Ein bisschen divers, ein bisschen konservativ

8. Dezember 2023. Pınar Karabulut und Rafael Sanchez übernehmen die Intendanz des Schauspielhaus Zürich. Was viele überrascht hat, ist genauer betrachtet eine sehr naheliegende Entscheidung.

Von Valeria Heintges

Rafael Sanchez und Pınar Karabulut © Markus J. Bachmann

8. Dezember 2023. Pınar Karabulut und Rafael Sanchez – wer auf diese Intendanten-Kombination für das Schauspielhaus Zürich gewettet hätte, wäre jetzt ein reicher Mensch. Als am Mittwoch die Entscheidung in die Welt geschickt wurde, war die Überraschung allerorten groß. Als die beiden am Freitagvormittag auf dem Sofa Platz nahmen, um den Medien Rede und Antwort zu stehen, schien es sogar, als wären sie selbst am meisten überrascht worden. Auch die Freude war ihnen deutlich anzumerken.

Dabei schließen sich mit der Entscheidung einige Kreise. Just in Zürich haben sich Karabulut und Sanchez kennengelernt – da war er mit Barbara Weber Co-Leiter des Theaters Neumarkt und sie seine Regieassistentin. Als solche folgte sie ihm ans Schauspiel Köln, wo er Hausregisseur geworden war. Mittlerweile hat sie sich längst mit bunten, lauten Inszenierungen einen Namen gemacht, überschreibt gerne Klassiker aus feministisch-aktivistischer Perspektive. Entsprechend lautet einer der Titel ihrer ersten Abende: "The Great Tragedy of Female Power. Ein Projekt mit Texten von William Shakespeare, Lady Gaga und deiner patriarchal geprägten Dominanz". Entstanden 2018, am Theater Neumarkt in Zürich, allerdings schon unter der Nachfolge-Intendanz von Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler.

Ihre großen Arbeiten entstanden in Köln – etwa "Invasion!", mit dem sie 2015 zum Festival Radikal jung eingeladen wurde, und 2021 Edward II., eine queer-feministische Digital-Theaterserie. Oder an den Kammerspielen München, wo sie 2020 bis 2023 Teil der künstlerischen Leitung war. Mit Like Lovers do (Memoiren der Medusa) wurde sie 2022 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Arbeiten wie diese fördern die Zuversicht, das junge und diverse Publikum, das Stemann und von Blomberg angelockt haben, bei der Stange halten zu können. "Wir stellen die Diversität nicht aus", sagt Karabulut, "sie ist immanent in unseren Biografien, in unseren Namen."

Beruhigung für konservative Herzen

Kommt die gebürtige Mönchengladbacherin mit dem "frischen Blick von außen", wie das Rebekka Fässler, Verwaltungsrätin und Co-Direktorin Kultur der Stadt Zürich, ausdrückte, ist die Berufung für den gebürtigen Basler Sanchez eher ein Heimkommen. "Bevor ich einen Publikumsraum kannte, stand ich selbst auf der Bühne", berichtet Sanchez in Zürich. Denn er gehört zu den vielen, die das Junge Theater Basel mit dem Schauspiel bekannt machte. Schon früh fährt er ins Theater nach Zürich, "2006 hing ich schon bei Marthaler herum". Er wird Hausregisseur in Basel, leitet von 2008 bis 2013 mit Barbara Weber das Theater Neumarkt. Und kennt jetzt nach zehn Jahren am Schauspiel Köln das Haus so gut, dass er ab Sommer 2024 ein Jahr als Interimsintendant zwischen Stefan Bachmann und Kay Voges fungiert.

Es hat dem Duo sehr genutzt, dass Sanchez Zürich und die Schweiz kennt. Dass die Verträge ihrer Vorgänger Stemann und von Blomberg nicht verlängert wurden, hatte mit ihrer Unkenntnis des Zürcher Pflasters zu tun und ihrem mangelnden Willen, die eher konservative Stammklientel zu bedienen. Die wird schon in der mit der Medienmitteilung verbreiteten Sanchez-Biografie besänftigt, in der steht, der 48-Jährige fokussiere sich in seinen Arbeiten "auf die präzise Beobachtung der Figuren und deren Perspektivierung, um ihre Geschichten in all ihren Facetten zu erzählen".

Auch bekennen sich Karabulut und Sanchez zu einem starken Ensemble und starken Handschriften der Regisseur:innen, mit denen sie zusammenarbeiten wollen. Das Prinzip der (ursprünglich) acht (später nur noch fünf) Hausregisseure ist vorbei. Ebenso das Experiment der Tanzkompagnie an einem ausgewiesenen Sprechtheater. Das hat der Verwaltungsrat schon zum Ende der laufenden Saison beendet – aus finanziellen Gründen.

Die Einhaltung des Budgets wird ohnehin die größte Herausforderung für Karabulut und Sanchez sein: Sie müssen das neu gewonnene Publikum behalten und das vergraulte zurückbekommen. Sonst können sie die leeren Kassen des Schauspielhauses Zürich nicht wieder füllen. Ob ihnen das gelingen wird, ist schwer zu sagen, da die beiden sich weitgehend bedeckt hielten. Sie wollen jeweils ein- bis zweimal pro Saison inszenieren und "später dann hoffentlich" auch wieder an anderen Häusern, so Sanchez.

Genau besehen ist die Entscheidung also keine Überraschung: Ein Schweizer, eine Deutsche. Ein Mann, eine Frau. Ein bisschen divers, ein bisschen konservativ, dazu ein Bekenntnis zum Sprechtheater und zum Ensemble. Und viel Vorfreude auf die große, hoffentlich nicht zu große Aufgabe. Das Rezept klingt nicht revolutionär, könnte aber passen. Denn Zürich ist eindeutig revolutionsmüde.

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