Antrittspressekonferenz der neuen Intendantin Iris Laufenberg am Deutschen Theater Berlin
Wie man übers Feuer springt
1. Juni 2023. Im Herbst beginnt Iris Laufenberg ihre Intendanz am Deutschen Theater Berlin. Heute trat sie in Berlin vor Presse und Theaterfans und präsentierte ihre Pläne und ihre Crew. Mit einem Überraschungsgast.
Von Elena Philipp

1. Juni 2023. Großer Andrang im Rangfoyer des Deutschen Theaters. Die Hauptstadtpresse und Interessierte sind zahlreich erschienen zur Antrittskonferenz der neuen Intendantin Iris Laufenberg. Beziehungsorientiert präsentiert sie sich mit ihrem Team, dem Selbstverständnis nach als "Erste unter Gleichen". Eckpunkte des Programms hatte sie vorab schon in der Süddeutschen Zeitung mitgeteilt. Der Live-Auftritt soll jetzt den Ort umarmen und Lust auf den Neustart wecken. Die Anspannung ist spürbar, alle müssen sich zur Lockerheit ermutigen.
Klappmaulpuppe zur Auflockerung
Aber es gibt tatkräftig humoristische Unterstützung: Die Klappmaulpuppe des Dirigenten Dr. Karl Böhm versichert zum Auftakt aus den Sitzreihen heraus misslaunig, sie sei nur "sehr ungern" hier. Ihren Auftritt hat die lebensgroße Puppe ansonsten in Nikolaus Habjans Soloabend "Böhm" (von Paulus Hochgatterer). Das Werk über den Stardirigenten und Nazi-Kollaborateur wird aus Graz nach Berlin übernommen. Mit dieser und weiteren Arbeiten von Habjan bekommt die zeitgenössische Puppenspielkunst viel Raum, zumal einer der als künftig prägend vorgestellten Regisseure, Jan-Christoph Gockel, ebenfalls oft Puppen in seine Inszenierungen integriert.
Multiperspektivisch ist die Antrittskonferenz angelegt. Iris Laufenberg stellt nach und nach die künstlerischen Gruppen vor und bittet einzelne Repräsentant*innen nach vorn. Nino Haratischwili spricht für die Position der Schreibenden, Claudia Bossard mit Alexander Eisenach und Jan-Christoph Gockel für die Regie, und gleich zum Auftakt Mercy Dorcas Otieno für das "Herzstück" des Hauses: das Schauspielensemble.
Dem sichtbar diverser aufgestellten Ensemble bleiben rund 40 Prozent der bisherigen Spieler*innen erhalten (darunter Maren Eggert, Felix Goeser, Lorena Handschin, Ulrich Matthes oder Anja Schneider). Berliner Protagonistinnen wie Julischka Eichel und Svenja Liesau treten hinzu.
Missmutig in der Menge: die Karl-Böhm-Puppe von Nikolaus Habjan © chr
Den Bogen nach Graz spannt Mercy Dorcas Otieno. Mitreißend ausführlich erzählt sie in ihrem Podiumsbeitrag vom Traum einer Schauspielkarriere, der Wirklichkeit geworden sei: Mit 18 Jahren kam sie aus Nairobi nach Göttingen, arbeitete ohne Deutschkenntnisse als Au Pair und bewarb sich dann als Kindermädchen ans Schauspielhaus Graz. Noch unter Intendantin Anna Badora stand sie dort bald auf der Bühne, absolvierte, Jahre später, ein Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar in Wien, weil sie "dazugehören" wollte. Blieb unter Iris Laufenberg lang in der Steiermark. Und wechselt nun vom Schauspiel Bochum ans DT. Beim Bochumer Theatertreffen-Gastspiel von "Der Bus nach Dachau" hatte sie beim Applaus denkwürdig ein Pappschild mit einem Wohnungsgesuch hochgehalten.
Hartes Pflaster Berlin
Berlin ist nicht nur auf dem Immobilienmarkt ein hartes Pflaster. Das weiß auch Iris Laufenberg. Die gebürtige Kölnerin ist mit Berlin seit ihrer Leitungstätigkeit beim Theatertreffen (2003 bis 2011) bestens vertraut. Die Amtsübergabe mit Vorgänger Ulrich Khuon sei überaus "kollegial" verlaufen, berichtet Laufenberg. Ihr Programm führt viele seiner Linien fort. Mit einem starken Schwerpunkt auf Gegenwartsdramatik und einer nachhaltig angelegten Autor*innenförderung schließt sie einerseits an ihre Tätigkeit beim Stückemarkt des Theatertreffens an, der unter ihrer Ägide eine Blüte erfuhr; in Graz hat sie mit dem Internationalen Dramatiker|innenfestival selbst ein Autor*innenforum gegründet. Andererseits übernimmt sie nun die Autor*innentheatertage, kurz "ATT", die Ulrich Khuon 2009 aus Hamburg mitgebracht hatte. Auch "Radar Ost", das Festival mit Osteuropa-Schwerpunkt, das nach seiner letzten Ausgabe als abgewickelt galt, wird wieder auftauchen: Vorerst vielleicht nur als Schwerpunkt-Wochenende, integriert in die "ATT", aber eine Öffnung gen Osten und ins Internationale ist angestrebt.
Weiter Weg nach Berlin: Intendantin Iris Laufenberg und Schauspielerin Mercy Dorcas Otieno © chr
Bei den Autor*innen setzt Laufenberg mit Namen wie Ingrid Lausund und Ferdinand Schmalz auf Grazer Kontinuitäten, wirbt aber zugleich die Erfolgsautorin Sivan Ben Yishai vom benachbarten Maxim Gorki Theater ab. Nino Haratischwili erzählt bei ihrem Podiumsauftritt von einer geplanten Antiken-Überschreibung: Im Februar 2024 wird sie "Penthesilea" in den Kammerspielen auch selbst inszenieren, zweisprachig, deutsch-georgisch. Auch hier ist die Multiperspektivität ein Muss. Durch Programm und Kommunikation zieht sich der Gedanke der Beziehungspflege, lokalisiert nicht nur im umfassenden Bereich der Nachhaltigkeit und Ökologie (mit Johann Otten wird eigens ein – am DT sozialisierter – Dramaturg eingestellt, der die umfassende ökologische Transformation mit gestaltet.)
Das Herz des Unioners
Unter den Spielplan-Positionen sticht die Rainald Goetz-Uraufführung "Baracke" heraus, die Claudia Bossard im September inszeniert. Den Saisonauftakt wiederum übernimmt Alexander Eisenach mit "Weltall Erde Mensch", einem raumgreifenden Science Fiction-Diskurs, inspiriert von dem Sachbuch, das der DDR-Staat seinem Nachwuchs zur Jugendweihe schenkte. Jan-Christoph Gockel will Heiner Müllers "Der Auftrag" mit dem neuen Theatertext "Psyche 17" des togoischen Autors Elemawus Agbédjidji zusammenbringen und so seinen langjährigen Fokus auf den Globalen Süden und die Folgen des Kolonialismus weiter vertiefen.
Alle drei stellten ihre Projekte auf dem Podium eingehend vor. Sie hätten zuletzt in München reüssiert, wie Laufenberg moderierend anmerkt: Bossard am Volkstheater, Eisenach am Residenztheater und Gockel als Hausregisseur der Kammerspiele. Alexander Eisenach nimmt dieses Lockerungs-Angebot gerne auf: Er findet es gut, dass Laufenberg in München wildern war. Im Fußball sei das ja immer anders herum. Vielleicht bedeute das im Analogieschluss nun auch einen Aufschwung für den Berliner Fußball, eine Selbstbehauptung gegen die übermächtigen Bayern. Der gebürtige Berliner outet sich dabei als Union-Fan und erntet einige Lacher für seine Bemerkung, er wisse schon, wie er sich vor Ort "einschleimen" könne.
Abrupt endet die Pressekonferenz nach diesem so launigen Gesprächsschluss, Fragen sind nicht vorgesehen und werden in Kleingruppen verlegt. Einige zentrale Personen des neuen Teams sind an diesem Vormittag verhindert: Claudia Bauer etwa, die im November Kurt Schwitters' "Ursonate" auf die Bühne bringen wird. Mitspielen wird dort Anita Vulesica, die sich ansonsten in Berlin als Regisseurin vorstellen und unter anderem die Übernahme ihrer Grazer Inszenierung von Ionescos "Die kahle Sängerin" zeigen wird. Vulesica weilt zurzeit als Jurorin beim Mülheimer Dramatikpreis und war daher nur in einem vorab produzierten Video präsent. Aber was sie über ihre Komödienvorliebe zu sagen hatte, konnte man fast programmatisch für den Neustart auffassen. Wie hieß es noch unlängst von Ulrich Khuon im nachtkritik-Interview? "Theater braucht krasse Wege. Sein Thema ist der Abgrund." Und Anita Vulesica? Sagte nicht als direkte Antwort, aber doch sinnfällig: "Mich interessiert, wie man übers Feuer oder den Abgrund springt." Statt gelähmt in die Tiefe zu starren erzählen wir uns, wie wir den Abgrund überwinden können. Das wäre doch eine zeitgemäße narrative Programmatik. Der Absprung steht bevor.
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Ich hab das Gefühl, dass unter Theatermacher*innen gerade vor solchen offenen Setzungen zurückgeschreckt wird und man eher die Linie "Show, don't tell" fährt. Verständlicherweise.
Das würde ich mir wünschen. Dass man durch sein Programm auffällt und nicht von der Lokalpresse ständig vorgehalten bekommt, dass man nicht verstanden hat, dass das Stadtpublikum keine Diskurse möchte, sondern nur die "gute, alte Zeit", weil man am Anfang seine Visionen an die größte Glocke hängt.