Das Berliner Theatertreffen 2018 von außen betrachtet - Gastautorin Katja Berlin über Karin Henkels Zürcher Inszenierung von "Beute Frauen Krieg"
Das Schweigeverbot brechen
Theatertreffen 2018 - Liveblog
Was ist los auf dem Theatertreffen?
von Georg Kasch und Anne Peter (unter Zuarbeit der Crowd – vielen Dank!)
(Dieser Liveblog wird sukzessive aktualisiert – letztes Update: 22.5., 16:26)
Alfred-Kerr-Darstellerpreis + Jurydiskussion
22. Mai 2018. So viel Zunder war selten beim Theatertreffen-Abschluss – und zwar nicht, weil die Stipendiat*innen des Internationalen Forums der Jury die Was-ist-das-nur-für-1-Auswahl-Hölle heiß machten (dieses eigentlich fix zum Festival gehörende Ritual entfiel diesmal). Vielmehr war es die Verleihung des Alfred-Kerr-Darstellerpreises, die die Betriebsgemüter zum Ende noch einmal hochkochte. In drei bemerkenswert scharfen Reden stemmten sich nacheinander Manifest-Vorträger Milo Rau, Kerr-Alleinjuror Fabian Hinrichs und Preisträger Benny Claessens selbst (hier gibt's seine Rede auf Englisch) der sekttauglichen Konsensseligkeit, die derlei Gelegenheit bisweilen umweht, entgegen.
Vor allem Fabian Hinrichs teilte aus (parallel übrigens in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung) und bashte nahezu die komplette diesjährige Theatertreffen-Auswahl (von der er – so hört man – nicht jedes Gastspiel bis zum Ende durchgesessen hat): "So wenig Freies. So wenig echt Erfreuliches. Auf meiner Suche nach dem souveränen Schauspieler mit einer Leitung nach oben begegnete mir preußischer Gehorsam, wohl als erschütterndes, durch die Generationen hindurch gewandertes Erbe des preußischen Militarismus, wackeres Soldatentum, man sah Menschen bei anstrengender Arbeit zu. Denn obwohl sich die Regisseure für die Übermittlung ihrer jeweiligen gut gemeinten Moralnachrichten eine teure abendliche Eskortbegleitung in Gestalt von massivem Einsatz von Ton und Gewerken, von Technik, Visuals und vokalem Extremsport engagierten, verschwimmt in der Rückschau das meiste zu einer seltsam gleichförmigen Masse". Er müsse "schon sagen, es war ziemlich anstrengend, einen jungen Alfred-Kerr-Preis-würdigen Schauspieler aufzuspüren, einen jungen Künstler, einen souveränen Schauspieler, keinen Dar-Steller und Dar-Geher und Dar-Steher, einen, den auch Alfred Kerr selbst vielleicht als Persönlichkeit ausgemacht hätte."
„Die wichtigste Frage an Schauspieler heute: Bist du Künstler oder arbeitest du im Service?“ Fabian Hinrichs über #Regietheater in seiner Laudatio auf den Kerr-Preisträger Benny Claessens @blnfestspiele #theatertreffen pic.twitter.com/g8JoW433ZB
— Thomas Oberender (@tobfs) 21. Mai 2018
Dabei schonte er weder Elfriede Jelinek noch Falk Richter, in dessen Inszenierung (eine "als bunte Travestieshow getarnte preußische Kaserne") der von ihm erkorene große Improvisator Benny Claessens als Exempel des "künstlerischen Schauspielers" hervorstach: "Inmitten all des entfremdeten, austauschbaren und nicht zu Ende sozialisierten, notgedrungen oder sogar freudig mitlaufenden Servicepersonals auf den Bühnen dieses Theatertreffens gab es jemanden mit Präsenz. Präsenz als erfahrbarer Unterschied zur Entfremdung. Benny Claessens ist in einem geradezu bedrohlichen Grade berührbar."
Auf Twitter wehrt sich heute Regisseur Ersan Mondtag gegen Hinrichs' Regietheater-Bashing:
Erstaunlich wie banal Fabian Hinrichs aufs Regietheater schaut. Wäre mal interessant eine Spielzeit ohne Regietheater zu machen, mal sehen wie spannend das dann wird... ach nee, Schnarch, wie populistisch, sehr enttäuschend. Der „Deutsche Schauspieler“, endlich überwindet man ihn
— Ersan Mondtag (@ErsanMondtag) 22. Mai 2018
Regisseur Herbert Fritsch hingegen stimmt Hinrichs Analyse grundsätzlich zu:
Nach dem Berliner #Theatertreffen sorgt Fabian Hinrichs' Kritik am Theaterbetrieb für Wellen. Herbert Fritsch findet Hinrichs' Punkte jedoch völlig nachvollziehbar. Unser Gespräch mit dem Regisseur: https://t.co/JdGVInowtE
— Deutschlandfunk Kultur (@dlfkultur) 22. Mai 2018
Bei so viel Haue vorab waren die Juror*innen in der nach etwas Gartenplauschzeit folgenden Jury-Abschlussdebatte (hier nachzuschauen, ab Minute 14:30 ca.) natürlich zum Widerspruch und zur Verteidigung ihrer Auswahl aufgerufen.
Fabian Hinrichs "hat da vielleicht auch nicht sooo genau hingeschaut". Christian Rakow widerspricht dem Kerr-Juror: Einige autonome Schauspieler*innen und Co-Autor*innen hat Hinrichs übersehen. #theatertreffen
— nachtkritik.de (@nachtkritik) 21. Mai 2018
"Unsere Auswahl bildet ganz unterschiedliche Schauspielertypen ab." Improvisateur Benny Claessens an der Rampe, Nina Hoss als Co-Autorin, Rasche-Spieler im Regie-Korsett (Shirin Sojitrawalla) #Theatertreffen
— nachtkritik.de (@nachtkritik) 21. Mai 2018
So vereint die Jury im Widerspruch gegen Hinrichs war, so uneins waren sich ihre Mitglieder, als es um die gleich zu Beginn des Festivals aufgebrandete Frage nach dem Sexismus in Castorfs "Faust" ging. Während die eine Fraktion (der sich später auch noch mehrere Zuschauer*innen anschlossen) die Schauspielerinnen lieber angezogener gesehen hätte, wollte die andere Seite immer mitgefragt wissen, in welcher Funktion vermeintlich sexistische Bilder inszeniert und ob damit die patriarchale Ordnung stabilisiert oder destabilisiert würde.
"Ich halte es für eine Verkürzung nachzuzählen, wie viele auf der Bühne nackt und wie viele angezogen sind." Christian Rakow zu den Sexismus-Vorwürfen ggü. Castorfs #Faust, u.a. von Rüdiger Schaper im Tagesspiegel. #Theatertreffen
— nachtkritik.de (@nachtkritik) 21. Mai 2018
Für Eva Behrendt ist #Faust "das feministischste Stück, das ich bisher von Castorf gesehen habe", Gretchen/Helena/Nana als eine Art "Rache-Engel". Das Ganze ist "eine Aufwertung der anderthalb Frauenfiguren" im Stück. #Theatertreffen
— nachtkritik.de (@nachtkritik) 21. Mai 2018
"Castorf gehört zu den Diskriminierender-Blick-Werfern dazu!" Dorothea Marcus beharrt darauf, dass Castorfs Frauenbild einseitig und problematisch ist. Ältere, unsichtbar werdende Frauen gehören nicht dazu. #Theatertreffen
— nachtkritik.de (@nachtkritik) 21. Mai 2018
Jede Wette, diese Fragen werden uns auch über das Ende des Theatertreffens hinaus weiter beschäftigen. Wer sich jetzt gleich noch weiter hineinvertiefen möchte: Auch das TT-Blog legt heute noch mal mit einem klugen Text von Eva Marburg über Castorfs Frauen-Figuren nach.
Mittlerweile sind auch die Rücklblicke draußen. Nach Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung ("durchwachsen") gehen auch die Anderen mit dem 2018er-Jahrgang ins Gericht. "Niemand spricht mit dem anderen", so Rüdiger Schaper im Tagesspiegel. "Jedes Wort ein Ausrufezeichen. Der Atem reicht nur noch aus für einen Tweet." Einen "ausgesprochen anstrengenden, oft verkopften, konzeptlastigen Jahrgang" hat André Mumot erlebt – und berichtet auf Deutschlandfunk Kultur von einem "Theater, das möglichst nicht erzählen, lieber belehren und selbstkritikfrei seine Haltung vorführen möchte". Und Fabian Wallmeier berichtet im RBB von "viel Politik, die Neuverhandlung der Geschlechterverhältnisse, reichlich Theater-Nabelschau".
(ape / geka)
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"Die Welt im Rücken"
21. Mai 2018. Stehende Ovationen sind im deutschsprachigen Theater keine Selbstverständlichkeit (auch wenn sich das gerade wegen der Castingshow-Formate im Fernsehen verändert, wie man vor allem im Jugendtheater merkt). Beim Theatertreffen liegt die Latte naturgemäß noch einmal höher, weil sich das Berliner Publikum schwer beeindrucken lässt. Joachim Meyerhoff gelingt es dennoch: So schnell wie hier haben sich die Menschen im Haus der Berliner Festspiele nur bei Frank Castorfs "Faust" erhoben. Sie huldigen Meyerhoffs Ausdauer – dreieinhalb Stunden nonstop auf der Bühne – und seiner Verwandlungskunst. Anders als bei Ulrich Rasches "Woyzeck" (wo die TT-Premierengäste ebenfalls aufsprangen) ist die Bude auch nach der Pause noch proppenvoll.
Dabei musste sich Meyerhoff erst eingrooven, war am Anfang kaum zu verstehen in diesem Raum, der viel größer ist als das Wiener Akademietheater, weswegen auch Burg-Intendantin Karin Bergmann Sorge hatte, wie sie später bei der Urkunden-Überreichung sagte. Als er die ersten "Lauter"-Rufe souverän einbaute in sein Spiel, war das Eis gebrochen. Spannend übrigens die Außensicht des Psychiaters (und Autors) Daniel Ketteler. Sein Rat für die Psychohygiene: früh zu Bett gehen.
Einhellige Begeisterung auch in den sozialen Medien:
Standing ovations für grandiosen Meyerhoff und "Die Welt im Rücken" @burgtheater beim #Theatertreffen
— k.e.hagemann (@kehagemann) 20. Mai 2018
#Theatertreffen: „Die Welt im Rücken“ Großartig! Das an sich motzige Berliner Publikum hat zum Schluss gestanden! Bravorufe! Kann nur wohl nur Meyerhoff spielen. Unaffektiert. Zivil. Alltäglich-nichtthealtral. Große Kunst! @blnfestspiele @burgtheater @TT_Blog18
— Jochen Berlin (@jochen_berlin) 20. Mai 2018
Obwohl für Schauspieler*innen beim Theatertreffen jenseits der großen Preise eigentlich keine Auszeichnungen vorgesehen sind, bekam Meyerhoff hinterher von Festspiel-Chef und Fanboy Thomas Oberender eine Riesenpackung Merci-Pralinen. Außerdem erwies sich das diesjährige Festival einmal mehr als Lob des Ensemble- und Stadttheaters, das kontinuierliche Zusammenarbeiten ermöglicht: Seit 2004 arbeiten Jan Bosse und Meyerhoff zusammen. In seiner kurzen Dankrede pries Bosse denn auch "Zeit, Ruhe, Geld und Vertrauen" des Theaters, das Genauigkeit erst ermögliche. Acht Wochen hätten sie geprobt – auch an der Burg keine Selbstverständlichkeit.
Außerdem kursieren die ersten Hitlisten.
Mein Ranking zum #Theatertreffen
— Kultur und Politik (@daskulturblog) 21. Mai 2018
1. Woyzeck
2. Rückkehr nach Reims
3. Beute Frauen Krieg
4. Am Königsweg
5. Faust
6. Welt im Rücken
7. Odyssee
8. Trommeln in der Nacht
9. Mittelreich
Wie immer gilt: Geschmacksache.
(geka)
Rückblicke und Zielgerade
20. Mai 2018. Heute biegt das Theatertreffen auf seine Zielgerade ein: Abends hat das letzte Gastspiel, Jan Bosses Roman-Adaption Die Welt im Rücken mit Joachim Meyerhoff, Theatertreffen-Premiere. Morgen folgen dann die Jury-Abschluss-Diskussion und der Kerr-Preis, den Fabian Hinrichs verleiht. In den sozialen Medien werden schon erste Prognosen abgegeben (oder sind's eher Wünsche?):
Reden wir über den Alfred-Kerr-Darstellerpreis! Relativ wenige Preisträger kommen dieses Jahr in Frage - vor allem, weil es nicht viele wirklich junge Darsteller beim #Theatertreffen gab. Mein Tipp: Hanna Hilsdorf für #Faust. Seht ihr andere Favoriten?
— Fabian Wallmeier (@FabianWallmeier) 19. Mai 2018
Kleiner Tipp: Auch Benny Claessens und Daniel Zillmann sind im Rennen, beide 1981 geboren.
Ansonsten mehren sich im Netz die kritischen Stimmen zu so ziemlich allen Gastspielen. Der Tagesspiegel etwa wirft "Woyzeck" Kraftmeierei vor.
Bin nicht der einzige, der sich gegen diese Inszenierung wehrt. Patrick Wildermann lehnt Rasches #Woyzeck ebenso ab (heute im @Tagesspiegel, Kritik noch nicht online). #theatertreffen pic.twitter.com/GPUdYiUj9m
— Thomas Weiner (@viertelnachvier) 19. Mai 2018
Enttäuschung auch über "Mittelreich":
Ziemlich enttäuscht von #Mittelreich beim #theatertreffen
— Chaplain (@n_chaplain) 19. Mai 2018
Eine sehr fesselnde Familiengeschichte und ein erfolgreiches Plädoyer für mehr Diversität aber so langweilig, maßvoll inszeniert.
Nicht so gut gespielt und gesungen. #tt18 pic.twitter.com/Gs0PlH9J0T
Blogger Konrad Kögler imaginiert sich sogar in eine Sitzung der Jury, um zu verstehen, warum sie die "Odyssee" eingeladen hat.
"Die Odyssee - Eine Irrfahrt nach Homer" vom @ThaliaTheater #Gaußstraße beim #Theatertreffen @blnfestspiele : so hemmungslos albern, dass es schon fast wieder gut ist. #Kritik https://t.co/G6EIYADV0Z
— Kultur und Politik (@daskulturblog) 19. Mai 2018
Aber was sind schon Kritiker*innen, Blogger*innen und twitterndes Publikum angesichts der Marktmacht, die Kultur-Einkäufer aus China darstellen? Im Freitag berichtet Thomas Irmer von chinesischen Scouts, die beim Theatertreffen nach Gastspiel-Kandidaten suchen. Ganz vorne mit dabei: die Berliner Schaubühne. Langfristig könnten diese lukrativen Gastspiele mehr über Wohl und Wehe eines Theaters entscheiden als eine Theatertreffen-Einladung.
Außerdem fasst Deutschlandfunk Kultur die Diskussion "Glotzt nicht so romantisch! Ein Gespräch über Theater, Revolte und die Kunst der Verantwortung" der Unlearning-Reihe mit den Regisseur*innen Ersan Mondtag , Susanne Kennedy, Philipp Preuß und Sasha Marianna Salzmann zusammen.
(geka)
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Jubel, Buhs, eine erste Bilanz
19. Mai 2018. Auch gestern ging es mit der Theatertreffen-Überforderung – alles auf einmal zur gleichen Zeit – weiter. Wieder leerten sich bei "Woyzeck" in der Pause die Reihen, wieder applaudierte das verbliebene Publikum begeistert. Derweil erklärt Sportwissenschaftler Patrick Rump in unserer Außenblick-Reihe, wie das so ist mit Grundauslagendauer, Neuronen, Milchsäure – und das auf einer Schräge!
Buhs und Abgänge waren zudem bei der "Odyssee" zu verzeichnen, auch hier überwog am Ende der Jubel – und Claus Peymann schien sich prächtig zu amüsieren. Weil er selbst gerade in Wien Macbeth inszenierte, war Antú Romero Nunes zur Trophäenverleihung (die wegen Vortages-Overkill erst nach der zweiten Vorstellung angesetzt war) von seiner Premierenfeier aus per Skype zugeschaltet.
Antú Romero Nunes hatte heute Premiere am @burgtheater, weshalb er die #theatertreffen-Auszeichnung für „Die Odyssee“ via Skype entgegennahm. Wir gratulieren herzlich! pic.twitter.com/whh382ogqB
— Berliner Festspiele (@blnfestspiele) 18. Mai 2018
Und auch bei der zweiten "Mittelreich"-Vorstellung staunten Gäste nicht nur über die Schauspieler, die sie sonst zu selten auf der Bühne sehen. Sondern auch die Menschen, die sie sonst zu selten im Publikum entdecken.
Man merke: Diversität auf der Bühne schafft Diversität im Zuschauerraum. Leider selten ein so durchmischtes Publikum beim #Theatertreffen gesehen. #tt18 #mittelreich @DT_Berlin @M_Kammerspiele
— Frau Gomm (@Frau_Gomm) 18. Mai 2018
Eine erste Gesamt-Bilanz zieht Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung unter der Überschrift "Ein Festspiel der Selbstbezogenheit". Sein Fazit: "Durchwachsen. Tolle Momente. Manchmal ganz schön anstrengend." Am Ende fragt er: "Kann man sich jetzt zur Abwechslung vielleicht versuchsweise wieder ein wenig dem Denk-, Sag- und Spielbaren zuwenden?" Wäre doch was.
(geka)
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"Mittelreich", "Woyzeck", "Odyssee", Theatertreffenblog-Jubiläum
18. Mai 2018. Wer macht denn so was? Gleich drei Theatertreffen-Premieren an einem Tag – das ist vermutlich den komplexen Planungen der eingeladenen Theater geschuldet, macht es aber unmöglich, überall zugleich zu sein. Klappt nicht mal mit dem Fahrrad.
Also: Großer Bahnhof im Deutschen Theater. Claus Peymann, Jürgen Trittin, Sasha Waltz, Nicolas Stemann – sie alle kamen, um sich Anta Helena Reckes Schwarzkopie von Anna-Sophie Mahlers Mittelreich-Inszenierung anzuschauen. Unser Außenblick-Gastautor John A. Kantara fand's großartig. Dass nach der Pause etliche Plätze leerblieben, war schon beim Mahler-Gastspiel 2016 so. Nur störte damals kein wildgewordener Lautsprecher (oder war’s ein Scheinwerfer?) mit seinem Geklapper die stilleren Momente.
"Schrecklich" findet es hingegen Anta Helena Recke bei der Trophäen-Übergabe, wie gut das Konzept ihrer Inszenierung aufgeht. Andererseits freut sie sich über die Anerkennung der Schauspieler. Auch Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal ist da. Auf die Frage von Theatertreffen-Vertretungschef Daniel Richter, ob er wegen der vielen Theatertreffen-Einladungs-Urkunden der letzten Jahre anbauen müsse, spielt er ironisch auf die maue Auslastung seines Hauses an: "Wir haben sogar ein ganzes Theater angebaut, wegen des großen Zuschauerandrangs." Und bedankt sich für die "mutige, kuragierte, riskante Entscheidung" der Theatertreffen-Jury.
Etwa zeitgleich übergab im Haus der Berliner Festspiele die stellvertretende Festspiel-Intendantin Claudia Nola sehr charmant an Ulrich Rasche und sein Woyzeck-Team. Intendant Andreas Beck, unter dessen Leitung das Theater Basel zum dritten Mal in Folge beim Theatertreffen eingeladen ist, versteht die Inszenierung als "Plädoyer für das Stadttheater", weil solche Kunst ohne die Struktur der Werkstätten nicht realisierbar wäre. Auch bei der "Woyzeck"-Premiere blieben nach der Pause einige Plätze leer. Der übrige Rest erhob sich aber anschließend zu stehenden Ovationen. Auch im Netz sind die Meinungen gespalten:
Radikaler, beeindrucker, wirkungsvoller #Woyzeck von Rasche im @blnfestspiele
— Chaplain (@n_chaplain) 18. Mai 2018
Intensiv, dunkel und scharf
Infernale Maschine
Kraftvolle Schauspieler#Theatertreffen pic.twitter.com/YTg89aeG3O
Aber Jubel im Publikum, für mich allerdings ein Ärgernis, sorry. #Woyzeck #Theatertreffen
— Thomas Weiner (@viertelnachvier) 17. Mai 2018
Schon am Nachmittag ging die TT-Premiere von Antú Romero Nunes’ Odyssee über die Seitenbühne.
Heitere Zauberer: #tt18 Favorit „Odyssee“ von Antú Romero Nunes @ThaliaTheater @blnfestspiele, weil wir alle viel zu selten lachen, vor allem im Theater
— Eva Perla (@evaperlaperla) 17. Mai 2018
Und in seinem Geburtstagsgruß zu zehn Jahren Theatertreffen-Blog fordert Autor Thomas Köck, der übrigens in einem nachtkitik.de-Kooperationsprojekt einmal selbst Kritiken schrieb, mehr Blogs. Und bittet die Kritiker*innen, nie wieder das Wort Nachwuchsdramatiker zu benutzen, nicht mal der Duden kenne den Begriff. Wir bemühen uns, versprochen!
"Es braucht viel mehr Blogs. Blogs sind die neuen Fanzines." Blog-Idealismus von Thomas Köck #ttblog18 #tt18 #gratulation #10jahrettblog
— mikrotext (@mkrtxt) 17. Mai 2018
(ape / geka)
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Vorfreude
17. Mai 2018. Heute ist Premieren-Mammut-Tag beim Theatertreffen mit "Woyzeck", mit "Mittelreich", mit der "Odyssee", die am Nachmittag den Aufschlag mache. Die taz freut sich besonders auf Paul Schröder, der in der Hamburger Inszenierung von Antù Romero Nunes zu sehen ist. Er wirkte schon in Nunes' Diplominszenierung ("Der Geisterseher" am Berliner Maxim Gorki Theater) mit und hat seitdem zahlreiche seiner Inszenierungen geprägt. Überhaupt bemerkenswert, wie vergleichsweise spät (und mit welch vergleichsweise kleiner Arbeit) Nunes beim Berliner Festival aufläuft, wo er doch seit Jahren immer wieder fürs Theatertreffen im Gespräch war.
Wer sich übrigens fragt, wie er auch endlich mal zum Theatertreffen kommt, findet in der aktuellen Kolumne unseres ehemaligen Redakteurs und aktuellen Wiesbadener Dramaturgen Wolfgang Behrens (keinen) Rat.
(ape)
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Shifting Perspectives + Stückemarkt
16. Mai 2018. Dass Bemerkenswerteste an der Theatertreffen-Nebenreihe "Shifting Perspectives" ist das Publikum: jung, schwarz, queer. Überschneidungen mit den Zuschauer*innen der 10er-Auswahl vermutlich zehn Prozent, Kritiker*innen schon eingeschlossen. Plötzlich wirkt das Haus der Berliner Festspiele (wie übrigens schon beim Theatertreffen der Jugend), als hätte man ihm eine Frischzellenkur verpasst.
Dass die Party zum Abschluss so lahm gerät und auf dem Raucherbalkon mehr los ist als auf der Tanzfläche, liegt vielleicht am vollen Programm davor: sechs Performances nonstop, die wirkten, als sollten sie gutmachen, was dem deutschsprachigen Stadttheater und damit auch dem Theatertreffen fehlt. Die Beiträge waren selbst oft schon Party, wie Pink Money, direkt unter der fürs "Faust"-Gastspiel verstärkten Drehbühne, das als ausgelassen queerer Clubabend beginnt und als bittere Rassismus-Studie endete. Vielleicht lag's auch an diesem harten Ausklang, dass danach keiner mehr Lust auf Feiern hatte. Dafür muss die Premierenfeier zu Falk Richters "Am Königsweg", glaubt man dem Flurfunk, eine Sause gewesen sein. Aber da haben Kritiker*innen ja eh nix zu suchen.
Zu viel Gekuschel ist jedenfalls heikel, Verfilzung droht. Gibt's beim Stückemarkt des Theatertreffens Vetternwirtschaft? Das mutmaßt ein nachtkritik-Kommentator, weil die Auswahl-Jury, der u.a. die Sophiensäle-Dramaturgin Joy Kalu angehört, eine Koproduktion ebendieses Hauses auswählte. Die Berliner Festspiele stellten klar: "Die Jurorin Joy Kristin Kalu hat sich bei der diesjährigen Abstimmung über das Stück 'Böse Häuser' der Gruppe Turbo Pascal enthalten."
Außerdem: Die Welt porträtiert "Trommeln in der Nacht"-Regisseur Christoper Rüping als unironischen Erzähler der Generation Maybe, der empfiehlt, keine Arschlöcher mehr zu hypen. Und noch ein kleines P.S. zum Berliner Publikum, das sich nur selten zu wahrer Begeisterung aufraffen kann:
German audiences rarely give a standing ovation. I have seen really good and interesting shows in the past couple of days, some of them with 7-9 curtain calls, however, the only standing ovation I witnessed was at Castorf’s Faust @blnfestspiele #theatertreffen
— alex istudor (@alexandertudor1) 14. Mai 2018
(geka)
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"Am Königsweg" + Unlearning Patriarchat
14. Mai 2018. Am Samstag hatte Falk Richters Inszenierung von Elfriede Jelineks Am Königsweg Theatertreffen-Premiere – und alle reden von Benny Claessens.
Ist es eigentlich möglich, sich nicht in #BennyClaessens zu verlieben? #Theatertreffen
— Sascha Krieger (@s_krieger) 13. Mai 2018
Selbst die große Jelinek höchstpersönlich gratuliert zum TT-Auftritt: "Liebster Benny, du mußt gestern der Hit des Theatertreffens gewesen sein, du hast die Leute förmlich weggeweht. Du bist mein Engel, ein gleichzeitig körperliches und körperloses Wesen, aber kein Vampir!", schreibt sie in einer Nachricht an Claessens, den dieser auf Instagram dokumentiert.
zum Interview getroffen, in dem er mit Regie- und Schauspiel-Kollegen hart ins Gericht geht: "Leider glauben viel zu viele Regisseure, alle Einfälle kämen von ihnen. Wenn ich sie frage, ob sie noch alle Tassen im Schrank haben, verdrehen sie die Augen und sagen: 'Du bist wieder schwierig', worauf ich antworte: 'Ja, weil ich die besseren Bücher gelesen habe.' Für mich wird die Zusammenarbeit mit heterosexuellen, weißen Männern immer schwieriger. Am liebsten würde ich nur noch mit Frauen und Schwulen arbeiten. Auch mit einigen Kollegen habe ich Probleme. Meiner Meinung nach sind neunzig Prozent der Mitglieder eines Stadttheaterensembles keine denkenden Menschen. Kein Wunder, schließlich werden die hauptsächlich nach ihrer Optik ausgewählt. In den Spielzeitheften ist dann die Rede von Equality und Diversity. Was für ein Unsinn. (...) Auch als Regisseur muss ich mich immer erst mal mehr beweisen als ein heterosexueller Mann über vierzig. Ich will mir gar nicht ausmalen wie das für Frauen sein muss. Oder schwarze Frauen. Oder queere schwarze Frauen." Eine Meinung zur Kandidaten-Diskussion am Rosa-Luxemburg-Platz hat er übrigens auch: "Ersan soll diese fucking Volksbühne übernehmen, dann hätte auch ich wieder Lust auf ein Ensemble."
Eva Biringer hat den AusnahmeperformerDen #ESC hab ich leider verpasst – aber im #Königsweg beim #Theatertreffen der @blnfestspiele wurde auch schön gesungen!
— Thore W (@glitzerfragment) 12. Mai 2018
Die zweite starke Protagonistin bei Falk Richter ist Jilet Ayşe alias İdil Baydar, die viel bissiger wirkt als die etwas altersmüde Jelinek.
Heute gibt es die 2. und letzte Vorstellung von #AmKönigsweg (@schauspielHHaus) in der Regie von @falkrichter2014 beim #theatertreffen - u.a. mit @IdilBaydar, die wir vorab zum Interview trafen. pic.twitter.com/14gQb4fMXZ
— Berliner Festspiele (@blnfestspiele) 13. Mai 2018
Fragt sich nur: Wenn der Extemporier-König und der Comedykabarett-Star so wahnsinnig stark sind, wozu braucht's dann noch einen Stücktext? Die Meinungen auf Twitter jedenfalls gehen weit auseinander:
„Das ist nicht lustig. Ist ernst. Ist #Jelinek.“ @falkrichter2014 rettet das Theater im Zeitalter von #Trump. #AmKönigsweg #Theatertreffen pic.twitter.com/bgyP2I0Cj0
— Daniel Wesener (@dpwes) 13. Mai 2018
Im Gegensatz dazu:
Das wohl schlechteste Stück, das ich seit langem gesehen habe. @blnfestspiele @falkrichter2014 #amkönigsweg #jelinek #theatertreffen
— Hannelore Pingpong (@hanne_pingpong) 13. Mai 2018
Im "Unlearning"-Begleitprogramm diskutierten gestern mehrere (Theater-)Frauen über "Genderungleichheit im Theater". Das Thema burnt, die Sitzstufenarena in der Kassenhalle war voll, als Franziska Werner (Sophiensaele Berlin), Anna Bergmann (demnächst: Staatstheater Karlsruhe) und Nicola Bramkamp (Schauspiel Bonn) diskutierten und Anne Peter aus der nachtkritik-Redaktion moderierte:
Im anschließenden Intendant*innen-Gespräch "Practice What You Preach!?", dem sich nur wenige Intendant*innen stellten, merkte Festspiel-Intendant Thomas Oberender an, "dass ich niemanden kenne, der sagt: Mit Frauen habe ich Probleme. Es gibt keine aktive Frauenblockadenpolitik – es ist schlimmer! Es ist strukturell." Ja, genau. Oder wie @s_krieger auf Twitter schreibt: "Das größte Problem ist nicht die Böswilligkeit eines Theaterpatriarchats, das seine Pfründe verteidigt, sondern das fehlende Bewusstsein, dass es irgendein Problem geben könnte." Kein Problem sah z.B. Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier in seiner aktuellen Spielplangestaltung – was die Dramatikerin Anne Rabe ganz schön auf die Palme brachte:
Thomas Ostermeier versucht gerade zu begründen, warum bei der Schaubühne in der Spielzeit 17/18 keine einzige Autorin aufgeführt wird. ,Wir haben einfach nicht drauf geachtet.‘ Diese Ignoranz ist zum Kotzen. #theatertreffen #tt18
— Anne Rabe (@AnneRabe) 13. Mai 2018
Welche Stoffe an der Schaubühne gespielt werden, würden die Regisseur*innen (mit)entscheiden, verteidigt sich Ostermeier. Vielleicht ist das grade die Crux? Denn auch ans Regiepult dürfen in der Schaubühne in dieser Spielzeit nur in zwei von zwölf Fällen Frauen – einmal im Studio und einmal bei einem theaterpädagogischen Projekt. Das, immerhin, soll sich demnächst ändern.
Einen Radiobeitrag zum Thema gibt's beim Deutschlandfunk.
(geka / ape)
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Public-Viewing im Sony-Center / "Rückkehr nach Reims"-P.S.
12. Mai 2018. Beim Public Viewing seiner "Trommeln"-Inszenierung im Sony-Center erlebte Christopher Rüping offenbar leichte Verfremdungsschauer: "Das war aufregend verstörend hinreißend merkwürdig", schrieb er auf Twitter, wo es zuvor schon ein Liegestuhl-Selfie gab:
And now this: Public Viewing der @3sat - Aufzeichnung von „Trommeln in der Nacht“ im Sony-Center am Potsdamer Platz. Absolut surreal... pic.twitter.com/HkXDOhNlLS
— Christopher Rüping (@CRueping) 12. Mai 2018
Zur selben Zeit spielte Nina Hoss' Schauspielerin an der Schaubühne abermals mit souveräner Ironie gegen das Mansplaining des Regisseurs an (übrigens vertretungsweise von Sebastian Schwarz gespielt). Abermals touchierte die Inszenierung leichtfüßig die Tatsache, dass Frauen in der Geschichte der Kunst am männlichen Schaffen oft genug großen Anteil hatten – und selten angemessen dafür gewürdigt wurden (von Brecht war ja hier schon die Rede). Nicht so bei Thomas Ostermeier. Er bedankte sich beim TT-Trophäen-Erhalt ganz artig "bei Nina, die diesen Abend mit mir zusammen entwickelt hat". Applaus.
(ape)
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Stückemarkt-Rede Signa Köstler / "Trommeln in der Nacht"
12. Mai 2018. Nachtkritikerin Gabi Hift, die den Stückemarkt und einiges beim "TT-Kontext" mitgenommen hat, ist enttäuscht, dass die Drumherum-Veranstaltungen des Theatertreffens zwar ein übergreifendes Diskursprogramm zu den Aufführungen liefern möchten, aber "leider abgeschottet am Rand dahindümpeln", kaum Theatergänger*innen oder Künstler*innen verlieren sich hierher.
Nach der Diskussion über "Männlichkeit in der Krise" am vergangenen Sonntag schimpfte jemand aus dem Publikum über den Machismo in Castorfs Faust, woraufhin die Moderatorin einer Podiums-Teilnehmerin erklärte: "A performance those people here find very important – but you don't have to know it". "Those people" (castorfianische Theatergänger*innen) dort, "these people" (feministisch versierte Diskussionsbesucher*innen) hier? Keine Kommunikation, keine Zusammenhangstiftung zwischen Zehner-Tableau und Rahmen erwünscht? Zwei Spuren, die nebeneinander herlaufen, ohne sich groß zu verschränken. Gerade das wäre doch spannend. Schließlich ist die Frage nach der Frauendarstellung im "Faust", das zeigt auch die Diskussion in den nachtkritik-Kommentaren zu Paula Irmschlers Außenblick-Text auf die TT-Eröffnung, zumindest umstritten und eine der interessantesten Diskussionspunkte des bisherigen Theatertreffens. Wo, wenn nicht im thematisch maßgeschneiderten "Kontext" wäre der Ort, um sie gebührlich auszubreiten?
Immerhin, gestern gab's dann eine "fulminante" Keynote von Signa Köstler zum Stückemarkt, die Nachtkritikerin Hift für einiges entschädigte. Köstler dachte offen darüber nach, wie ihre Aufführung Das halbe Leid gewirkt hat und erzählt, "wie überwältigt sie war von der Barmherzigkeit, die aus den Zuschauern herausgebrochen ist. Wie es andererseits vielleicht aber auch gar nichts bewirkt hat, weil auch Mitleid Eskapismus sein kann. Sie erzählt davon, wie sie zusammen mit ihrem Mann zwei Jahre lang eine Gruppe nigerianischer Frauen in ihrer Wohnung beherbergt hat. Wie das Teilen gleichzeitig möglich und völlig unmöglich war. Endlich jemand, der vom Leben und vom Theater spricht, von Utopien und von Zweifeln." Eine "tolle, ergreifende Rede" von Signa – und eigentlich, findet Hift, wäre "Das halbe Leid" natürlich ein ganz heißer Kandidat für die diesjährige Zehnerauswahl gewesen.
Beim Publikumsgespräch zu "Trommeln in der Nacht" (hier kann man dreieinhalb Minuten nachgucken) gab es gestern übrigens einen ganz herzerwärmenden Moment: Schauspieler Hannes Hellmann sprach davon, dass sie sich bei Christopher Rüping als Spielende nicht hinter den Rollen verstecken, sondern der Hannes die Wiebke anschaue. Moderator Christoph Leibold fragte, was genau da passieren könne – und Hellmann antwortete: "Dass ich mich dann verliebe." Wiebke Puls guckte intensiv, mit sehr großen Augen. Er korrigiert: "Nicht privat gemeint." Hach. Wir Zuschauer*innen kennen dieses Gefühl natürlich bestens. Wir sagten ja bereits: Alle lieben Wiebke Puls.
(ape / Gabi Hift)
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"Trommeln in der Nacht", 3sat-Preis, Stückemarkt
11. Mai 2018. Alle lieben Wiebke Puls. Wir auch, eh klar. Gestern war sie – völlig zu Recht – zum xten Mal bei einem Theatertreffen zu Gast, diesmal in Christopher Rüpings Brecht-Inszenierung Trommeln in der Nacht von den Münchner Kammerspielen. Anschließend wurde ihr der 3sat-Preis verliehen; zudem zeigt der Sender ein Porträt über sie, in dem sie auch über die Dominanz des männlichen Blicks nachdenkt (passend zu unserem großen Überblickstext über Geschlechterungerechtigkeit im Theaterbetrieb).
Wir gratulieren dem gesamten Team von “Trommeln in der Nacht” in der Regie von Christopher Rüping zu einer tollen #theatertreffen - Premiere! pic.twitter.com/OYJ4o6ydXJ
— Berliner Festspiele (@blnfestspiele) 10. Mai 2018
Theatertreffen-Jurorin Shirin Sojitrawalla betonte in ihrer schönen Laudatio: "Wiebke Puls umgeht das Risiko nicht, sondern verlangt geradezu nach einem Spiel, das sich Gefährdungen aussetzt." In ihrer Dankesrede ging Puls auf das Statement der 3sat-Jury ein, demzufolge sie innerhalb eines glänzenden Ensembles funkle, "egal welche Haltung, welche Spielweise sie einnimmt". Woraufhin Puls erwiderte: Ein Edelstein müsse angestrahlt werden, damit er glänze – und bedankte sich bei ihren Schauspielerkollegen, die ihr erst durch ihr Zusammenspiel die Möglichkeit gegeben hätten zu glänzen. Außerdem müsse ein Edelstein geschliffen werden, um Facetten zu haben – ein Dank an alle Regisseur*innen, mit denen sie in zwanzig Jahren zusammengearbeitet habe, weil jede*r ihr einen neuen Schliff verpasst habe und sie so eine neue Facette in ihrem Spiel habe zeigen können. Möglich gewesen sei das alles nur deshalb, weil sie so lange in festen Ensembles habe arbeiten können – nur dort könne es solche Prozesse geben. Und wie es mit Edelsteinen so ist: Wenn man sie haben will, braucht man Geld – von dem sie mehr für die Ensembletheater fordert.
Wiebke puls sollte Intendatin werden der Kammerspiele!
— Ersan Mondtag (@ErsanMondtag) 10. Mai 2018
Apropos 3sat: Der Sender überträgt ja drei Theatertreffen-Gastspiele, u.a. "Trommeln in der Nacht". Weil Rüping nur die ersten vier Akte immer Brecht spielen lässt, den fünften Akt mal von, mal nach Brecht zeigt, und beide Fassungen in Berlin zu sehen sind, kann man das jeweils andere Ende in der 3sat Mediathek nachschauen. Und um den Fernseh-Werbeblock gebührend abzuschließen: Die aktuelle 3-sat-Sendung "Kulturpalast" beschäftigt sich mit Postkolonialismus u.a. beim Theatertreffen – in Frank Castorfs "Faust" und in Anta Helena Reckes "Mittelreich". Nutzen Sie Ihre Rundfunkgebühren!
Seit Sonntag läuft übrigens der Theatertreffen-Stückemarkt – unser Bericht folgt morgen. Aber warum hört man darüber hinaus so wenig? Kaum Twitter-Raunen, keine Gerüchte, Kontroversen, Klatsch. Eine Ausnahme hier:
Verhängnisvolle Leberwurststulle... #help . Leon Engler, Die Benennung der Tiere, beim #theatertreffen #tt_stückemarkt pic.twitter.com/AQmUt1nyQM
— Stefanie (@s_leinert) 10. Mai 2018
In der Berliner Zeitung beschreibt eine enttäuschte Doris Meierhenrich, wie sie "im Kassenfoyer hockt, das eher luftig besetzt ist, während man einer blutleeren Stücklesung in englischer Sprache lauscht". Ein Blick auf den diesjährigen Zeitplan spreche auch aus, "wie randständig der Stückemarkt mittlerweile noch am Theatertreffen baumelt".
(geka)
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Podiumsdiskussion: "Glotzt nicht so romantisch!"
11. Mai 2018. Zu Gast am Nachmittag auf dem Podium von Susanne Burkhardt (Deutschlandfunk Kultur): die Autorin und Regisseurin Sasha Marianna Salzmann sowie die Regisseur*innen Susanne Kennedy, Philipp Preuss und Ersan Mondtag. The next generation der Mächtigen im Theater. Fragestellung: Wie isses mit der "Revolte der Ästhetik" undOderAuchIrgendwie mit der "Ästhetik der Revolte"? Alles unter der Überschrift "Glotzt nicht so romantisch!", aber die tat, außer zur Einbindung in den Tag mit der "Trommeln in der Nacht"-Premiere am Abend jetzt nicht soooo viel zur Sach'. Vielmehr ging es um das "Ich", das den Thirtysomethings im Theater offenbar als arger Unruhestifter vorkommt, gegen den es mit allen Mitteln vorzugehen gilt. Etwa mit einem "Totaltheater", das einen mit "Haut und Haaren aufzufressen" vermag (Kennedy) oder mit einem "psychedelischen Theater", das kurzerhand den ganzen "Ich-Begriff" zerstören sollte (Preuss).
Komplett tiefenentspannt und gut gelaunt gab die kommende Generation der Theatergewaltigen die Sehnsucht nach dem die Inszenierung steuernden "Algorithmus" (Kennedy) und dem überindividuellen "Gesamtkunstwerk" (Preuss) zu Protokoll, in dem Requisiten genauso wichtig würden wie Schauspieler (Mondtag), die Identität von Mann und Maus, Zuschauer und Spielern endlich gegenstandslos würde (Preuss). Der unüberhörbar "Ich!" brüllende Faschismus vor den Toren spielte dabei keine wirklich ernstzunehmende Rolle, wenn es nur gelänge sich der "Rahmung" aller Diskurse durch Rechts zu entziehen (Mondtag) und endlich die gesamte bunte "Polis" in den Zuschauerraum zu holen, wo auf der Bühne der "Angriff der Körper" (Salzmann) auf die herrschende Zeit geritten und endlich verwirklicht würde, "was ich in dieser Zeit tun will" (Salzmann). Da hob es zwar wieder seinen Kopf, das zuvor verwünschte Ich, aber das tat dann auch keinen Schaden mehr bei dieser heiter entschlossenen Runde, die sich anschickt, im kommenden Morgengrauen die Zinnen der Theater zu erstürmen.
(jnm)
Deutschlandfunk Kultur hat diese mehr Besprechung als Diskussion auf seine Art zusammengefasst: hier kann man und frau es lesen.
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Kein "Nationaltheater Reinickendorf"?!
9. Mai 2018. Wo sind eigentlich Vegard Vinge und Ida Müller? Die mit dem Nationaltheater Reinickendorf. Dem mythenumrankten (das seinerzeit im Juli 2017 in nur zehn Aufführungen draußen in der Pampa lief, vor geschätzt je 120 Zuschauern). Ehrlich gesagt: Wir vermissen sie. Im Programmheft war eine Dokumentation ihrer zum Gipfeltreffen eingeladenen, aber aus terminlichen Gründen nicht live zeigbaren Monumental-Inszenierung angekündigt. Im Festspielhaus sollte die laufen. Wir haben gesucht und gesucht – und nichts gefunden. Also mal bei den Festspielen nachgefragt.
Die lassen über ihre Pressestelle wissen, dass man hausintern darüber diskutiert habe, "ob die Aufführung im Foyer der geeignete Präsentationsmodus" für den 80minütigen Film sei, weil: "für Interessierte unter 18 Jahren" sei das "ungeeignet". Das Werk hätte man "nur unter Aufsicht" zeigen können. Ach so – wir hatten auch kurz verdrängt, dass Vinge/Müller meist irgendwas mit anal und fäkal machen und das Ganze echt starker Tobak ist… Oder, wie es von der Presse heißt: dass Vinge/Müller auch in ihrem Film mit einer "erwartungsgemäß vorhandenen extremen Bildsprache" aufwarten. Uiuiui.
Im Ernst, liebe Berliner Festspiele: Wer hat die Arbeit noch mal produziert? Ach, die Berliner Festspiele selbst! Und da habt Ihr vergessen, dass das Ding nicht ganz jugendfrei ist? Habt es trotzdem angekündigt und dann gedacht: Ups, da war doch was...? Eine gute alte Blackbox mit Kopfhörern im Foyer und einem einfachen Aufpasser daneben – das hätte doch wohl hingehauen. Für alle über Achtzehn. Gern auch mit Ausweiskontrolle.
(ape)
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Reaktionen + München-Kritik
8. Mai 2018. Sehr angetan war unsere Gastautorin Katja Berlin von Karin Henkels weiblichem Blick auf die Antike. Ähnlich ging es Katrin Bettina Müller von der taz, die erlebte, "wie man aus dem Objektstatus der Opferrolle herauskommt und sich wieder als Subjekt der Geschichte begreift". Mit Castorfs "Faust" geht sie hingegen ins Gericht. Zwar besitze der Abend "sehr viel Witz im Spiel über das Spiel". Inhaltlich aber komme vieles über die Themensetzung nicht hinaus, entstehe keine reflexive Reibung. In unserer Kommentarspalte reiben sich weiterhin die User*innen auf – über die Frage nach der Nacktheit und dem möglichen Sexismus.
Außerdem ist ein merkwürdiger Fall von Gedächtnisverlust zu bestaunen: In der Neuen Zürcher Zeitung, darauf verweist Resi-Chefdramaturg Sebastian Huber in seiner Kritiker-Kritik Vorschlag-Hammer, schreibt Bernd Noack: "Ausgerechnet die gescholtenen Kammerspiele unter Lilienthal wurden mit zwei Produktionen zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen – das Residenztheater aber schon lange nicht mehr." Noack war selbst Teil der Theatertreffen-Jury von 2014 bis 2016. In dieser Zeit wurde das Resi drei Mal eingeladen (mit Dimiter Gotscheffs Zement-Inszenierung sowie den Castorf-Abenden Reise ans Ende der Nacht und Baal), letztes Jahr außerdem mit Die Räuber.
(geka)
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"Beute Frauen Krieg" + "Faust"-P.S.
7. Mai 2018. Es gibt viele gute Gründe, in Theaterkritiken die Applausstärke zu verschweigen. Einer davon: Uneindeutigkeit. Waren die Ovationen gestern nach der Theatertreffen-Premiere von Karin Henkels Beute Frauen Krieg so verhalten, weil das Publikum enttäuscht war vom Verhältnis Aufwand-Ertrag (so meine Wahrnehmung)? Oder deshalb, weil es noch so im Bann der düsteren Kriegs-und Herrschaftsgeschichte stand? So begründete es Festspiele-Chef Thomas Oberender bei der Preisübergabe an Karin Henkel. Und auch ein Twitterer fand den Applaus "lange".
Wow! Eine eigene Theaterhalle in einer Riesenfabrikhalle: Das @shzrh bekommt beim #Theatertreffen eine eigene Spielstätte! (Wenn auch nicht gerade zentral). "Beute Frauen Krieg" ausverkauft und lange beklatscht. pic.twitter.com/2bbgVAgdyG
— Tobias Gerosa (@Gerosa_T) 6. Mai 2018
Henkel, die am Vortag schon den Theaterpreis Berlin erhalten hatte, fasste sich kurz und fand, dass man in den Rathenau-Hallen trotz etlicher Anpassungen – viele Mollton-Abhängungen und akustische Nachrüstungen – das Gastspiel ganz gut hinbekommen hätte.
Die eigentliche Überraschung war allerdings eher, dass die Festspiele in einer Mail vor der kalten Halle warnten – und man dann schwitzend die dicke Jacke mit sich rumschleppte von Tribüne zu Tribüne. Wie gesagt: kein leichter Abend.
Keinen leichten, also optimistischen Abend fand übrigens unser Gastautor, Juso-Chef Kevin Kühnert, "Rückkehr nach Reims": "Die Botschaft ist klar: Es gibt für die Arbeiterklasse keinen Automatismus zum Rechtsruck. Es geht anders. Seht her. Man möchte Ostermeier und Hoss gerne glauben, und bleibt doch pessimistisch zurück, inwieweit Vater Hoss samt seiner Biographie zum Role Model einer ganzen Eigengruppe taugt."
Längst hat auch Fabian Hinrichs seinen Dienst als Juror des Alfred-Kerr-Darstellerpreises angetreten – und spricht auf Deutschlandfunk Kultur über seinen Nebenjob: "Ich versuche da zu staunen und ich möchte mich selber frei machen – das ist natürlich eine Bewertung – aber von diesem ständigen Daumen rauf und Daumen runter, mit dem wir überall die ganze Zeit zu tun haben. Dieser Evaluierungswahnsinn, von dem möchte ich mich etwas frei machen, sondern einfach da sitzen. Das war auch übrigens ein Grund, warum ich das angenommen habe, weil ich mal wieder schauen wollte, was so los ist."
Außerdem wurde gestern der Stückemarkt des Theatertreffens eröffnet. Wir werden berichten.
"I feel it‘s time, it‘s time!" Gerade läuft die Szenische Lesung "Amsterdam" von Maja Arad Yasur in der Kassenhalle. Klare Worte in einem klaren Setting!#tt_stückemarkt #theatertreffen #neuestücke pic.twitter.com/VqU8YZ2G08
— Berliner Festspiele (@blnfestspiele) 6. Mai 2018
(geka)
Während alle anderen Künstler sich in der Pause vom Publikum abkapseln, rauschen die "Faust"-Schauspieler*innen nach dreieinhalb Stunden in vollem Kostüm, mit schweißverschmierter Maske auf die Plattform vor der Kantine hinaus in den Garten der Berliner Festspiele. Sie kommen bis vor an die Balustrade, halten Hof, begrüßen Freunde, lassen sich fotografieren, winken. Alle Herzen fliegen ihnen zu. Sie sind allesamt Stars, werden geliebt, Menschen geben ihren Platz in der Tapasbudenschlange auf, nur um ihnen nahe zu sein. Das ist Immersion, wie sie früher mal war, eine Theaterwelt, die die Zuschauer in sie eintauchen lässt. Schauspieler, die sich die Liebe des Publikums mit Grandezza verdienen – und sie ertragen. Alle sind glücklich, ein leichter Rausch.
(Gabi Hift)
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"Faust"-Nachwehen, "Rückkehr nach Reims", Theaterpreis Berlin
6. Mai 2018. Kaum hat das Theatertreffen mit Frank Castorfs Faust eröffnet, melden sich die ersten Kritiker. Wagner Carvalho, Leiter des Berliner Ballhaus Naunynstraße, hat die Vorstellung nach einer Stunde und 50 Minuten verlassen und schreibt auf Facebook: "Es war maximal unerträglich!!!" Die Gründe? "Rassismus, Misogynie, Orientalismus, Ethnozentrismus... Deutungshoheit, Selbstverherrlichung..."
Zur Auswahl des Berliner Theatertreffens 2018 — Videointerview mit Shirin Sojitrawalla und Wolfgang Höbel
Kill your Darlings
von Julika Bickel und Esther Slevogt
31. Januar 2018. Direkt nach der Bekanntgabe der zehn Einladungen zum Berliner Theatertreffen 2018 trafen wir die beiden Jury-Mitglieder Shirin Sojitrawalla und Wolfgang Höbel im Haus der Berliner Festspiele zum Interview. Sojitrawalla und Höbel sprechen dabei nicht nur über ihre Lieblingsinszenierungen, sondern auch über das Auswahlverfahren, ihre Aufgabe als Regionalverantwortliche, Reisen in die Provinz und die Überraschung, die sie bei der Schwarzkopie der Münchner Inszenierung von Mittelreich erlebten.
Theatertreffen 2017 - Wie in der Oper geht es zu bei Ersan Mondtags und Olga Bachs "Die Vernichtung"
Ah, fantastisch!
von Georg Kasch
20. Mai 2017. Johannes Brahms’ von den letzten Hoffnungen und Dingen kündende "Ein deutsches Requiem" hat’s Theaterleuten gerade angetan. Beim Theatertreffen 2016 bebilderte Anna-Sophie Mahler Josef Bierbichlers Mittelreich damit akustisch – und zwar live. 2017 ließ Kay Voges den zweiten Satz durch seine Borderline Prozession geistern. Jetzt beginnt Ersan Mondtag Die Vernichtung in b-Moll: "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras ..."
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