Medienschau: Diverse – Kommentare zum Nobelpreis für Jon Fosse
Signale und Atmosphären
Signale und Atmosphären
6. Oktober 2023. Wir fassen Stimmen aus den Zeitungen zusammen.
"Älter (na ja, er ist 64), weißer und männer als Jon Fosse: Das wäre schwierig geworden. Identitätspolitisch also eine problematische Wahl", bemerkt Ekkehard Knörer in der taz (5.10.2023). "Das politisch erfreulichere Signal wäre Rushdie gewesen, die Chinesin Can Xue, zuletzt Buchmacherfavoritin, hätte in die Reihe der Entdeckungen gepasst, die die breite Öffentlichkeit noch nicht kennt." Dennoch ist Knörer nicht unzufrieden mit der Wahl der Schwedischen Akademie, sei die Musikalität der Sprache Fosses doch "eine ausgezeichnete und der höchsten Preise würdige Form des Literarischen".
"Es lässt sich schon sagen, dass seine Literatur etwas Universelles hat, anderseits verweist sie sehr auf sich selbst. So wie es die Akademie am liebsten hat: Vor der gesellschaftspolitischen Sendung kommt bei ihr die Literatur. Vor einem Statement beispielsweise zum Thema Meinungsfreiheit oder bezüglich gefährdeter, verfolgter Autoren und Autorinnen der Verweis auf die eigene Deutungshoheit", notiert Gerrit Bartels vom Tagesspiegel (5.10.2023). "Deshalb also wurde Salman Rushdie wieder nicht ausgewählt, deshalb ging Ljudmila Ulitzkaja leer aus, deshalb hat der chilenische Dichter Raúl Zurita vielleicht nie eine Chance."
Entscheidend für die aktuelle Preisvergabe sei das jüngste Romanwerk "Heptalogie" gewesen, weiß Andreas Platthaus von der FAZ (5.10.2023). "Es ist ein monologisierender Künstlerroman, der aus der Sicht eines Malers namens Asle erzählt, der auf einen Namensvetter trifft, wodurch sich ein Identitätswechselspiel entfaltet, das zu den gesellschaftspolitischen Debatten unserer Zeit passt und dennoch höchstpersönlich bleibt."
Jakob Hayner von der Welt (6.10.2023) schreibt: "Die große Stärke von Fosse liegt im Atmosphärischen. Menschen, Sprache, Landschaft, das verdichtet sich bei ihm zu archetypischen Bildwelten, die die Düsternis der Klischees über Skandinavien noch übertreffen. Im Genre der Kriminalromane hat diese Atmosphäre in den vergangenen Jahren ein Massenpublikum gefunden, Fosse ist das auch gelungen – allerdings ohne Krimihandlung. Bei ihm wird kein Mörder gesucht, sondern die Suche selbst wird zum bestimmenden literarischen Thema – nach dem Sinn."
Thomas Ostermeier inszenierte Jon Fosse schon zu einer Zeit als "niemand die Stücke anfassen" wollte, weil das deutsche Theater "große Berührungsängste mit Autoren und Autorinnen hat, die nicht bekannt sind", wie der Regisseur der Zeit (6.10.2023) im Interview erzählt. Die Qualität des Werks von Fosse beschreibt Ostermeier so: "Da trat auf einmal eine Stimme auf, die sich an musikalischen Kriterien orientierte, an kompositorischen Prinzipien, wo die Figuren eher aus dem Nichtsagen oder dem Nichtgesagten bestehen statt aus dem, was sie in den Dialogen sagen. Und das, was da entsteht, ist ein eigentümlicher Flow aus Wiederholungen und Andeutungen und vielen abgebrochenen Sätzen. Dieser Flow führt dazu, dass man, wie bei guter Musik, fortgetragen wird."
In der Süddeutschen Zeitung (6.10.2023) erinnert sich Autor und Regisseur Falk Richter an den Einbruch der Jon-Fosse-Dramatik in den vorherrschenden britischen Hardcore der 1990er Jahre: "Und plötzlich gab es da etwas ganz anderes: keine russischen Stricher, keine drogenabhängigen Kriegsreporter, sondern stille Menschen, die wie Bleistiftzeichnungen im Nebel eher erahnt werden müssen, als dass sie einem mit ihren krassen Lebensgeschichten entgegenspringen würden." Zur Tonlage schreibt er: "In Fosses Stücken wird überhaupt viel geschwiegen. Als Regisseur dirigiert man also vor allem dieses Schweigen."
Auch auf Autor und Regisseur Marius von Mayenburg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.10.2023) wirkten Jon Fosses Stücke "wie die Basslinie, der Kontrapunkt zu dieser Entwicklung" einer britisch geprägten "Blut und Sperma"-Dramatik in den 1990er Jahre. "Während um ihn herum die Stücke eskalierten und die Explosion suchten, schien bei ihm eine andere Gravitation zu herrschen. Fosses Figuren sind in sich selbst gefangen, in einer klaustrophobischen Einsamkeit, die sich kaum durchbrechen lässt."
(Die Welt / FAZ / Tagesspiegel / taz / miwo / chr)
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Ich kann nichts weiter sagen als: langweilig, nichtssagend, schwach, ohne größere
Bedeutung, nach meinem Urteil. Ich bekam beim Lesen den Eindruck von einer nordischen Leere. . .
Fosse war mir bisher vollkommen unbekannt gewesen.