Steile Ansagen, pathetischer Sog

15. Mai 2023. Sebastian Hartmann ist einer der eigenwilligsten Theatermacher des Landes. Die hochtrabenden philosophischen Phrasen des Hegel-Schülers Max Stirner sind Grundlage seines bildmächtigen wie rätselhaften Theaterabends, der jetzt beim Berliner Theatertreffens lief.

Von Martin Krumbholz

"Der Einzige und sein Eigentum" von Sebastian Hartmann nach Max Stirner © Arno Declair

15. Mai 2023. Dieser Abend ist ein größeres Rätsel. Vielleicht ist das aber das Schöne daran. "Vielleicht" ist dabei ja eine Art Schlüsselwort, in vielen Varianten wiederholt: "Ist es das Eigentum, das zählt? Vielleicht."

Der Text des Philosophen Max Stirner oszilliert zwischen hochfliegenden Phrasen der Selbstermächtigung ("Wenn es mir recht ist, so ist es recht") und melancholischen Schüben tiefen Selbstzweifels und Weltekels, vom O-Mensch-Pathos des Expressionismus nicht weit entfernt.

Hier regiert die Form

Die optische und musikalische Einbettung sorgt allerdings dafür, dass der sinnliche Eindruck, der "Sog" den Inhalt entschieden überwölbt. Eine klare Botschaft kann man nicht daraus destillieren, und das ist auch nicht die Absicht.

Sebastian Hartmann ist einer der eigenwilligsten, aber immerhin auch einer der erfindungsreichsten Theatermacher: Hier regiert die Form. Auf der Bühne ragt eine Le-Corbusier-hafte Architektur auf; die gegenläufig bespielte Drehbühne erzeugt eine Art Schwindel-Effekt, wenn etwa sechs schwarz im Zwanziger-Jahre-Stil gekleidete Gestalten wie in einem Stummfilm rasant über sie hin marschieren. Konsequente Schwarz-Weiß-Ästhetik.

Im Maschinenraum des Theaters

Die Musik (Piano und Vibrafon), mal lyrisch, mal üppig aufbrausend, korrespondiert mit den steilen pathetischen Ansagen, scheint sie gelegentlich sanft zu ironisieren. Vielleicht auch nicht. Vielleicht, vielleicht. Es wird schön gesungen und getanzt. Später gibt es ein Leichenbegängnis im Maschinenraum des Deutschen Theaters, einen 3-D-Film mit Libelle und einen bewässerten Schneewittchensarg, in dem eine Schauspielerin schwimmt.

Freudiges Hineinsinken

Zu dechiffrieren ist das längst nicht immer, wirken tut's trotzdem. Mir gefällt dieses schlanke Artefakt besser als die gelegentlich sehr eigenwilligen, ausufernden oder auch etwas mutwilligen Dekonstruktionsexzesse des Leipziger Meisters. Man sinkt sozusagen freudig hinein, auch wenn die horizontale Parkettsituation des DT die potenziellen Sichtachsen bösartig aushebelt.

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Hier geht es zur Nachtkritik der Premiere am Deutschen Theater Berlin, hier zur unserer TT-Festivalübersicht.

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