Presseschau vom 10. Februar 2015 – Streit um Äußerungen des Theatertreffen-Jurors Till Briegleb zur Qualität der Provinztheater
Elitär
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10. Februar 2015. Wie jedes Jahr gibt es auch heuer wieder den rituellen Streit um die Einladungen zum Berliner Theatertreffen.
In einem Gespräch auf Deutschlandradio (7.2.2015) gab der Theatertreffen-Juror Till Briegleb zu Protokoll, in diesem Jahr sei im deutschsprachigen Theater die Tendenz "sehr auffällig" gewesen, dass diejenigen Regisseure, "die wirklich politisch agieren und mit einer politischen Haltung ans Theater gehen, dann eben auch ästhetisch überzeugend sind".
In der Provinz fehlen die Voraussetzungen
Auf die Frage, warum es die kleineren Häuser wieder nicht geschafft hätten, mit ihren Produktionen von der Jury eingeladen zu werden, nannte Briegleb, der zum zweiten Mal in der Theatertreffen-Jury Sitz und Stimme hat, zwei Gründe: Zum einen sei das Theatertreffen "eine elitäre Veranstaltung". Es gehe "wirklich um die zehn besten, wie immer man das nennt, Inszenierungen, die diese Jury finden kann". Zum anderen sei aber auch "das deutschsprachige Theatersystem extrem elitär". Die "großen Häuser mit dem vielen Geld und dem hohen Renommée" zögen "natürlich die Regisseure an, die gerade interessante Dinge machen. Sie können die Schauspieler verpflichten, die wirklich upper class sind oder als solche wahrgenommen werden", dieser Magnetismus gehe von den großen Häusern aus. "Es hat ja überhaupt keinen Sinn, in die Provinz zu gehen und Leuten die Hoffnung zu geben, sie könnten zum Theatertreffen eingeladen werden, wenn einfach die ganzen Voraussetzungen nicht da sind." Und die Voraussetzungen des Systems bilde eine solche Auswahl eben auch ab.
Lupenreiner Zirkelschluss
Dieses unverblümte Statement rief entsprechende Reaktionen hervor, der Chefredaktor der Deutschen Bühne Detlef Brandenburg etwa nannte Brieglebs Einlassungen "extrem elitär": "Man kann doch nicht 'die Provinz' in Bausch und Bogen für Theatertreffen-untauglich erklären und diese Behauptung dann als Begründung hernehmen, warum man solches Provinztheater gar nicht erst anschaut." Das sei ein "lupenreiner Zirkelschluss": "Unter der Voraussetzung, dass kleine Theater nicht satisfaktionsfähig sind, muss ich mir deren Aufführungen nicht anschauen. Ich müsste mir aber doch erst mal die Aufführungen anschauen, um zu beurteilen, ob die Voraussetzung stimmt, oder?"
Zudem sei es gar nicht wahr, dass "das deutschsprachige Theatersystem extrem elitär" sei. Die Vielfalt unterschiedlicher Theatertypen sei "charakteristisch für die deutsche Theaterszene". Er, Brandenburg, sei selbst in der Provinz unterwegs und erlebe dort immer wieder "erstaunliche, beglückende Leistungen" an kleinen Bühnen.
Das Etikett "extrem elitär" passe wohl besser zur Haltung der Jury des Theatertreffens als zum deutschen Theatersystem. "Und genau deshalb gibt das Theatertreffen schon seit Jahren kein authentisches Bild der deutschen Theaterszene mehr wieder."
In einem Text von Martin Eich im Freitag (19.3.2015) korrigiert Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Berliner Theatertreffens, die Haltung und wird zitiert, ein anderes Selbstverständnis zu vertreten: "Die Jury habe auch Inszenierungen in Dinslaken, St. Pölten, Eggenfelden und Moers gesichtet, sagt sie auf Anfrage. Brieglebs Argument, das Festival sei nun mal eine 'elitäre Veranstaltung', will sie nicht gelten lassen: 'Dieser Begriff wird häufig von außen an uns herangetragen. Er ist aber nicht Teil unseres konstitutiven Selbstverständnisses.'"
(jnm / sik)
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Dies soll nur ein Beispiel sein für viele Produktionen aus der Provinz, die ja hier zumindest vorkommen, aber trotzdem nie eine Chance haben eingeladen zu werden.
Ein Schlag ins Gesicht der vielen Theatermachern jenseits von Berlin, Hamburg und München, die jeden Abend dafür sorgen, dass der Lappen hoch geht.
Brüller!
Ja. Das ist auf gewisse Weise erschreckend. Ich gebe Ihnen vollkommen recht. In meinen Augen sollte das TT sich auch etwas mehr als Entdecker geben, als nur das bereits etablierte dann auch zu sich einzuladen.
Andererseits muss man auch sagen dass Rüping, Luz, Borgmann,Kennedy die interessanten Ansätzen ja auch erstmal bestätigen mussten, bevor sie in den Kreis der möglichen Auswahl kommen. Das Gegenteil wäre ein zu schnelllebiges hochgejubel aufgrund einer Arbeit.
Das eigentliche Problem ist, dass viele Regisseure und Teams jahrelang auf hohem Niveau arbeiten, in den Jahren des "entdeckt werden könnens" nicht "entdeckt wurden, und deshalb aus diesem Zirkel von vornherein ausgeschlossen bleiben. Obwohl sie tolles, teils besseres Theater machen als die zweite, dritte Arbeit einer der jungen Regisseure.
Trotzdem: freut euch doch, dass es wieder viele neue und junge Regisseure auf dem TT gibt. Und das ist unbestritten.
Der Ton und die Wortwahl von Herrn Briegleb, dieses "wir wissen wo es sich lohnt, und wo nicht die Position (großes, reiches Theater) sagt es ist toll, kann nichts gutes sein", ist unfassbar arrogant und von elitärem Denken geprägt. Traurig.
Die Juroren brauchen das Siegel eines großen Hauses um sicher zu sein das das jetzt Qualität hat.Ohne so ein Siegel können Sie Qualität offenbar nicht erkennen..
By the way Zadek bekam seine erste Einladung glaube ich für eine Aufführung aus Ulm ,später aus Bremen.In Bremen entdeckte man damals überhaupt das Beste.Da würde Herr Brieglieb aber gar nicht erst hinfahren.
Ja. Siegel ist sehr richtig. Man könnte ja auch davon ausgehen dass ein Regisseur an einem kleineren Theater die von mir oben eingeforderte Wiederholung einer Qualität schafft. Da ist sich die Jury aber dann nicht sicher ob das wirklich gut ist, ja. Oder Sie sehen es eben erst gar nicht.
Wenn ein sehr bekannter Regisseur an mittleren Theatern inszeniert guckt die TT Jury aber schon mal hin. Das muss man auch sagen.
Und Ulm, wie auch Bremen, waren ja damals sehr wichtige Häuser!! nicht groß, aber prägend. Nicht nur durch die Einladung zum TT.
Zadek in Ulm, Ponelle in Baden-Baden, Bosse in Mannheim: Ging doch!
Der Artikel von Till Briegleb ist leider der Ausdruck der inzwischen mangelnden Durchlässikeit des deutschen Theatersystems. Welche Karrieren verlaufen denn heute noch von "unten" nach "oben"? Oft kriegen Schauspieler, die sich in der Provinz freigeschwommen haben, nicht einmal Vorsprechtermine. Junge Regisseure, die trotz der genannten Bedingungen Hervorragendes leisten, werden oft nicht einmal angesehen.
Natürlich gibt es in der Provinz Theater, die nur nach der Quote schielen. Bei den Großen ist das anders? Natürlich vergreifen sich in der Provinz mal Idioten am Faust. Bei den Großen ist das anders?
Da man aber dort arbeitet, wo man ist, gilt der Satz von Friedel Schirmer: Man muß ein kleines Theater führen, wie ein großes! Dann wird man auch ohne TT glücklich.
Ich sehe das Problem viel mehr in der Kommunalpolitik, die meist beschränkt und ahnungslos ist und möglichst wieder den Bürgermeister stellen will. Und sich deshalb einfach den nächsten ollen Intendanten aus dem Bühnenvereins-Karussell vor die Nase setzen lässt, der den gleichen Käse verzapft wie an anderer Stelle in einem anderen Bundesland. In großen Städten gibt es halt mehr Kompetenz für die Auswahl, mehr Ausdifferenzierung des Theaterangebotes, mehr Kunstverständnis und Kunstbedürfnis. Kein Wunder dass da die interessanten Sachen entstehen und nicht in Krefeld, Stralsund oder Bamberg, oder?
Vielleicht wäre es im übrigen für frische Luftzufuhr geboten, das TT nicht permanent in Berlin, sondern wechselweise auch anderenorts stattfinden zu lassen, wie in Bremen, Hannover, Leipzig oder Nürnberg.
Paul Tostorf
1. Verstehe ich Sie richtig, dass Geld und Renommee für Sie die wichtigsten Voraussetzungen für Qualität bzw. das Etikett "bemerkenswert"sind?
2. Ist Ihren Ausführungen zu entnehmen, dass der Castorf aus Anklam oder der der Thalheimer aus Chemnitz oder der Fritsch aus Oberhausen (Da hat es ja damals sogar geklappt...) oder der Ulrich Khuon aus Konstanz als Künstler bzw. Theaterleiter minderwertiger waren als es die gleichnamigen Berliner sind? Und dass sie damals weniger "interessante Dinge" gemacht haben?
3. Ja das TT ist eine elitäre Veranstaltung. Könnten wir uns darauf einigen, dass es eine Elite BILDEN soll, statt sich daran zu bedienen und so nur eine ABZUBILDEN?
4. Können Sie sich vorstellen, dass Juroren, die so argumentieren wie Sie, das "elitäre Stadttheatersystem" nicht etwa nur als gegeben hinnehmen, sondern maßgeblich mitbeteiligt sind daran, dass der von Ihnen beschriebene "Magnetismus" heute hauptsächlich innerhalb der Elite funktioniert?
5. Ist nicht der Juror, der es sinnlos findet, durch die Provinz zu reisen, in gewisser Weise ähnlich feige wie der Provinzintendant, der jeden Mist auf den Spielplan setzt, Hauptsache die Zahlen stimmen?
Wenn man das auf die Literatur überträgt kann man den ganzen Cechov in die Tonne kloppen - die wollen immer nur nach Moskau sind da aber nicht, und Fontane, und Tolstoi .....
Wer ist hier denn wirklich provinziell?
Aber ich vermute, das sind halt Künstler, bei dem die TT Jury einfach selbst nichts checkt und (...), weil sie (...) anstrengen müssten um Teil des Abends zu werden und das ist ja mittlerweile total OUT im Theater, ne?!
In Paderborn möchte ich auch nicht Theater sehen bzw. dort arbeiten.
Selbst in der Provinz geht es noch ein Stückchen weiter runter.
Ein gerade bei Rühle gelesenes Beispiel: "Theater wurde hier nicht vor allem gedacht als Kunst sondern als Eingriff ins Bewustsein mit künstlerischen Mitteln."
Eine Definition an der sich etliche Diskussionen entzünden könnten und die uns etliches teures Kunstgewerbe ersparen würde.
ich hab nix gegen Paderborn! Es gehr hier nur um die Bundesliga! Siehe @20 Narzisse