Medienschau: SZ, DLF, BR, NZZ, Freitag – "Blackfacing" in München
Reproduktion oder Markierung?
Reproduktion oder Markierung?
13. März – 9. April 2022. In den sozialen Medien wird eine neue Debatte über rassistische Inszenierungspraktiken geführt. Ausgangspunkt ist die Opernaufführung "Jonny spielt auf", die am 11. März 2022 in der Regie von Peter Lund am Münchner Gärtnerplatztheater Premiere hatte.
Der Darsteller Ludwig Mittelhammer tritt dort mit schwarz geschminktem Gesicht auf.
"@Gaertnertheater dass ihr das 2022 immer noch völlig unberührt von der Rassismus-Debatte so umsetzt ist skandalös und hochnotpeinlich!“, schreibt Jasmina Kuhnke alias Quattromilf heute dazu auf Twitter.
Auch die Rezensenten des Abends hatten sich in ihren Kritiken zu Lunds Inszenierung, die ihrerseits Bezug nimmt auf die Münchner Erstaufführung der Oper im Jahr 1928 im Gärtnerplatztheater, mit dem Thema 'Blackfacing' auseinandergesetzt. "Der Regisseur Peter Lund plädiert für das sogenannte 'Blackfacing' mit dem Argument historischer Genauigkeit, was merkwürdig ist, da 1928 auch keine Videoprojektionen riesiger Sigmund-Freud-Köpfe auf der Bühne zu sehen waren", schreibt Paul Schäufele in seiner Premierenbesprechung in der Süddeutschen Zeitung (13.3.2022). "Es mag nur wie ein Detail der szenischen Gestaltung wirken, in Wahrheit ist es der Angelpunkt einer sinnvollen Auseinandersetzung mit dem Stück. Denn Jonny taugte nicht nur zur Zigarettenwerbung, die rassistische Karikatur der populären Opernfigur aus dem Pinsel von Ludwig Tersch mit affenhaft reduzierten Gesichtszügen und Davidstern im Knopfloch wurde zum Maskottchen der Düsseldorfer Ausstellung 'Entartete Musik' von 1938", gibt der Kritiker zu bedenken. Vor diesem Hintergrund, argumentiert er, hätte man den Darsteller "ungeschminkt lassen können, um zu zeigen, dass das Thema zur Disposition steht, ohne auf eine aus guten Gründen obsolete Bühnenpraxis zurückzugreifen." Kurzum: "Argumentativ hätte man weiter sein können."
Anders interpretiert Jörn Florian Fuchs den Sachverhalt in seiner Fazit-Besprechung im Deutschlandfunk Kultur (11.3.2022). Der Darsteller "schminkt sich … selber und schminkt sich am Ende auch wieder ab", erklärt er. Regisseur Lund zeige "alle Figuren als überdrehte Charaktere", als "groteske Figuren". Er arbeite "viel mit Klischees", die ganze Gesellschaft trete bewusst "in sehr exaltierten Kostümen" auf. Insofern, so der Kritiker weiter, "passt es auch, was den historischen Kontext betrifft, durchaus, dass man eben ganz bewusst dieses Blackfacing zeigt, markiert und auf der Bühne … darstellt."
Ähnlich argumentiert Peter Jungblut in seiner Besprechung für den Sender BR Klassik des Bayrischen Rundfunks (12.3.2022). "Jonny wurde vor knapp 100 Jahren natürlich von einem weißen Sänger gespielt, der auf schwarz geschminkt war. 'Blackfacing' heißt das und geht natürlich heute gar nicht mehr", stellt er klar. Dass der schwarz geschminkte Hauptdarsteller jetzt trotzdem "kein Aufreger" gewesen sei, so der Kritiker weiter, liege darin begründet, dass Peter Lund "alle Mitwirkenden als Karikaturen der zwanziger Jahre" zeige: "Der geschäftstüchtige Musikunternehmer ist ein übergewichtiger Jude, der junge Komponist ein bleicher Hänfling, die Sängerin eine Wiedergängerin der damals weltbekannten Ausdrucks- und Nackttänzerin Anita Berber, das Dienstmädchen ein Colombina-Zerrbild aus der Commedia dell'arte, der blasierte Star-Geiger Daniello eine Art Rudolph Valentino. Allesamt also Projektionsflächen für die Vorurteile des letzten Jahrhunderts, die soviel Unheil angerichtet haben und noch anrichten."
Laut Michael Stallknecht von der Neuen Zürcher Zeitung (23.3.2022) habe Regisseur Peter Lund "genau das getan, was im Diskurs über das 'Blackfacing' immer wieder gefordert wurde: Er kontextualisiert es, unterstützt von einem Artikel im Programmheft. Natürlich hätte er auch einen schwarzen Sänger beschäftigen können, sah aber gerade im Umgang mit dem weissen Ensemblemitglied eine Möglichkeit, das Schminken kritisch zu reflektieren." Das Münchner Beispiel zeige, "wie schnell sich der Diskurs radikalisiert hat – und wie aggressiv er geworden ist". Die Protestierenden unterlägen einer "religiösen Grundstruktur der Bewegung, die nichts anderes als ein Tabu errichtet. Wie im Judentum oder Islam die Abbildung Gottes untersagt ist, verfällt die Darstellung eines Schwarzen durch einen Weissen einem Bilderverbot."
Mit Blick auf die "Dekonstruktion" des Blackfacing bei Josephine Baker, die sich in den 1920er Jahren selbst ein Blackface malte, kritisiert Marlen Hobrack im Freitag (9.4.2022) die Gärtnerplatz-Inszenierung: Da "bereits der ursprünglichen Aufführungspraxis von Jonny spielt auf koloniale und rassistische Denkweisen anhafteten, die Schwarze als Wilde oder tier- und naturhaft charakterisierten, bedarf die Reinszenierung dieser kulturellen Praxis einer radikalen Brechung. Das fehlt bei Lund. Sich im 21. Jahrhundert darauf zu berufen, dass man auf der Bühne lediglich darstelle, was zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal Theater- und Operntradition war, ist ein künstlerischer Offenbarungseid."
(cwa / chr)
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Wir sind wütend, irritiert und schockiert aufgrund der Bilder, die uns vor einigen Tagen aus dem Gärtnerplatztheater erreicht haben. In der Oper "Jonny spielt auf" hielt es das Produktionsteam für eine gute Idee, die Hauptfigur, die als Schwarzer amerikanischer Mann geschrieben ist, weiß zu besetzen und in blackface auftreten zu lassen.
Die nun aufflammende Diskussion könnte und sollte an dieser Stelle eigentlich beendet sein. Blackface ist eine rassistische Praktik und hat in einer Produktion, die in diesem Jahrtausend entsteht, nichts zu suchen. Da es aber allem Anschein nach auch 2022 noch immer Aufführungen wie die oben Genannte gibt, drehen wir nochmal eine Extrarunde.
"Blackface" entstand als grundlegend rassistische Praxis in den USA der 1830er Jahre. Weiße Darsteller*innen schmierten sich Kohle in's Gesicht, akzentuierten grob Mund und Augenpartien. Die sogenannten "Minstrelshows" wurden genutzt, um über Schwarze Menschen als "die Anderen" zu sprechen - und vor allem zu lachen. In den stark segregierten USA hatten Schwarze Menschen keine Möglichkeit, künstlerisch zu wirken oder sonstwie am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, Sklaverei war tägliche Praxis. In Blackfacing-Shows wurden Schwarze Menschen noch zusätzlich rassistisch degradiert, indem sie stereotypisch essentialisiert wurden auf das Bild des dauerglücklich-naiven Schwindlers, der nur zur Belustigung der weißen Zuschauer*innen existierte. Die geblackfacede Figur des Jim Crow wurde namensgebend für eine Reihe von Gesetzen, die der Rassentrennung dienten.
Die Verantwortlichen der diesjährigen Inszenierung von "Jonny spielt auf" am Gärtnerplatztheater versuchen, sich mit dem Argument der "historischen Genauigkeit" aus der Verantwortung zu flüchten. In der Originalinszenierung von 1928 war der Hauptdarsteller ebenfalls ein weißer Mann in Blackface, daher müsse er es auch heute sein.
Mit anderen Worten: Es wird unkritisch Rassismus von vor knapp 100 Jahren reproduziert. Hier ist keine Reflexion, kein Abstand, keine kritische Haltung erkennbar. Das Argument wird noch dünner, wenn kurz später riesige Videoprojektionen über das Bühnenbild flimmern – hier war eine Veränderung der Originalinszenierung anscheinend kein Problem.
Wir sind uns darüber bewusst, wie pikant es ist, die Inszenierung am Gärtnerplatztheater zu kritisieren: Die Verantwortlichen werden nicht müde, zu erwähnen, dass die Originalinszenierung in den 20er/30er Jahren häufig von Nationalsozialisten gestört und unterbrochen und schließlich als "entartete Musik" gebrandmarkt wurde. Uns geht es in diesem Post aber keineswegs darum, jemanden in seiner Kunstfreiheit einzuschränken oder Verbote auszusprechen. Wir möchten lediglich zweierlei:
1. Eine Antwort auf die Frage, wie es einem Produktionsteam im Jahr 2022 passieren kann, so unverhohlen rassistische, verletzende Bilder zu reproduzieren. Wurde während der Entstehung mit einer Person vom Fach, vielleicht einer Diversitätsbeauftragten gesprochen? Ohne in die Repräsentationsfalle tappen zu wollen, müssen wir an dieser Stelle auf das rein weiße, cis-männliche Team aus Regie/Dramaturgie/musikalische Leitung/Bühne hinweisen. Es entsteht das Gefühl, dass kein BIPoC an entscheidender Stelle mitgewirkt hat – dass also wieder nur über "die Anderen" gesprochen wird.
Als Zusammenschluss von migrantisierten und jüdischen Theaterschaffenden ist es uns ein ernstes Anliegen, Produktionen wie "Jonny spielt auf" nicht unkommentiert zu lassen: In den nächsten Wochen ist der Abend mehrmals als Kinder- und Jugendtheater angesetzt und es ist nicht zu erwarten, dass dem jungen Publikum ein Rahmen gegeben werden wird, der ihnen eine historisch-akkurate Einordnung des Dargestellten ermöglicht. Die Verantwortlichen des Abends scheinen diesen Rahmen selbst nicht zu besitzen.
euer
Stabiler Rücken
(Anm. d. Red.: Auf der Website des Gärtnerplatztheaters ist kein Foto des Blackfacings zu finden, im Trailer zur Inszenierung ist der Schauspieler mit dem schwarz angemalten Gesicht jedoch zweimal im Hintergrund zu sehen – zum Beispiel zwischen 00:15 und 00:17.)
Hätten die Angegriffenen stattdessen das Rückgrat und ließen die Shitstorms an sich abperlen, würde sich diese "Bewegung" irgendwann totlaufen. Aber so verfestigen die Angegriffenen die Cancel-Macht der Angreifer.
Wie traurig und wie schwach!
Der Tonfall dieses „Shitstorms“ auf Facebook macht einen nur wirklich traurig. So dogmatisch, unerbittlich und überzeugt von sich selbst und mit grundsätzlich aggressivem Ton, fragt man sich, wie in Zukunft andere Debatten geführt werden sollen.
Mittlerweile finde ich aber wirklich viel ärgerlicher, wie Theaterleitung und Macher mit diesem Fall umgehen. Peter Lund hat in einem Interview vor der Premiere gesagt, er sei bereit den kontroversen Einsatz des „Blackfacing“ in diesem Fall zu verteidigen. Gibt es eine Stellungnahme von ihm dazu? Gibt es einen Versuch mit den Kritikern ins Gespräch zu kommen? Ich habe nichts gefunden.
Und wie kann man so eine halbherzige Stellungnahme verfassen wie das Gärtnerplatztheater, dessen Intendant Köpplinger sich in so einem hohe Wogen schlagenden Fall dazu nicht mal namentlich bekennt und sein Verständnis von Theater und was Theater darf im Bezug auf diese Produktion erläutert - sondern in den Statements immer nur von der „Theaterleitung“ die Rede ist?
Denn letztlich ist doch der Umstand, dass man die Produktion jetzt einfach ohne das „Blackfacing“ spielt, das große und lächerliche Eingeständnis, dass es also wirklich eine völlig unnötige und schwach durchdachte Idee war.
Was für eine vertane Chance für die so wichtige Diskussion, was man auf dem Theater zeigen darf!
Gesellschaftlicher Diskurs sieht anders aus. Und - da bin ich voll und ganz bei Ihnen - hier ist eine an sich gut vorbereitete Chance leichtfertig vertan worden, einen solchen zu führen.
Herrjeh ... wieviel Ignoranz ist eigentlich möglich?!
Vor über zehn Jahren erfuhr diese Debatte/der gesamte damit assozierte Themenkomplex ein neues Initial im deutschsprachigen Raum. Seit dem ist auf so vielen Ebenen, in allen erdenklichen Formaten dazu gedacht, debattiert, gestritten worden. Allein hier auf nachtkritik.de gibt es dazu ein umfangreiches Dossier (frei zugänglich) mit Hunderten von Kommentaren.
Wie sagte eine von mir sehr geschätzte Professorin einst: "Denken tut nicht weh." - Lesen würde hier sogar erst einmal ausreichen ...