Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt über die Kampagne zur Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Schweiz
Ich sehe nicht fern, aber
von Esther Slevogt
15. November 2017. Zu den Medienlandschaften, durch welche vor noch nicht allzu langer Zeit die Bürger*innen lustwandelten und sich als Mitglieder einer demokratischen Öffentlichkeit fühlen konnten, hat dereinst auch das Fernsehen gehört. Viele werden jetzt wahrscheinlich augenblicklich einwenden: es gehört noch immer dazu. Ich persönlich muss dem entgegensetzen: es ist sicher sieben Jahre her, dass mein Fernsehgerät seinen Geist aufgab und seitdem kein neues mehr angeschafft wurde. Immer dachte ich: ach, ich warte noch mal die nächste technische Entwicklung ab.
Rundfunkgebühren für Graues
Tatsächlich forcierte aber gar nichts diese Entscheidung. Denn die Wahrheit war: ich vermisste das Fernsehen kein bisschen. Schon lange war es mir arg grau und ältlich vorgekommen. Die Filme meist doof, Kultursendungen oft ziemlich trutschig, die vielen Talkshows sowieso unerträglich, die Nachrichten mitunter seltsam ereignisfern. Zwar zahle ich bis heute brav meine Rundfunkgebühren (ein altmodisches Wort, das aber insofern zutreffend ist, als ich mehr Radio höre als fernsehe). Doch mir bleibt ja auch nichts anderes übrig, da diese Gebühr als sogenannte Haushaltsabgabe wie eine Steuer zwangsweise erhoben wird.
Trotzdem würde ich dieses System immer verteidigen. Das öffentlich-rechtliche System. Denn es ist ein Solidarsystem. Ohne dieses System gäbe es zum Beispiel schon längst kein deutsches Kino mehr, dessen wichtigster und finanzstärkster Koproduzent die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sind. Ihr Auftrag ist es, eine Grundversorgung an Unterhaltungs-, Bildungs- und Informationsangeboten sicherzustellen, die unabhängig von staatlichen, wirtschaftlichen, politischen, religiösen oder sonstigen Privatinteressen ist. Auch wenn man aktuell fragen muss, ob dieser Auftrag an vielen Stellen nicht längst ausgehebelt oder unterwandert ist und die Anstalten momentan eher den Eindruck reformunfähiger Tanker erwecken, die sofort sinken würden, wenn erst mal richtig auf sie geschossen wird. So, wie gerade in der Schweiz.
Siehe Trump, siehe Brexit
Dort nämlich wird am 4. März 2018 per Volksentscheid darüber abgestimmt, ob überhaupt noch Gebühren zur Finanzierung öffentlicher Medien erhoben werden können. NO-BILLAG heißt die Initiative, die dazu geführt hat. BILLAG, das ist in der Schweiz, was in Deutschland die GEZ also die Gebühreneinzugszentrale ist. Und wenn diese Initiative Erfolg hat, was im rechtspopulistischen Zeitgeist dieser Tage (siehe Trump, siehe Brexit, siehe AfD) nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet dies das Ende der SRG SSR, jener öffentlich rechtlichen Dachorganisation für die öffentlich-rechtlichen Schweizer Sender also. Die SRG ist dabei viel mehr als nur eine Medien-Gesellschaft. So schafft sie auch, darauf hat jüngst die Schweizer WOZ hingewiesen, Ausgleich zwischen den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz. Der WOZ zufolge werden rund 70 Prozent der Gebühren in der Deutschschweiz eingenommen. Doch nur 45 Prozent der Gebühren bleiben dort, der Rest geht in die strukturschwächere Westschweiz oder ins Tessin. "Ein weiterer Vorzug ist die Kulturförderung, insbesondere im Bereich des Films: Rund 150 Filme kommen jährlich dank der Unterstützung aus Gebührengeldern zusammen. Schliesslich verfügt die SRG im Gegensatz zu den privaten Verlagen auch über einen Gesamtarbeitsvertrag. Sie dient noch immer als Referenz in der Branche, auch wegen der hohen Frauenquote."
Umbau der Schweizer Medienlandschaft
Hätte die Initiative Erfolg, bräche die SRG in wenigen Monaten zusammen. Dies wäre der nächste und wahrscheinlich folgenreichste Schritt beim rechtspopulistischen Umbau der Schweizer Medienlandschaft. Deren jüngstes Opfer wurde gerade die traditionsreiche Neue Zürcher Zeitung.
Die Architekten der Initiative zur Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Systems in der Schweiz sitzen im wesentlichen in der rechtspopulistischen SVP von Christoph Blocher. Zu den Gesichtern der Kampagne zählt insbesondere der Rechtsaußen-SVPler Olivier Kessler. Doch "NO-BILLAG" will nicht nur die Rundfunkgebühren in der Schweiz abschaffen, sondern die Verfassung gleich mit abändern. Dort nämlich soll verankert werden, dass es in der Schweiz in Zukunft per se keine öffentlich-rechtlichen Medien mehr geben darf. Hier braut sich also ein Szenario zusammen, von dem große Ansteckungsgefahr auch für das bundesrepublikanische öffentlich-rechtliche System ausgeht. Und auf das hier einmal aufmerksam gemacht werden soll. Selbst wenn dies nur eine Kolumne ist. Die allerdings mit der dringenden Bitte an unsere deutschen Sendeanstalten verbunden ist: Bitte bleibt – und reformiert euch!
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zuletzt schrieb Esther Slevogt in ihrer Kolumne über billige Empörung mit demokratischem Flurschaden nach dem Bundestageseinzug der AfD.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
mehr Kolumnen
neueste kommentare >
-
RCE, Berlin Talentiertester Nachwuchs
-
RCE, Berlin Manieriert und inhaltsarm
-
Kritik an Thalia Theater Hamburg Struktur
-
Pollesch-Feier Volksbühne Motto von 1000 Robota
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Radikal gute Idee!?
-
RCE, Berlin Magie
-
Pollesch-Feier Volksbühne Punkrocker
-
Die kahle Sängerin, Bochum Bemerkenswert
-
Intendanz Weimar Inhaltlich sprechen
-
Akins Traum, Köln Unbehagen mit dem Stoff
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
was sie hier über ursache und wirkung schreiben, sehe ich ganz anders, natürlich weiß ich dabei, dass ihre meinung dazu sehr populär ist und tatkräftig praktiziert wird. die frage nach dem ergebnis spricht jedoch für mich eindeutig von einem falschen ansatz, denn die afd gewinnt an zuspruch und zwar m.m.n. weil der medienwirksame gegenwind den fokus auf sie richtet ... statt sie völlig unbeachtet und igorierend im sande verlaufen zu lassen.
"... und was dabei fast unterging, ist die Rede selbst, die er dort hielt."
der rest des artikels in der woz ist m.m.n. spekulation, die in der überzeugung endet, man darf KEINE bühne - keine rede - keine äußerung "erlauben" ... ohne dabei zubeachten, dass dies ein starkes plädoyer für zensur ist und dann sogar "völlig berechtigte" verteidigung GEGEN zensur und für pluralität provoziert wird ...
diese massiven anti-afd-kampagnen sind es doch, die die AFD in den fokus bringen - selbst wenn sie inhaltlich voll zu unterstützen sind - werden sie mit den mitteln der hysterie geführt und sind ein bärendienst für sie ... eine bessere werbung für sich können die sich gar nicht wünschen und DAS ist das schlimme daran ...
lieber samuel schwarz, NEIN, ich will die einladungen an die afd NICHT verteidigen - ich nehme sie nur zur kenntnis - besonders in den ör-medien - und ich nehme auch - und das meine ich mit hysterisch - die aktionen auf der straße und vor den räumen wahr, in denen die afd veranstaltungen/parteitage u.ä. stattfinden.
ich bin in der ddr aufgewachsen - und es war ein schock für mich, die "demokratisch legitimierte npd" 1990 auf ihrer wahlkampfbühne am antonplatz in berlin zu erleben ... da habe ich begriffen, was "demokratie" bedeutet^^ ... und "aha, DAS ist freiheit ... soso" ...
was denn nun?
ich wollte meine meinung äußern - gern ohne dafür fantasierte unterstellungen als antwort zu bekommen. warum ist denn dieser rechtsruck zu beobachten? warum nehmen aggressionen und hysterie in der auseinandersetzung zu? diese fragen stelle ich mir und hab dazu meine meinung geschrieben, die ich sehr lange überdacht habe.
ps. ihre meinung ist die mehrheitlich medial-politische ... und wir alle können beobachten, WOHIN sie "praktisch" führen wird. ich finde sie falsch und kontraproduktiv ... dieses "hau drauf" ist einfach nicht mein ding, auch bei feindbildproduktionen schau ich mir genau an, ob sie abgebaut und nicht noch weiter AUSGEBAUT werden können und äußere mich dazu sachlich
ich möchte keine ausgrenzungen - weder wie in der nazi-zeit gegen juden, kommunisten und "entartete künstler" - noch heute gegen irgendeine menschengruppe ... und bei straftatbestand gibt es ein gesetz, das dann (hoffentlich) auch für alle, ohne ansehen der person angewendet werden kann und keine privat-justitz in den köpfen und medien ...
„Nicht die Worte sind böse, sondern die Interpretation macht sie zu Gift … oder zum politischen Werkzeug.“
Wenn sie ihre Tätigkeit einstellen muss - was zweifellos der Fall wäre - wären alle davon betroffen: Film, Schauspiel, Literatur, Musik, Volkskultur, Kunst - auf einen Schlag würde tausenden von Kultur- und Medienschaffenden in der Schweiz die Existenzgrundlage entzogen, oder zumindest ein wichtiger Pfeiler davon. Auch die Ansteckungsgefahr auf Deutschland und in besonderem Maß auf Österreich halte ich für immens. Wenn diese Initiative durchkommt (die Gefahr besteht durchaus, die Kampagne surft auch hier auf einer großen Anti-Establishment-Welle), dann wäre das Volkes Wille und lieferte die Blaupause für AfD und FPÖ zur Abwicklung mindestens der ARD und des ORF. Gegen das Szenario, welches hier droht, sind alle Theaterschließungen in jüngerer Vergangenheit zusammen ein lapidarer Treppenwitz.
Allerdings, und jetzt beschwöre ich alle noch irgendwie verfügbaren guten Geister, besteht auch Hoffnung: Diese Initiative führt dazu, dass das Thema in der Schweiz bereits jetzt, rund vier Monate vor der Abstimmung, sehr lebhaft diskutiert wird. Ich glaube einen gewissen Bewusstseinswandel zu beobachten. Vielleicht wird daraus auch ein kraftvolles Bekenntnis zu einem öffentlich finanzierten und demokratisch organisierten Medienhaus, das letztlich die vielgestaltige und kleinteilige Schweiz zusammenhält. Eine Reformation des alten Tankers SRG wäre sicher die Folge. Meine Hoffnung: Dass die SRG gestärkt und erneuert aus dieser existenzbedrohenden Krise hervorgeht.
Einen Einwand zu dieser Kolumne oben möchte ich allerdings noch loswerden: Mit dem Fernsehen verhält es sich ähnlich wie mit dem Theater. Für Außenstehende wirkt es manchmal etwas muffig und merkwürdig selbstbezogen. Dabei liefern ARD und ZDF Woche für Woche um die 10 hochwertige Filmpremieren frei Haus. Darunter sind nicht selten kleine Filmwunder, die in einer Kino-Auswertung kaum Chancen hätten. Das vergisst man nämlich manchmal vor lauter Begeisterung für Serien aus den USA und GB. Dass Deutschland in der Sparte TV-Film weltweit einzigartig und führend ist. Auch das ist eine wichtige Plattform und Existenzgrundlage für viele Kolleginnen und Kollegen!