meldung
Maulkorb für Schweriner Theaterkünstler?
Wes Brot ich ess...
Schwerin, 24. Januar 2018. Lars Tietje, Generalintendant des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin, hat den Künstler*innen seines Hauses untersagt, beim Theaterball "eigenmächtige politische Äußerungen" zu machen und mit arbeitsrechtlichen Schritten gedroht. Wie die Schweriner Volkszeitung berichtet, spricht die Aktion Kulturschutz (auf deren Seite sich das Schreiben im Wortlaut nachlesen lässt) von einem Maulkorb und vermutet den Druck des Großsponsors Nestlé dahinter, der durch Schauspieler*innen in die Kritik geriet.
Henning Foerster von der Linksfraktion im Stadtparlament bezeichnete die Untersagung politischer Meinungsäußerungen als "vollkommen inakzeptabel. Dies erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten." Künstlerische Ausdrucksformen seien vom Grundgesetz besonders geschützt. Kultusministerin Birgit Hesse (SPD) hat den Generalintendanten dem Bericht zufolge zu einem Gespräch gebeten.
Tietje wiederum wies gegenüber der SVZ weit von sich, zu dem Schreiben animiert worden zu sein. Weil es aber in der Vergangenheit eigenmächtige Diffamierungen von Partnern des Theaters durch einzelne Theatermitarbeiter gegeben habe, habe er dem vorbeugen wollen. "Künstler haben ein Interpretationsrecht, aber kein Autorenrecht", sagte er der Zeitung. Dessen ungeachtet habe jeder Mitarbeiter ein Recht, seine Meinung zu äußern. Er mache keinem Regisseur, Dirigenten oder Darsteller Vorschriften für dessen Werk.
(SVZ / geka)
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr meldungen
meldungen >
- 30. April 2024 Ehrung für Ulrich Matthes
- 29. April 2024 Theaterneubau in Rostock begonnen
- 29. April 2024 Auszeichnung für Kurzfilmtage-Leiter Lars Henrik Gass
- 29. April 2024 Publikumspreis für "Blutbuch" beim Festival radikal jung
- 27. April 2024 Theater Rudolstadt wird umbenannt
- 26. April 2024 Toshiki Okada übernimmt Leitungspositionen in Tokio
- 26. April 2024 Pro Quote Hamburg kritisiert Thalia Theater Hamburg
- 25. April 2024 Staatsoperette Dresden: Matthias Reichwald wird Leitender Regisseur
neueste kommentare >
-
Interview Übersetzer*innen Konkret kritisieren
-
Interview Übersetzer*innen Sträflich wenig beachtet
-
Pygmalion, Berlin Aushalten oder lassen
-
Pygmalion, Berlin Muss das sein?
-
Zentralfriedhof, Wien Weder komisch noch grotesk
-
RCE, Berlin Ziemlich dünn
-
Zentralfriedhof, Wien Akku leer
-
Pygmalion, Berlin Clickbait
-
Die Möwe, Berlin Einspringerin Ursina Lardi
-
Hamlet, Bochum Zum Niederknien
Wow. An diesem Satz ist alles verkehrt, was nur verkehrt sein kann. Und man kann nach der Lektüre des genannten Aushangs Herrn Foerster nur recht geben was die „überwunden geglaubten Zeiten“ betrifft — wobei einige dieser Zeiten derzeit eine blühende Renaissance zu erleben scheinen. #kulturausschuss
Und so sind es eben nicht hauptsächlich die Regisseur*innen, welche den Schauspieler*innen mittels ihres (ihnen durch sakrosankte Granden wie Kollege Stein abgesprochenen) „Autorenrechts“ und Proben—Eskapaden die künstlerische Mündigkeit nehmen. Es sind solche Bevormundungen, solche Ausprägungen hegemonialer Strukturen, diese nicht wegzukriegende Stellung (zu oft) männlicher Alpha-Nacktmulle, für die die Realisierung dekadenter Ballveranstaltungen (vulgo: „Exklusiv—Veranstaltung für die Krähm della Krähm“) zur Hauptaufgabe eines Theaterbetriebs geworden ist, welche dieses System über kurz oder lang zugrunde richten werden. Wie soll sich in so einer Atmosphäre, wo das Honig-um-die-Eier-schmieren für einen multinationalen Schweinekonzern der menschenverachtendsten Sorte, den man, wenn man genannte Körperteile in der Hose sowie einen Rest von Ethos hätte, nicht mal in die Nähe seines Hauses lassen würde - wie soll sich also dort ein Ensemble-Geist des kritisch ansetzenden Denkens etablieren? Das ist doch Wahnsinn! Als Künstler die Kündigung angedroht zu bekommen, weil man seine Meinung kund tut! Das geht nur im Land des Fraktionszwangs und der verordneten Regierungsverantwortung. Warum darf dieser Mann ein Theater leiten? Bitte - mehr Jena, mehr Neumarkt.
Na ich weiß nicht..eher damit, wer wen kennt, wann mit wem und wo mal zusammen gearbeitet...das ist meine Theater Erfahrung..
http://www.taz.de/!5477583
Zu Nestlé: https://www.codecheck.info/
es geht nicht um das zurückweisen des geldes allein - es geht um "knebelbedingungen", falls diese an die zahlung von geldern geknüpft werden.
wenn ich mir jedoch die kulturpolitische landschaft anschaue, so habe ich wenig zweifel daran, dass die intendanten u.a. entscheidungsträger immer besser sortiert werden - stück für stück - denn wie sie richtig sagen, will auch die staatsmacht lieber ihre interessen vertreten sehen - als ihre kritischen geister zu fördern.
die heißesten grüße dazu kommen aus der volksbühne ... aber auch aus anderen orten - besonders in den "neuen bundesländern" ...
Wollen wir jetzt alle die Konzerne durchhecheln, die sich gerne Kunst- und Wissenschafts-Mäzenatentum ans Revers heften als Ablasshandel für kapitalstrategische (Um)Weltzerstörung?
#6
Wo steht geschrieben, was genau eine "Vorstellung" zu sein hat und wer da warum welchen Text "bringen muss" und zwar "ohne persönlichen Kommentar"? Dieses lex theatrum, in dem offensichtlich genau vermerkt ist, was Schauspieler*innen zu dürfen und nicht zu dürfen haben, ist mir trotz 4 Jahren Regie-Studium und diversen Berufsjahren noch nicht begegnet – obgleich freilich häufig und gern draus zitiert wird …
#7, #9 + #12
Es geht hier doch nicht primär darum, wer genau der Sponsor ist und ob der nun direkten Einfluss nehmen wollte oder doch nur (zweifellos bluttriefenden) Kaffee hingestellt hat. Eine Debatte darüber, welche Sponsoren sich Theater erlauben sollten und welche nicht, wäre richtig und wichtig – ist aber imho hier nicht der Punkt. Der Punkt ist der offensichtlich vorauseilende Gehorsam und der enorme Vergriff in Ton und Haltung von Lars Tietje (der sich wohl mittlerweile für letzteren entschuldigt hat, ich weiß … yadda yadda yadda). Jedenfalls sollte der Intendant im Fokus bleiben.
#10
Ich erbitte von Ihnen eine detaillierte Liste an Orten und Momenten, an denen das Grundrecht auf Kunstfreiheit zurücktreten sollte und zwar gegenüber welchen anderen verfassungsmäßigen Rechten. Nestlés verfassungsmäßigem Recht auf unkritisierten Kaffee-Ausschank? Tietjens verfassungsmäßigem Recht auf Beschneidung der Meinungsfreiheit seiner Mitarbeiter*innen?
Und differenzieren Sie doch bitte aus, wer sich hier durch welche Äußerung genau der Selbstgefälligkeit schuldig gemacht hat. Vor allem "wieder Mal" (sic!)? Inwieweit nutzt solch unfundiertes Geätze der Debatte? Von den Schweriner Schauspieler*innen traut sich noch nicht mal jemand, die öffentlichen Artikel zum Thema in den sozialen Netzwerken zu teilen. Die sind quasi schon jetzt stumm geschaltet und Sie poltern hier rum …
Sie dürfen mir glauben, dass mir nichts so wurscht ist, wie das "Abendland", dass sich gerade mal wieder der aufgehenden Goldenen Morgenröte zuwendet.
Absurd finde ich allerdings, dass Tietje seinen Ball ja selbst als "schützenswertes Kunstwerk" bezeichnet um damit das Sprechverbot für seine Mitarbeiter*innen zu rechtfertigen. Spannende Debatte: Was ist wichtiger – die Kunstfreiheit eines Balles (Was ist noch alles "schützenswertes" [und also nicht zu störendes] Kunstwerk? Betriebsfeier? Burschenschaftsball? Rede im Ball- und Brauhaus Watzke?) oder die Meinungsfreiheit von Menschen, die auf diesem Ball auftreten sollen?
Wir werden's wohl an dieser Stelle nicht lösen. Ich möchte nur nicht müde werden zu behindern, dass es sich der Betrieb, in dem ich arbeite, zu sehr in seinem chauvinistischen Autoritarismus bequem macht.
https://www.ndr.de/kultur/Theater-Schwerin-Mitarbeiter-rebellieren-gegen-Tietje,theaterschwerin166.html