I Love You, Goodbye (The Brexit Edition) - HAU Berlin
Heiterkeit is in the House
von Elena Philipp
Berlin, 29. März 2019. Liebe geht durch den Magen. Und auch eine Trennung muss man erst einmal verdauen: Ähnlichen Spruchweisheiten folgte das deutsch-britische Performancekollektiv Gob Squad offenbar bei der Suche nach einer theatralen Form für das Beziehungsende by Brexit. "I Love You, Goodbye" hätte eines langen Abends Reise in den Abschied werden sollen: Wäre alles nach Brexit-Plan verlaufen, hätte sich Großbritannien um Mitternacht des Premierenabends von der EU abgedockt. Doch bekanntlich kam alles anders, und so ist die fünfeinhalbstündige Performance in der Berliner Gob Squad-Homebase HAU nurmehr eine Probe für den historischen Präzedenzfall – im hysterisch humorvollen Hybridformat von Unterhaussitzung und Kochshow.
Kochshow
Drei Tische sind auf der Drehbühne des HAU1 arrangiert und als Kochstationen eingerichtet. Dort treten die sieben Kernmitglieder von Gob Squad nacheinander als Chefs mit zwei Sous-Chef*innen an, um ein Gericht zuzubereiten, das sie als Person repräsentiert. Johanna Freiburg aka Hamburg hat ein klassisches Hühnerfrikassee gewählt, Berit Stumpf alias Garbenteich, wie ihr hessischer Herkunftsort heißt, eine Grüne Soße. Bastian Trost rührt die Quarkspeise seiner Großmutter in einer originalen Dr. Oetker-Variante und einer veganen DIY-Version zusammen, während Sean Patten und seine Co-Köche ein Trifle mit Erdbeer und Kiwi schichten, das er als Ausdruck britischen Humors versteht: "trifle" bedeutet Bagatelle, aber ein Trifle ist laut, bunt und steht stets im Mittelpunkt, wie eine Dame im Blumenkleid, die leicht beschwipst eine Familienfeier stört. So weit so TV-tauglich.
Gelenkt wird die Kochshow aber nicht von einer Jury oder einem Judge – sondern von einem Gob Squad-Mitglied in der Rolle als Speaker of the House of Commons, dem Parlamentspräsidenten des britischen Unterhauses. Mittig im Rang des HAU1 platziert, angetan mit roter Robe, blauer Troddelmütze und allerlei Fake-Geschmeide, wacht er (oder sie) über den Ablauf – "Ordeeer" erklingt immer wieder der Ruf und ein Holzhammer klackt minder effektvoll auf ein Schneidebrettchen, wenn auf der Bühne etwa ein Streit über die Zubereitung ausbricht. Kräuter hacken, nicht mixen, ruft entsetzt die unter einer apart ausladenden Kochmütze souverän mit ihrem Küchengerät hantierende Berit Stumpf, als die faulen Chaoten Simon Will und Bastian Trost ihre korrekt nach Mutters handschriftlichem Rezept zuzubereitende Grüne Soße torpedieren. "Ordeeer!"
Politik in Nahdistanz
Zwischendurch stellt der Speaker Anträge zur Abstimmung – wir Zuschauer*innen konstituieren das House. Engagiert ruft das Publikum also "Aye" oder "No" auf die Frage, ob Hausmacherwurst weiterhin als Würzmittel in "fleischlosen" Gerichten eingesetzt werden dürfe – "Noooo"! Der Vegetarismus gehört eindeutig zu den Themen, die das House stark bewegen, "the Noes have it" – oder ob sich Sarah Thom, die mit grünem Schutzhelm und Schürze in Schottenkaro Beans on Toast zubereitet, zu weit von ihrem Hintergrund in der working class entfernt hat, weil ihr Sohn in Oxford studiert und ihr Fitnessstudio am Gendarmenmarkt liegt. "Noooo"!
Politik übersetzen die Gob Squads in die Nahdistanz, machen sie erfahrbar als Regelungsverfahren für den Umgang miteinander. Vermieden wird durch das Kochshow-Setting aber auch jeglicher direkt politische Inhalt – eine verständliche, aber defensive Setzung. "I Love You, Goodbye" verbleibt auf dem kuscheligen Niveau des Einander-Kennenlernens und Voneinander-Verabschiedens. Unterhaltsam bis läppisch sind die dramaturgisch gleichbleibenden Durchläufe mit Karaoke vor jeder Kochrunde, bilateralen Abstimmungsvorgängen im Rang und einem Tänzchen auf der Bühne – zum Nazi-Frühlingslied "Es geht eine helle Flöte" wird’s folkloristisch, zu sphärischen Sounds buchstabiert Ex-Waldorfschüler Bastian Trost mit Kollegen eurythmisch ein "B-R-E-X-I-T".
Embrace colours in your life
Mit der Zeit, von der es wahrlich genug gibt, schließt man die Gob Squads ins Herz und lacht Tränen über die deutsch-britischen Verhandlungen zur korrekten Form der häuslichen Weihnachtsfeier – Kerzen am Baum müssen sein, das ist eine Rote Linie, erklärt Sharon Smith als Vertreterin Deutschlands in aufgerichteter Haltung, während die auf der samtbeschlagenen Brüstung lümmelnde Sarah Thom nicht ohne Lichterketten, Glitter und Tand, "baubles and tinsel" auskommt und der deutschen Delegierten rät: "Embrace colours in your life and get over it". Aye. Die Utopie gelingenden Miteinanders schlummert im Kleinen, und so kennzeichnet diesen Abend zwischen Politikparodie und Privatparty vielleicht am treffendsten ein charmant inszeniertes Missverständnis an seinem Beginn: Johanna Freiburg soll dem House den von ihr verwendeten Begriff "Fremdwort" erklären, fordert Speaker Simon Will – und Sous-Chef Sharon Smith versteht immer nur "friend word".
I Love You, Goodbye (The Brexit Edition)
von Gob Squad
Konzept und Regie: Gob Squad, Sounddesign: Jeff McGrory, Videodesign: Miles Chalcraft, Lichtdesign: Max Wegener, Ausstattung: Glamour Glaneur (Tatiana Saphir / Tamara Saphir / Moriya Matityahu), Dramaturgie und Produktionsleitung: Christina Runge.
Mit: Johanna Freiburg, Sean Patten, Sharon Smith, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost, Simon Will.
Premiere am 29. März 2019
Dauer: 5 Stunden 30 Minuten, sechs Pausen
www.hebbel-am-ufer.de
Kritikenrundschau
Wolfgang Höbel macht es mit seiner Nicht-Kritik des Abends auf Spiegel Online (online 30.3.2019, 12:22 Uhr) ganz kurz.
"In einer sechsstündigen Kochshow mit Tanzeinlagen" ließen Gob Squad "den Brexit in sieben mehr oder weniger katastrophisch zubereiteten Nationalgerichten einfach verdampfen", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (1.4.2019) über das "locker improvisierte, auch seichte Sieben-Gänge-Kabarett" – allerdings seien Gob Squad die wahren Gefühlsmomente auch immer wichtiger als diskursive Konstrukte, "und so bilden auch hier die vielen Popzitate und aufgewärmten deutsch-britischen Klischees, die sie sich gegenseitig an die Kochmützen werfen, nur die Fassade für das unberührt Menschliche darunter." Und Berit Stumpf blättere das noch ein bisschen weiter auf, wenn sie irgendwann nackt da steht und sich dort hin zurückwünscht "wo noch kein Gerücht, keine Falschheit ihre britisch-deutsche Liebe je trübte", so Meierhenrich. "Zu spät. Längst rührt jeder seinen eigenen Brei, sabotiert die Rezepte des anderen. Eine traurig groteske Manscherei – wie der Brexit selbst."
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