Das Libretto 2. Teil

20. Dezember 2009. Wie sie wissen – und für alle anderen sagen wir es hier noch einmal – verließ Carlos Palabras, Mister Poetry wie Felicitas sagt, im Sommer unsere schöne deutsche Heimat und ging zu Schiff nach Chile. Seine Schwester hatte Drillinge geboren, und obwohl Dulce Sugar virtuell schwer schlucken musste, fuhr Carlos und kündigte seine Rückkehr für Oktober an. Es ward Oktober, ward November und der Dezember brach an keine Nachricht von Palabras. Dann endlich, kurz vor der Heiligen Nacht, eine große Überraschung. Mit den besten Grüßen und Küssen an alle Zurückgebliebenen sandte Carlos ein Manuskript – den aus den Materialien des Sommers gewonnenen zweiten Teil des Librettos der Afrikanischen Oper.

Die nachtkritik-Redaktion hat ihr Möglichstes getan, um diesen Text rechtzeitig vor dem Jahreswechsel allen interessierten Lesern zugänglich zu machen. raphael, spricht von einem "leserlichen Teppich den wir jetzt nur noch zum Fliegen bringen müssen..." Posted 18.07.2009 01:26:06.

I.

Der gestrandete Wal, dessen Haut verbrennt, weil er sich aus dem Meer in eine flache Bucht verirrt hat.

Die kleine Maus, die sich übermütig aus ihren schützenden Gängen hinaus aufs Feld begibt, weil sie eine Nuss gesehen hat - und von oben stürzt der Habicht auf sie herab.

Die Zuschauerin, die im Kino zu laut lacht und sich mit ihrem Nachbarn austauscht, und welcher, als sie zur Toilette geht, so im Vorbeigehen ein Bein gestellt wird.

Der Star, der sich eitel vor den Kameras dreht, und von dem eines Tages ein unvorteilhaftes, entstellendes Foto auftaucht, das wie ein Lauffeuer die Runde macht.

Der Geschäftsmann, der sich mit seinen Erfolgen und seiner Kohle brüstet wie ein Gockel, und der eines Tages von seinen besten Geschäftsfreunden hereingelegt und im Stich gelassen wird.

Der Forscher, der sich auf der Jagd nach besonders spektakulären Aufnahmen des Naturschauspiels zu nah an den Vulkan gewagt hat.(1)


II.

"Kunst um der Kunst willen ohne Zweck. Jeder Zweck verdirbt die Kunst. Doch erreicht die Kunst gerade den Zweck, den sie nicht hat."(2)


III.

"Abschied heißt, die vielen Nebel unserer Vergangenheit zu durchkämmen. Ein wenig von der Macht der Gegenwart Abstand zu nehmen und das Damals mit seinen glänzenden Erinnerungen zu überblicken. Der Abschied beschattet alles mit einem mystischen Schimmer, der tief in dir Worte zu wecken vermag, über die dein Verstand nur seine Wahrheit senken kann." (3)


IV.

Alle Menschen groß und klein
Spinnen sich ein Gewebe fein,
Wo sie mit ihrer Scheren Spitzen
Gar zierlich in der Mitte sitzen.
Wenn nun darein ein Besen fährt,
Sagen sie, es sei unerhört,
Man habe den größten Palast zerstört.

Goethe, West-Östlicher Divan (?) (4)

V.

Wo sich im Spiel der Könige die Kräfte messen,
darf man den Geist des Weines nicht vergessen.
Auch das gehört zu den Gepflogenheiten,
den Gast geschützt nach Hause zu begleiten.
Wird man mit Gastlichkeit bedacht,
den ganzen Tag bis in die Nacht.
Es war schon immer so:
wenn einem so viel Schönes wird beschert,
das ist schon einen Asbach Uralt wert. (5)


VI.

"Sie sah den Zwiespalt, hier den Willen der Männer, im Dienst der Partei zu stehn, die die fortschrittlichsten Kräfte sammeln solle, dort das Karrierebedürfnis, die Geltungssucht. Hinter dem Kampf gegen Unrecht und Ausbeutung stand der Kampf der Männer untereinander, und dieser Kampf wurde ebenso rasend geführt wie der gegen den äußern Feind." (Peter Weiss, "Ästhetik des Widestands") (6)

"Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht geknüpft. Er ist nur ein Strang darin. Was er dem Netz antut, tut er sich selbst an." (7)


VII.

" … Mirabel wandte sich an den Lyriker:"Das heißt, es blüht dein Stück. Hm?" Da sagte Vandreyst seiner Muse mit einer Verbeugung: "Entschuldigen Sie – " und kam ungern zurück aus der opalnen Welt; aber das Missverständnis war auch zu arg: "Nein", betonte er, "das heißt, ich bin zu traurig jetzt. Das heißt, es ist jetzt die Zeit, wo die Natur alles Werden missversteht, das heißt, dass ich müde bin – müde dieses wunden Keimens."

"Aber verzeih", der Romanschreiber tippte ihn mit dem modegrünen Handschuh auf die Schulter, "das mag ja sein, aber das ist doch nicht Frühling." Und der Maler dachte: nein, das ist nicht Frühling. "Im wunderschönen Monat Mai", deklamierte der Schauspieler. "Einst", hauchte der Dichter und machte eine Bewegung mit der Hand, mit welcher er dieses Einst noch weiter zurückdrängte, "einst war das vielleicht so, wie es in alten Gedichten steht – der Frühling: `Licht und Liebe und Leben´. Wer das noch glaubt, belügt sich." Er seufzte tief. Wie schade, dachte der Maler, also kein Frühling mehr.

Vandreyst aber erhob sein Gesicht, das durch große Sommerflecken entstellt war, hoch in das klare Nachmittagslicht und konnte durch das Fenster gerade die Rampe des Nationaltheaters sehen, längs welcher ein Security-Guide auf und nieder ging. Das wollte er nun gerade niemandem zeigen, allein er sagte gleichwohl: "Schaut nur hinaus. Dieser Kampf mit den blöden brachen Schollen, den jeder der feinen schwachen Keime kämpfen muss, um zu seinem Sommer zu komen. "Hier", und er schraubte sich noch ein wenig höher – "steht die hilflose Blüte und will blühen; das ist das einzige, was sie kann, sie kann nur blühen, und sie will wirklich niemanden stören damit, und doch sind alle gegen sie: die schwarzen Krumen, die sie nur nach langem Bitten durchlassen, die Tage, die wahllos Wärme und Regen und Wind auf sie herabstreuen, und die Nächte, die sich langsam an sie heranschleichen, um sie zu würgen mit ihren eisigen Fingern. Dieser feige, traurige Kampf, das ist der Frühling." Vandreyst fröstelte, seine Augen starben.

Mirabel sah ihn ganz starr an. Das war etwas sehr ungerechtes, was der Dichter sagte, schien ihr, und sie hatte vieles dagegen im Sinn. Es drängte sie, aufzustehen und hochragend und heiter den Frühling zu verteidigen, der dennoch voll Sieg und Sonne war. Ihr stiegen so viele schöne Gedanken in den Kopf, dass ihr die Wangen ganz warm wurden und sie eine Sekunde das Atmen vergaß ..." (8)


VIII:

(unterlegt mit trommelrhythmus)

"... oh, wandlungsfähige trommel dort vorn in der ecke!
sei mein reittier, mein hirsch und meine hirschkuh.
sei still, dröhnende trommel,
füge dich meinen wünschen.
wie jagende wolken, trage mich
durch die lande der dämmerung
und unter bleiernen himmel dahin,
fliege wie der wind über die gipfel der berge!"


IX.

Aus 'Lyrik zur Missionsgeschichte', (leider vergriffen):

Oh Afrika mein heller Kontinent
leuchtend hell
von der Sonne geküßt
von der Sonne verbrannt
seit der Weiße
der Wilde
seine Hand
an uns gelegt hat
mit seinen Zähnen hat er uns gerissen
unser Fleisch gefressen
unsere Wüste entleert
durch seinen Blick darauf
vorher
war sie Universum
war sie Welt
jetzt ist sie Nichts
bloß voller Sand
unsere Hütten können wir wieder aufbauen
mühsam zwar
aber es geht
unsere Hütten können wir wieder aufbauen
doch das Herz der Wüste
im Innersten
getroffen
braucht Jahrhunderte
um wieder zu schlagen
Gott, hilf!
aber du bist ein Fremder hier
so bleich und tot wie deine Jünger
Gott, hilf!
Flüstern wir leiser
Irgendwo
Irgendwann
wird dieser Ruf ein Echo erzeugen
und aus dem Hall
ein Anfang
ein neues Wort
entstehen
und dann
ja dann, liebe Freunde
dann kann ich Christ sein
und bleiben

Batista Bomyana (10)


X.

Gott schuf das Meer, wir das Schiff. Gott schuf den Wind, wir die Segel.
Gott schuf die Windstille, wir die Ruder. (11)


XI.

Wenn wir keinen Feind in uns tragen, dann kann uns der Feind draussen nichts anhaben Fehler sind wie Berge, man steht auf dem Gipfel seiner eigenen und redet über die der anderen.
Hausa

Wer Fragen stellt muss auch akzeptieren dass er Antworten bekommt.
Kamerun (12)


XII.

Zwischenspiel mit Reinhard Mey (13):

"Zwei Hühner auf dem Weg nach Vorgestern", so steht es reißerisch auf dem Programm Modernes Schauspiel von Alfons Yondraschek, und inszeniert ist es von Moro Schlamm
Und Yondraschek ist dem geneigten Theaterkenner wohl bestens bekannt
Wird er doch gern zu Recht der Meister des irrealen Parasymbolismus genannt
Da hebt sich zögernd schon der Vorhang, das Bühnenbild zeigt "Nirgendwo"
Der Schauplatz ist bedrückend leer, das bleibt noch gut zwanzig Minuten so
Doch dann erscheint gleichsam dämonisch, in jähem Wechsel des Rampenlichts
Ein Mime halblinks auf der Bühne, und dann passiert lange Zeit nichts
Dann ruft er: "Ha! Wo steckt denn der Verräter?" Übrigens, der Held ist selbstverständlich nackt
Die Frage lastet bleischwer auf dem Publikum, und damit endet der erste Akt
Und jeder, der bis dahin folgen kann, und der sich mit Bildung auskennt
Der schätzt am ersten Akt vor allen Dingen des Dichters ungestümes Temp'rament

Da hebt sich gnadenlos der Vorhang, das Spiel nimmt unbarmherzig seinen Lauf
Der Held ist vorsichtshalber erst mal umgefallen, und nun steht er langsam wieder auf
Und wie das Leben nun mal spielt, trifft er zufällig einen zweiten Nackedei
Die beiden üben laut Sozialkritik und schlagen Purzelbaum dabei
Ein Kritiker klatscht stürmisch Beifall, er ist im Innersten wild aufgewühlt
Weil er hier all' seine Probleme endlich so recht verstanden fühlt
Derweil robbt sich aus der Kulisse der tückische Verräter auf dem Bauch
Der Weg ist lang, da schläft er ein, ein Teil des Publikums tut das auch
Der Held nimmt sich schnell einen Plastikbeutel, darin wird der Bösewicht verpackt
Und er begießt ihn mit drei Eimern Farbe, und damit endet der zweite Akt
Und jeder, der bis dahin folgen kann, und der sich mit Bildung auskennt
Der schätzt am zweiten Akt vor allen Dingen das gesellschaftskritische Moment

Im dritten Akt erfolgt die Läuterung des buntverpackten Bösewichts
Die Spannung wird schier unerträglich, man hört sie knistern, sonst hört man nichts
Die Läuterung findet im Plastikbeutel und zudem völlig geräuschlos statt
Wohl dem im Saal, der Butterbrote oder eine Thermosflasche bei sich hat
Alsdann kommt ein maskierter Sprech-Chor und ruft: "Oh seht, der Held erfriert!"
Dabei war das nun wirklich nicht nötig, denn das Theater wird subventioniert
Ein Poltern hinter den Kulissen verheißt ein grässliches Schicksalssymbol
Denn nun kommt der tragische Höhepunkt – verkörpert von Frau Emma Pohl
Frau Pohl tritt von rechts auf die Bühne und ruft: "Das hier ist ein anständiges Haus!"
Und sie entkleidet sich zum Schrecken aller, doch da ist Gottseidank das Drama aus
Und jeder, der bis dahin folgen kann und der bislang auch noch nicht pennt
Der ist entweder nicht ganz klar im Kopf oder Theaterkassenabonnent." (14)


XIII.

(Die Sonne geht auf in der Savanne. Die Afrikaner liegen mit weißen Skeletten bemalt, schlafend, nur in Lendenschurzen, auf dem Boden, mitten unter ihnen liegt ein mit Fellen behängter Schamane. Ein Kommandant in Kapitänsuniform kommt herein, pfeift kurz auf der Trillerpfeife, die Schwarzen blicken auf. Der Kommandant spricht durch ein Megafon:)

Hier spricht General Motors. Ihr Luschen, aufstehen und fertigmachen zum Morgenappell!

(Die Afrikaner stehen etwas unwillig, aber gehorsam auf und fangen an, einen Stammestanz aufzuführen, ihre weiß bemalten Körpern winden sich im Licht. Der Schamane trommelt und singt:)

ein abend in der regenzeit.
eine herde gazellen ist zum trinken an den fluß gekommen.
die zeichnung ihrer felle ist harmonisch.
von weitem dachte man, daß der schöpfer dieser kreaturen an die regenzeit gedacht hat.

(Die Afrikaner antworten im Chor und während sie singen, tanzen sie sich in Trance:)

an diesem abend, wo die zeichnung ihrer felle
eins wird mit den farben der natur.
ich bezweifle, jemals wieder die gelegenheit zu haben,
ein so volkommenes, natürliches bild zu sehen.

später gehen sie weg auf einem von büschen gesäumten pfad,
der den kleinen berg hinaufführt.
in der ferne berührt der gipfel des kleinen berges den himmel.
welche vollkommene harmonie der natur.

(Die ganze Zeit befinden sich ein Haufen weiße Hühner. Sie picken friedlich vor sich hin. Jeanne d’Arc wirbelt als personifizierte Wahrheit herein und tanzt einem kurzen Solotanz mit Messern. Die Afrikaner staunen. Jeanne d’Arc:)

Nieder mit dem Glück der Unterwerfung. Es lebe der Haß, die Verachtung, der Aufstand, der Tod. Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen.

(Nacheinander greift Jeanne d’Arc nach den Hühnern und schlachtet sie ab. Der Chor singt nicht mehr, sondern weicht erschrocken zurück.) (15)


XIV.

(Nach dem Gemetzel fliegen auf der Bühne überall wild die Federn umher, Blut ist geflossen und Jeannes Nachthemd ist rot gesprenkelt. Sie tobt immer noch. Auftritt sugar und Feli in Nachthemden als die Schwestern der Wahrheit, Vernunft und Sanftmut! Sie laufen auf Jeanne zu und flehen sie an:)

Wahrheit, was hast du getan! Komm zu dir, sieh uns an, wir sinds deine Schwestern Sanftmut und Vernunft!

(Die Afrikaner machen große Augen und kommen wieder etwas näher. Die Schwestern nehmen die völlig aufgelöste Jeanne in ihre Mitte, ihr Haar hängt wirr ins Gesicht, sie schaut uns mit irrem, entmenschlichtem Ausdruck an. Die Schwestern beruhigen sie kraft ihrer Anwesenheit und halten sie fest, voller Verständnis. Da bricht sie zusammen, schlägt die Hände vors Gesicht:)

Bringt mich fort von diesem Ort - - so will ich nicht weiterleben.

(Die Afrikaner schauen sich fragend und ratlos an und sehen uns Dreien hinterher, wie wir die Bühne verlassen. Kapitän General Motors tritt auf:)

Was habt ihr angerichtet, ihr nichtsnutzigen Eingeborenen mit euren verrückten Woodoo-Ritualen, seid ihr wahnsinnig geworden?

(Er dreht sich um, geht ab, dabei drohend:)

Das wird ein Nachspiel haben, alles weitere habt ihr euch selber zuzuschreiben.

(Die Afrikaner stehen vor Schreck ganz erstarrt und drehen sich nach dem Schamanen um, der immer noch in Trance dasitzt.) (16)

 

XV.

Les funérailles d’un cheval. Vor längerer Zeit hatten wir eine junge Agraringenieurin in "unserem" Gebiet. Ich werde sie Agra nennen. Agra hatte den Auftrag Brunnen zu graben und Gärten anzulegen. Außerdem sollte sie unser Pflugprojekt befördern. Zu diesem Zweck kaufte sie einen Pflug und ein Pferd. Das Pflugprogramm lief schlecht, das Pferd war arbeitslos. So wurde es Agras Reittier und mit der Zeit "ein guter Freund". Eines Tages war das Pferd tot. Agra war außer sich: sie weinte, klagte und schrie. Sie war nicht mehr zu beruhigen. Da hatten die Afrikaner eine Idee: Sie sagten ich, dass sie das Pferd nach afrikanischem Ritus beerdigen würden, dann könne es eingehen zu seinen Ahnen. Sie begannen eine große Grube auszuheben. Agra beruhigte sich. Als das Loch etwa 10 cm tief war erklärten sie Agra müsse nun gehen, bei der eigentlichen Beerdigung dürfe sie nicht dabei sein, denn dann könne das Tier sich nicht trennen und fände nie den Weg zu den Ahnen. Agra sah das ein und ließ sich zurück ins Haus führen. Kaum war sie verschwunden begann eine fieberhafte Arbeit. Eine Gruppe schippte die Grube wieder zu und überstreute sie mit Blüten und Blättern. Eine zweite Gruppe zerlegte das Pferd in portionsgroße Stücke, mit Fleischermessern vom nahen Markt. Die dritte Gruppe besorgte einen Eselskarren um die Knochen zu entsorgen. Als alles fertig war überstreute man die Blutlache mit loser Erde und trat sie fest.
Dann holte man Agra. Die vergoss noch ein paar Tränen aber konnte endlich Abschied nehmen.
Das Pferd aber wurde noch am gleichen Abend würdevoll beerdigt – in den Kochtöpfen von etwa 10 Familien. (17)

 

XVI.

(Die Afrikaner gesellen sich ehrfurchtsvoll um den Schamanen und sehen ihn erwartungsvoll an. Er murmelt vor sich hin, afrikanisches Kauderwelsch, schließlich verstehen wir:)

Oh Afrika
mein heller Kontinent
leuchtend hell
von der Sonne geküßt
von der Sonne verbrannt
seit der Weiße
der Wilde
seine Hand
an uns gelegt hat
mit seinen Zähnen hat er uns gerissen
unser Fleisch gefressen
unsere Wüste entleert
durch seinen Blick darauf
vorher
war sie Universum
war sie Welt
jetzt ist sie Nichts
bloß voller Sand
unsere Hütten können wir wieder aufbauen
mühsam zwar
aber es geht
unsere Hütten können wir wieder aufbauen
doch das Herz der Wüste
im Innersten
getroffen
braucht Jahrhunderte
um wieder zu schlagen
Gott, hilf!
aber du bist ein Fremder hier
so bleich und tot wie deine Jünger
Gott, hilf!
Flüstern wir leiser
Irgendwo
Irgendwann
wird dieser Ruf ein Echo erzeugen
und aus dem Hall
ein Anfang
ein neues Wort
entstehen
und dann
ja dann, liebe Freunde
dann kann ich Christ sein
und bleiben

(Im Hintergrund auf Video begeben sich Tierherden des Abends zur Tränke, Gazellen, Kudus, Impalas. Wechselnde Sonnen-auf und -untergänge, vorbeiziehende Tiere, vertrocknende Seen, eventuell im Zeitraffer. Der Schamane erzählt die Geschichte Afrikas. Schließlich sehen wir auch Eingeborene, jagen, kämpfen, rituelle Handlungen begehen, das volle Programm. Sidibou beginnt im Hintergrund leise zu trommeln, das Orchester läßt ein paar Violinen zart schluchzen und seufzen, Sidibou Kaoré singt und trommelt dazu:)

In meinem auge silberschimmer- die wahrheit lässt sich nicht vertreiben, in meinem kopf der gold'ne sand- ich fühl' ihn, spür' ihn, grabe um, in meinem herzen rotes blut- wann darf ich mich ergeben dem ewigen, dem schmerz, dem großen? Es ist die zeit im wandel stets und der hoffnung untertan, der himmel kann sich noch so winden. Wahrheit! Silbern, golden, rot!
Ich wart' auf dich, du schwarze pest!

(Auf dem Video sind jetzt Szenen aus der Kolonialzeit zu sehen: Weiße, die Schwarze herumkommandieren oder ihnen etwas beibringen. Missionare. Diamanten-Minen und dann weiße Geschäftsleute, die Dollarscheine in Koffer packen. Ausbeutung, Hunger, Armut, Leid. Kinder mit hungrigen Augen und aufgeblähten Bäuchen. Aidskranke. Hilfsorganisationen mit Medikamenten und Milchpulver. Der Schamane murmelt immer noch mit eindringlicher Stimme seinen Text. Inzwischen haben die ihn umgebenden Afrikaner leise, bedächtig und fast unbemerkt begonnen, die Hühner zu rupfen und auszunehmen. Frauen tragen einen großen Kochtopf herbei, Holz wird für ein Feuer aufgeschichtet, die Hühner in den Topf gelegt und allerlei Kräuter hinzugegeben.) (18)

(Im Hintergrund zieht der der frisch verheiratete Christoph Schlingensief mit seiner jungen Frau als schwebendes Traumbild vorüber. Gefolgt von einem Tross BILD-Redakteure in Baströckchen.) (19)

(Unterdessen: Captain General Motors führt ein Telefongespräch mit Militärattachés im Ausland. Gegen die Aufständischen muss ein Luftangriff als Vergeltungsschlag verübt werden. Auf jeden Fall sollen Truppen herübergeschickt und in Alarmbereitschaft versetzt werden. Während die Hochzeitsgesellschaft mit den Eingeborenen ahnungslos feiert, am Lagerfeuer gemeinsam mit dem Schamanen und dem glücklichen Paar die gekochten Hühner verzehrt werden - und natürlich auch Jeanne, Feli, Sugar und Corinne einen schwesterlichen Schleiertanz aufführen, bahnt sich im Hintergrund in Gestalt der militärischen Bedrohung ein schreckliches Unheil an!) (20)

(Und auf einem Elefanten, auf dessen Rüssel die blonde Bayreuther Katharina balanciert, reitet dann noch der alte Wolfgang Wagner durchs Bild. Karl Laberfeld reißt allen (und sich selbst) mit dramatischer Geste die Masken vom Gesicht, und plötzlich starren lauter leere Spießerfratzen in die afrikanische Steppe.) (21)

(Alle Beteiligten hatten die Augen vor der Realität verschlossen. Schließlich war es die sozialverträglichste Lösung gewesen, dass die europäische Tochter an die Mutter GM zurückgehe. So endete der Aufstand:)

Die Regierung, die uns den Auftrag erteilt hat, hier auf Jamaika einen Sklavenaufstand zu organisieren, ist nicht mehr im Amt. Der General Bonaparte hat das Direktorium aufgelöst mit den Bajonetten seiner Grenadiere. [...] Die Welt wird was sie war, eine Heimat für Herren und Sklaven. [...] Was glotzt ihr. Unsere Firma steht nicht mehr im Handelsregister. Sie ist bankrott. Die Ware, die wir zu verkaufen haben, zahlbar in der Landeswährung, Tränen, Schweiß, Blut, wird auf dieser Welt nicht mehr gehandelt. [...] Ich entlasse uns aus unserem Auftrag." (22)

(Auftritt ein Trauerchor:)

Los, SINGEN, ihr Luschen! EURE KLEINE VERFICKTE GLOBALISIERUNG IST IRGENDWIE HIER BEI UNS UND DIE KRIEGT IHR AUCH NICHT RAUS MIT EINEM VERFICKTEN EXORZISMUS. GENTECHNIK PRODUZIERT KRANKHEITEN! (23)

 

FINIS

 

Anmerkungen:

Bei einem Opfer wird stets nur das Blut geopfert. Es gilt als Sitz der Seele (Anima), wie bei uns das Herz. Die teilnehmenden Hühner wandern immer in den Kochtopf. Bei großen Tieren wie Rindern, gibt es sogar festgelegte Regeln welches Teil in wessen Kochtopf landet.
Allerdings, das Rupfen der Hühner ist immer Frauensache

In Burkina gibt es keine Schamanen. Dafür gibt es andere interessante Figuren: den griot, den Erzähler und Sänger, der die Erinnerungen und Traditionen wach hält; den tengsoba, den Herrn der Erde, der Kontakt hält zu den Ahnen. Schließlich den naaba, den Herrn der Macht, der Herr ist über Rituale und Opfer, selbst dann wenn er selbst kein Animist ist sondern Christ ist oder Moslem.

Voodoo, das ist Benin. Er wird dort getragen von den Nachfahren ehemaliger Sklaven die aus Brasilien zurückkehrten. Sklaven die aus Burkina verschleppt wurden kehrten niemals zurück. (23)

Voudon kommt ursprüngliche aus dem Benin und Teilen Togos und wird auch in den Grenzregionen Burkinas praktiziert und ist mit der Verschleppung der Sklaven im 18. und 19. jahrhundert in die Karibik und nach Brasilien gelangt und hat sich da zum Woodoo überformt. (24)

"Es geht nicht um Kapitalismus oder Globalisierung. Wir sollten vom Menschen reden, warum Menschen sich auf dem Rücken von anderen bereichern? Wieso die Angst die Dinge beim Namen zu nennen? Ich sage es nochmal, der Mensch kann nur mit Verzicht, Bescheidenheit und Demut überleben." (25)

"Warum Menschen sich auf dem Rücken von anderen bereichern? Die Frage habe ich mir schon oft gestellt, und drüber nachgedacht. … Ich habe in der Familie früher auch Schokolade stibitzt, um alles für mich zu haben! Ganz für mich allein, und endlich mit niemandem teilen! Okay, das ist im Vergleich zu dem, was heute global abläuft, wirklich harmlos, aber mit diesem Impuls fängt es doch an, oder?" (26)

 

Und dann geht die ganze Diskussion wieder von vorne los:

"Übrigens gibt es bereits eine großartige afrikanische oper, http://www.zeit.de/2007/24/Sahel-Oper. schon eigenartig, dass in diesem forum eigentlich niemand auf die idee kommt und sich mal fragt, was die leute vor ort eigentlich für eine oper wollen ? das sagt doch eigentlich schon alles." (27)


"Feli. Fuck Faust. 1. Kommentar zur Afrikaskizze: Ich würde die Oper schlicht inszenieren. Roter Sand, gelbe Sonne am Himmel. Eine einzelne Pflanze in der Mitte. Ein alter Mann gießt die Pflanze. Eine Quelle links. Die wird bewacht. Die Bewacher tragen groteske Uniformen mit Kordeln und Ordensspangen. Die Schwarzen spielen die Weißen, die Weißen die Schwarzen. Maske etwa in der Art von Wildgruber in Zadeks Othello Inszenierung, etwas grotesk. Die Schwarzen (von Weißen gespielt) bewachen die Quelle. Sie tragen groteske Uniformen mit Kordeln und Orden. Ein Mann mit einem Koffer kommt. Neben ihm geht einer, der den Sonnenschirm für den Kofferträger trägt. Er stolpert. Der Koffer öffnet sich, Dollarnoten fliegen über die Bühne. Alle Statisten springen auf, hinter den Dollarnoten her. Der Kofferträger gibt ein Zeichen. Die Bewacher beginnen auf die Gruppe Statisten zu schießen. Der Sonnenschirmträger sammelt das Geld, steckt die Noten in den Koffer. Der Chor ruft: Lasst uns an die Quelle? Die Statisten gehen auf die Quelle zu. Sie rufen: Die Quelle gehört uns. Der Mann mit dem Koffer ruft: Ich bin von Siemens, wo ist der die Maschine. Wir sind alle der Maschine ausgesetzt. Was für eine Maschine?, ruft der Chor. Der Gott- und Weltmaschine!, erwidert der Mann. Plötzlich ist er ruhig, weniger hysterisch als zuvor. Der Chor mit Megafonen: Gott, ist es uns der uns zerstört, da wir ihn verrieten. Gott, verzeih unseren Verrat! Tanz um die Quelle. (Fortsetzung folgt!)" (28)

Und Jeanne d’Arc verabredet sich mit Ernie & Bert, abstrakta laboriert an seinem/ihren Aspergus-Syndrom, Wahlsinn ändert sein Leben und das aller anderen gleich mit, Henri filosofiert über das richtige Leben, Norberts Steckenpferd beißt, Jeanee d’Arc reflektiert mit Sloterdijk über die Selbstbildung des Humanen, Sven Jurgel assistiert Horst Schlämmer in Sachen bundestagswahl, Wüstenfuchs funkt aus der Wüste über Weltverschwörungsplänen von Captain GM ubnd dann ist die Karawane wirklich weitergezogen.

 

(1) Carlos Palabras 21.07.2009, 10:40 Uhr

(2) Sven Jurgel nach Benjamin Constant, 21.07.2009, 11:55 Uhr

(3) "Sebastian Hartmann" nach Andreas Gryphius, 21.07.2009, 13:46 Uhr

(4) Misa anagnorisis, 21.07., 14:55

(5) "Sebastian Hartmann", 21.07, 23:06

(6) Jeanne d’Arc, 23.07., 23:01

(7) Häuptling Seattle

(8) Der Hund der Henriette Hundskötter fand dies hinter ihrem Bücherregal,
Posted 28.07.2009 13:28:43

(9) Sugar nach dem Text eines sibirischen Schamanen, Posted 28.07.2009 16:20:01

(10) Dörthe Hansen, Posted 29.07.2009 00:07:41

(11) Larissa Schneider Sölleking. Posted 29.07.2009 09:27:29

(12) Sidibou Kaoré, Posted 29.07.2009 10:09:15

(14) Georg D., Posted 31.07.2009 10:47:49

(15) Henriette, 2.8.2009, 17:38 unter Verwendung von Heiner Müller,
Die Hamletmaschine und Material von sugar, Posted 02.08.2009 14:58

(16) Felicitas, Posted 02.08.2009 20:35:24

(17) Helmut, 03.08.2009 00:10 Uhr

(18) Henriette Hundskötter, 03.08.2009, 08:27 Uhr, unter Verwendung von
Materialien von Dörthe Hansen nach Batista Bomyana, aus "Lyrik zur
Missionsgeschichte (vergriffen), 29.07.2009, 00:07 Uhr und Corinna
02.08.2009 21:22 Uhr.

(19) Kai Piepmann, Posted 03.08.2009 10:17 Uhr

(20) Karl Laberfeld, Posted 03.08.2009 10:49:16

(21) Kai Piepmann, Posted 03.08.2009 12:59:14

(22) Heiner Müller, Der Auftrag

(23) Jeanne d’Arc, Posted 03.08.2009 15:03:14 unter Verwendung
von Heiner Müller, Der Auftrag und René Pollesch

(24) Helmut, 03.08.2009, 23:00 Uhr/ 23:10 Uhr

(25) Afrikareisender, Posted 05.08.2009 13:11:11

(26) Wahlsinn, 07.08.2009 11:33:35

(27) Felicitas 07.08.2009 13:32:57

(28) bintou were 07.08.2009 17:55 Uhr

(29) Wahlsinn, 07.08.2009 20:26:10

 

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Mehr lesen? Das Libretto für eine Afrikanische Oper Teil 1 erschien im Sommer 2009 als Kompilation der Kommentare zum Redaktionsblog Der Onkel auf der Sänfte.

 

 

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