Presseschau vom 24. April 2014 – In der Zeit schreibt Bernd Stegemann über Neuen Realismus im Theater
Umbau des widerständigen Menschen
Umbau des widerständigen Menschen
24. April 2014. Eine Serie im Zeit-Feuilleton fragt nach den Folgen des Begriffs vom Neuen Realismus, der unter Philosophen, Künstlern und Architekten die Runde macht. In dieser Woche schreibt Bernd Stegemann darüber, wie das postmoderne Theater wider Willen dem Kapitalismus diene. Denn es verwandele den widerständigen Menschen in eine allzeit reaktionsbereite Service- und Konsumkraft.
Für das Schauspielen hat der Siegeszug des Performativen komplizierte Folgen, so Stegemann in der Zeit (24.4.2014). Als falscher Vater dieser Entwicklung gelte Bertolt Brecht. "Dessen Hinweis, dass der Schauspieler sich selbst und eine Sache zu zeigen habe, ließ sich allzu leicht mit der postmodernen Forderung nach einer Abschaffung der Repräsentation verbinden." Hierbei werde jedoch übersehen, dass die Differenz zwischen Spieler und Sache bei Brecht eine politische ist, nämlich die des spielenden Zeitgenossen, der uns seine Sicht auf die Zusammenhänge der Entfremdung durch ein verfremdendes Spielen zeigt. Verabschiede man sich von der Kritik an einer Gesellschaft, die durch Entfremdung und Ungleichheit geprägt ist, wird genau die gleiche Spielweise zu einer narzisstischen Feier des Subjekts. Nun werde nicht mehr Entfremdung anschaubar, sondern das Subjekt selbst macht sich zum unendlich komplizierten Vexierbild.
"Genau dieses Vexierbild ist der ästhetische Ausdruck für die postmoderne Paradoxie, in der alle Widersprüche als unaufhebbare und damit unveränderliche Wahrheiten festgestellt werden. Das Schauspielen wird zum Schausein und damit zur herrschenden Form des postmodernen Realismus." Der performative Anteil am Schauspielen werde absolut gesetzt und verabschiede sich damit von der Mimesis und der Darstellung von Figuren und Drama. "Widersprüche werden nun nicht mehr als kritisierbare Entfremdungen, sondern als Herausforderungen begriffen, und Vereinzelung wird nicht mehr als beklagenswerte Entsolidarisierung verstanden, sondern als Chance zur Selbstverwirklichung." Damit zementiere der postmoderne Realismus die ewige Gegenwart des Marktes als Natur. Dialektik werde zerschlagen in Selbstreferenzen und Paradoxien.
Stegemann nennt als Beispiel dann die spanische Autorin, Performerin und Schauspielerin Angélica Liddell, die in ihrer Inszenierung El Síndrome de Wendy eine Spielweise findet, die man epischen Realismus nennen könnte. Fazit: "Liddell lässt erahnen, was zu gewinnen wäre, wenn die komplizierte Technik des absichtlich unabsichtlichen Schauspielens die Grenzen der performativen Wahrheiten überschreiten könnte. Dann könnte ein Realismus des Körpers und der Seele entstehen, der Abbild und Präsenz, Mimesis und Performativität zugleich wäre."
(sik)
Mehr dazu:
- März 2014: In seinem nachtkritik-Beitrag zur Zukunft des Stadttheaters plädiert Bernd Stegemann für ein Künstlertheater
- September 2013: Buchrezension Bernd Stegemanns "Kritik des Theaters"
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