Medienschau: Süddeutsche Zeitung – Marina Davydova über Russland + den Krieg
Plötzlich ist nichts mehr da
Plötzlich ist nichts mehr da
15. Dezember 2022. "Es gab eine riesige theaterinteressierte Öffentlichkeit, nicht nur in Moskau oder Sankt Petersburg, auch in Nowosibirsk, Perm, in kleinen Orten, wo man es nie vermutet hätte," sagt die russische Kritikerin und Kuratorin Marina Davydova im Interview mit Sonja Zekri.
"Aber jetzt fliehen die Kulturschaffenden nach Berlin, Tiflis, Istanbul, Riga, eine gigantische Diaspora ist entstanden, während das kulturelle Leben in Russland in rasender Geschwindigkeit zerstört wird. Mich erinnert das an die Jahre des Stalinismus. Politisch war Russland zwar seit Jahrhunderten eine Despotie, kulturell im 18. und 19. Jahrhundert hingegen engstens mit dem Westen verbunden. Selbst die Revolution von 1917 hat daran nichts geändert, im Gegenteil, die linken avantgardistischen Strömungen in der Sowjetunion waren verwoben mit linken avantgardistischen Strömungen im Westen. Unter Stalin begann nicht nur ein Kampf gegen diese Strömungen – das ganze Land sollte von Europa, vom Westen abgeschnitten werden."
"Ich schaue zurück auf alle meine Anstrengungen - auf das Moskauer NET-Festival beispielsweise, das ich 23 Jahre lang mit aufgebaut habe, auf meine Zeitschrift TEATR, die ich seit 2010 herausgebe. Das war mein Leben. Und plötzlich, mit einem Schlag, ist nichts mehr davon da."
Auf die Frage, ob es Einwände gegen ihre Ernennung gab, antwortet die neue Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele: "Wenn, dann habe sie nicht mitgekriegt. Die Einordnung in Kategorien wie "ukrainischer Künstler" oder "russische Künstlerin" lehne ich ohnehin ab. Die zeitgenössische Theaterkultur ist sehr kosmopolitisch, eine Unterscheidung in nationale Kulturen ist so schwierig wie sinnlos. Mehr noch, man hört heutzutage oft die Auffassung, dass der Mensch nichts anderes ist als die Gesamtheit seiner Identitäten aus sozialer Herkunft, Gender, Staatsangehörigkeit. Für mich ist das eine archaische Vorstellung vom Menschen."
(Süddeutsche Zeitung / sle)
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