Drohendes Spardiktat: Appell des Fonds Darstellende Künste
Freiheit gibt‘s nicht umsonst!
13. September 2024. Dieser Tage wird für die Freien Darstellenden Künste demonstriert, in Hamburg oder Berlin: Kürzungen drohen, bislang gibt es kein Verhandlungsergebnis mit der Politik. Der Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste, der ebenfalls weniger Mittel erhalten soll, hat dazu einige Hinweise.
Von Holger Bergmann
13. September 2024. Vor dem Kanzleramt wird gemeckert, das Parlament berät über die Freie Kunst- und Kulturlandschaft, Guerrilla-Aktionen in Hamburg vergrößern die ersten Solidaritätsgesten der Stadt- und Staatstheater mit der Freien Darstellenden Kunst, die Feuilletonist*innen haben einen neuen Grund, die Bundeskulturpolitik massiv zu kritisieren und vor wenigen Tagen wurde in einem performativen Akt eine Petition mit über 36.000 Unterschriften an Claudia Roth und den Petitionsausschuss gesendet: Mittlerweile weiß die Öffentlichkeit, dass dem Bündnis internationaler Produktionshäuser, einem Netzwerk der sieben bundesweit und international agierenden Häuser, sämtliche Bundesmittel gestrichen werden sollen. Den sechs Bundeskulturfonds, die freischaffende Künstler*innen in den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Übersetzung, Darstellende Kunst, Soziokultur und Musik fördern, wird der ohnehin nicht ausreichende Förderansatz von 2024 halbiert.
Für den Fonds Darstellende Künste konnten nur noch 46 Prozent des jetzigen Ansatzes in der Haushaltsaufstellung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) für 2025 berücksichtigt werden. Damit fällt der Fonds nach den Jahren der Pandemie erneut massiv ab: von 10,3 auf 5,6 Millionen Euro.
In Erfüllung des Koalitionsvertrages?
Ein kurzer Rückblick: Während der Sondersituation der Pandemiehilfen erarbeitete der Fonds gemeinsam mit BKM- und Bundesländer-Fachebenen Förderprogramme für eine resilientere Szene. Für diese sechs Förderlinien wurde seit 2022 ein Bedarf von 16,5 Millionen Euro angemeldet.
2023 war es der BKM gelungen, zusätzlich zur Weiterführung von Neustart Kultur (rund 3 Millionen Euro) durch Aufstockungen im Nachtragshaushalt eine Zuwendung für die Regelförderung des Fonds in Höhe von 6,9 Millionen Euro bereitzustellen. Der damals drohende radikale Förderabbruch war mit rund 10 Millionen Euro insgesamt erfolgreich gemildert. Für 2024 sollte der Fonds endgültig, unter Einlösung des Koalitionsvertrages, seine Planungen zum maßgeblichen Teil realisieren und seine Rolle des Innovationstreibers fortentwickeln können. Eine umfassende Umstrukturierung nach der zuvor umfangreichen Tätigkeit für die Corona-Hilfen bei Personal, Intensivierung von digitalen Prozessen, neuen Programmen und erweiterten Zugänglichkeiten u.a. erfolgte. Alles in enger und produktiver Abstimmung mit den Fachebenen der BKM.
Nice to have? To be or not to be!
Die differenzierten Programmlinien setzen dabei aus unserer Sicht bereits Maßstäbe für die Förderung in Bundesländern und Kommunen und vor allem Anreize zum Ausbau der jeweiligen regionalen Förderungen der freien Künstler*innen, da der Bund nur subsidiär, also nachgeordnet, fördert. Der Anteil der Bundesförderung liegt bei den geförderten Vorhaben bei circa 40 Prozent; aus Kommunen, Ländern oder von weiteren Drittmittelgeber*innen kommen weitere fast 60 Prozent hinzu. Die Bundesmittel sind somit ein Anreiz dafür, die Mittel von Kommunen und Ländern zu stabilisieren oder gar auszubauen!
In diesen Zeiten geht es für die Künstler*innen nicht um ein "nice to have", sondern um "to be or not to be!”. Dies zeigen auch die von Künstler*innen initiierten Aktionen, Petitionen und Veröffentlichungen. Aber es zeigt sich dahinter noch mehr: Es wird deutlich, dass bundesweit über diese Förderung sehr viele und äußerst unterschiedliche Künstler*innen, Ästhetiken und Publika erreicht werden.
Kontinuität tut Not
Wenn zurzeit die bad-mouthing Expert*innen die Fragen süffisant flüstern: "Wen erreichen die denn überhaupt?", dann zeigt sich hier bereits eine erschreckende Annahme, es gäbe eine wie auch immer geartete Majorität, die "das Publikum" stellt oder sollte ich sagen: sowas wie ein Volk? Eine ausgemachte "normale" Mehrheit, die nicht queer ist, die weiß ist, die den Kanon kennt, die einkommensstark ist, die blaue Krawatten trägt. Ja, ich übertreibe. Aber merken wir nicht, dass jede Mehrheit in diesem Land aus einer Vielzahl von Minoritäten besteht und dass genau das die Demokratie ausmacht?
In Zeiten der Kommunikationsumbrüche geht es doch genau darum, gezielt Menschen zu erreichen, die bislang wenig oder gar nicht in der Kunst- und Kulturlandschaft vertreten waren. Es geht darum, die gesamte Bevölkerung eines Landes zum Ausgangspunkt für Kulturerfahrungen zu machen. Hierbei leisten die Freien Darstellenden Künste enorm viel. Zugleich sind sie international präsent und bundesweit immer wieder ästhetische*r Impulsgeber*in.
All das darf uns nicht nur eine Förderung auf Zuruf wert sein, mal so – mal so. Es braucht Kontinuität. Weil diese Kontinuität das künstlerische Diktum der Veränderung, des Fortschritts und des Wechsels stärkt. Mehr KUNST wagen, mehr Freiheiten leben, das stärkt Demokratie, nicht das Gebrüll der Rechtsradikalen in den Parlamenten oder auf der Straße.
Ja, Freiheit kostet Geld, aber vor allem auch Mut zum Handeln in Vielfalt!
Die politischen Debatten und Gespräche sind derzeit durchaus ermutigend und zeigen, dass hinter den Kulissen an Kompromissen gearbeitet wird. Auch das ist ein gutes Signal für alle, die "meckern", Briefe schreiben, auf die Straße gehen, Premieren-Absagen faken oder die eine Petition einreichen, denn es zeigt eine Selbstwirksamkeit, die Einfluss nehmen kann. Auch das zeichnet die Demokratie aus: Lösungsorientiertheit, Erkennen von Fehlentscheidungen, Kompromissfähigkeit aller Seiten. Und gerade diese Fähigkeiten sind es, die die Grenze markieren zwischen den Antidemokraten und der Verfassung. Mein Wunsch wäre es, diese Selbstwirksamkeit auch wieder im Zurückdrängen des Rechtsextremismus zu erfahren: denn nichts ist so wenig mit Geld zu bezahlen wie die Freiheit!
Holger Bergmann ist seit 2016 Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste. 2002 war er Gründungsmitglied und bis 2014 Künstlerischer Leiter des Theaterproduktionshauses Ringlokschuppen Ruhr. 2017 gründete er den kulturpolitischen Verein DIE VIELEN mit. Im November 2018 wurde er in den Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft gewählt und ist seit 2021 Mitglied im Rat für Darstellende Künste und Tanz des Deutschen Kulturrats.
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