Debatte um die Zukunft des Stadttheaters - Stadttheater ist nicht nur eine Organisation oder Institution, sondern eine kulturelle Form
Die Funktion des Stadttheaters
von Ulf Schmidt
28. Juli 2011. Matthias von Hartz weist in seinem Artikel auf nachtkritik.de darauf hin, dass die Eigen(un)dynamik der Institution "Stadttheater" das verhindert, was er als "Innovation" beschreibt. Der Druck zur Auslastung der Produktionsmittel führt dazu, dass gemacht wird, was die vorhandenen Personal- und Sachmittel ökonomisch einsetzt. Der Mitteleinsatz wird Selbstzweck. Daraus könnte man jetzt ableiten, den Theatern gehöre wie ähnlichen behördenartigen Organisationen wie Bahn und Post nur einmal ordentlich die Struktur durch McKinsey überholt und flexibilisiert. Sollte man aber nicht.
Tatsächlich führt das von von Hartz verwendete Stichwort "Fabrik" weiter und deutet an, dass die Institution Stadttheater nicht deswegen Neues und Anderes behindert, weil sie eine Institution (und damit von vornherein unbeweglich) ist, sondern weil in diese Institution eine Produktions- und Produktform eingeschrieben ist, gegen die sich kaum von innen her angehen lässt. Es ist die Produktionsform des Industriezeitalters, das zu Ende gegangen ist.[1] Entstanden im beginnenden Industriezeitalter, sind die Stadttheater Fabriken, die (recht flüchtige) "Produkte" herstellen.
Was sich "freies Theater" nennt, ist ein anderes Theater
Bis ins späte 20. Jahrhundert war diese Theaterform die maßgebliche Form sowohl für öffentlich finanzierte wie auch für Privattheater. Daneben stattfindendes "Freies Theater" war Laientheater, das sich als defizienter, un-professioneller Modus des Stadttheaters verstand. Das änderte sich in den 80ern und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, als Freie Gruppen zu einer eigenständigen Theaterform wurden. Nicht die Tatsache, gerade kein eigenes Theater und keine stadttheatralen Produktionsmittel zur Hand zu haben, macht nun das Freie Theater aus, sondern die bewusst andere Arbeit an einer anderen Theaterform, die die Theaterfabriken hinter sich lassen wollte.
Von Hartz zieht einen Vergleich zu den Organisationsformen von Silicon Valley-Firmen. Und konstatiert, dass Innovationen in den letzten Jahren vor allem in der Freien Szene zu sehen waren. Der marketingorientierte Begriff der "Innovation" ist zwar etwas unglücklich, aber geeignet, sich gegenüber Stadttheater als Hort der Tradition zu konturieren. In der Ausrichtung freier Theaterarbeit auf ein Neues, in ihrer Gründung auf Neugier und Neu-Gier, sind diese Theaterformen einer Gesellschaftsform näher, die sich ebenfalls zunehmend durch Ausrichtung auf Zukünftiges definiert denn durch Historisches.
Aus zwei Theatern macht eines? Oder zwei? Oder was?
Wenn es diese Spaltung in zwei Theaterformen – die "alte" institutionalisierte Stadttheater-Fabrik und die "neuen" freien "Silicon Valley"-Theater – gegeben hat, ist die erste Frage, ob sie nebeneinander bestehen werden, ob es zu einer Wiedervereinigung kommen wird oder ob die eine durch die andere Form abgelöst werden kann. Von Hartz' Vorschlag dazu, nämlich die Gründung eines Leuchtturm-Theaters mit Innovationsbegutachtungszwang für Intendanten ist eigentlich eher ein Symptom für die Problemstellung, denn ein ernst zu nehmender Lösungsvorschlag.
Er springt in pragmatischer Absicht unter der selbst hoch gelegten Latte durch. Wenn seine Diagnose hinsichtlich der institutionellen Selbstblockierung der Stadttheater richtig ist, ist seine Lösung falsch. Wenn seine Diagnose im hier vorgeschlagenen Sinne mit Konzentration auf die überkommene Fabrikorganisation der Stadttheater verstanden wird, müssen die Veränderungen mindestens so tiefgreifend sein wie diejenigen, die die weltweiten Gesellschaften gerade durchlaufen.
Von der Industrie- und Schriftgesellschaft zur Netzgesellschaft
In der Soziologie wird seit Jahren ein zunehmend breiterer Diskurs um den Begriff der Netzgesellschaft geführt. Sowohl Manuell Castells[2] Arbeiten wie diejenigen von Boltanski/Chiapello[3] als auch der häufig im Theaterumfeld anzutreffende Dirk Baecker setzen sich mit dieser tiefgreifenden Wandlung auseinander: Wir haben es mit nichts Geringerem zu tun als mit der Vermutung, dass die Einführung des Computers für die Gesellschaft ebenso dramatische Folgen hat wie zuvor nur die Einführung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks.[4]
Wir erleben gegenwärtig den rasanten Wechsel von der Schriftgesellschaft zur Netzgesellschaft, einen kommunikativen Umbruch, dem im produktiven Bereich die Ablösung von der Industrie bzw. Fabrik entspricht. Er wirbelt Wirtschaftsorganisation durcheinander, verschiebt auf Wissen beruhende Machtstrukturen, bringt Verhältnisse von Raum und Zeit, Nähe und Ferne, Fremd und Freund, Privat und Öffentlich in einer Geschwindigkeit durcheinander, die sich zwar mit vollziehen lässt, nicht aber zugleich reflexiv einholen.
Das Ende der ererbten Sicherheiten
Die ererbte Sicherheit einer Schriftgesellschaft, die ihre staatlichen, schulischen, künstlerischen, wissenschaftlichen, medialen Machtverhältnisse einigermaßen fest verankert hatte, zerfällt in der Netzgesellschaft zu Staub, entzieht alten Verlässlichkeiten die Verlässlichkeit, ohne neue Verlässlichkeiten schon parat zu haben. "Prekariat" ist nicht nur die Existenzform der meisten Mitglieder Freier Gruppen, es ist die um sich greifende Existenzform der mit der Netzgesellschaft zugleich entstehenden Wissens- oder Kreativgesellschaft.
Das Netz der Netzgesellschaft ist kein soziales, auch wenn der englische Begriff vom "social network" so heimelig danach klingt. Diese neue Gesellschaftsform nur auf ihre symbolhaften Höhepunkte, wie die Guttenberg-Affäre, Wikileaks, die angebliche Facebook-Revolution in Ägypten oder den Niedergang von Musik- und Filmkonzernen durch sogenannte Raubkopien zu beschränken, würde an der Oberfläche bleiben.
Man könnte dann glauben, die Netzgesellschaft sei einfach die alte Gesellschaft plus Internet. Inzwischen aber lässt sich kaum mehr übersehen, dass die faustische Frage danach, was die Welt im Innersten zusammen hält, provokant die Antwort bekommen könnte: das Netz. Anders gesagt: Besteht (wie Baecker mit Luhmann postuliert) die Gesellschaft aus Kommunikation, so muss die Gesellschaft und ihr Verständnis sich grundlegend wandeln, wenn die Kommunikation sich grundlegend wandelt.
Das Theater in der Netzgesellschaft braucht neue Produktionsweisen
Mag das in dieser holzschnittartigen Verkürzung jedem Historiker die Zornesröte ins Gesicht treiben, so hat es doch den Vorteil jeder Schwarz-Weiß-Malerei: Unterschiede klar erkennbar zu machen und Grauwerte als Mischungen aus Schwarz und Weiß zu betrachten. Das Stadttheater gegenwärtiger Form ist nicht nur ein Relikt der Industriegesellschaft, es ist zudem ein Theater der Schriftkultur. Nicht bloß im Sinne eines unbefragten Primats des "Dramas" gegenüber der Inszenierung/Aufführung, sondern auch in der ewig reaktivierten Debatte über Werktreue, Interpretation, kreative Neudeutung, Zerstückelung, Materialwerdung usw. zeigt sich noch der "Machtkampf" um die Bühnenhoheit.
Der Begriff der Inszenierung – so harmlos beschreibend er auch wirkt – schleppt dieses alte Erbe mit sich wie Hundekot am Schuh.[5] Ihn abzulösen und zu ersetzen, heißt nicht einfach, ein anderes Wort zu wählen. Sondern sich im Versuch, eine andere Arbeitsweise zu benennen, von der Zumutung des Inszenierens zu verabschieden und Köpfe und Bühnen zu öffnen auf eine andere Arbeitsweise – und zugleich ein anderes Erlebensversprechen an die Besucher.[6]
Mit einer schönen Formulierung Baeckers über "Produktionsöffentlichkeiten" könnte man etwa als eine Funktionsweise dieses Netzgesellschaftstheaters benennen, dass sie sich mit der neuen Aufgabe anreichern, "dem Verdacht nachgehen zu können, dass man sich besser selber verstehen würde, wenn man das besser verstünde, wovon man bisher keine Ahnung hat."[7]
Theater findet in (der) Gesellschaft statt – aber in welcher?
Kein Theater kommt um die Einsicht herum, dass es in der Gesellschaft stattfindet, sich Gesellschaft im Theater bildet und sich zum gewissen Maße ein Selbstverständnis erschafft. Ob es sich damit begnügt, dieser Gesellschaft harmloses Vergnügen und zwanglose Pausenkonversation zu ermöglichen, oder ob es sich bewusst und gezielt mit der Gesellschaft und der eigenen Funktion darin (vielleicht sogar kritisch) auseinandersetzen will, macht dabei keinen Unterschied. Gesellschaftliche Funktion ist nichts wofür, oder wogegen sich ein Theater entscheiden könnte: Es hat sie.
Entscheidend für ein Fortbestehen der deutschen Stadttheaterlandschaft ist allerdings ebenfalls, dass der lebensweltliche Aufwand eines Theaterbesuchs nicht mehr nötig ist, um harmloses Vergnügen und einfache Unterhaltung ("Unterhaltung" dabei sowohl im Sinne von Entertainment als auch im Sinne von Konversation) zu finden. Die digitale Infrastruktur macht Unterhaltung in beiderlei Sinne ganz einfach jederzeit und an jedem Ort zugänglich, so dass der Gang ins Theater zu einer geradezu archaischen Anstrengung in einer sowieso permanent überanstrengten Gesellschaft wird.
Die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion
Der Fokus auf bloße Unterhaltung scheint entsprechend nicht die richtige Strategie, um die Existenz der Stadttheater auch in Zukunft zu sichern. Stattdessen hat/hätte Stadttheater die Chance, in einer komplett unüberschaubaren und orientierungslosen Netzgesellschaft einen Ort der Selbstreflexion zu geben. Voraussetzung dieser Selbstreflexion muss aber das Bewusstsein sein, dass Theater in der (Stadt-)Gesellschaft eine Funktion hat. Und Voraussetzung ist ebenso eine Selbstbefragung, welche Funktionen das Stadttheater bisher erfüllt hat, welche es verloren hat – und vor allem welche es einnehmen könnte. Die Tatsache nämlich, dass niemand aus dem Stand angeben könnte, welche Funktion "das“ Stadttheater oder einzelne Stadttheater eingenommen haben, heißt nicht, dass es keine solche Funktion gab.
Auch die Weigerung einer funktionalen Bestimmung durch den einen oder anderen Beschäftigten am Theater vermeidet nicht, dass es in der Gesellschaft Funktion hat. Wer die Frage stellt, warum abends Menschen in ein bestimmtes Theater gehen, was sie erwarten oder was dort mit ihnen geschieht, eröffnet damit bereits die Frage nach der Funktion. Und sie wird in jedem Falle eine Antwort bekommen. In einem eigenartig allein hängenden Satz stellt von Hartz auf nachtkritik.de fest: "Als Theaterbesucher wünsche auch ich mir, dass die Institution sich mit den Themen der sie umgebenden sozialen Realität befasst." Diese Funktion in der Netzgesellschaft einzunehmen, stellt Theater vor die Aufgabe einer Selbst-Neuerfindung. Denn die "alte" Funktion ist dahin.
Der Verlust der alten Repräsentationsaufgaben
Das fabrikartige, textdominierte Stadttheater hatte in der Stadt, in der es angesiedelt war, eine gesellschaftliche Funktion (was etwas anderes ist als ein Zweck). In einer Zeit, da das Bildungs- und Besitz-Bürgertum sich einerseits abzugrenzen hatte gegen alten Adel, andererseits gegen das wachsende Proletariat, war das Theater der Treffpunkt der "feinen" Gesellschaft. Es war in einer Zeit rastloser Arbeiterwanderung ein Fixpunkt, sich mit seinesgleichen auch in fremden Städten zu treffen.
Es spielte auf der Bühne Bürgerlichkeit vor und vermittelte den kanonischen Inhalt bürgerlicher (Pflicht-)Bildung. Es stellte einer recht finanzkräftigen Schicht eine hinreichend exquisite Abendbelustigung zur Verfügung, über die sich zudem noch unter Fremden Konversation treiben und Gesprächsthemen finden ließen. Das mag keine abschließende Bestimmung dieser Funktionen sein – aber einige dieser Funktionen sind die Stadttheater bis heute nicht los geworden, wiewohl die Klientel, die sich dieser Funktion bedient, gerade dabei ist auszusterben und die Gesellschaft, der sie angehört, zerbröselt.
Eine Funktion jenseits (ökonomischer) Zwecke
"Funktion" ist dabei, wie gesagt, nicht mit "Zweck" zu verwechseln. Keine Kunst, auch nicht die Theaterkunst, ist verpflichtet, einem Zweck zu dienen. Trotzdem haben Kunst im Allgemeinen und Theater im Besonderen eine Funktion – ob sie wollen oder nicht. Welche Funktionen hatte Theater in der Vergangenheit? Welche Funktion hatte das Theater der Gott-Menschen-Welt der attischen Tragödie? Welche Funktion hatten die mittelalterlichen Mysterienspiel-Stadtfeste? Welche Funktion hatten die Königsspiele im Globe(!)-Theatre im monarchischen London? Welche Funktion schrieb die Nationaltheaterbewegung den Nationaltheatern zu, welche die Volkstheaterbewegung den Volkstheatern? Welche den Boulevardtheatern? Welche Funktion hatte Theater im Nachkriegsdeutschland? Und welche hat es heute?[8]
Die gesellschaftlichen Funktionen mögen vielfältig gewesen sein, man mag sich gar theoretisch darüber streiten können, welche Funktion ein bestimmtes Theater zu bestimmter Zeit an bestimmtem Ort für die Besucher hatte. Aber es ist nicht zu übersehen, dass die Funktion, die es für die Gesellschaft ausübte, immer der Grund war, warum man ins Theater ging, und heute der Grund ist, warum Stadttheater mit Millionenbeträgen von der Gesellschaft finanziert werden. Stellt die Gesellschaft fest, dass in einer sich ändernden Gesellschaftsform Theater keine Funktion mehr hat, weil es sich in der alten Funktion einrichtet, wird sie ihre Finanzierung und ihre Sympathie entziehen.
Ohne eigene Funktion wird Theater zum zweckrationalen Standortfaktor
Die Funktionsdimension nicht zu reflektieren und zu diskutieren, macht Theater bestenfalls zu einer selbstgefälligen Institution, die zumeist anlässlich von Budgetkürzungsdebatten nur noch schreien kann: Kulturbanausen! Kunst ist wichtig! Theater muss sein! Und was dergleichen mehr ist. Und sie macht Theater anfällig dafür, von Kämmerern und Wirtschaftsförderungen einen ziemlich handfesten Zweck übergestülpt zu bekommen: als "weicher" Standortfaktor dem kulturbeflissenem Top-Personal in Unternehmen eine Stadt attraktiv erscheinen zu lassen ("vielfältiges Freizeitangebot") und in Kulturwirtschaftsberichten[9] der sich als "Creative Cities" verstehenden Regionen als Standortvorteil mit durchaus bezifferbarer Wirkung auf die Entwicklung der lokalen Wirtschaft einzugehen. Die "Künstler" des Theaters fungieren dann als Attraktoren für Would-be-artists der "kreativen Klasse"[10] und sollen eine Kreativ-Szene anlocken, die der lokalen Wirtschaftsleistung "innovative" Impulse und Mitarbeiter zuführt. Gibt sich Theater keine eigene Funktion, wird es in diesen zweckfunktionalen Zusammenhang eingepreist.
Postdramatisches Theater und Postdrama
Ein Teil der sich in Budgetdiskussionen nur unbeholfen "materialisierenden" Krise des gegenwärtigen Stadttheaters ist auch eine Krise des Textes und des Dramas. Nachdem die unbestrittene Vormachtstellung der Schrift und des Textes schon in den letzten Jahrzehnten insbesondere im Theater auf eine Weise unterlaufen wurde, dass es gesetzestreue und autor(itäts)hörige Bürger gleichermaßen beschämt und erzürnt, ist die Funktion des Textes im und für das Theater fragiler und fraglicher denn je.
Der popkulturelle Remix, die Guttenberg'sche Mashup-Technik, die postdramatische Technik des Umgangs mit Fragmenten, Bruchstücken, Einzelteilen von Texten sägte lustvoll an den "Verkünder"-Autoritäten. Nicht um sie aggressiv zu unterlaufen (und damit letztlich im Aufbegehren ihre Autorität ex negativo zu zementieren), sondern um einigermaßen entspannt mit den Fragmenten zu spielen. Während das Theater sich damit von der Übermacht der Texte befreit, tendiert es zugleich dazu, im Fragmentspiel Kleinkunst zu werden und seine emanzipatorischen Funktions-Möglichkeiten zu unterspielen.
Die institutionelle Eigendynamik der Freien Gruppen frisst die Freiheit auf
Die zunächst formal motivierte Gegenbewegung des postdramatischen Theaters gewann ihre Kraft aus der Funktion, sich gegen die Dominanz der Texte aufzulehnen. Aber diese Funktion verbraucht sich mit der Zeit. In der Wiederholung wird die kühne Geste auf die Dauer affektiert. Zudem ist auch die Freie Szene, in der das postdramatische Theater entstand und maßgeblich vorangetrieben wurde, durch die jedem Produktionszusammenhang immanente Notwendigkeit gefordert, immer wieder "neue" Produktionen (eine interessante Nostalgie scheint in diesem industriellen Begriff im Umfeld Freier Gruppen noch mitzuschwingen) auf den Markt zu schmeißen, die Fördergelder beantragbar und Einladungen zu Festivals erwartbar machen.
Dabei wird gerade die von von Hartz gefeierte Innovation zum Fluch. Wenn die formale Neuigkeit des postdramatischen Theaters sich tot zu laufen droht, wenn sie keine Funktion mehr hat, als ein buntes Abendprogramm zu liefern, kann der Ruf nach noch innovativeren Innovationen, die noch fragmentierter, noch authentischer, noch körperlicher, noch sinnlicher, noch postdramatischer, lauter oder bunter sind, nicht die Antwort sein.
Der leerlaufende Innovationszirkus
Von Hartz' Behauptung hinsichtlich der mangelnden Innovationskraft der Stadttheater ist falsch. Der Begriff stadttheatraler Innovation ist lediglich ein anderer als seiner und demjenigen der Freien Gruppen nicht kompatibel. Stadttheater tun das, was sie in ihrer kulturellen Form als Innovation gelernt haben: Sie bringen neue Stücke. Jedes Jahr stellen die deutschen Schrift-Fabrik-Bildungsbürger-Stadttheater neue Rekorde an Uraufführungen auf. Allerdings in einer Form, die an die sinnlose Schraubendreherei in Chaplins "Modern Times" erinnert: Sie schieben die Texte in "alternative Spielstätten", lassen sie von über- oder untermotiviertem Personal als bestenfalls "szenische" Lesungen nahezu ungeprobt abspulen und schicken sie auf "Autorenfestival"-Tournee, um darin Innovationskraft in leerlaufender Form unter Beweis zu stellen.
Währenddessen drohen die Freien Gruppen früher oder später in leerlaufenden "ästhetischen Impulsen" (von Hartz) zu enden, die nur noch party- oder konsumbegleitendes Idyll sind. Auch die Freie Szene ist drauf und dran, ihre Funktion für eine Gesellschaft einzubüßen, die das Entstehen der Freien Szene nicht ausschließlich als formalistische Innovation, sondern als befreienden Akt begriffen hatte. Daher kann die Hilfe für die Stadttheater nicht aus dem Re-Import ästhetischer Innovationen der Freien Szene allein kommen.
Ebenso wenig aus dem immer schnelleren Durchnudeln von Texten, die das Theater der Schriftgesellschaft bedienen. Es findet sich die Lösung schon gar nicht in einer schreiberischen Haltung wie derjenigen von Elfriede Jelinek, die in der scheinbaren Aufgabe der Autorität über den Text zugleich deutlich macht, dass die antiautoritären Praktiken des Theaters ihr egal sind und ihren geschriebenen Text nicht tangieren: "Die Autorin gibt nicht viele Anweisungen, das hat sie inzwischen gelernt. Machen Sie, was Sie wollen."
Und nun?
Eine simple Wiedervereinigung, indem die Konzepte und Kräfte der Freien Gruppen die in den Städten verankerten Stadt- und Staatstheaterdickschiffe übernehmen, ist nicht die Lösung. Die Häuser unter dem Motto "Wir nennen es Theater" zu Co-Performing Spaces zu machen, den Co-Working Houses der Kreativindustrie vergleichbar, neutralisiert die potenzielle Kraft und Funktion beider. Und die Funktion von Theater in der Netzgesellschaft ist die eigentliche Herausforderung, aus der allein eine Rettung der (Stadt-)Theaterkultur kommen kann.
Dirk Baeckers Formulierung vom Theater als "Katastrophenschutz der Gesellschaft" kann als Indikation, als Andeutung in diese Richtung verstanden werden, auch wenn es, wie er anderorts schreibt, für das nächste Theater noch "kein Programm und kein Manifest" gibt. Aber es gibt ein sich veränderndes Umfeld, das sich als entstehende Gesellschaft in den Blick nehmen lässt und in dem Theater nur wahrnehmbar wird, wenn es sich in diesem Umfeld bewusst positioniert und verhält. Diesen Satz von Matthias von Hartz unterschreibe ich sofort: "Ich fordere eine stärkere inhaltliche Anbindung an die politische und soziale Realität ein."
Statt Innovation: Neuerfindung
Nimmt man Luhmanns Diktum ernst, dass die Kunst auf Gedeih und Verderb mit dem Neuen verbunden ist, besteht die Herausforderung – ob für Stadttheater oder Freie Gruppen – darin, sich dem rasanten Wandel der Gesellschaft, ihren neuen kommunikativen, produktiven, sozialen und kulturellen Zusammenhängen zu stellen und danach zu fragen, welche entsprechend neue Funktion und Form das Theater in diesen Kontexten haben kann. Wie also könnte ein Theater anstatt für Bürger für Surfer beschaffen sein? Oder: Wie kann ein Post-Drama aussehen, das nicht versucht, das Alte im neuen Gewand zu sein, sondern seine Funktion in der Auseinandersetzung mit dem "Jetzt", der Gegenwart der postindustriellen Gesellschaft sucht, das reflektiert, wie ein Text in der Netzgesellschaft für ein Netztheater aussehen könnte?
Das ist die spannende und noch völlig offene Frage. Sich ihr zu stellen, heißt, sich von beiden besprochenen Theaterformen zu trennen. Die Hilfe für die Stadttheater kommt aus der Bestimmung der eigenen Funktion in einer Netzgesellschaft unter Einbeziehung ästhetischer Impulse und textlicher Innovationen, aus Postdrama und postdramatischem Theater. Es geht darum, das (Stadt-)Theater in seiner Funktion wie seiner Form neu zu erfinden. Das ist der einzig konsequente Lösungsvorschlag, denn – auch darin stimme ich von Hartz zu: "Das Theater ist in der momentanen politischen Lage nur aus dem Stadttheater heraus zu retten."
Ulf Schmidt, Jahrgang 1966, ist promovierter Theaterwissenschaftler, Theaterautor, Kommunikationsberater und bloggt unter www.postdramatiker.de über Arbeit und Medien, Gesellschaftliches, Politisches, Postdramatisches, Theater. Zwei Texte von ihm, "Heimspiel" und "Sich Gesellschaft leisten", sind im Programm des Verlags der Autoren.
Fußnoten
1] Vgl. dazu den dreiteiligen Beitrag "Warum es für Theater um Leben und Tod geht" auf postdramatiker.de: Teil 1, Teil 2, Teil 3.
[2] Castells dreibändiges Werk "Das Informationszeitalter – Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur" ist zwar bereits vor 15 Jahren geschrieben, beweist aber bei heutiger Wiederlektüre seine Hellsichtigkeit. Die dort beschriebenen oder angekündigten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse erreichen jetzt die breite Gesellschaft.
[3] Vgl. Luc Boltanski / Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. Die Autoren weisen anhand der Untersuchung von Management-Beratungsliteratur nach, dass sich Unternehmen in den letzten Jahren zunehmend zu netzwerkartigen Strukturen verändern – mit grundlegenden Folgen für die Gesamtökonomie und die Lebensformen der darin Arbeitenden.
[4] Dirk Baecker, Studien zur nächsten Gesellschaft, Umschlagtext
[5] Vgl. dazu Zum Begriff der Inszenierung und ihrer Kritik auf postdramatiker.de
[7] Vgl. Dirk Baecker: Der Ort des Theaters in der nächsten Gesellschaft, im Arbeitsbuch Theater der Zeit Heart of the City, S. 144)
[8] Vgl. den zweiten Teil von Warum es für Theater um Leben und Tod geht.
[9] Vielleicht mangelt es mir an Gewohnheit bei der Lektüre von Publikationen wie dem Kulturwirtschaftsbericht der Bundesregierung – aber der selbstverständliche Umgang mit Begriffen wie "Markt für darstellende Künste" (der den möglichen Begriff von "Theaterwirtschaft" oder "Theatermarkt" erweitert, wie es im Bericht heißt) in einer politischen (und damit letztlich: gesellschaftlichen) Begutachtung der Kultur- und Theaterlandschaft lässt bei mir Besorgnis aufkommen.
[10] Die vielleicht entscheidende Herausforderung der Theater liegt in genau der Tatsache, dass die Mitglieder der Creative class, wie Florida sie definiert hat, traditionell die Avantgarde von Kunst und Kultur ausgemacht haben. In vergangenen Zeiten wären es die Menschen, die heute für Technologieunternehmen und Webdesignfirmen arbeiten und ökonomische Mehrwerte erschaffen, die sich um Theater geschart, Theater gemacht und für Theater interessiert hätten. Genau diese Menschen, die Digital Natives und ihre engsten Verwandten aber interessieren sich für das Theater so wenig wie die Theater für sie. Zwischen Web-Kreativen und Theaterfans gibt es offensichtlich eine Unvereinbarkeit – darauf hatten mich ein paar Zahlenanalysen rund um nachtkritik.de gebracht, die ich hier gepostet habe. Die Repräsentanten der Netzgesellschaft fühlen sich im Theater nicht zuhause – ebenso wenig wie die Theater das Netz als Spielraum für sich entdecken.
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Vielen Dank für den Kommentar – und auch auf die Gefahr hin, dass die Diskussion jetzt vielleicht etwas akademisch klingen mag: Ich verstehe Ihre Unterscheidung zwischen Schrift und Buchdruck, denke aber, dass zu viel in die Grauzonen zwischen beide fällt (was die Gefahr jedes Schwarzweißgemäldes ist). Den Anfang der Schriftgesellschaft sehe ich bereits in der Antike, genauer bei Platon (dem Schriftkritiker), an genau dem Punkt, da er seine Philosophenstadt, die im Grunde eine Schriftstadt ist und die er als Tragödie bezeichnet, den Tragöden gegenüber stellt. Die Erfindung des Buchdrucks, die gewisse Techniken, die zuvor schon durch klösterliche Kopistenarbeit erlegt wurden, nunmehr technisiert, scheint mir demgegenüber der eher weniger bedeutende kulturelle Bruch (ohne daraus eine empirische Diskussion über Bücher, die mangels Schulunterricht noch nicht gelesen werden können, vom Zaun zu brechen; und ohne die Bedeutung für die herausgehobene Stellung der kirchlichen Institutionen dabei in Abrede stellen zu wollen). Insofern könnte man Platon als ersten Theoretiker der Buchdruckkultur ebensogut annehmen. Versteht man ihn nur als Protagonisten in der verfügbaren Geistesgeschichtsschreibung, der als erster den bewußten und gezielten Umgang mit vervielfältigbarer Schrift, mit ihren Stärken und führ ihn bekanntlich enorm bedauernswerten Schwächen, geübt hat.
Zugleich möchte ich den Begriff der Mediengesellschaft insofern etwas problematisieren, als von einer massenmedialen Gesellschaft m.E. schon zu einem Zeitpunkt zu sprechen ist, da Flugblätter und Zeitungen einem nunmehr weitgehend lesefähigen Massenpublikum zur Verfügung standen, d.h. etwa Anfang des 19.Jahrhunderts (Historiker mögen Genaueres dazu sagen können). Dieser Kulturform gegenüber erscheinen andere, uns als „Massenmedien“ bekannte Publikumsorgane wie Radio und Fernsehen nur als relativ unbedeutende Verschiebungen. Dieser massenmedialen (Zeitungs- Radio-, Fernseh-) Gesellschaft, die auch die Gesellschaftsform des noch bestehenden Stadttheaters prägte, stellt sich die Netzgesellschaft insofern als neue Form gegenüber, als jetzt all die Prozeduren und Rahmenbedingungen der Erzeugung von Dokumenten (wie Klaus Kusanowsky sie sehr überzeugend darstellt) abgelöst werden durch eine andere Kulturform, wie sie auf nachtkritik etwa am überschaubaren Bereich der Kunst- oder Theaterkritik sichtbar wird. Es erodieren Formen des (kritischen) Expertentums, des „fertigen“ Text-Dokumentes, des autoritären Autors, der materiellen Gebundenheit von Texten (etwa an Zeitungen oder Bücher), der Verbindlichen, des (idealiter) identisch Wiederholbaren, eventuell des Begriffs der Identität insgesamt zugunsten von verflüssigten Formen, in denen Texte eingebunden sind in Diskussionen, sich quer verlinken, zitiert, (teilweise) kopiert, auf wechselnde Trägermedien verschickt werden. Was als „Werk“ heute noch in Buchhandlungen käuflich zu erwerben ist, hat sich auf dem Musik- und Filmsektor bereits massiv verschoben hin zu dieser neuen Kulturform. Zugleich verändert sich das Verhältnis von Produzent und Rezipient, das von diesen dokumentartigen Formen vorausgesetzt bzw. schon in der Schule im Umgang mit dem Lehrbuch eingeübt wurde, hin zu einer partizipativen Form, in der „Experten“ vielleicht noch eine besondere Reputation genießen, die durch Verlinkung, Verweis oder namentliche Nennung sichtbar wird; in der die Experten aber keinesfalls mehr die grundlegende Differenz behaupten können, die ein „Autor“ im emphatischen Sinne, ein Produzent, ein Künstler, ein Politiker noch vor einigen Jahrzehnten hatte: als monolithischer Sender eines dokumentartigen Inhalts, der von „den andern“ diskutiert, kritisiert und problematisiert, nicht aber verändert werden konnte.
Langer Rede kurzer Sinn: Es ist vermutlich Aufgabe, die Begriffe „Schriftgesellschaft“ und „Buchdruckgesellchaft“ abzulösen durch einen anderen (vielleicht „Dokumentgesellschaft“ ?), zugleich den etwas schummerigen Begriff der Mediengesellschaft einerseits in einen solchen der Massenmediengesellschaftgesellschaft ( im Sinne einer Gesellschaft, in denen Medien ein Massenpublikum herstellen / konnten?) und einer Netzgesellschaft aufzuspalten. Wobei die Netzgesellschaft eine solche ist, die weder das Werk ins Zentrum stellt, noch den Urheber, noch den passiven Rezipienten, sondern (wie es in der Diskussion rund um die sich verändernden Bedingungen der Massenökonomie der Fall ist) den Prosumenten, dessen Produzieren und Konsumieren sich unauflöslich ineinander verschränkt, der als Kommentator zwischen Leser und Schreiber steht, der zugleich im politischen Raum weder einfach regierter Bürger noch politischer Regent ist, sondern politisch partizipierender Bürger, der die notwendigen Produktionsmittel (anders als zu Zeiten der Druckerpressen, Tonstudios, Plattenpressen, Filmkopieranstalten, Filmstudios, Bundestagsdrucksachen u.s.w.) jederzeit zur Hand hat, jederzeit bearbeiten, kopieren, oder mit eigenen Nicht-mehr-Werken konfrontieren kann. An jedem Rechner. Oder an jeden Smartphone.
Für Stadttheater leitet sich darauf m.E. nicht einfach die Aufgabe ab, ein partizipatives Mitmachtheater zu organisieren, um mit den oberflächenformalen (Seh-)Gewohnheiten der Zeit zu schwimmen. Vielmehr sehe ich eine (mögliche) Funktion von Theater in einer Netzgesellschaft, eben diese Gesellschaft durch Reflexion herauszufordern und auf sich selbst zurück zu werfen. Anders gesagt: In der Beobachtung der Gesellschaft als Netzgesellschaft die Beobachter dieser Beobachtung, die an der Beobachtung mehr oder minder aktiv mitwirken, dazu zu bringen, die Form der Netzgesellschaft, in der sie sich (meine Beobachtung) befinden, als eine Netzgesellschaft zu beobachten, ihre Verästelungen, Implikationen, insbesondere ihre Bedrohungen aber auch Chancen als solche beobachten zu können – und in ihr zu agieren. Anstatt in einer Publikumshaltung zu verbleiben und nicht mitzubekommen, was gerade geschieht, weil es der Beobachtung entkommt.
Vielleicht als anekdotische Ergänzung dazu eine Beobachtung bei der letzten Dokumenta: Waren zuvor Besucher aufgefordert, sich kontemplativ oder mit anderen Besuchern diskursiv zu den Werken zu verhalten, so ließ sich bei der letzten Dokumenta (sic!) beobachten, dass die Besucher keinesfalls mehr passiv vor den Werken verharrten, sondern mithilfe von Handy und Digitalkameras Bilder von Bildern und Objekten machten, die sie in der Folge vielleicht nicht zu individualisierten Dokumentas im Netz machten, aber doch zu ihren je eigenen Ausstellungen und Kunstsammlungen. Als handele es sich um musikalische und filmische „Raubkopien“ werden die Besucher zu „Urhebern“ von Kunst-Mesh-Ups, die sich hinterher auf flickr, bei der nächsten Dokumenta vermutlich auf Facebook, G+ und wo auch immer finden, geshared, kommentiert und geliked werden. Das Publikum tritt damit (zum großen Unbehagen eines Anhängers der alten Kulturtechnik der Betrachtung von Kunstwerken) damit in einen Zwischenraum ein zwischen Kunstwerkproduzenten und Kunstwerkrezipienten. Sind diese Fotos Kunst? Dokumentieren sie Kunst? Dokumentieren sie die Anwesenheit des Rezipienten auf der Dokumenta? Wird das Netz zu einer Dokumenta 2.0? Mir gelingt darauf noch keine sichere Antwort.
http://www.suite101.de/content/arbeitsbuch-zum-stadttheater-heart-of-the-city-a119738
die künstlergagen sind in weiten teilen nur noch prekär zu nennen!
(1000.-€ für eine regie am staatstheater!!!!)_ ernsthaft passiert!!!
studierte bühnenbildnerInnen arbeiten für praktikumsgeld oder in festanstellung ( nicht als assistentInnen )für NV solo mindestsatz und fertigen dabei 6 komplette bühnen und kostümbilder in einer spielzeit!- 14 stunden am tag!!!
hochschulabgänger arbeiten gratis..der gesamte "mittelbau" erodiert dramatisch!
schauspielmusiken werden mit "spesen" abgetan und einige theater versuchen zudem noch die GEMA zu umgehen!
junge schauspielerInnen werden zu mindestgage engagiert und pünktlich zur anstehenden gehaltserhöhung entlassen..um wiederum durch hochschulabgänger ersetzt zu werden!
schauspielerInnen, die auf die "unkündbarkeit" zukommen, werden entlassen..auch alleinstehende mütter!...oder sie werden nach der kündigung zu schlechteren konditionen und mit zweijahresvertrag wieder eingestellt!
fahrt und wohnkosten für gastregisseure werden oft nicht mehr übernommen!
regisseure und bühnenbildner arbeiten gratis.."um ins geschäft zu kommen"
sie müssen auch zwingend einen knaller landen und vermeintlich das rad neu erfinden..sonst ist ihre halbwertzeit sehr begrenzt!
letztlich sind die werkverträge oftmals jedoch so gestaltet, dass man durchaus von "scheinselbständig" und in jedem falle von "weisungsgebunden" sprechen kann!!
einige theater gehen ohnehin davon aus, dass regie und bühne keine kunst, sondern eine dienstleistung ist..und die gäste müssen auf ihre schmale gage auch noch 19% umsatzsteuer abführen!!
dies alles und noch viel mehr...2011
und die einschläge kommen näher
Na herzlich willkommen in der freien Wirtschaft. Das Stadttheater scheint ja tatsächlich näher an der Wirklichkeit zu sein, als man gemeinhin glaubt. Vielleicht sollten die Künstler eher das thematisieren als sich ständig neu- oder wegzuerfinden.
Matthias von Hartz sagte im gestrigen Radiointerview, dass in Deutschland für Häuser gezahlt werde und in anderen Ländern für Künstler. Richtig, aber die subventionierten Häuser verteilen das Geld weiter, unter anderem auch an die Künstler. So sind in Deutschland kleine Fürstentümer entstanden, aber selbst das Regime Castorf war nach der Machtergreifung der Volksbühne immer von seinem Ensemble abhängig. Und die Künstler spielen nicht für einen Hungerlohn.
B) Was den Wandel betrifft, den das Stadt- und Staatstheater durchlaufen sollte, habe ich hier einen Zehn-Punkte-Plan für die (leider zunächst unbezahlte) Revolution:
1. Computer abschalten.
2. Menschen begegnen.
3. Fleisch essen.
4. Stadt- und Staatstheater (gewaltfrei!) einnehmen.
5. Kulturspekulanten überrumpeln & rauswerfen(hochkant!)
6. Innere und äußere Hochglanzfassaden entfernen.
7. Tief durchatmen.
8. Bühnenböden schrubben.
9. Holz riechen.
10. Theater machen.