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Ergebnisse der Theater-heute-Umfrage 2020

Trotz alledem 

27. August 2020. Die Münchner Kammerspiele gehen aus der Kritiker*innenumfrage des Magazins "Theater heute" als Theater des Jahres 2020 hervor. Wie im heute erschienenen Jahrbuch von "Theater heute" nachzulesen ist, konnten die Kammerspiele in der letzten Spielzeit der Intendanz Matthias Lilienthal zum zweiten Mal Platz eins  belegen. Bereits im vergangenen Jahr war das Haus in der Maximilianstrasse Theater des Jahres.

Zur Inszenierung des Jahres wählten die Kritiker*innen Florentina Holzingers Performance Tanz, die 2019 im Wiener Tanzquartier herausgekommen ist. Stück des Jahrs wurde "Die Verlorenen" von Ewald Plamentshofer, das in der Uraufführungsinszenierung von Nora Schlocker die Intendanz Andreas Beck am Münchner Residenztheater eröffnete.

Schauspielerin und Schauspieler des Jahres sind Sandra Hüller (für ihren Auftritt in Johan Simons' Bochumer Hamlet) und Fabian Hinrichs (in der gemeinsam mit René Pollesch erarbeiteten Inszenierung Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt im Berliner Friedrichstadtpalast). Dicht auf den Fersen sind dem Spitzenduo der neue Ifflandringträger Jens Harzer, der als Iwanow am Schauspielhaus Bochum überzeugte, Thomas Schmauser, der Lear in Thomas Melles und Stefan Puchers Shakespeare-Überschreibung an den Münchner Kammerspielen spielte, und Cordelia Wege mit ihrem furiosen Wolfram-Lotz-Solo Die Politiker.

Das Bühnenbild des Jahres entwickelte Julia Oschatz, und zwar für Christian Weises Hamlet-Inszenierung am Berliner Maxim Gorki Theater. Die Kostüme des Jahres erschuf Victoria Behr an der Berliner Schaubühne für die Inszenierung Amphitryon von Herbert Fritsch. Unter den Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern des Jahres sind die Bochumer Schauspielerin Gina Haller (u.a. als Ophelia in Johan Simons' "Hamlet"), der Kerr-Darstellerpreisträger des Jahres 2019 Johannes Nussbaum  (für seinen Kevin in Palmetshofers "Die Verlorenen" am Münchner Residenztheater) und die Dramatikerin Caren Jeß (für ihr in Graz uraufgeführtes Stück "Bookpink").

Zu den Ärgernissen des Jahres kürte die Kritikerschaft wenig überraschend verschiedenste Umstände und Phänomene der Corona-Krise, welche die Saison Mitte März 2020 vorzeitig beendet beziehungsweise ins Internet verlagert hat. 

(Theater heute / sle)

 

Mehr Umfragen: Hier die Bestenliste 2020 der Zeitschrift "Die Deutsche Bühne" und hier die Theater-heute-Besten von 2019.

 

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Kommentare  
Theater-heute-Umfrage: Gina Haller
congrats to Gina Haller, such a great Ophelia performance!
Theater-heute-Umfrage: gut abgehangen
Das ist ja fast alles sehr wenig überraschend, ja, geradezu gut abgehangen: Hüller, Lilienthal, Hinrichs, Palmetshofer, Fritsch-Kostüme...

Lernen wir daraus, dass
a) das eine langweilige Saison war,
b) wir derzeit Künstler*inmen wie Hüller auf dem Zenit erleben, die einfach unschlagbar sind,
c) die Kritiker*innen müde geworden sind und nur das Bewährte ankreuzen, oder
d) Verzerrungseffekte dieser Umfragen dazu führen, dass immer die Gleichen on top sind?
Theater-heute-Umfrage: Gina Haller
Gina Haller
Theater-heute-Umfrage: richtig angekreuzt
die umfrage wirkt einmal mehr wie ein test im deutsch-grundkurs, den eine mehrheit „richtig“ angekreuzt hat.
glückwunsch an alle kritiker*innen!!
Theater-heute-Umfrage: Lasst Frauen ran
Was die Kritiker*innen-Umfrage von Theater heute für mich auch zeigt: Wenn Frauen die Möglichkeit bekommen (!), können sie genauso großartige (bzw. von einer Mehrheit der Kritiker*innen als großartig anerkannte) Kunst schaffen wie Männer.

1. Sandra Hüller wird zum 4. Mal Schauspielerin des Jahres – in einer ‚Männerrolle‘.
> Gebt Frauen tolle Rollen, unabhängig davon, für welches Geschlecht diese ursprünglich geschrieben wurden.

2. Gina Haller wird Nachwuchsschauspielerin des Jahres – indem sie Ophelia „aus dem Opferklischee“ befreit.
> Befragt die Geschlechterklischees, wenn ihr die Klassiker inszeniert oder in ihnen besetzt seid; eine Umwertung ist möglich. Das macht die Figuren fast immer reicher, spannender, interessanter.

3. Die Kategorien „Inszenierung / Bühnenbild / Kostümbild des Jahres“ gehen allesamt an Frauen (Holzinger, Oschatz, Behr). In der Regie-Kategorie ist Florentina Holzingers Nr.-1-Stück-„Tanz“ dicht gefolgt von Leonie Böhms „Räuberinnen“.
> Gebt Frauen die großen Bühnen und die großen Budgets.

4. In der Regie-Kategorie ist Florentina Holzingers Nr.-1-Stück-„Tanz“ dicht gefolgt von Leonie Böhms „Räuberinnen“.
> Schiebt die kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern (die bei beiden Inszenierungen zentral ist) nicht als 'Nischenthema' in die 'Frauenecke' ab.

Das alles sind Dinge, die man als Intendant*in, Regisseur*in oder anders am Theater wirkender bzw. Macht innehabender Mensch tun kann, um Frauen und ihr Können sichtbarer zu machen und Geschlechtergerechtigkeit im Theater (auf und hinter der Bühne) zu befördern.
Theater-heute-Umfrage: Vermutung
Interessant ist doch, dass es in diesem Jahr die einmalige Chance gegeben hätte, anders zu entscheiden: Das Theatertreffen, aus dem sich auch bislang die meisten Umfragen-Sieger rekrutierten, fand nur teilweise und im Netz statt, wo aber auch jede Menge anderer Produktionen als Stream liefen. Warum aber haben sich die Kritiker dann aber nicht fürs Burgtheater Wien oder das Berliner Ensemble entschieden, für Marburg oder Wiesbaden? Gibt's vielleicht wirklich einen Geschmackskonsens? Wurde nur das geguckt, was beim Theatertreffen diskutiert wurde? Oder kann es sein, dass es mit den in jedem Landestheater vermuteten Geniestreichen doch nicht soweit her ist, wenn es um eine überregionale Perspektive geht?
Theater-heute-Umfrage: nicht alle gleich
Merkwürdige Annahme, dass künstlerische Begabungen, künstlerische Kraft, Brillianz und Einzigartigkeit eigentlich überall zu finden seien, in Meiningen genauso wie in Berlin. Als ob Jazzbands in Rosenheim ähnliches Niveau erreichten wie in New York. Als ob es vom jeweiligen Geschmack abhinge, dass bestimmte Künnstler*innen Erfolg haben oder nicht. Also ob man statt Hinrichs und Hüller auch einfach jemand anderen hätte nehmen können. Dass ist ja das was das Theaterreffen oftmals probiert: einen vermeintlich vorhanden Niveau-Pluralismus zu offenbaren. Den es aber ja gar nicht gibt. Es sind nicht alle gleich und hauptsächlich Inhaltsträger. Es gibt eben außerordentliche Begabungen, die "one in a million"s. Da muss man doch nicht gekränkt sein und endlich aufhören sich beleidigt in Komkurrenz zu setzen.
Theater-heute-Umfrage: keine Suche
@7

Bedenken sie bitte, dass nicht die Qualität der Ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler der Kritik ausgesetzt sind, sondern eher die Art. Es wird nicht mehr gesucht: Man sieht ja nicht Transparent, wer wo war. Manche Kritiker*in hat interessante Vorschläge und wenn man schaut: Das sind merkwürdigerweise häufig diejenigen, welche nicht nur im ICE zwischen Hamburg, München, Bochum und Berlin sitzen. Die Grundannahme, dass nicht richtig gesucht wird liegt schwer im Raum. Ihr Abtun, dass es eh "mindere" Kunst sei ist in ihrer Argumentation verständlich, aber in der Grundannahme sehr deterministisch und auch etwas Ignorant.
Theater-heute-Umfrage: Wurzeln des Allgemeinen
#8: Naja, lieber Neill, manche Garagenband aus bei Seattle ist auch erst oneinamillions-erfolgreich geworden, nachdem sie im vergleichsweise blasierten New York alles kurz und klein gehauen hat. - Ja, es gibt immer außerordentliche Begabungen. Aber es gibt nie eine Garantie, dass die auch als solche er- und bekannt werden. Alles Außerordentliche ist eine Kränkung für das Allgemeine. Besonders, wenn sich keiner die Mühe macht, im Außerordentlichen die Wurzeln des Allgemeinen, aus dem es sich gebildet hat, zu suchen und zu beschreiben...
Theater-heute-Umfrage: Selbstverantwortung
Hallo Daniel, für mich ist raunt Dein Kommentar zu sehr. Denn tatsächlich ist es so, dass Kritiker*innen/Joror*innen überall hinfahren, andauernd, insbesondere für das Theatertreffen. Leider auch auf der Suche nach den Inszenierungen und Regisseur*innen und Autor*innen und Schauspieler*innen, die sich am besten eignen, um Kulturpolitik zu betreiben. Sie fahren meiner Ansicht nach also eher zuviel herum. Und ist es nicht so, dass Dramaturg*innen zu den verschiedenen Vorsprechen fahren bzw. die Vorsprechenden zu den Häusern hinfahren? Es ist so oft die Klage der Zukurzgekommenen, dass niemand sie sieht. Aber man muss schon ins Licht hineintreten. Man muss es als Künstler*in schon schaffen in die grossen Städte, an die Stätten, wo die Kunst wohnt. Man muss sich schon beweisen können, auch das ist Talent. Das sind doch eher oftmals unerfüllte Versorgungswünsche verbunden mit Klüngel-Geraune, anstatt Selbstverantwortung zu leben. Oder?
Theater-heute-Umfrage: Einfach toll!
Gina Haller war in der Rolle der Ophelia in der Tat ganz und gar atemberaubend fantastisch!
Theater-heute-Umfrage: Wettkampf
#10 - zu Neill "Es ist so oft die Klage der Zukurzgekommenen, dass niemand sie sieht. Aber man muss schon ins Licht hineintreten. (...) Man muss sich schon beweisen können, auch das ist Talent."

Das stimmt. Und auch wenn es unangenehm ist sich einzugestehen: Der Schauspieler vom Stadt-Theater x ist nicht so gut wie der Schauspieler vom Burgtheater. Der Hamlet in der kleinen Provinzstadt eben nicht so gut wie der Hamlet in Berlin. Insofern bildet die Umfrage, wenn sie die Besten kühren soll, natürlich den Wettkampf der wenigen wichtigen Bühnen ab und nicht den Wettkampf der 100 insgesamt existierenden.

Mehr Selbstverantwortung zu leben, dann klappt das schon... ich glaube nicht, das das der Punkt ist. WEnn andere talentierter sind als man selbst schafft man es trotz aller Selbstverantwortung trotzdem nicht ans Burgtheater.

Mit "Klüngel" hat das gar nichts zu tun.
Theater-heute-Umfrage: zukünftig
Der*Die Hamlet in der Provinz ist der*die zukünftige Hamlet am Burgtheater oder der Volksbühne...Neills' Hinrichs Verehrung in allen Ehren...
Theater-heute-Umfrage: weniger reisen
Eigentlich eine unnütze Diskussion, dennoch: Fakt ist das Intendanten und Dramaturgen weniger reisen als dies früher der Fall war und sich somit weniger Produktionen an kleineren Häusern angucken, ob das Geld da die entscheidende Rolle spielt oder was anderes… egal, jedenfalls sind daher berufliche Lebensläufe die in Memmingen, Landshut, Nordhausen oder ähnlichem beginnen und an der Burg, dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg oder ähnlichem enden heute zumindest seltener geworden, genauso ist es beispielsweise für Spieler von nicht-staatlichen Schulen schwerer geworden überhaupt Anfangsengagements zu bekommen und auch aus dieser Gruppe gibt es durchaus sehr bekannte Vertreter. Das Anfangsengagement scheint heute entscheidender zu sein und bei dem spielt schon auch ein wenig Glück mit (angefangen bei dem ob man überhaupt eingeladen wird zu einem Vorsprechen, ob man rein optisch in das reinpasst was das Haus sich vorstellt, von einer der bevorzugten Schulen kommt, eventuell eben doch bereits mit jemandem gearbeitet hat den man kennt - das gilt später übrigens auch für Leute die sich aus Engagements an kleineren Häusern versuchen weg zu bewerben, plus das sich manche kleineren der größeren Häuser damit rühmen jemandem von einem noch größeren Haus weglocken zu können als das sich damit brüsten eine tolle Entdeckung an einem kleineen Theater gemacht zu haben).
Die Tatsache das manche hoch einsteigen und ein paar Jahre später ganz und gar von der Bildfläche verschwunden zu sein scheinen spricht übrigens dagegen, dass alle Spieler der großen, gut ausgestatteten Theater besser seien als die die an den kleineren arbeiten. Es mag auch Leute geben die sich in einem kleineren Ensemble einfach wohler fühlen oder bei denen andere Faktoren des Lebens einfach auch noch eine Rolle spielen die Entscheidungen beeinflussen - weiß nicht, ob die deswegen immer gleich schlechter in ihrem Beruf sein müssen. Jedenfalls habe ich auch an großen Häusern schon Schauspieler/innen gesehen die ich nicht so toll fand und an relativ kleinen Bühnen solche die mich vom Hocker gerissen haben. Die Ausgangsbedingungen sind halt vergleichbar schwerer, weil in einer Inszenierung halt unterschiedliche Faktoren zusammen kommen und an manchen Häusern einfach mehr möglich ist, auch die Offenheit des potentiellen Publikums hat natürlich Einfluss, genau wie der Träger der mit entscheidet wie viele Experimente es pro Spielzeit so geben darf…
Ich finde, wer 15 oder 20 Jahre nach Beendigung seines Schauspielstudiums (oder Elevendaseins) immernoch von seinem Beruf leben kann (frei oder fest) und dabei nicht jeden Spaß an ihm verloren hat, der ist irgendwie gar nicht so unerfolgreich. Preise hin oder her - die können höchstens als Sahnehäubchen gewertet werden. Der Rest ist Schweigen.
Theater-heute-Umfrage: Hamlet
und manchmal funktioniert das sogar umgekehrt!
Theater-heute-Umfrage: Schnittmenge
Man muss die Bedeutung dieser Umfrage nicht überschätzen. Aber durchschauen sollte man sie schön können. Ich habe im vergangenen Jahr eine Reihe schauspielerischer Leistungen gesehen, die mir gefallen haben: von Ursina Lardi, von Birgit Minichmayr, von Lina Beckmann, von Devid Striesow, von Elmar Roloff. Am meisten beeindruckt haben mich Michaela Bilgeri und Isabella Jeschke vom aktionstheater ensemble. Dass ich sie für die Besten halte, ist meine unmaßgebliche Meinung und hat keinerlei Verbindlichkeit. Aber wenn die Juror*innen von Theater heute, und zwar in ihrer abstimmungsentscheidenden Mehrheit, sie nicht gesehen haben, hatten sie keine Chance. Das zumindest möchte ich mitgeteilt bekommen.
Theater-heute-Umfrage: Karrierewege
@Johannes: "Der*Die Hamlet in der Provinz ist der*die zukünftige Hamlet am Burgtheater oder der Volksbühne"

Das stimmt doch überhaupt nicht. Vielleicht war das vor dreissig, fünfzig Jahren die Sache, als die Karrieren alle ziemlich genormt verliefen: Man startete an einem kleinen Haus, dann ging man an ein mittleres Haus, dann an ein grosses. Das ist heute doch fast immer anders. SO wie Ina in #14 schreibt.

Auszeichnungen etcpp bekommt man aber nur, wenn man am grossen Haus spielt. Welcher überregionale Kritiker schaut sich denn eine Premiere in Memmingen oder Landshut an?
Theater-heute-Umfrage: Danke
#16: Danke für diesen Namen nennenden Einwand.
Theater-heute-Umfrage: entgegensetzen
@sabine ja das weiss ich, dass das sooooo einfach nicht (mehr?) funktioniert. ich wollte einfach Neill mit seinem "der gottgleiche Herr Hinrichs wird als geniales Ober-Künstler-Geschöpf ohne Gleichen fertig auf die Bretter der Volksbühne gepupst" etwas entgegensetzen. (...)
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