Akins Traum (Vom Osmanischen Reich) - Schauspiel Köln
Ein Traum von einem Abgang
24. Februar 2024. Stefan Bachmann, der seine Kölner Intendanz mit einem Klassiker des rechtsliberalen Amerika startete, beendet sie mit einem erfrischenden Blick auf die Geschichte des Osmanischen Reichs. Seine Inszenierung von Akın Emanuel Şipals "Akins Traum" ist ein großer Wurf.
Von Max Florian Kühlem
24. Februar 2024. Ein Glück, dass Stefan Bachmann noch geblieben ist. Hätte die Kulturszene in Köln und weit darüber hinaus nicht lautstark Einspruch erhoben, hätte ihn 2019 der Salzburger Intendant Carl Philip Maldegem ersetzt. Doch dann fiel Bachmann ein, dass er ja noch ein paar gute Ideen für das Schauspiel Köln hat. Eine davon ist definitiv die Uraufführung "Akins Traum vom Osmanischen Reich", die er sich von Akın Emanuel Şipal schreiben ließ und selbst inszenierte. Das Stück, das die vollkommen irrsinnige Idee verfolgt, einen neuen Blick auf die gesamte Geschichte des Osmanischen Reichs in unter zwei Stunden zu liefern, ist seine letzte eigene Inszenierung als Intendant und kann so als eine Art Vermächtnis gelesen werden.
Deshalb ergibt es Sinn, noch einmal auf den Anfang zu schauen: Als Stefan Bachmann 2013 nach Köln kam, stürzte er sich in ein ähnlich waghalsiges Projekt und adaptierte Ayn Rands umfangreichen Roman "Der Streik", ein den Kapitalismus verherrlichendes Werk, eine Art Bibel für das konservativ-liberale Amerika. Damals dachte der Intendant, dass er ungefähr drei Jahre im Provisorium auf dem Carlswerk-Gelände überbrücken müsse und dann ins sanierte Theater in der Innenstadt wechseln könne. Daraus wurde nichts und Stefan Bachmann hat die Situation umarmt, das Schauspiel im Depot zum Blühen gebracht und auch immer mehr verstanden, wo er eigentlich genau ist: unweit der Keupstraße nämlich mit ihren türkischen Restaurants, Zucker-Bäckereien und Friseuren, wo der NSU 2004 eine Bombe zündete.
Beseelte Welt
Hierhin passt "Akins Traum" weit besser als Ayn Rand. Von den ersten Sekunden an spürt man das. Da ist die Inszenierung bereits eine ganz wundervolle Komposition aus Bewegung, Live-Musik (unter der Leitung von Pianist Sven Kaiser) und dem iranischen Dichter Attar nachempfundener Poesie. Sie erzählt von einer Welt, in der alles beseelt ist und alles spricht – auch der Vers aus dem Koran oder der Teppich, der abgeklopft werden muss. Aus dem sprechenden Teppich spricht auch schon der Humor des Autors Akın Emanuel Şipal. Seine Hauptfigur nennt er Alter Ego und wie sich das für ein solches gehört, wohnt die wie ihr Autor in Gelsenkirchen und muss eigentlich nur mal kurz zum Drogerie-Markt, um für die Frau Feuchttücher zu holen.
In der Folge überlagern und durchdringen sich Traum- und Wirklichkeitsebene im Stück. Da hat dann plötzlich Osman, der erste Sultan, die Feuchttücher in der Hand und wischt sich damit die Stirn. Şipal stellt ihn als einen zwar expansionswilligen, aber im Grunde gutmütigen Krieger dar, der interreligiöse Mischehen voll in Ordnung findet. Zumindest wenn es sich neben den Muslimen um Juden oder Christen handelt: "Wir sind alle Kinder Abrahams."
Inklusiver Weltentwurf
Der Blick, den der Autor stärken will, geht so: "Osman erträumt sich einen inklusiven Weltentwurf. Eine mütterliche, elterliche Ordnung für alle. Es geht nicht um reine Herrschaft, Krieg und Unterdrückung, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen, um Speisung und das Ernähren der Menschen auf der ganzen Welt." Seine Nachfolger agierten nicht alle aus demselben Geist heraus. Und irgendwann werden zumindest die westeurozentristisch sozialisierten Besucher*innen sicher ein wenig den Überblick verlieren in dieser Odyssee durch rund 600 Jahre Osmanisches Reich. Das macht aber nichts, denn mit seinem fantastischen Bühnenbild (einem wandelbaren Glühlampen-Meer von Olaf Altmann), den Choreografien von Sabina Perry, der großartig schwärmerischen und melancholischen Live-Musik, zu der das Ensemble oft chorisch und rhythmisch spricht, holt die Inszenierung Verlorengegangene immer wieder zurück, hat einen hohen Schau- und Hör-Wert.
Auf der Traumebene ist sie teils ungemein anregender, zu humorvoll-erkenntnisreichen Szenen verdichteter Geschichtsunterricht – wenn etwa Bruno Cathomas als Süleyman der Prächtige auf Stefko Hanushevsky als Ferdinand von Habsburg trifft und ihm erklärt, warum seine Soldaten so standhaft sind: "Gemüse!" Und auf der Wirklichkeitsebene, die sich mehr und mehr ins Unwahrscheinliche steigert, schreibt Akın Emanuel Şipal auch sein eigenes Drama hinein. Obwohl in Essen geboren, wird er natürlich allein wegen seines Namens als türkisch-deutscher Autor gelesen.
Große Leichtigkeit
Sein von Mehmet Ateşçi gespieltes Alter Ego hofft in einem berückenden Monolog: "Wenn das Thema Diversity verraucht ist, möchte ich nicht als Antirassismus-Beauftragter in einem Altenheim co-vegetieren müssen, sondern längst groß rausgekommen sein." Also schnappt er sich einen Esel und geht mit ihm auf Irrfahrt durch Gelsenkirchen, um die Osmanen zu Pferde zu imaginieren.
Bedenkt man den großen Druck, den es bedeuten muss, einem langjährigen Intendanten ein großartiges Finale in die Hände zu legen und die gesamte Geschichte der Osmanen zu einem spielbaren Stück zu verdichten, muss man Şipals Ergebnis einen Triumph nennen. Ihm gelingt so vieles mit großer Leichtigkeit – auch, die erstaunlichen Rollen der Frauen in diesem Reich ausführlich zu würdigen. Dieses Unterfangen mündet in einen berührenden Auftritt der 85-jährigen Margot Gödrös im Rollstuhl, die deutlich macht, dass es jetzt ziemlich genau hundert Jahre her ist, dass sich die letzten Osmanen in alle Winde zerstreuten und der modernen Türkei Platz machten. Großer Applaus für einen großen Wurf.
Akins Traum (Vom Osmanischen Reich)
von Akın Emanuel Şipal
Uraufführung
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Musikalische Leitung & Komposition: Sven Kaiser, Choreografie & Körperarbeit: Sabina Perry, Licht: Jan Steinfatt, Dramaturgie: Lea Goebel.
Mit: Alexander Angeletta, Mehmet Ateşçi, Bruno Cathomas, Margot Gödrös, Stefko Hanushevsky, Melanie Kretschmann, Seán McDonagh, Kais Setti, Cennet Rüya Voß, Live-Musik: Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye, Jan-Felix Rohde.
Premiere: 23. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.schauspiel.koeln
Mehmet Ateşçi als Alter Ego des Autors treffe hier genau den richtigen Ton zwischen Larmoyanz, Wut und Verzweiflung, "komisch ist er obendrein", so Christian Bros im Kölner Stadt-Anzeiger (26.2.2024). Die Handlung kippe zwischen Gegenwart und dem Konstantinopel der Renaissance. "In dieser Art von doppelter Belichtung erhellen sich die Zeiten, bilden Pointen, setzen andere Schwerpunkte." Stefan Bachmanns vereine in der Inszenierung viele Themen und Formen, die ihn elf Jahre am Rhein beschäftigt haben, ziehe hier die Summe seiner Kunst und "bleibt dabei doch im Dienste dieses profunden, albernen, sexy-lehrreichen Textes, ja, er bringt ihn zum Leuchten".
Einen ziemlich großen Brocken an Geschichte und Gesellschaftsanalyse rolle Şipal dem Publikum vor die Füße. Im wilden Galopp gehe es durch die Jahrhunderte, schreibt Axel Hill in der Kölnischen Rundschau. "Dass Ensemble unter Stefan Bachmanns kluger Regie macht daraus einen mitreißenden Theaterabend". Von Adriana Braga Peretzki in schillernde Kostüme gesteckt, agieren sie mit großer Lust am Spiel, magisch in Szene gesetzt auf Olaf Altmanns ansonsten leerer Bühne von LED-Leuchten.
Schon in der ersten Szene entwickle der Abend einen Sog, dem man sich nicht mehr entziehen kann, so Isabelle Stier im DLF Kultur heute (25.2.2024). Die Erzählung wechsele immer wieder zwischen Historie und Gegenwart, was den besonderen Reiz ausmache. Ebenso beeindruckend wie das Verflechten der Zeitebenen sei die darstellerische Leistung. "Ein grandioser Abend, der viel Spaße bereite."
Einen "erfrischend anderen, erfreulich befremdlichen, wunderbar spielfreudigen, mit Völkern, Ländern und Sitten jonglierenden Abend" hat Chrisdtine Dössel erlebt, wie sie in der Süddeutschen Zeitung (1.3.2024) schreibt. Diesen "Geschichtskurs im Schnelldurchlauf, aber ein pfiffiger, brüchiger, hinterfragender", inszeniere Bachmann "wie aus dem Nichts oder eben: aus der Sprache, aus der Imagination heraus". So gebe es zwar prächtige, orientalisierende Kostüme, aber keine Requisiten. "Alles eine Sache der Phantasmagorie."
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Und man kann wohl sagen, LEIDER die letzte Premiere des Intendanten Stefan Bachmann.
Der Abschied fällt umso schwerer nach dieser hervorragenden Aufführung gestern Abend im Depot 1.
Ich habe schon hunderte Theaterstücke und Opern gesehen. Die gestrige Aufführung war mit das Beste,was ich in meinem Leben gesehen habe.
Ich werde mir die Aufführung mit Freunden noch mindestens zweimal anschauen, falls sie nicht ständig ausverkauft sein sollte.
Ein absolutes Highlight,wirklich ein wahrer Hör-und Sehgenuss.
Die Bühne und die Kostüme von Olaf Altmann, den ich vor der Aufführung noch kurz kennenlernen durfte, unterstützten den Erfolg dieser Inszenierung
Für Köln stellt der Weggang von Stefan Bachmann einen riesigen Verlust dar. Aber Wien ist nicht zum Glück nicht so weit entfernt, so dass ich mich schon darauf freue, Inszenierungen von ihm im Wiener Burgtheater zu sehen, wie bei seinem Vorgänger in Wien, Claus Peymann.
Ein schmerzlicher Verlust ist ebenfalls der Weggang von Melanie Kretschmann, die auch gestern wieder als Schauspielerin glänzte wie in fast allen anderen Aufführungen auch. Man kann nur hoffen, dass Bruno Cathomas Köln
erhalten bleibt. Melanie Kretschmann und Bruno Cathomas sind die wahren Stars des Kölner Ensembles.
Unverständlicherweise berichten die hiesigen Print Medien und auch der Westdeutsche Rundfunk kaum über das Schauspielhaus und die Oper, so,als wenn es sich um Provinz Theater handelte.
Die gestrige Inszenierung von
Stefan Bachmann mit u.a.Melanie Kretschmann und Bruno Cathomas macht den Verlust noch deutlicher. Es bleibt der Gedanke an viele schöne Aufführungen in den letzten zehn Jahren im Depot, welches ein wahres Schmuckstück geworden ist dank Stefan Bachmann. Ich vermisse die alt hergebrachten Spielstätten in der Innenstadt gar nicht mehr, im Gegenteil.
Ich hatte an sich gedacht, wir würden gestern Standing Ovations des Publkums beim Schluss Applaus erleben, aber vielleicht überwog die Traurigkeit über den Weggang die Feier Freude an der Inszenierung.
Und fände der Autor ein Stück darüber auch so lustig und erhellend, wenn ein russischer Kollege Stalins Erbe in ein humanistisches Licht tränkt?!
Ist hier irgendjemandem klar, dass der osmanische Traum derzeit in der Türkei durch Erdogan faktisch realisiert wird und mittlerweile diese Alltagsrealität zum Alptraum von über 15 Millionen KurdInnen geworden ist?
Mir bleibt echt die Spucke weg.
Das Stück macht es keinem leicht: sehr viel Stoff, vielleicht eine Überforderung für diejenigen, die mit osmanischer Geschichte nicht vertraut sind. Der Kern des Stückes, „Autor und sein Sujet“, sowie die Lücken in der Geschichtserzählung verhindern, dass daraus eine Schulstunde wird. Dass die Geschichte im 18. Jahrhundert aufhört, ist zwar schade, aber den Weg in den Abgrund bis 1923 zeichnet er zumindest vor … die rhythmisierten und schnellen Passagen sind schon anstrengend (aber besser so, als ausgedehnt auf 3 Stunden) … manches wirkt eher geschwätzig, aber gut: es ist eine Suche (und nicht das Ergebnis der Suche), wenn der Autor fragt, „woher er kommt“? Er nimmt die Zuschauer mit bei seinen Gedanken … leider ist die Musik eher eine ausdruckslose Dauerberieselung als ein Kommentar, sie erzeugt keine Welten im Kopf … Selbstbezug (heutiger Begriff: Autofiktion) ist zwar das zentrale Element des Stücks, aber die herbeiphantasierte Szene mit Peter, Elfriede oder Maxim, na ja, wäre nicht notwendig gewesen (wennauch Mehmet Ateşçi das charmant rüberbringt) … schön, dass Bachmann “Akıns Traum” nach Wien mitnimmt …
Die Inszenierung scheint ja mitreißend zu sein, aber inhaltlich gibts -zumindest nach dem Lesen der Kritik- den Eindruck von historischer Weichzeichnung.
Bauchschmerzen hatte offenbar auch der Autor selbst, weshalb sich die von Ihnen angesprochene Autofiktion in den Text eingeschlichen hat, die u.a. auch darauf hinwies, eben auf das Geld für diesen Auftrag angewiesen zu sein. Natürlich bin auch ich in der Lage, ein literarisches Ich von einer realen Person zu trennen, aber mir schien es dennoch so, als würde hier man hier einem Unbehagen mit dem Stoff einfach durch seine Ausformulierung begegnen wollen. Das ist natürlich legitim und auf jeden Fall besser, als diese Ebene der Selbstreflexion auszusparen, produktiver wäre es in meinem Augen jedoch gewesen, daraus einen literarischen Zugriff zu generieren (und nicht nur die eigenen Zweifel zur Schau zu stellen).
Viele Kritiker*innen und ein Großteil des Publikums hatten damit offensichtlich kein Problem (zumindest in der Vorstellung, die ich gesehen habe) und ich freue mich sehr ehrlich darüber, dass sie einen guten Abend hatten. Mich hat es dennoch erstaunt, wie einhellig dieser, in meinen Augen problematische, Abend beklatscht wurde.