Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt über Berlins "verkauftes" postnationales Nationaltheater
Die Kunst des Post-Volkes
von Esther Slevogt
5. Mai 2015. Besuchen wir die Volksbühne, solange sie noch steht. "Verkauft" steht jetzt über dem massigen Bau am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz. In den in zwei Jahren ein neuer Intendant einziehen soll. Nach fünfundzwanzig Jahren. Eigentlich ein normaler Vorgang. Nicht mal Helmut Kohl ist solange Kanzler aller Deutschen gewesen, wie Frank Castorf Intendant der Berliner Volksbühne.
Die Lesbarkeit der Weltherrschaft
In altdeutscher Frakturschrift prangt also nun das polemische wie theatralische "Verkauft"-Banner überm Rosa-Luxemburg-Platz, voll auf der Linie des aktuellen Volksbühnen-Corporate-Designs – das im Jubiläumsjahr des pompösen Theaterbaus auf die Entstehungszeit des Hauses vor hundert Jahren verweisen soll. Damals schrieb man so. Anno 1914 / 1915. Die Frakturschrift assoziiert heute klappernde wilhelminische Orden und knallende Nazi-Stiefel. Dabei ist sie von den Nazis abgeschafft worden. 1941 war das. Weil sie als unpraktisch und einigermaßen unleserlich galt. Und damit als Kommunikationsmittel für die angestrebte deutsche Weltherrschaft nicht wirklich geeignet. Die deutsche Schrift sollte schließlich von jedem Untermenschen mühelos zu entziffern sein.
Doch der aktuelle Gebrauch der Frakturschrift fügt sich ganz gut in die seit fast fünfundzwanzig Jahren gepflegte Ästhetik des Hauses, die stets (mal mehr, mal weniger subversiv) mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts (und ihren Zeichen) kokettiert, an dessen Ende Frank Castorf die Intendanz übernommen hatte. Der rote Marmor der Reichskanzlei, den die Sowjetische Militäradministration hier nach 1945 einbauen ließ, der rest-stalinistische Pomp der Treppenhäuser und Foyers mit ihren Holztäfelungen und Kristalllüstern aus den 1950er Jahren. Und nicht zuletzt das Gebäude selbst, das sich im ersten Jahr des Ersten Weltkrieges mit dem architektonischen Pathos des Reichstages (der nur 10 Jahre älter und "Dem Deutsche Volke" gewidmet ist) in einen der damals ärmsten Berliner Bezirke pflanzte. Damals noch mit der auftrumpfenden Inschrift "Die Kunst dem Volke" über den gigantischen Säulen (übrigens nicht in Frakturschrift, sondern in einer fast schwebend modernen Type in den Stein gemeißelt). Aber warum schreibe ich das?
Viel Weiß, wenig Holzfarbe
Man muss nur einmal das gigantische Modell der Berliner Innenstadt im Lichthof der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt am Köllnischen Park anschauen, um ganz physisch zu begreifen, welche gigantischen Umwälzungen allein im Stadtbild sich in den bald 25 Jahren von Castorfs Intendanz vollzogen haben und vollziehen. In diesem Modell sind alle Häuser, die nach 1989 gebaut wurden, weiß, die anderen Gebäude holzfarben, so dass man mit einem Blick sieht: 50 Prozent der Stadt sind nach 1989 neu gebaut worden. Identitäts- und geschichtspolitisch relevante Bauten wurden abgerissen. (Man betrachte zum Beispiel das letzte Ostberliner Stadtmodell, das ebenfalls hier ausgestellt ist). Ganze Stadtviertel haben einen kompletten Bevölkerungsaustausch erlebt. Und damit auch einen massiven Gedächtnisverlust.
Mit ihrer Sperrigkeit und Kontinuität (in der sich das Haus ja auch immer wieder von innen heraus neu erfand) hatte die künstlerische und architektonische Gravitationskraft der Volksbühne fast etwas Beruhigendes: Weil sie dem grassierenden Identitäts- und Gedächtnisverlust etwas entgegenzusetzen hatte. Zumindest stets eine Haltung. Und der Intendantenkaiser an ihrer Spitze irgendwie auch. Der muss 2017 nun ins Exil. Wie Kaiser Wilhelm Anno 1918 nach Holland. Und die Angst wächst. Was wird nun, ohne das deutsch-deutsche Identitätsbollwerk Volksbühne? Dieses fette Haus, das mit seiner diskursschwangeren, wuchtigen Männerkunst so lange eine Art postnationales Nationaltheater war. Vielleicht aber auch bloß für die alt gewordenen Kinder des Kalten Krieges. Who knows.
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben will sie eine Art Archäologie der Stadttheaterkrise von unten versuchen: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zur vorigen Ausgabe dieser Kolumne: Esther Slevogt über die Verteidigung der Freiheit und anderer Privilegien.
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Wie sonst ist dieser „Berlin verändert sich aber schnell“-Stuss zu erklären? Möchte Frau Slevogt Frank Castorf ein totalitäres Blackfacing verpassen, mit haltlosem Geplauder über „roten Reichskanzleimarmor“ in der Bausubstanz, "reststalinistische" Beleuchtungskörper und die leider doch nicht faschistische Frakturschrift auf den Plakaten?
Und was genau ist „Männerkunst“?
schade, daß sie nicht zwischen Häusern und Menschen unterscheiden können. Deswegen erschließt sich ihnen auch der Unterschied von Männerkunst und Frauenkunst wohl nicht – und anderes erst recht nicht, wie es scheint.
Und muss man nicht angesichts der vielfältig kontaminierten Bausubstanz für Herrn(!) Dercons Intendanz das Schlimmste befürchten? Er könnte Fraktur reden oder Männerkunst ermöglichen.
Was meinen Sie, Fr. Alptraum - bedarf es zuvor nicht dringend eines performativen Exorzismus, eines postdramatischen Entsühnungsrituals?
Esther Slevogt arbeitet heraus, dass sich die Volksbühne vor 100 Jahren „mit dem architektonischen Pathos des Reichstages in einen der damals ärmsten Berliner Bezirke pflanzte“. Irgendwie ist das Haus in den späteren DDR-Zeiten mit seiner Prenzelberg-Umgebung verschmolzen, einem Stadtviertel, dass mittlerweile jedoch „einen kompletten Bevölkerungsaustausch erlebt“ hat. Da stört die „Sperrigkeit und Kontinuität“ dieses „deutsch-deutschen Identitätsbollwerks“.
Nachdem die „alt gewordenen Kinder des Kalten Krieges“ aus dem Prenzelberg verschwunden sind, wird es Zeit, dass auch die Volksbühne verschwindet. Welcome, Mister Dercon, schaffen Sie den hypermodernen, globalisierten Prenzelberg-Schwaben ihren Circus maximus.