Die Kontrakte des Kaufmanns - Marc Becker einigt sich in Braunschweig mit Jelineks Wirtschaftskomödie auf ein torloses Remis
Widersachertortenschlacht
von Tim Schomacker
Braunschweig, 11. November 2012. Im Grunde erfüllen die Texte von Elfriede Jelinek den mildernden Umstand der Notwehr. Was aus dem großen Da-Draußen an Schreck- und Wirrnissen heranschwappt an die stellvertretende Rezeptorin, ist in erster Linie Bild und Sprache. Und das muss sprachlich in Mangel und Schwitzkasten genommen werden. Darum auch die Kabarettismen im Wortwitz, derer man sich, zuschauend, gelegentlich mit einem leise gezischten "Autsch!" erwehren muss. Im Falle der "Kontrakte des Kaufmanns" müsste man sogar von Putativnotwehr sprechen. Denn das Trumm schreibt sich zwar von zwei österreichisch-finanziellen Real-Skandalen her, weist jedoch voraus auf reichlich Haupt- und Staatskrisen von Lehman Brothers bis Griechenland, von denen wir bisweilen glauben, sie lägen hinter uns. Nach einem Text über Förderungen (die von Öl nämlich, und wie man sie militärisch sichert: "Bambiland", 2003) entstand 2009 dieser über Forderungen. Fordern und Fördern.
Im Namen der Sicherheit (UA) - Marc Becker bringt in Braunschweig seinen eigenen Text zur Uraufführung
Traumnovelle auf Speed
von Alexander Kohlmann
Braunschweig, 17. Dezember 2011. "Bitte achten Sie auf ihr Gepäck", schallt es zu Beginn immer wieder aus den Lautsprechern. Ein zurückgelassener Koffer an der Rampe hat die Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane erregt. Und mit unbeaufsichtigtem Gepäck spaßt man nicht in einer Zeit, in der gerne mal Bürgerrechte gegen die innere Sicherheit aufgerechnet werden. Das kann schnell teuer werden – weshalb Hans Adamski (Tobias Beyer), ein junger Yuppie-Unternehmer aus dem Hochglanzmilieu, sich dann beeilt, seinen Besitzanspruch durch zärtliches Streicheln deutlich zu markieren. Doch dass es in Marc Beckers neuem Stück bald nur noch am Rande um den Übergriff des allgegenwärtigen Sicherheitswahn auf unser Privatleben geht, zeigt sich spätestens, wenn wir erfahren, was sich im Inneren des Koffers verbirgt.
Verrücktes Blut – In Braunschweig wird Nurkan Erpulats und Jens Hilljes Erfolgsstück nachgespielt
Amoklauf einer Pädagogin
von André Mumot
Braunschweig, 20. November 2011. Manchmal muss man auf den Wagen aufspringen, solange er noch richtig gut in Schwung ist. Wohl auch deshalb spielt das Staatstheater Braunschweig schon jetzt den durchschlagenden Theatererfolg der vergangenen Spielzeit nach, dessen Uraufführung noch in aller Munde ist. Eigentlich ist es ja sowieso kein Stück, sondern ein Phänomen, das alle Publikums- und Kritikernerven gleichzeitig in wohlwollende Wallung gebracht hat: "Verrücktes Blut", von Jens Hillje und Nurkan Erpulat geschrieben und von letzterem bei der Ruhrtriennale als Koproduktion mit dem Ballhaus Naunynstraße inszeniert, war jüngst in Mühlheim und beim Theatertreffen zu Gast, ist neben der Jelinekschen "Winterreise" von "Theater heute" zum deutschsprachigen Stück des Jahres gewählt worden – und darf jetzt, da die Hymnen noch nicht verklungen sind, zeigen, ob es auch in fremden Händen funktioniert.
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