Presseschau vom 15. April 2014 – Die Süddeutsche Zeitung über die "Kulturkatastrophenpolitik"
Wien, Düsseldorf, Dresden, Halle – es kann schlimmer werden
Wien, Düsseldorf, Dresden, Halle – es kann schlimmer werden
15. April 2014. Christine Dössel, ihres Zeichens Theaterkritikerin der Süddeutschen Zeitung, hat an einer Tagung des Künstlerischen Ausschusses des Bühnenvereins (DBV) teilgenommen. In Halle. In Deutsch-Ost. Wahrscheinlich wollte der DBV diesmal vorbeugen, damit nicht wieder der Kollege Martin Eich heimlich mit einem Intendanten-Leaker telefoniert und Sachen in der Zeitung ausplaudert, die nicht in die Öffentlichkeit sollen. Wie zweimal bei früheren Tagungen (hier und hier) geschehen (wofür wir dann als Presseschauer Schimpfe bekamen, wie der Bote in den antiken Stücken, wenn er die miese Nachricht überbrachte). Jetzt also gleich eine Tagung mit zugelassenen, vielleicht könnte man sagen: embedded Journalisten.
Schauplatz und Besetzung
Dössel schreibt in der Süddeutschen Zeitung (14.4.2014), es sei dort in der Intendanten-Runde gerade so, wie sie sich es vorgestellt habe: "dezent bis voll ergraute Herren im schwarzen Understatement-Sakko-Look", "gerne bärtig, gerne schon etwas älter", "nur drei Frauen". Weiters beschreibt sie den Ort, das "Schaufenster" im Neuen Theater Halle, Wand aus Glas, aber keiner guckt von draußen rein. Hauptpunkte der Tagesordnung: "Die Krise an großen Theatern" und die Frage "Wohin Stadttheater?", Letzteres eine Podiumsdiskussion, geleitet vom Kollegen Dirk Pilz, was Dössel souverän verschweigt. In ihrem Text gibt es keine Podiumsdiskussion und keinen Dirk Pilz. Sie wird ihre Gründe gehabt haben.
Themen
Die Journalistin zählt die Themen der Tagung auf: Burgtheaterkrise – "wird allgemein als 'Katastrophe' empfunden" –; Schauspielhaus Düsseldorf – der "alte Theaterfuchs" Günther Beelitz, "braun gebrannt wie je" und Interimsintendant in D'dorf, erklärt, wie es "zu der Finanzmisere in Düsseldorf kam", ein "schwer durchschaubarer Vorgang", und die Vorgeschichte mit Staffan V. Holm, dem Burn-Out-Syndrom, den ausbleibenden Zuschauern, für Dössel kurz "ein Wahnsinn"; Semperoper Dresden wo sich der designierte Intendant Serge Dorny noch vor seinem (für September 2014 geplanten) Amtsantritt wohl mit seinem Generalmusikdirektor Christian Thielemann verkämpft habe. Riesige Abfindungssummen stünden im Raum, ein "kulturpolitisches Desaster", nenne der Geschäftsführende Direktor des Bühnenvereins, Rolf Bolwin, "den Vorgang".
Aber, warnt Dössel, nicht, dass man von den Chaosläden auf ein allgemeines Tohuwabohu an den Theatern – " 'und das alles mit unseren Steuergeldern', wie es dann gerne heißt" – schließen dürfe. An kleineren Bühnen wären "Finanzjonglierereien" wie in Wien und Düsseldorf gar nicht möglich. Außerdem hätten, Dössel zitiert Ulrich Khuon, die Theater in den vergangenen 15 Jahren weitgehende Einsparungen und Strukturreformen vorgenommen: "Die meisten kämpfen ums Überleben, nicht darum, möglichst viel Geld rauszuhauen." Das Problem sei, es würden Leute in die Ämter geholt, die die Eigenheiten des deutschen Theatersystems nicht kennten. Glaubt Bolwin. Schreibt Dössel.
Sachsen-Anhalt, Auge des Orkans
Und weiter. Nicht umsonst fände die Ausschuss-Tagung – oho! – in Sachsen-Anhalt statt. In einem Bundesland, wie Dössel in Halle gelernt hat, das seinen Kulturetat "um drei Millionen Euro erhöht (!), gleichzeitig die Theater aber 'rasiert' hat", wie Matthias Brenner es nenne, der Intendant des Neuen Theaters Halle. Sachsen-Anhalt: Drei Millionen Förderung in Halle gestrichen, drei Millionen in Dessau, und 800.000 Euro beim jetzt nicht mehr Theater, sondern "Kulturwerk" Eisleben.
In Sachsen-Anhalt, so Dössel den ansässigen Theater-Intendanten folgend, sei der kulturpolitische Kahlschlag besonders krass. Er werde im Parlament "ohne große Diskussion durchgewunken". "Erschreckend: Es gibt keinen Dialog, keine Erklärungen, keine Perspektive."
Könne es ein "Argument gegen Theater und für deren Abbau sein, dass allenfalls ein Viertel oder Fünftel der Bevölkerung einer Stadt sie aufsuchen? Oder dass ein Lady-Gaga-Konzert heutzutage genauso als Kunst gilt und das Theater nicht mehr diesen 'kulturell wertvollen' Alleinanspruch hat?" fragt Dössel mit der Podiumsdiskussion, die sie beschweigt.
Clusterbildung ohne Theater
Und schreibt dann Interessantes vom Referat des Soziologen Albrecht Göschel, in dem dieser die Auswirkungen des demografischen Wandels in Deutschland auf die Städte beschrieben habe, inklusive der "vielen Abwanderungsbewegungen (gerade im Osten)". "Und wie stadtplanerisch darauf reagiert wird – nämlich indem man über eine sogenannte 'Cluster'-Bildung für jede Stadt ein eigenes 'Profil' entwickelt." Das "Theater, sagt Göschel", schreibt Dössel, "spiele in solchen Konzeptionen keinerlei Rolle, egal, wie gut es funktioniert. Die Ausnahme wäre allenfalls Weimar". Zitat Göschel: "Sollte die Politik tatsächlich nach dieser Cluster-Konzeption verfahren, dann wäre sie zumindest nicht so planlos, wie sie wirkt. Sie wäre plausibel, so grausam das ist."
(jnm)
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