikerin bei der NZZ) wollte unter diesen neuen Bedingungen nicht mehr arbeiten und hat ihren Hut genommen...Respekt'
Moralisch gescheitert; sehr treffend.
Kann mich Roberto nur anschliessen, sehr treffend.
Deshalb die Bitte an die Redaktion Thomas Rothschild den Auftrag zu einer grösseren "Bestandsaufnahme" zu geben.
Wie kann es zum Beispiel sein, um bei Robertos Zürcher Beispiel zu bleiben, dass in Zürich ab 19/20 vier Bühnen im Grunde die gleiche und nachweisbar sehr kleine Zuschauergruppe anspricht. Noch dazu, dass Steeman/von Blomberg ja nicht ernsthaft geholt werden um eine Vielfalt am Schauspielhaus anzubieten, und welche Rolle spielt dabei (...das Feuilleton)?
Andersherum: Theater, die ohne Abo arbeiten, tendieren dazu, flexibler nachsteuern zu können, wenn man merkt, dass der (Frei-)Verkauf (beispielsweise wegen einer nicht gelungenen Inszenierung) schleppt.
Ja, das Abo kann gut für Zuschauer sein. Das Abo kann auch für die Langfristplanung im Haus gut sein. Aber in jedem Fall legt man sich damit früh auf eine feste Vorstellungszahl fest. Das ist im Falle von "schlechten" Inszenierungen ein Problem.
2. Die Abonnenten wollen auch "gescheiterte" Produktionen sehen, die verstehen sehr gut, dass die Möglichkeit des Scheiterns den Reiz ausmacht, hier soll/darf man Scheitern, im Gegensatz zum Alltag.
3. Die vermeintlich gescheiterten Produktionen dürfen im Gesamtspielplan nur nicht Überhand nehmen.
4. Wer gegen die Errungenschaft des möglichen Scheiterns im deutschsprachigen Theater argumentiert, macht sich zum Handlanger für ein rein marktgesteuertes System.
5. Interessanterweise wissen diese Fürsprecher gar nicht was das bedeutet,
und wenn doch, kommt vermutlich das von Thomas Rothschild angesprochene moralische Scheitern in Betracht.
a) Warum soll ohne Abo kein Experiment möglich sein?
b) Das sieht an den Münchner Kammerspielen anders aus. Viel Experiment. Aboverkäufe um fast 20% zurückgegangen.