Die Würde der Nackten

14. Mai 2023. Ein Spektakel, immer ausverkauft und eine der meistdiskutierten Inszenierungen der Saison: Die Theatertreffen-Einladung von Florentina Holzingers "Ophelia's Got Talent" kam nicht überraschend. Bei bestem Spritz-Wetter wurde es gestern nur drinnen in der Volksbühne richtig nass. "So nie gesehen", schreibt unsere Autorin im Shorty.

Von Verena Großkreutz

"Ophelia's Got Talent" © Nicole Marianna Wytyczak

14. Mai 2023. Aperol Spritz in der Abendsonne nippen­: Der Aperitifstand vor der Volksbühne lenkt den  Großteil des Publikums ab vom Pünktlichkommen. Weswegen der Berliner Theaterhit der Saison – Florentina Holzingers "Ophelia’s Got Talent" – mit zehn Minuten Verspätung beginnt. 

Entblößte weibliche Körper, das Publikum permanent Voyeur:in – auch wenn die Splitterfasernacktheit der Artistinnen und Performerinnen keinesfalls pornographisch konnotiert oder erotisch aufgeladen ist. Sie wirkt unbefangen oder olympisch oder im Fall der moderierenden, prollig-besoffenen Kapitänin Hook, als habe sie schlichtweg vergessen, ihre Beinkleider überzuziehen. Warum sprechen sie und andere eigentlich Englisch (ohne, dass übertitelt wird)? Aber das spricht ja schließlich auch das Personal in so mancher Gastro in Berlin-Mitte.

Freudig tanzt die Vulva

Ein großes, aufwändiges Performance-Spektakel: auf der Bühne ein Schwimmbecken, zwei Glasbassins. Wasser auf der Bühne macht per se etwas her. Darin lässt sich prächtig planschen. Frauen brustschwimmend, abtauchend, geschmeidig ihre Runde drehend. Wummernde Bässe, zitternde Wasseroberflächen. Schon geil: ein Hubschrauber, wenn auch um seine Drehflügel gebracht, senkt sich ab vom Bühnenhimmel. Nackte werden an Seilen hochgezogen, kleben sich fest am Flugobjekt, um mit eindeutigen Bewegungen zum Kollektivorgasmus zu kommen. Vorher: Matrosinnenentänze, freudig die Vulva zur Schau stellend. Dass die Frauen ihre nackten Körper mit so großer Würde zeigen, ist das eigentlich Spektakuläre des Abends, denke ich. So nie gesehen. Nacktheit auf dem Theater zeigt doch sonst immer die Verletzlichkeit des Menschen. Hier aber offenbart sie Stärke und Energie.

Ophelias got talent 2 805 Nicole Marianna Wytyczak uJägerinnen unter Wasser © Nicole Marianna Wytyczak

Beindruckend lustvoll überladen die Show. Frau lässt sich Zeit für Längen. Allerlei scheinbare Selbstverletzungen, Schwerter werden geschluckt und angebliche Fischchen im Magen über die Sonde auf die Leinwand gebeamt. Geschichten von Vergewaltigungen und Alkoholikervätern, Wasserlyrik von Schiller und ein bisschen Schubert-Forelle. Artistinnenkörper baumeln an Seilen.

Wo bleibt die Letzte Generation?

Alles mündet in die Apokalypse: Gedärmegeburten, Blut verfärbt das Wasser, zwei Meerjungfrauen verenden an der Rampe. Ein kleines Mädchen singt ein Lied vom Fluss und vom Meer, weil das Wasser das Blut der Erde sei. Plastikflaschenregen. Zum Glück gibt’s die Letzte Generation.

Das Publikum – sehr gemischt: jung, hipp, in coolen Outfits, bürgerlich – spielt mit: Jubel, Johlen, Lachen, die markerschütternden Bässe mitklatschend, Stille, wenn’s nötig ist, am Ende Standig Ovations. Danach Diskussionen, ob der Selbstentfesslungskünstlerin unter Wasser wirklich die Luft ausging oder das Arschtattoo in echt durchgeführt wurde. Und auch dieses: Wird die einheitlich gestutzte Intimbehaarung der Frauen die Schamhaarfrisurenmode des kommenden Sommers?

Hier geht es zur Nachtkritik der Premiere an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, hier zur unserer TT-Festivalübersicht.

Täglich Neues vom Berliner Theatertreffen gibt es in unserem Theatertreffen-Liveblog

Kommentare  
Ophelia's Got Talent, TT 2023: Enttäuschend
ist auch an jedem FKK Strand zu sehen, nur dass dort die " Vulva vermutlich nicht so fröhlich tanzt".
Ansonsten, Seilschwingen, Messerschlucken, Akrobatik, Entfesselung unter Wasser, Selbstverletzungen,viel Geplansche und wow ein Heli mit viel Lärm, und via Video-Kamera braucht man kein Fernglas um das Ganze aus der Nähe zu betrachten. Dazu ein bisschen Schillerlyrik und Schuberts Forelle.... für mich zusammenhanglos aneinander gereiht ohne erkennbaren tieferen Sinn..
sorry, enttäuschend...

dabei sah ich kürzlich beinahe 4 Stunden " Richard the Kid and the King" mit Lina Beckmann und Kristof van Boven und war so etwas von geflasht
Ophelia's Got Talent, TT 2023: Hui Zukunft
@1 Hui! Die Zukunft des Theaters liegt bei Shakespeare und Martin Leiser. Das ist ja doch näher als gedacht!
Kommentar schreiben