Presseschau vom 28. August 2012 – Die Süddeutsche Zeitung interviewt Bolat Atabajev
Protestieren lernen von Schiller und Goethe
Protestieren lernen von Schiller und Goethe
28.8.2012. Er wurde unlängst in seiner kasachischen Heimat inhaftiert, weil er streikende Ölarbeiter besucht hatte (nachtkritik.de berichtete) – nach internationalen Protesten kam er frei. Heute bringt die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit dem Regisseur und Theaterleiter Bolat Atabajew.
"Ich wollte mit meinen eigenen Augen sehen, wie es den Öl-Arbeitern dort geht und was ihre Forderungen sind. Aus den staatlichen Medien erfährt man ja nichts", sagt Atabajew zu den Umständen seiner Verhaftung. Er habe gesehen, wie Kinder "Polizist gegen Öl-Arbeiter" gespielt und sich dabei gegenseitig erschossen hätten. "Die Lage verschärft sich täglich, das wird noch lange anhalten. Die Regierung tut nichts dagegen."
Im Zuge seiner Verhaftung sei er von Polizisten aus seiner Wohnung geholt worden, "und als ich meine Anwältin anrufen wollte, haben sie mich angegriffen." Dann habe man ihn ans andere Ende des Landes gefahren, wo er zwanzig Tage inhaftiert war. "Ich hatte Glück, dass meine Freunde in Deutschland, Österreich und Moskau protestiert haben." Die Justiz sei in Kasachstan vollkommen intransparent und willkürlich, es würden dort auch keine internationalen Beobachter zugelassen.
"Ich bin kein Politiker, sondern Künstler, aber ich habe eben meine eigene Position", sagt Atabajew. Die Zivilgesellschaft in Kasachstan sei schwach, irgendjemand müsse die Wahrheit sagen. "Ich bin der Mensch, der nicht schweigt." Deshalb mache er auch ein politisches, ein soziales Theater. Das habe er von Brecht gelernt." Zwar kommen die Mächtigen nicht zu uns, sehen sich die Stücke nicht an, aber die Menschen, die kommen, sollen erfahren, warum wir Angst haben und warum wir aktiv sein müssen."
Gelernt zu protestieren habe er bei Schiller und Goethe. Sein Deutsches Theater Almaty sei deutsch, weil es deutsch denke und deutsche Stoffe und Autoren spiele. Darin unterscheide es sich von den anderen ethnischen Theatern des Landes, "die vor allem die Völkerfreundschaft feiern und die ich recht kitschig finde." Es mache ihn auch misstrauisch: "Wenn so viel von Völkerfreundschaft geredet wird, stimmt meistens irgendetwas nicht. Diese Theater sind eher ein Instrument der Regierung: Wenn es gilt, die Kasachen auf andere Gedanken zu bringen, feiern sie die Völkerfreundschaft."
(sd)
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"Ich hatte Glück, dass meine Freunde in Deutschland, Österreich und Moskau protestiert haben", begründet der kasachische Regisseur Bolat Atabajew seine Befreiung aus kasachischen Gefängnissen.