Presseschau vom 3. August 2019 – Thomas Rothschild über reaktionäre Tendenzen des Mitmachtheaters
Unmissverständlich bevormundend
Unmissverständlich bevormundend
3. August 2019. "Mit einem Dogma muss aufgeräumt werden: dass das Mitmachtheater fortschrittlicher sei als das Theater, das auf der Trennung von (professionellen) Schauspielern und Publikum insistiert, nicht anders als auf der Trennung von professionellen Ärzten und Patienten, die ja auch, bei allen Schwächen, einen Fortschritt bedeutet gegenüber der Hausmedizin früherer Jahrhunderte," schreibt Thomas Rothschild im Online-Magazin Kultura Extra.
"Das Theater ist hervorgegangen aus kollektiven Ritualen, aus deren Mitwirkenden sich erst allmählich einerseits die Priester, andererseits die Künstler herausgebildet, also professionalisiert haben. Im Gottesdienst ist die "Zuschauerbeteiligung" etwa im gemeinschaftlichen Gebet aufbewahrt, aber der Priester hat eine unmissverständlich bevormundende Position. Er fordert die Gemeinde zum Beten auf, nicht umgekehrt. Das Verhältnis zwischen dem Akteur im "Kostüm", dem Ornat, und auf der "Bühne", dem Altar, und der ihm zugewandten Gemeinde ist nicht symmetrisch.
Die Rückkehr des Theaters also zu den archaischen Formen des Rituals ist nicht fortschrittlich, sondern im höchsten Sinne rückwärtsgewandt, reaktionär. Sie hat mit Mitbestimmung so viel zu tun wie die Kollektivhysterie bei religiösen oder therapeutischen Sekten. Von Symmetrie kann keine Rede sein, wo vorbereitete Drahtzieher auf ein uninformiertes, aber bereitwillig lenkbares Publikum treffen und ihm ihre Spielregeln diktieren."
Ganz nebenbei erweise sich das hier gekennzeichnete 'Theater' als kunstfeindlich, führt Rothschild weiter aus. Denn es vermittelt aus seiner Sicht nicht "die durchdachte und gestaltete Ahnung von Andersartigkeit, von Utopie, die dem Rollenspiel eigen ist, sondern reproduziert stets nur das im Bewusstsein des Publikums verankerte Bestehende. Auch darin ist das Mitmachtheater nicht fortschrittlich, sondern reaktionär. Es bewährt sich als das Theater für das narzisstische Zeitalter."
(sle)
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im sommer macht der herr rothschild immer seinen anschlag auf die online - redaktionen. die netten theatergamer mit ihren 5-10er Teilnehmer versammlungen sind jetzt die speerspitze der reaktion. fein, das dieser beitrag aus kultura extra (ende der redaktionellen nahrungskette)in einer zusammenfassung auch bei euch landet.
und ganz am Rande: warum muss ich bei euch um als "kein Roboter" erkannt zu werden fronddienste für die KI amerkanischer Konzerne leisten (erkenne die zabrastreifen aus diesem bild etc.) das geht eleganter und weniger neoliberal.
vielleicht präzisieren Sie einmal?
Von welchem Mitmachtheater sprechen Sie denn?
Beispiele?
Dank und Gruß!
eine höfliche Frage verdient eine höfliche Antwort. Beispielsweise, aus dem Gedächtnis (und ich schwöre, es gäbe noch viele weitere Beispiele): Felix Meyer-Chistian: "Conversion", Dries Verhoeven: "You Are Here", Ontroerend Wort: „A Game of You“, Signa, ansatzweise Volker Lösch. Aber verehrte Shirin Sojitrawalla, Ihre Frage ist doch rhetorisch. Sie wissen genau, wie oft Sie auf Ihren Theaterreisen auf Befehl den Arm hochheben, in die Hände klatschen, einen Laut ausstoßen, den Platz wechseln oder, wenn Sie in der ersten Reihe saßen, Auskunft über Ihre Blutgruppe geben mussten. Man kann das individuell oder, wie Birgit Lengers, professionell mögen, nur eins kann man nicht: es per se für fortschrittlicher halten als ein Theater, das auf dem Prinzip der Arbeitsteilung beruht. Nicht mehr und nicht weniger habe ich versucht zu sagen. Dass das bei jenen Aggressionen hervorruft, die anderer Meinung sind, war voraussehbar. Wie leben ja in Deutschland und nicht in England. Auf nachtkritik dürfen alle mitmachen. Im Kino hat man sich abgewöhnt, "Eddie, bleib sauber" zu rufen oder Reiskörner zu werfen. Jedes Medium hat halt seine Vorzüge und Nachteile. Aber wem sag' ich das?
Ja, da kann Herr Rothschild dann ganz scheinheilig "Agressionen" bedauern und klammheimlich sich die Hände am Feuerchen wärmen.
Aber immerhin ist es aus der olympischen Unantastbarkeit eines professionellen Ahnungshabers heraus geäußert. Wenn der Kuchen spricht, müssen die Krümmel schweigen.
ehrlich gesagt, muss ich gar nicht so oft mitmachen, wie Sie vermuten. Die allermeisten Theaterabende gehen ohne meine aktive Mitarbeit vonstatten. Von daher kann ich Ihren Unmut nicht teilen. Mir fällt aus dem Stand She She Pop (Gießen!) ein, die in "Oratorium" eine ausgeklügelte Form des Mitmachtheaters anwenden, das eben genau die utopischen Räume öffnet, die Sie vermissen.
Ihr Text ist hoch informativ. Sie sagen, das Mitmachtheater sei nicht fortschrittlich, sondern reaktionär. „Es bewährt sich als das Theater für das narzisstische Zeitalter.“ Nur diesen einzigen Satz teile ich nicht. Viel bedenklicher als den Hang zum Narzissmus finde ich nämlich die Neigung zum Kollektivismus, die seit geraumer Zeit im deutschsprachigen Theaterraum zu bemerken ist:
Die She She Pop-Gruppe …
https://www.tagesspiegel.de/kultur/she-she-pop-beim-theatertreffen-triumph-des-kollektivs/24279342.html
https://www.tagesspiegel.de/kultur/she-she-pop-gruppentherapie-mit-she-she-pop-/9753464-2.html
https://www.tagesspiegel.de/kultur/she-she-pop-und-ewig-lockt-der-leib/9753464-all.html?print=true
… ist ja nur ein Beispiel von vielen und es scheinen immer mehr Theaterkollektive hervorzukommen.
Hier einige Auszüge aus dem Manifest, das z. B. „Das Kollektiv“ formuliert hat (www.citizenane.de):
„Im Fokus steht der Prozess, nicht das Ergebnis.
Scheitern und das Zum-Scheitern-Stehen sind notwendige Schritte im künstlerischen Prozess.
Kunst muss die richtigen Fragen stellen und nicht versuchen, Antworten zu geben.
Das Kollektiv ist die Arbeitsstruktur der Zukunft.“
--------
Ein Gespenst geht um unter den Theaterleuten? Das Gespenst des Kollektivismus? Schaut so aus. Doch nein, kann ja gar nicht sein. Diejenigen, die sich ihren Sinn für die Wirklichkeit und die Geschichte bewahrt haben, werden Maßnahmen zu ergreifen wissen um diesem ungehinderten bunten Treiben ein Ende zu setzen, es zumindest in die Schranken zu weisen.
Im Übrigen: ein Hoch auf Gerhard Stadelmeier! Er hat einmal ein Buch geschrieben „Letzte Vorstellung“, glaube ich der Titel. Das ist, wohin meiner Meinung die Reise geht, auf das Verlöschen der europäischen Theatertradition. Dies musss verhindert werden.
Beste Grüße
———
Agent K: „Zed, wir haben eine Schabe.“
Agent J: „Und? Haben wir was gegen Schaben?“
Agent K: „Schaben stehen auf Blut, Tiger. Sie verseuchen, verzehren und vernichten
andere Lebewesen, wo sie können.“
Agent J: „Sie wurden als Kind mal gezwickt, was?“
– Men in Black, 1997
———
+++ STANDARD DISCLAIMER: Dr. Thomas Rothschild hat mit diversen mehr oder weniger kreativen Beleidigungen gegenüber Dingen, die ich liebe, aufgeschlagen – dahinter möchte ich keinesfalls zurückbleiben. +++
Mein erster Impuls nach der Lektüre des Textes war es, den Autor einmal beherzt in den Arm zu nehmen. Was um alles in der Welt hat diesen (immerhin promovierten [und damit zu was genau befähigten?]) Menschen bloß dazu getrieben, beinahe 900 Wörter Ressentiment-getränkte Verachtung ins Sommerloch zu granteln?
Gerne würde ich diesen aus der Intellektülle gegossenen und mit reichlich Geschmacksverstärker aufgeputschten Gänsewein-Wortfluss ignorieren – doch einige Aspekte erscheinen mir bemerkenswert.
Zunächst einige Fragen und Anmerkungen:
1.
„Eingeschüchtert von dem lautstarken Beifall und auch, weil man Sanktionen befürchtete […]“
Eingeschüchtert durch wen? Sanktionen von wem? Wer genau ist diese Theaterpolizei?
2.
„Berufstheater“ vs. „Amateure“ und „Hobbyschauspieler“
„Sonntagsmaler“ und „Blockflötenliebhaber“ vs. „Museen“ und „Konzertsaal“
Das heißt im Klartext: Wenn ich nicht das unglaubliche Privileg hatte, in einer deutschsprachigen Großstadt ein elitäres Kunststudium aufzunehmen oder über Jahre hinweg als Assistent*in in die Tiefen und Untiefen der Theaterwelt eingeprügelt zu werden – dann habe ich nur das Recht, einen künstlerischen Beruf dort auszuüben, wenn ich in der richtigen „Gegend“ wohne? Ab wann bin ich „professionell“? Nach Erlangen eines Hochschulabschlusses, nach welchem zu keiner Zeit irgendein Hahn wird krähen? Nach einer bestimmten Zahl an Untertanen-Jahren im Räderwerk des Stadttheaters? Oder geht es um die Position der Häuser, an denen ich arbeite? Wie viele Jahre Arbeit im Theater am Rand im Oderbruch entsprechen einem Jahr Arbeit am Thalia Theater Hamburg auf der Professionalitäts-Skala?
3.
„[…] dass das Mitmachtheater fortschrittlicher sei als das Theater, das auf der Trennung von (professionellen) Schauspielern und Publikum insistiert […]“
Wer behauptet das denn? Schon die zweite ominöse Theater-Entität mit angeblicher Deutungshoheit …
4.
„Ärzte“ und „Priester“
Den Vergleich des Verhältnisses von Theaterschaffenden zum Publikum mit dem von Ärzt*innen zu Patient*innen finde ich grotesk an den graumelierten Haaren herbei gezogen. Das ist nicht mal Äpfel mit Birnen. Das ist schon Äpfel mit Topinambur.
Und das ignorante Destillieren der mannigfaltigen rituellen Urformen des Theaters zu katholischer Liturgie um das aRgUmEnT zu untermauern, ist mit eurozentristisch noch wohlwollend umschrieben.
5.
„Reaktionär“
Jetzt werden hier aber Geschütze aufgefahren, heidewitzka! Bei dieser fingerschnippenden Etikettierung der Schaffenden partizipativer Theaterformen als „Reaktionäre“ bekommt ein Bernd Stegemann bestimmt feuchte Augen – braucht dieser doch weit mehr Worte um zeitgenössische Theaterproduktionsweisen als im Kern neoliberale Klassenfeinde auszumachen.
Die Gleichung nochmal zum Mitmeißeln:
ursprüngliche rituelle Theaterformen = kollektiv und früher
kollektiv und früher = böse (warum nochmal?)
partizipative Theaterformen = kollektiv (alle? immer?)
ergo partizipative Theaterformen = früher
ergo partizipative Theaterformen = kollektiv + früher
ergo partizipative Theaterformen = böse
Ich habe so viele Fragen …
6.
„Blogger“ vs. „Journalisten“
Wie viele Blogger*innen kennt Dr. Rothschild? Dürfen Journalist*innen auch Blogger*innen sein und umgekehrt?
Es ist ein Offenbarungseid, dass hier das Internet gegen die PrOfEsSiOnElLeN Journalist*innen ausgespielt wird, wo heute die Verflechtung der verschiedenen Medien weit komplexer ist.
7.
„In naher Zukunft“
Was heißt das? Woher kommt das? Wer hat das untersucht? Waren da das „Institut für theatrale Zukunft“ am Werk?
8.
„Mit Demokratie hat das so viel zu tun wie […]“
Und wenn Du denkst, schlimmer wird’s nie,/
Verteidigt irgendwer die Demokratie.
Jetzt werden die rEaKtIoNäReN mit einem Tastendrücker zu Feinden der Demokratie erklärt. Woher das plötzlich kommt? Was das mit dem Vorangegangenen zu tun hat? Ausführungen? Hintergründe? Beispiele? Belege? Pustekuchen. Aber Thomas Rothschild wäre kein Doktor, wenn er nicht qua ironischer Brechung jedes Gegenargument auch direkt im Keim ersticken könnte:
9.
„Aber all jene, die an wirklicher Demokratie, nämlich an der Teilhabe politischer Entscheidungen kein Interesse haben, werden uns das Gegenteil beweisen.“
Beweisen will und muss ich Herrn Rothschild nichts – aus dem gesamten Text schwitzt eine derartige Immunität gegen Fakten und Argumente sowie eine so tiefsitzende Verachtung der imaginären Diskussionspartner*in – da scheint mir Beweisführung vergebliche Liebesmüh.
Aber kommentieren möchte ich.
Ich frage mich, an wen sich dieser Text richten soll und was er sein will. Journalismus? (Theater)Wissenschaft? Kritik? Meinung? Warnung? Analyse? Es fehlt komplett an Belegen, Beispielen, Ausführungen, Hintergründen, Erfahrungen, Fachwissen oder ähnlichem. Es ist ein beliebiges, hohles, substanzloses Ausspucken, das nicht einmal ganz konkret benennen kann, woran es sich überhaupt gestoßen hat. Dabei schüttelt Dr. Rothschild zuweilen stilistisch stark am Franz Josef Wagner-Baum. Es werden einfach verschiedenste Verurteilung wild und unzusammenhängend durcheinander geworfen und mit einer derart klassistischen Überheblichkeit serviert, dass mir wirklich völlig unklar ist, wer die Zielgruppe sein soll. Der Text ist inhaltlich komplett Schall und Rauch und jeder Versuch, in diesen Pauschal-Nebel des Unkonkreten hineinzuleuchten (wie von der Kollegin Sojitrawalla) wird umgehend in weiteres Trommelfeuer verwandelt.
Thomas Rothschilds Antwort (#6) nennt fünf bis sechs Beispiele (aber er „schwör[t], es gäbe noch viele weitere“) und der Rest wird dann ein mitunter anmaßendes („Sie wissen genau“) Derailing, wo er erneut in diese seltsame Mischung aus halb-ironischer Verteidigungshaltung („Wir leben ja in Deutschland“), Klassismus („Auf nachtkritik dürfen alle mitmachen“) und Attacke verfällt.
Und dieser Stil führt mich zu dem Grund, warum ich den Text (und die offensichtliche Art und Weise, wie Dr. Rothschild den Diskurs führen möchte) bemerkenswert bis problematisch finde.
Wir haben mehrere inhaltlich völlig unfundierte Verurteilungen und Angriffe. Eingeleitet werden diese mit einem verklausulierten „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ bzw. dem Zementieren einer Opferrolle, wo derjenige, der die Wahrheit sagt, Angriffen ausgesetzt ist (siehe Punkt 1).
Es wird eine krude Angst geschürt vor einer „Unglücksschmiede“, welche die Art, wie wir leben (hier: Theater machen) zu zerstören sucht.
Auf diesem Angst-Feuer wird dann die apokalyptische Vision für die Zukunft ausgekocht, wo im letzten Absatz die Welt, wie wir sie kannten und liebten (mit „professionellen“ Theatermacher*innen und vor allem „Arbeitsteilung“) vernichtet ist. Das Ganze wird mit dem Vorwurf der Demokratie-Feindlichkeit gewürzt (8. und 9.) und mit eben diesem ironischen „Ja ja, aber wir wissen ja alle, wie es ist“ abgeschmeckt.
Bin ich der einzige, dem diese Struktur unangenehm bekannt vorkommt? Das ist klassisches rechtes Framing. Es ist alles vorhanden: Die Opfer-Rolle des Verkünders der wAhRHeIT, das andauernde Othering, das substanzlose aber freudvolle Beleidigen, diffuse Angst als Motor, Untergangsszenarien, Demokratie-Spinning und das ironisch-beleidigte-pseudo-Augenzwinkernde („Aber wem sag’ ich das“), um jedes Gegen-Argument im Voraus zu unterspülen. Lupenreine rechte Kommunikationsstrategie.
Und jetzt werden (und hier muss ich mich meines eigenen Vorwurfs schuldig machen) Leute wie das „Golden Girl“ im Tannhäuser-Thread sagen: „Tim, komm mal runter von dem Baum, auf den Du geklettert bist.“ Oder den Text wie „brunzi“ als das abtun, was er auf den ersten Blick ist: Das keifige Aufmerksamkeits-Zündholz eines Grantlers im Sommerloch.
Doch ich meine seit einiger Zeit zu spüren, dass die Verschiebung ins Besorgniserregende der Art und Weise, wie öffentlich diskutiert wird, auch in den Theater-Kontext sickert. Und hier gebe ich Dr. Rothschild Recht: Auf nachtkritik dürfen alle mitmachen. Wie eben im Rest des Internets. Und das ist erst mal eine Demokratisierung. Dass dann natürlich auch wahrhaft reaktionäre und seltsam autoritaristische Stimmen wie die von Ava (#9) zu Gehör gezwungen werden, liegt in der Natur der Sache. Und da möchte ich nicht müde werden, gegen zu halten.
Apropos!
Ich könnte jetzt ‘zig Beispiele partizipativer Theaterformate aufzählen, die Dr. Rothschilds holzschnittartige Mutmassungen stechen wie die Buben beim Grand – aber die möchte er gar nicht hören. Stattdessen möchte ich drei Dinge:
a) Dass wir nicht aufhören, die Art und Weise, wie wir debattieren, zu reflektieren – gerade in der Theater-Szene, die zu klein und zu selbstgewiss ist, so dass viele Dinge häufig unsichtbar bleiben.
b) Wissen, welches „Mitmachtheater“ genau Dr. Rothschild mal so bös’ gezwickt hat.
c) Ihn einladen, irgendwann einen Theaterabend von Prinzip Gonzo zu besuchen – da finden wir bestimmt einen partizipativen Vorgang, der völlig ohne „Befehl“ und „Ententanz“ auskommt, wo der Kollege Rothschild aber von einem (ich schwöre!) „professionellen“ Schauspieler eine beherzte Umarmung bekommt – so er sie möchte. Denn selbstbestimmt wird er sein. Und gerne auch deprimiert.
Es steht allen Lesern hier frei zu beurteilen, ob ich gehetzt habe oder nicht. Die nachtkritik-Redaktion hat das offensichtlich nicht befunden und das rechne ich ihr hoch an. Hier ist eine Theater-Plattform, die den Diskurs aktueller Theatertendenzen ermöglicht, aufzeigt und wie es scheint auch wünscht. Eine vorgegebene oder zu befolgende ideelle oder ideologische Linie habe ich noch nicht entdecken können oder müssen.
Die Souveränität, die hier herrscht, geht sogar so weit, auf eine andere, nämlich auf die Theaterecke von Kultura Extra zu verweisen, wo Thomas Rothschilds brillianter Text bereits erschien.Thomas Rothschild war es ja, der reaktionäre Züge in der gegenwärtigen Theaterentwicklung ausmachte und zwar belegt und hergeleitet, ohne Unterstellung oder Anwurf. Das sah auch zumindest ein anderer Teilnehmer hier so. Gibt Ihnen das gar nicht zu denken, @ Resistenz?
Alles Gute
Ach ja, der von mir erwähnte Link hätte richtig geschrieben natürlich so lauten müssen: www.citizenkane.de
Da können Sie sich auch weiter kundig machen zu den Stichwörtern „reaktionär“, „destruktiv“ und „unentschuldbar“ .
zu #12: Danke für die Einladung, dann beurteile ich mal... Ja stimmt, ist Hetze.
zu #11: Diesmal ganz ehrlich: danke! Angemessen reagiert.
da Sie direkt fragen, hier die direkte Antwort: Unter Ihrem Artikel auf kultura-extra.de steht "Post an Dr. Thomas Rothschild". Auch wenn Sie auf Ihren eigenen akademischen Grad möglicherweise keinen gesteigerten Wert legen und ihn im Text nicht erwähnen, so betonen Sie doch immer wieder die Diskrepanz zwischen "Professionalität" und "Amateur" (siehe Punkt 2). Dieser Umstand gepaart mit dem aus meiner Sicht teilweise recht hegemonialen Duktus führt mich zu der Annahme, dass Ihnen auch im Kontext des Theaterschaffens gewisse Zertifizierungen wichtig sind. Anders kann ich mir auf Begriffe wie "Berufstheater" und "Entprofessionalisierung" keinen Reim machen.
Da ich eine solche (aus meiner Sicht elitäre und dem Theater nicht zuträgliche) Herangehensweise an Theaterarbeit ablehne, habe ich die häufige Nennung Ihres akademischen Grads als Stilmittel gewählt (ähnlich wie Sie "Macarena" als Stilmittel wählen) um darauf hinzuweisen.
Falls Sie an anderer Stelle den Schwindel akademischer Bildung kritisiert haben, so tritt für mich in diesem Ihrem Text (leider) eher das Gegenteil zutage, was auch daran liegt, dass Sie eben (leider) an keiner Stelle deutlich machen, wo denn nun der Limes zwischen "Schauspieler" und "Hobbyschauspieler" verlaufen soll. Wir (Prinzip Gonzo) arbeiten sowohl mit Performer*innen, die auf staatlichen Schauspielschulen waren, auf privaten Schauspielschulen, auf gar keinen Schauspielschulen … sind die einen jetzt Profis und die anderen "Sonntagsmaler"? Und was ist das Publikum? Partizipative Formen bedeuten ja nicht immer (und überhaupt selten), dass Zuschauende irgendwas "spielen" (sollen).
Aber das führt alles zu weit. Wie an anderer Stelle schlage ich eine öffentliche Podiumsdiskussion vor, um solche Fragen zu erörtern.
Ich hoffe, die Frage nach dem dottore ist beantwortet!
Einerseits bin ich vollends einverstanden mit Thomas Rothschilds Aversion gegen ein Mitmach-Theater, wo man „auf Befehl den Arm hochheben, in die Hände klatschen, einen Laut ausstoßen, den Platz wechseln“ oder ähnliches machen muss. Und ich hatte 2018 darauf hingewiesen, dass in der „Spiralblockaffäre“ 2006 Gerhard Stadelmaier von Thomas Lewinky im Sinne eines provozierenden Mitmach-Theaters zum „Je-Ka-Mi-Narren“ gedemütigt wurde. (https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=14826:ist-der-theater-grosskritiker-verschwunden-die-medienlandschaft-veraendert-sich-und-damit-auch-die-theaterkritik-der-grosskritker-alten-schlags-verschwindet-oder-hat-er-sich-nur-in-eine-sphaere-zurueckgezogen-fragt-sich-falk-schreiber&catid=101&Itemid=84)
Ich wurde zuletzt am Berliner Ensemble im Galilei von Bettina Hoppe in dieser Art vorgeführt, was mir in meiner Anonymität nicht weh tat: „Machen Sie einmal den Mund auf! Ah schlechte Zähne vom vielen Süßigkeiten-Essen beim Bauer-Sucht-Frau-Gucken.“ In der Tat ist dies keine partizipative Kunst, sondern Infantilismus. In der gleichen Vorstellung des Galilei hat Aljoscha Stadelmann improvisierenden Kontakt zum Publikum hergestellt, in einer Frank Castorf imitierenden wie persiflierenden Art: Wisst ihr etwa, wat det ganze hier soll? Ja, da hätte ich mir wohl etwas direkte Interaktion, Partizipation, etwas lautstarken Tumult gewünscht.
Ich mag Frank Castorfs Feststellung, dass Theater Hochleistungssport ist und wünsche keine Entprofessionalisierung im Sinne von reduzierten Anforderungen. Aber beim Hochleistungssport herrscht Stimmung! Das ist keine Frage von Konservativismus oder Fortschrittlichkeit.
@Dr. Thomas Rothschild: Partizipatieves Theater ist Rückschritt. Bedeutet das, dass das andere Theater, das strikt zwischen Zuschauer*in und Akteur*in unterscheidet, fortschrittlich ist? Was sind die Kriterien? Warum?
Man wird einfach den Eindruck nicht los, dass bestimmte Diskussionsteilnehmer nur deshalb streiten, um sich im Kampf um scheinbar moralische Werte mehr Distinktion und Ansehen in der Theaterwelt zu verschaffen.