Preis-Sammlerin

Essen, 28. April 2014. Für ihr Stück "Von der langen Reise auf einer heute überhaupt nicht mehr langen Strecke" hat die in Halle an der Saale geborene Autorin Henriette Dushe die zum dritten Mal vom Schauspiel Essen ausgerichteten Autorentage "Stück auf!" gewonnen. Das teilt das Schauspiel Essen mit. Bei der Endausscheidung um den mit 5000 Euro dotierten Autorenpreis der Stadt Essen setzte sich Dushe gegen sechs weitere Finalisten durch. Die Uraufführung ihres Stückes wird am 19. April 2015 am Schauspiel Essen stattfinden.

Den vom Freundeskreis Theater und Philharmonie Essen e.V. ausgelobten Publikumspreis in Höhe von 1.000 Euro gewann der gebürtige Bochumer Georg Münzel für sein Stück "Hiroshima-platz". Die "Young Experts"-Jury, der Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren angehörten, kürte das Stück "Herr Metitsch" von Karin Strauß zu ihrem Sieger.

henriette dushe autorenpreis essen 2014 diana kuester uHenriette Dushe bei der Preisverleihung in Essen
© Diana Küster
Die fünfköpfige Jury für den Autornpreis der Stadt Essen, die aus den Kulturjournalisten Ulrike Gondorf und Stefan Keim, dem Autor Wolfram Lotz, dem Regisseur Gustav Rueb und der Essener Chefdramaturgin und stellvertretenden Schauspielintendantin Vera Ring bestand, begründete ihre Entscheidung für Henriette Dushes Stück wie folgt: "Henriette Dushe nimmt uns mit auf eine packende Reise durch die Zeit und in das Innenleben ihrer Figuren. Besonders fasziniert hat uns die musikalische Struktur der Sprache dieses 'Bühnentextes für fünf Frauen' - eine wahre Wortpartitur."

Im Stück geht es um die Ausreise einer Familie von der DDR in die Bundesrepublik. Am Anfang ist alles geprägt vom Aufbruchswillen des Vaters. Für sich und die Seinen erträumt er ein anderes besseres Leben, akribisch fertigt er Listen des umzuziehenden Hab und Guts an, räumt stumme Zweifel aus dem Weg und macht die Kinder stark gegen die Schikanen der Staatsgetreuen. Eine Zugfahrt ohne Rückfahrschein aus der DDR, aus "Dunkeldeutschland" in die bunte BRD steht bevor. Die Mutter und ihre vier Töchter erinnern sich, ihre Sätze türmen sie um sich wie gestapeltes Gepäck, das immer neu sortiert, trotzdem immer gleich schwer wiegt. Sie erinnern den Mann in Grau, das "Scheiß-Gärtchen" des Großvaters, die Waschbecken-nische im Klassenzimmer für Störenfriede, die Brechanfälle der Einen, den taubengrauen Bahnhof und die traumatische Fahrt ins gelobte Land, schlussendlich die ernüchternde Ankunft im niedersächsischen Provinzstädtchen. Eine Ankunft, die dem, der sie am meisten wünschte, nie gelingen wird: Zum Leidwesen der anderen tritt der Vater fortan die Flucht in sein Inneres an. Zurück bleibt eine melancholische Schicksalsgemeinschaft.

Henriette Dushe wurde in Halle/Saale geboren. Nach langjähriger Tätigkeit als Erzieherin und Theaterpädagogin folgte 2001 bis 2006 das Studium der Kulturarbeit in Potsdam (Diplom im Fachbereich Angewandte Ästhetik). Von 2011 bis 2013 studierte sie Szenisches Schreiben an der uniT Graz. Von 2002 bis 2011 arbeitete sie als Dramaturgin und Autorin beim freien Autoren- und Schauspielkollektiv unitedOFFproductions (Braunschweig/Berlin). Sie wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u. a. 2008 mit dem Werkstattstipendium für Literatur der Jürgen-Ponto-Stiftung, 2009 mit dem Retzhofer Dramapreis für "Menschen bei der Arbeit" (UA 2010 am Schauspiel Chemnitz), 2010 mit dem Werkstattstipendium für "Sprachlos die Katastrophen im Bereich der Liebe" am Staatstheater Mainz, 2013 wurde ihr der Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik der Stadt Jena für "In einem dichten Birkenwald, Nebel" verliehen sowie der Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes für "Lupus in Fabula". Die Uraufführungs-Inszenierung (und hier) dieses Stücks eröffnete den Heidelberger Stückemarkt 2014. Henriette Dushe lebt in Berlin.

Die nächste Auflage von "Stück auf!" findet im Frühjahr 2016 am Schauspiel Essen statt. Interessenten finden die Ausschreibung für den neuen Wettbewerb ab September 2014 unter www.schauspiel-essen.de/

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Kommentare  
Preis für Henriette Dushe: Schade
Das war enttäuschend - in der Präsentation gab es zwei Texte, die eindeutig ihre Bühnentauglichkeit bewiesen haben, "Hiroshimaplatz" und "Herr Metitsch", aber natürlich wählt die Jury eine typische Kopfgeburt aus einem Szenisches-Schreiben-Studiengang, keine Figuren, keine Situationen, keine Spannung. Als der Juror Wolfram Lotz im Publikumsgespräch sagte, dass man als Jury ja auch Texten helfen kann, die sonst keine Chance hätten, war es eigentlich schon klar, dass es das Siegerstück oder "schweizer krankheit" wird, da steckt die Intellektualität ja schon im Titel, einmal nur Groß- und einmal nur Kleinbuchstaben. Schade.
Preis für Henriette Dushe: spannend
Nicht Schade - sondern spannend!
Hier ein empfehlenswerter Text der literaturkritik über Stück auf!
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19255&ausgabe=201405
Und hier ein lesenswerter Text über das Siegerstück
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19249
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