Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt erzählt die wechselvolle Geschichte der höchsten Insignie der deutschsprachigen Schauspielkunst
Er trägt den Ifflandring!
von Esther Slevogt
17. Februar 2019. "Er trägt den Ifflandring!" herrschte die theaterbegeisterte Großmutter mich an, und zwar in einer Weise, als hätte die Beschwerde des Kindes, das ich damals war, an den Grundfesten ihres Selbstverständnisses gerüttelt. Kerzengrade saß sie auf ihrem Biedermeiersofa, von wo aus wir auf ihren kleinen Schwarzweißfernseher schauten: ein damals schon nicht mehr ganz zeitgemäßes Gerät, das im Wohnzimmer meiner Großmutter trotzdem wie ein futuristischer Fremdkörper wirkte. Lieber wäre ich mit Captain Kirk und Mr. Spock zu den Klingonen aufgebrochen, statt hier nun einen katholischen Priester vollkommen uninteressante Kriminalfälle lösen zu sehen. Aber: Der Schauspieler trug den Ifflandring! Josef Meinrad hieß er, der da so merkwürdig näselnd und mit im Gesicht festgefrorenem Lächeln einen gewissen Pater Brown verkörperte, der der Held der Serie und offenbar auch der Held meiner Großmutter war.
Die Herren der Ringe
Der Ring hatte dereinst, erklärte die Großmutter dann, dem Schauspieler, Dramatiker und späteren Intendanten des Königlichen Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt, August Wilhelm Iffland gehört. Iffland, der sogar Goethe gekannt hatte! Goethe, das war der Mann, wegen dem die Großmutter nicht mit ihrer Nachbarin im Fahrstuhl fahren wollte. "Die kennt nicht mal Goethe!", sagte sie stets, und der forsche Schritt, mit dem sie zuvor um die Ecke gebogen war, verlangsamte sich dramatisch, wenn sie auf den letzten Metern vor der Haustür die freundliche Frau aus der Wohnung gegenüber erblickte, zu der es sicheren Abstand zu halten galt.
Goethefreund Iffland also, der als junger Schauspieler bei der Uraufführung von Schillers "Die Räuber" in Mannheim Franz Moor spielte und als Berliner Theaterintendant später von Heinrich von Kleist erbittert bekämpft wurde, hatte den Ring der Erzählung meiner Großmutter zufolge, testamentarisch dem bedeutendsten Schauspieler nach ihm vererbt. Mit diesem Erbe jedoch war auch die Verpflichtung verbunden, es Iffland nach dem eigenen Ableben gleichzutun: den Ring also wieder an den bedeutendsten lebenden Schauspieler zu vererben.
Diese edle Tradition hatte allerdings durch die mörderischen Verirrungen der Deutschen im 20. Jahrhundert eine Unterbrechung erfahren. Josef Meinrad war der Ring 1959 zwar von dem Schauspieler Werner Krauß vererbt worden. Ganz unbestreitbar war Krauß auch ein großer Schauspieler. Doch hatte er den Ring seinerseits nicht direkt und im Sinne seines Stifters erhalten.
Dafür hatte er den mörderischen Antisemitismus Hitlers und der Nationalsozialisten dadurch unterstützt, dass er in Propagandafilmen wie "Jud Süss" mitwirkte, wo er gleich mehrere antisemitische Judenkarikaturen spielte, also seine große Kunst dem Ausrottungswahn zur Verfügung stellte, um es mit den Worten von Krauß' Kollegen Fritz Kortner zu sagen. Kortner, der Emigrant, konnte kein Verständnis dafür aufbringen, dass Werner Krauß nach dem Krieg in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich mit Ehrungen überhäuft wurde, während etwa der Schauspieler Albert Bassermann am 15. Mai 1952 als gehetzter, gebrochener Mann im Flugzeug zwischen seinem Emigrationsland USA und Europa gestorben war.
Dieser Albert Bassermann war der letzte legitime Erbe des Rings gewesen, zuerst 1909 von Max Reinhardt ans Berliner Deutsche Theater engagiert. Doch Bassermann selbst hat den Iffland-Ring nicht mehr weitervererbt. Drei der Schauspieler, denen er ihn nach seinem Tod zugedacht hatte, starben vor der Zeit, darunter der 1935 in Wien verstorbene Alexander Moissi, auf dessen Sarg Bassermann den Ring zunächst legte. Zu jener Zeit hatte auch Bassermann Berlin und Deutschland seiner jüdischen Ehefrau wegen bereits Richtung Wien verlassen. Als die Nazis 1938 auch Wien besetzten, emigrierte Bassermann in die USA. Den Ring hatte er dem österreichischen Theatermuseum überlassen, dem er seitdem gehört.
Von der rechten Hand an die linke
Als man sich in Österreich nach Bassermanns tragischem Tod dazu entschloss, diese Tradition wiederzubeleben, wurde der Iffland-Ring 1954 ausgerechnet an Werner Krauß verliehen, den Joseph Goebbels im Herbst 1933 zum Vizepräsidenten der frisch gegründeten Reichstheaterkammer ernannt hatte, der Theatergleichschaltungs- und Kontrollbehörde in Nazideutschland. Krauß vermachte den Ring nach seinem Tod Josef Meinrad und Josef Meinrad setzte wiederum den Schauspieler Bruno Ganz zum Erben ein, der den Ring seit Meinrads Tod im Jahr 1996 besaß. Ganz, der zu den Protagonisten des linken westdeutschen Theaters der 1960er Jahre gehörte, gemeinsam mit Peter Stein und anderen die Berliner Schaubühne gründete und offenbar in der Annahme dieses vergifteten Erbes keinen Widerspruch dazu sah. Nun ist auch Bruno Ganz gestorben und die Frage offen: Wer wird der nächste Träger dieses Ringes sein?
Ob diese eigentümliche Tradition tatsächlich von August Wilhelm Iffland begründet wurde, ist allerdings unwahrscheinlich. Erste Quelle des verstaubten Mythos, der auch viel über die Bedeutung erzählt, die das Theater in der Gesellschaft einmal gehabt hat, ist der Nachlass des Berliner Schauspielers Friedrich Haase. Dort fand sich nach Haases Tod im Jahr 1911 der kostbare diamantenbesetzte Eisenring mit dem Ifflandporträt, den Haases Willen zufolge nun Albert Bassermann erhalten sollte und den er, Haase selbst, von Theodor Döring erhalten haben wollte. Döring wiederum war der Ring angeblich von Emil Devrient weitergegeben worden, dem das Kleinod seinerseits von Ludwig Devrient übergeben worden war, dem Iffland den Ring Haases Überlieferung zufolge noch höchst selbst vermacht hatte.
Der Ringträger Friedrich Haase
Haase, der 1883 zu dem Mitgründern des Deutschen Theaters gehörte, und dessen in Gold gefasstes Porträt dort (wie das der Iffland-Ring-Vorbesitzer Döring und Devrient) bis heute im Deckengemälde erhalten ist, wurde 1825 im Berliner Schloss als Sohn des ersten Kammerdieners des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. geboren. Der Schriftsteller Ludwig Tieck hatte Haase auf Empfehlung des Königs, der zugleich Haases Pate war, zum Schauspieler ausgebildet, und kein geringerer als Alexander von Humboldt sich für Haases Engagement ans Hoftheater am Gendarmenmarkt eingesetzt.
Haase wurde einer der berühmtesten und bald auch weitgereisten deutschsprachigen Schauspieler seiner Zeit. Bis in die USA führten Gastspielreisen Haase in den 1860er Jahren, wohin damals noch kaum jemand gelangte, der nicht für immer dorthin auszuwandern gedachte. Haase gehörte zu den Schauspielvirtuosen des 19. Jahrhunderts, die auf Grund ihrer klassen-, religions- und länderübergreifenden Wirkung zu neuen und schillernden Identifikationsfiguren für das Bürgertum wurden. Doch den Ifflandring hat Haase, der Kindheit und Jugend im Berliner Schloss verbrachte, als Adelsprädikat für Schauspieler wahrscheinlich nur erfunden. Dessen dynastischer Glanz aber hat noch Bruno Ganz geblendet und sein Adel sogar meine Großmutter auf ihrem Biedermeiersofa noch erhoben.
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zuletzt verweigerte sich Esther Slevogt dem Debattengetöse in den sozialen Medien.
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haben Sie vielen Dank für diese schmucke Kolumne. Das ist doch fantastisch, was so ein Schmuckstück alles zu erzählen hat. Muss der Träger ein Mann sein? Ich könnte mir einige Damen vorstellen, denen er sehr gut - und mit gutem Grunde - stünde. Und dürfen es auch Schauspieler aus dem Ausland sein oder darf der Ring nur auf deutschsprachigen Fingern funkeln?
In diesem Sinne war Bruno Ganz für mich ein sehr würdiger Besitzer des Ifflandrings.
Nämlich in der einzigen Vorstellung von "Ignorant und der Wahnsinnige" bei den Salzburger Festspielen. Das hätte ihn aber so beeindruckt, dass er noch viele Jahre später und trotz heftigster Kulturkampfhysterien seiner Fans, Bruno Ganz für den würdigsten und besten Schauspieler hielt.
Dass wollte ich nur kurz anmerken, bevor hier gleich der geschlechtsneutrale Ring für Kollektive gefordert wird.
Was ist mit Martin Wuttke ?
Das wäre für mich ein würdiger Träger . Harzer auch , natürlich. Ein Sprachkünstler zweifelsohne . Aber als Theaterschaffender ist Wuttke einfach schon länger dabei . Eidinger finde ich nicht richtig . Er schafft viel , schafft aber auch viel an durch geschickte Pressearbeit und Aufdringlichkeit . Das sagt aber nichts über die Qualität aus . Der Ring wird ja wohl nicht an den größten
Narziss verliehen ! Wenn ja , dann fällt auch noch die letzte Chance auf Understatement. Dann würde ich die Leser und Leserinnen
der „ Bravo " abstimmen lassen .
Wikipedia schreibt:
"Wie sein Vorbild wird auch dieser von seiner Trägerin testamentarisch an die bedeutendste und würdigste Bühnenkünstlerin des deutschsprachigen Theaters auf Lebenszeit weitergereicht.
Benannt wurde die Auszeichnung nach der Burgschauspielerin Alma Seidler (1899–1977). Nach Aussage der Witwe von Werner Krauß, dem 1959 verstorbenen Träger des Iffland-Ringes, hätte Alma Seidler dessen Ring erhalten, wäre eine Frau nicht durch die Tradition von vornherein ausgeschlossen gewesen."
Warum nicht freudig gespannt darauf warten, welche Entscheidung Bruno Ganz gefällt hat?! Wir werden alle sehr überracht sein, denn einen eigenen starken Geist und eine klare vielschichtige Haltung hatte dieser große Schauspieler immer besessen!! Und: ausser seine eigene Präferenz ins Netz zu stellen(traurig genug), wem ist denn mit den vielen geschmäcklerischen Vorschlägen geholfen?... Eben!
nicht kleiner, daß sie diesen Ring nicht trugen; und hat mich der Adolf Hitler von Bruno Ganz beispielsweise wirklich mehr beeindruckt als der "Göring" Rolf Hoppes (in Szabos "Mephisto") ?, und sah ich nicht in dem Luther-Fünfteiler (1983, DDR) bis in die kleinste Rolle hinein DarastellerInnen, die dem Staraufgebot aus dem Lutherfilm mit Bruno Ganz ganz gewiß das Wasser reichen können ??, und, bedenke ich nur, ich erfuhr vom Tode des Bruno Ganz just an einem Premierentag zu Thomas Bernhard ("Die Übriggebliebenen"), daß von "Ritter, Dene, Voss" Ilse Ritter und Kirsten Dene durchaus noch unter uns weilen und ganz ferne auch nicht eine Edith Clever oder Jutta Lampe zu verorten sein dürften, und sah ich nicht Babara Nüsse desletzt erst "Love will tear us apart" singen und als sterbenden Schwan enden (wer will sich da auf einen Namen konzentrieren ???), so dürfte wohl auch dem letzten Betrachter der Szenerie klar geworden sein, welch weites Feld da betreten wurde, wenn es um mögliche NachfolgerInnen von Bruno Ganz als Iffland-Ring-TrägerInnen geht ! In Zarthäuserscher Diplomatie gesprochen ist zwischen der Generation "Frau Schnuck" und der Generation "Ambassador Erdmann" schlicht ein Kontinuum von Möglichkeiten gegeben; was mich am meisten interessiert, ist garnicht unbedingt, wer den Ring letztlich bekommt, sondern welche (begründenden) Worte Bruno Ganz für seine Entscheidung gefunden hat !.
Zuerst schalt ich mich pietätlos, aber dann überlegte ich, von den Olympischen Spielen bis hin zum Berliner Theatertreffen: wir brauchen heroische Listen und ruhmreiche Hierarchien und strahlende Fixpunkte im Brei eines gestaltlosen Alltags und erhebende Verkörperungen unserer selbst, vom 'Mitarbeiter des Monats' bis zur Weihnachtsgratifikation. Einen trojanischen Krieg wird dieser Ring nicht auslösen, aber diese Ring-Gabe als abgefeimte Hinterlist, zumindest als Bürde zu betrachten, erlaube ich mir schon.
Wäre ich Bruno Ganz gewesen, mir wäre dieser vermaledeite Ring leider, leider - ich weiß gar nicht wie - unglücklicherweise verloren gegangen.
Auch bei Lagerfeld stand ja die wichtigste Frage sofort und groß in der Medienlandschaft: Wer übernimmt die Nachfolge?; dass ich mir dachte, wie beiläufig ist doch der Tod geworden und wie sehr drängt das Getriebe der Welt darauf, sich weiter zu drehen.
Im Übrigen: Müller, Meier, Schnmid, Schulze, Huber, Brskawetz....
https://derstandard.at/2000098603214/Der-Sodomie-ergeben-Warum-Iffland-nicht-Direktor-des-Burgtheaters-wurde
Warum kann man nicht einfach eine irgendwie interessante, schöne Geschichte als solche einmal hinnehmen? Jemand wird geehrt, Frau Slevogt erläutert die Hintergründe, alle könnten sich freuen.
Alles andere finde ich verkrampft, nimmt das Ganze auch viel zu wichtig und ist natürlich Ausfluss eines Medienhypes, der immer was Neues braucht. Dass sich einer hinstellt und sagt: "Ich find das ein interessante Geschichte, und jetzt bin ich mal gespannt, was sich Bruno Ganz dazu gedacht hat und freue mich mit dem Geehrten" - das macht halt keine Schlagzeilen, die wir ja so so so nötig haben.
Und, voila, hiermit habe auch ich zu dieser Hypisierung beigetragen.