Wir dürfen wieder "Burg" sagen

23. April 2024. Bei der Vorstellung seiner ersten Saison als Direktor des Wiener Burgtheaters beschwört Stefan Bachmann "das Leichte, das Luftige, das Zugängliche". Und distanziert sich demonstrativ von seinem Vorgänger.

Von Martin Thomas Pesl

Stefan Bachmann und Thomas Jonigk © Inés Bacher / BURG

23. April 2024. Durch Rollen aus Draht blickt die versammelte Journaille Wiens auf den leeren Zuschauerraum des Burgtheaters. Das Bühnenbild zur ursprünglich Kölner Inszenierung Johann Holtrop ist im Aufbau begriffen, davor stehen der designierte Direktor Stefan Bachmann und sein Chefdramaturg Thomas Jonigk und stellen ihre Pläne für die Spielzeit 2024/25 im größten Sprechtheater des deutschsprachigen Raumes vor.

Zuvor aber zelebrieren der Schweizer und der Deutsche noch ihre jahrzehntelange Bromance. Bachmann lässt Jonigk erst zu Wort kommen, nachdem er seine Begegnung mit dem damals jungen Autor in den Neunzigern geschildert und die gemeinsamen Stationen – freie Gruppe in Berlin, zuletzt eben Köln – aufgezählt hat. "Wir sind nicht immer Hand in Hand durchs Leben gegangen", meint Bachmann und setzt fast ein bisschen verschämt hinzu: "Aber ich freue mich einfach außerordentlich, dass ich das mit dir zusammen machen darf." Die Cuteness der beiden älteren Herren in ihren Anzügen, einmal hell, einmal dunkel, beide mit offenem Hemd und ohne Krawatte, wischt geschickt über den Moment hinweg, an dem man sich wieder einmal hätte ärgern können, wie männlich dominiert der ganze Betrieb ist.

Martin Kušej wird sich ärgern

Anschließend wurden durchaus ein paar Frauen ins Licht geholt, die typischerweise die Ebenen darunter verantworten: die Betriebsdirektorin Anna Kohlmeier etwa und die Leiterinnen der neuen Vermittlungsschiene "Community & Bildung", Anna Manzano und Saliha Shagasi, die mit Familienstücken und Clubs (nicht nur für die Jugend) das Vestibül, also die kleinste Spielstätte der Burg bespielen werden.

Moment mal: "Burg"? Darf man das denn wieder sagen? Bachmanns Vorgänger Martin Kušej hatte ja eine Strafkasse für jedes Mal eingefordert, da sich jemand nicht die Zeit nahm, respektvoll "das Burgtheater" zu sagen. Niemand hielt sich daran, und so wirkt es fast wie ein letzter Dolchstoß nach hinten, dass Bachmanns gesamte Corporate Identity auf dem kurzen Wort "Burg" aufbaut. Die Burg ist die Institution, das Burgtheater ihre größte Spielstätte. Als Thomas Jonigk sich einmal verspricht und dann korrigiert, ergänzt sein Chef schmunzelnd, Dogma sei das ja auch wieder keines.

Olaf Altmanns Bühnenbild zu Bachmanns Kölner Inszenierung "Johann Holtrop" © Tommy Hetzel

Überhaupt geht alles viel freundlicher zu als zuletzt, was keine große Kunst ist. Im krassen Gegensatz zur "Suppe", die Martin Kušej zu Beginn seiner Amtszeit ausschüttete, ist der Großteil der Gesichter im Spielzeitheft bekannt. Eng mit Kušej assoziierte Namen wie Norman Hacker und Bibiana Beglau bleiben dem Haus ebenso erhalten wie die Alteingesessenen, die robuste Suppeneinlage aus 2019 sozusagen. Viele Produktionen werden zudem aus dem aktuellen Repertoire übernommen, diejenigen, die Bachmann und Jonigk aus Köln mitbringen, teils mit dem Bestandsensemble neu einstudiert.

Eine Handvoll Spieler:innen, darunter Bruno Cathomas, Stefko Hanushevsky, Rebecca Lindauer, Ines Marie Westernströer, kommt aus Köln mit, vom Münchner Residenztheater wechseln Franziska Hackl, Thiemo Strutzenberger und Michael Wächter nach Wien. Caroline Peters kehrt ins Ensemble zurück, ebenso wie Stefanie Reinsperger, die derzeit am Berliner Ensemble engagiert ist. Apropos BE: Ifflandring-Träger Jens Harzer, der dort ja 2025 neu anfängt, wird in der Eröffnungsproduktion "Hamlet", inszeniert von Karin Henkel, an der Burg gastieren. Auch Gast bleibt Joachim Meyerhoff, er ziert die deutschsprachige Erstaufführung eines neuen Ayad-Akhtar-Stücks, das zuvor am Broadway mit Tom Hanks herauskommt.

Viele Klassiker, kaum Gegenwartsdramatik

Die Spielstätte Kasino am Schwarzenbergplatz muss renoviert werden. Bei der Frage nach der geplanten Fertigstellung gerät Bachmann ins Schwitzen: "Was Baustellen angeht, bin ich ein gebranntes Kind." Vorgesehen ist jedenfalls, dass es dort 2025/26 mit neuer digitaler Ausstattung und flexiblerer Tribüne weitergeht – das weckt hoffnungsvolle Erinnerungen an die Direktion Bachler (bis 2009), als das Kasino bei fast jeder Premiere räumliche Überraschungen zu bieten hatte. Während des Umbaus sind ein "Kasino digital" und ein "Kasino mobil" geplant. Details dazu stehen jedoch noch nicht fest – einmal mehr Anlass für Jonigk und Bachmann, an ihre "sportlich" knappe Vorbereitungszeit zu erinnern. Erst im Dezember 2022 wurde der neue Direktor ernannt.

Zeitmangel wird auch als Grund für das Fehlen neuer Stücke österreichischer Autor:innen genannt – die Ausnahme bildet Mareike Fallwickl, die fürs große Haus einen Text über die Kaiserin Sisi schreibt – ihren ersten dramatischen, wie es aussieht. Der freche Titel: "Elisabeth!". Ansonsten dominieren den Spielplan Klassiker von Shakespeare bis Brecht und Romanbearbeitungen von Han Kangs "Vegetarierin" bis Sibylle Bergs "Vielen Dank für das Leben" (von ihr selbst unter dem Titel "Toto" adaptiert). Auch in Sachen Regie sind nur wenige Namen neu. Ersan Mondtag, Mina Salehpour, Marie Schleef, Fritzi Wartenberg, Therese Willstedt, Philipp Stölzl und Jonigk selbst werden erstmals an der Burg inszenieren. Ansonsten regiert Kontinuität.

In Köln war alles ein bisschen steifer: Stefan Bachmann bei seiner Vorstellung als neuer Intendant am dortigen Schauspiel im Jahr 2011 © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0

Herzig, wie Bachmann und Jonigk die Positionen in Burg- und Akademietheater abwechselnd vortragen, bedacht darauf, nie die eigenen Regiearbeiten zu preisen, die des anderen aber umso mehr. Die einzige große Sensation hebt sich der Direktor bis zum Schluss auf und präsentiert sie, nonchalant, gar nicht wie eine große Sensation: Im Rahmen der Wiener Festwochen 2025 wird Milo Rau im Burgtheater "Burgtheater" von Elfriede Jelinek inszenieren. Der Text, der die Verstrickungen der Schauspieldynastie Wessely/Hörbiger in die NS-Propaganda thematisierte, war bei seinem Erscheinen 1985 ein Riesenskandal und noch nie auf einer Wiener Bühne zu sehen.

Leicht und luftig

Mit den Kölner Machtmissbrauchsvorwürfen 2018 wird Bachmann heute nicht konfrontiert – vielleicht weil seine Frau Melanie Kretschmann vorerst nur Gastschauspielerin ist. Überhaupt ist die Stimmung bei der abschließenden Fragerunde amikal, selbst dem Enfant terrible Thomas Trenkler vom "Kurier" fällt nichts exorbitant Feindseliges ein. Wie auch? Die neuen Herren taten nichts, womit sie hätten anecken können. Ihre Pressekonferenz haben sie extra nicht gestreamt, um uns Journalist:innen exklusiv Respekt zu erweisen – wir fühlen uns geschmeichelt! Die neue Leiterin der Presseabteilung, Enna Zagorac, ist zudem Wienerin und noch aus ihrer Zeit am Volkstheater beliebt. Und Bachmann reihte in seiner sympathisch schwafelnden freien Ansprache folgende substantivierte Adjektive aneinander: "das Leichte, das Luftige, das Zugängliche, das Transparente", wissend, dass er sich genau mit solchen Versprechungen von seinem düster-depressiven Vorgänger absetzen kann.

Die Stimmung im Haus und drumherum dürfte zunächst also deutlich besser sein als zuvor. Der Eindruck ist: Alle atmen erleichtert auf, weil Kušej weg ist und sie noch da sind, also empfangen sie die Neuen mit offenen Armen. Wie interessant oder gar innovativ das Theater wird, das aus diesem Burgfrieden hervorgeht, scheint dabei zunächst zweitrangig. Das ist bei allem Verständnis auch bitter für Wien: Bereits 2025 nämlich verlässt der Theater-Punk Kay Voges Wien und das Volkstheater – gen Köln. Wo werden wir uns dann aufregen?

 

Martin Thomas Pesl, geboren 1983 in Wien, arbeitet von ebenda aus als Sprecher, Übersetzer aus den Sprachen Deutsch, Englisch und Ungarisch sowie als Autor, u.a. seit 2011 für nachtkritik.de und seit 2016 für den Falter. Seit 2019 Beiträge für Deutschlandfunk Kultur. Zudem ist Martin Thomas Pesl seit 2021 Mitglied der ehrenamtlichen Jury zum Wiener Theaterpreis NESTROY und für die Ausgaben 2024 bis 2026 in der Jury zum Berliner Theatertreffen.

Kommentare  
Bachmann an der Burg: Wo ist das Junge Theater?
Schön, dass man jetzt wieder Burg sagen darf. Aber wo ist die Junge Burg? Dass das größte Sprechtheater der Welt seine Sparte für Kinder und Jugendliche einfach so kommentarlos aufgibt, ist wirklich ein erschreckendes Signal.

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Lieber David,
die "Junge Burg" gibt es unter dem Namen bereits seit der Intendanz von Karin Bergmann nicht mehr.
Und im Rahmen der im Text erwähnten "Community & Bildung"-Schiene wird es unter Bachmann Theater für junges Publikum geben.
Herzliche Grüße aus der Redaktion!
Bachmann an der Burg: Klingt sympathisch
Klingt ja ganz sympathisch . Was ist gegen Kontinuität bei der Regie einzuwenden, es gibt ja doch einige Neue ? Die Kritik wegen angeblich zu wenig Frauenpower, ist nicht nachzuvollziehen.
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