Berliner Volksbühne wappnet sich gegen erneute Besetzung
16. September 2022. Der Intendant der Berliner Volksbühne René Pollesch warnt seine Mitarbeiter:innen in einem internen Schreiben vor einer Besetzung des Theaters und ruft sie zu erhöhter Aufmerksamkeit auf. Das meldet die Berliner Zeitung, der das Schreiben vorliegt, dessen Echtheit die Presseabteilung des Theaters bestätigt habe.
In Polleschs Schreiben heißt es der Berliner Zeitung zufolge, dass die Theaterleitung Informationen über eine "in ungefähr 14 Tagen, ggf. auch früher" geplante Besetzung erreicht hätten. Die Leitung habe die Kulturverwaltung und die Polizei verständigt. "Um unsere Arbeit fortsetzen zu können, haben wir uns entschieden, im Falle einer Besetzung die sofortige Räumung der Volksbühne zu veranlassen."
Die Volksbühne war vor fünf Jahren schon einmal besetzt worden. Damals hatte Pollesch sich mit den Besetzer:innen der Gruppe "Staub zu Glitzer" solidarisiert, nach seinem Intendanzantritt jedoch "gab bzw. gibt es trotz zahlreicher Begegnungen keinen Konsens für eine künstlerische Zusammenarbeit", so die Pressestelle der Volksbühne.
(Berliner Zeitung / sd)
Mehr zur Besetzungsgeschichte der Volksbühne:
Im Bann der Erynnien – Bilanz der ersten Volksbühnen-Spielzeit von Intendant René Pollesch von Esther Slevogt und Janis El-Bira (7/2022)
Bemerkungen zur Besetzung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - Kommentar zur Besetzung von Sophie Diesselhorst (9 / 2017)
Was also läuft denn schief an der Volksbühne, dass eine Besetzung droht, wo ist der eigene Narzissmus im Wege, wie kann der Satz "um unsere Arbeit fortzusetzen" alles legitimieren.
Besetzung kann auch Performation und politische Willenserklärung sein und auch Pollesch hat die Volksbühne, die ja öffentliches Eigentum ist, nur geliehen, auch wenn er förmlicher Hausrechtsinhaber ist. Aber diese PM ist eine Bankrotterklärung - als würde die eigene Kunst zur Farce, denn traurig sind wir sowieso.
es handelt sich hier, dem Anschein nach, nicht um eine öffentliche Drohgebärde (weil nicht um eine Pressemitteilung) sondern um ein hausinternes Schreiben.
Von Narzissmus zu sprechen, weil die Theaterleitung Gegenmassnahmen erwägt und die Belegschaft informiert, erscheint mir etwas übertrieben.
"Die Besetzung (2017) war flür mich die beste Theaterinszenierung des Jahres."
Jetzt steht in der Meldung „trotz zahlreicher Begegnungen“
Also nichts mit „als allererstes mit der Polizei droht, statt auf eigene Formen der De-Eskalation zu vertrauen“ wie Sie geschrieben haben.
1 2 POlizei? (und die Fascho-Chats freuen sich über neue Daten von "linksextremen" KünstlerInnen?)
So ein Schreiben ins Haus hinein wirkt doch gruselig. Wie wenig Vertrauen besteht denn da grundsätzlich zwischen Leitung und Belegschaft? Und in den Diskurs? Also da bin ich jetzt schon enttäuscht - wenn auch nicht überrascht.
Castorf-Nachfolger Chris Dercon versuchte es trotzdem, den Tanz an die Volksbühne zurückzuholen. Obwohl bei Anna Teresa de Keersmaeker die Tänzer ohne Bühnenbild im leeren Raum zu tantiemenfreier Musik von Johann Sebastian Bach herumsprangen, waren die Subventionsmillionen vorzeitig futsch und Dercon musste gehen.
(...)
Rene Pollesch kann man nun Erfolg auf ganzer Linie bescheinigen. Nicht nur ist es ihm gelungen, das Sprechtheater an seinem Haus derart billig zu produzieren, dass sich die Volksbühne in Gestalt von Florentina Holzinger erneut eine hausinterne Tanzcompanie zu leisten vermag. Mit der Auslagerung seiner Sprechtheaterinszenierungen ans Deutsche Theater, sowie einer Verkürzung seiner kammerspielartiger Fliessbandstücke am eigenen Haus (die man verglichen mit den Marathon-Sitzungen seiner Vorgängers Castorf nur als Kurzstrecken bezeichnen kann) ist es offenbar sogar gelungen, Frau Holzinger nennenswerte Etats für opulente Bühnenbilder freizuschaufeln.
(...)
Wenn es in gewissen Kreisen unserer Stadt trotzdem aktionistische Überlegungen geben sollte, die Volksbühne abermals zu besetzen, haben Pollesch und Holzinger die Latte, die es zu überspringen gilt, eindeutig höher gelegt. Denn jede Besetzung durch BH- und Unterwäsche tragende Okkupanten läuft künftig Gefahr, als „rechts“ geframet zu werden und den unerwünschten Beifall der Berliner AFD-Fraktion auf sich zu ziehen.
(Der Kommentar wurde an zwei Stellen gekürzt, da diese unbelegte Behauptungen enthielten.
Mit herzlichen Grüßen aus der Redaktion: jeb)
Die Volksbühne wurde am Ende von Franz Castorfs Intendanz auch wegen ihrer Hermetik kritisiert. Ein Jahrzehnt davor war das Haus sehr offen, es wurden Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen ausgerichtet, für die man verschiedene politische Gruppen angesprochen hatte. Man hat also das gemacht, was zuletzt die Volksbühnenbesetzerinnen von Chris Dercon forderten: eine Öffnung des Theaters für Leute, die mitgestalten wollen, die mit ihren Argumenten und Strategien vielleicht die Gestaltung sogar vereinfachen oder zumindest auf wichtige vernachlässigte Momente wieder aufmerksam machen können. Etwa auf die Wohnungssituation in Berlin, indem zum Beispiel im Theater ein Parlament der Wohnungslosen aufgemacht wird. Die Volksbühnenbesetzerinnen hatten alle politischen Gruppen in der Stadt angesprochen. Es war alles abgedeckt, eigentlich ein Riesenprogramm für Dercon. Vor allem, weil er ja selbst nichts hatte, was er zeigen konnte.
Stattdessen rief Dercon die Polizei, damit die Volksbühne geräumt wird.
Da war ich auch erstaunt. Zumal ich dachte, dass Dercon die Hermetik der Volksbühne wieder rückgängig machen und junge Talente ansprechen würde, wie Matthias Lilienthal das am HAU gemacht hatte. Und dass das eigentlich sein Erfolgsmodell wäre. Lilienthal brauchte einfach Content, der nicht viel kostet.
Die Projekte, die bei Matthias Lilienthal am HAU in Berlin-Kreuzberg herauskamen, entstanden oftmals in prekären finanziellen Arbeitsverhältnissen.
Das ist ein Problem: Ich bin nicht für eine Hermetik, aber ich bin auch nicht für das unbezahlte Arbeiten. Man müsste da einen Modus finden. Die Volksbühnenbesetzerinnen waren auch da aktiv: Sie haben sich Modi ausgedacht, wie eine gerechte Bezahlung an einem Theater funktionieren könnte.“ www.tagesanzeiger.ch/sexismus-ist-ein-repraesentationsproblem-883509788621
Will heißen: Es ist richtig, dass die großen Häuser viel zu bürgerlich sind, was ihr Ensemble, ihr Publikum und ihre ganze Ausrichtung angeht. Aber das muss strukturell geregelt werden, durch eine neue Politik, und nicht durch die Besetzung eines Hauses.