Kolumne: Als ich noch ein Zuschauer war – Wolfgang Behrens über Wiener Billeteure
Livrierte Halbgötter
von Wolfgang Behrens
10. November 2015. Kann sich noch jemand an Christian Diaz erinnern? An jenen Billeteur, der vor gut zwei Jahren während eines Theaterkongresses der Weltöffentlichkeit ins Bewusstsein rief, dass der Publikumsdienst am Wiener Burgtheater längst outgesourct ist – und zwar an eine Firma mit zumindest zweifelhaftem Leumund. Christian Diaz wurde in der Folge rausgeschmissen, ein paar Monate später wurde dann auch Burgintendant Matthias Hartmann geschasst (wenn ich mich recht erinnere, aus anderen Gründen) – und über den Fall Diaz wuchs Gras.
Will man das wirklich so wiederhaben?
Mittlerweile ist immerhin vonseiten der Vereinigten Bühnen Wien (zu denen das Raimund Theater und das Ronacher gehören) von latenten Insourcing-Bewegungen zu hören – von den österreichischen Bundestheatern (Staatsoper, Volksoper, Burgtheater) gilt das freilich nicht. Doch bei aller berechtigten Kritik am Gebaren der mit dem Publikumsdienst beauftragten Sicherheitsfirmen: Weiß denn noch jemand, wie das war, als die Bundestheater die Billeteure selber stellten? Also ich weiß es noch, und es war ... tja, wie soll ich sagen: Will man das wirklich so wiederhaben?
Ja ja ja, zugegeben, da waren tolle Leute unter den ingesourcten bzw. noch nicht outgesourcten Billeteuren: Ein besonders beeindruckendes Exemplar, der stattliche Herr Ruppert, brachte es als Experte des Alltags bei Rimini Protokoll sogar mal zu besonderen Bühnenehren, weil er in einem früheren Leben Beerdigungskränze arrangiert hat. Und manchmal hat einem so ein Billeteur ja auch wirklich Gutes getan, wenn er einem etwa als Stehparkettbewohner des Burgtheaters, der man war, noch kurz vor Vorstellungsbeginn auf einen freien Sitzplatz hinwies. Man muss aber auch sagen, dass einem solche Gunstbezeigungen umso häufiger widerfuhren, je weiblicher und je blonder (im metaphorischen Sinne) man war. Einmal wenigstens war ich auch blond genug.
Die unangenehmeren Billeteursmenschen sammelten sich allerdings traditionell in der Wiener Staatsoper. Hatte man dort etwa einen günstigen Galerie- oder Stehplatz knapp unterhalb des Beleuchtungskranzes erworben und erspähte zur Pause einen freien Parkettsessel, dann hatte man die Rechnung ohne den Billeteur gemacht. Mit einem Sitzplan, in dem die freien Plätze markiert waren, kreiste der Saaldiener zerberusgleich durch den Zuschauerraum, und kaum näherte man sich dem freien Sitzplatz, packte er erbarmungslos zu: "Entschuld'gens, könnt' i bittschön Ihr Billet sehn?"
Seele der k.u.k.-Monarchie
Einmal wollte ich beim Besuch einer "Walküren"-Aufführung das Programmheft nicht unbesehen kaufen (um nicht nur abgestandene Nachdrucke alter Aufsätze zu erwerben) und bat den Billeteur um Einblick. "No, i kann's hier so vor Ihnen aufblättern." (Er tut es.) "Aber warum geben Sie's mir denn nicht einfach?" "Oiso, dös is jetzt nix geg'n Sssie, aber es könnt' ja säähn, dass Sssie schmutzige Händ' hom." Ich habe das Programmheft dann übrigens nicht gekauft. Zumindest nicht bei diesem Billeteur.
Auf der anderen Seite vermisse ich diesen Menschenschlag schon ein wenig: diese livrierten Halbgötter, bei denen nie ganz klar war, ob sie Billeteure wurden, weil sie schon immer Halbgötter waren, oder ob sie Halbgötter wurden, weil man sie in Livree steckte. Im Grunde gehörte das doch zu einem Theater- oder Opernbesuch in Wien als letzter Kick dazu: dem Saaldiener auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Ein masochistisches Vergnügen der charmantesten Art.
Ich jedenfalls wäre der Letzte, der sich gegen ein neuerliches Insourcen des Publikumsdienstes aussprechen würde. Man muss halt nur wissen, was man sich damit einhandelt: Im hauptamtlichen Billeteur nämlich lebt sie fort, die Seele der k.u.k.-Monarchie.
Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist Redakteur bei nachtkritk.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne Als ich noch ein Zuschauer war wühlt er in seinem reichen Theateranekdotenschatz – mit besonderer Vorliebe für die 80er und 90er.
Zuletzt schrieb Wolfgang Behrens über Nacktheit auf der Bühne.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
mehr Kolumnen
neueste kommentare >
-
Thesen Mülheimer Dramatikpreis Vorstoß ins Wesentliche
-
Liveblog Theatertreffen Aktualität der Ringparabel?
-
Liveblog Theatertreffen Halbherziges Pflichtpensum
-
Liveblog Theatertreffen Schweigen unserer Generation?
-
Medienschau Theater-Challenge Es gibt auch Bielefeld
-
Liveblog Theatertreffen Eröffnung mit "Nathan"
-
Pollesch-Feier Volksbühne Antwort an #8
-
Pollesch-Feier Volksbühne Namensnennungen @rabea
-
Medienschau Theater-Challenge Echt jetzt?
-
Musterklage Salzburg Offene Frage
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Irgendwann - ich ging schon nicht mehr auf Stehplatz - kam Claus Peymann und man durfte sich auf freie Plätze einfach so setzen, nicht nur vom Stehplatz aus sondern von den billigeren Plätzen auf teurere, wenn da niemand saß. Einfach so. Die alten honorigen Billiteuermänner hatten ihre Macht verloren. Und klagten über das mangelnde Benehmen der jungen und alten Besucher.
Nun gibt es schon lange keine honorigen Herren mehr sondern meist junge Damen. Manchmal paar junge Männer und auch nicht mehr ganz so junge Damen. Leider haben sie aber alle eines gemeinsam...die Kompetenz, den Willen zur ordnenden Macht haben sie alle nicht mehr. Die "Wichtigkeit" ist ihnen abhanden gekommen. Nicht einmal war an einer zwangsweise Reihen übergreifenden Umschichtung eine organisierende Billeteurin schuld, die einfach den alten Spruch "links ist dort, wo der Daumen rechts ist" nicht verinnerlicht hatte.