Debatte zeitgenössische Ästhetik - Autor und Regisseur Kevin Rittberger kritisiert die Realismus-Diskussion in der Berliner Akademie der Künste zur Buchvorstellung "Lob des Realismus" von Bernd Stegemann
Richtige deutsche Stadttheaterkunst um der richtigen deutschen Stadttheaterkunst willen
von Kevin Rittberger
Berlin, 15. Mai 2015. Wohin Dialektik auf dem Theater heute gerichtet sein könnte, bleibt in Bernd Stegemanns Vortrag unklar. Denn gerichtet muss sie sein, auf ein Ziel hin führend, nicht nur den Gegenstand erkennend und sezierend. Dialektik ist, will man an ihr festhalten, eine Bewegung, keine Anatomiestunde. Geschichte verändert sich, ist in Bewegung und es sind Menschen, die sie bewegen, nicht Vorsehung, Schicksal, Götter oder Gotthafte samt unsichtbaren Händen.
Der blinzelnde Schauspieler und das Problem der Glaubwürdigkeitseffekte
In der Akademie der Künste war er erschienen, um über sein neues Werk "Lob des Realismus" zu sprechen. Allerlei Brechtgeist hat Stegemann verströmt, aber auch guten von schlechtem zu unterscheiden gewusst. Mehr schlecht als recht sei die ästhetizistische Variante einer Brechtauslegung, wenn aus der Verfremdung ein Selbstzweck würde, wenn die Einsicht in die gesellschaftlichen Mechanismen einem bloßen postdramatischen Zeigeeffekt weiche. Die paradigmatische Bühnentheaterszene oder der Teufelskreis, aus dem im Moment kaum einer aus der Generation Postdrama herauskäme, sei die: Ein Schauspieler betritt die Bühne und kneift die Augen zusammen, um ins Licht zu blinzeln, um authentisch zu sein, um zu zeigen, dass er ein Schauspieler ist, der die Bühne betritt und daher erstmal ins Licht blinzelt usf.
Ungeachtet der Tatsache, dass ein Rollenspieler oder Bühnenakteur das grelle Licht, an das er sich zwar gewöhnen, das aber, aus der dunklen Seiten- oder Hinterbühne kommend, immer hell bleiben wird, auch für eine Figur oder eine Situation benutzen kann, ohne dass dies gleich zur "globalen Produktion von egoistischer Subjektivität" verkommt, variiert Stegemann dieses vermeintliche Paradigma nun endlos, um zu beweisen, dass der jungen Generation nichts anderes einfalle, als immerzu nach Glaubwürdigkeitseffekten zu suchen (Unterbrechung, Re-entry u.a.), nie aber nach inhaltlicher Tiefe, geschweige denn: Haltung. „Im Säurebad der Kontingenz haben sich Haltungen zur Welt zu Zitaten, Relativierungen und Selbstreferenzen aufgelöst", heißt es im Vorläufer des Essays "Lob des Realismus", der "Kritik des Theaters".
Dass man die Dinge auf ihren Gebrauchswert überprüfen muss, hat Stegemann aber von den großen Denkern eines dialektischen Theaters (Brecht mit Benjamin) nicht gerade übernommen – sonst würde er die dialektische Methode selbst einer Analyse unterziehen. Spannend wäre hier mehr über Stegemanns Klassenbegriff zu erfahren. Wen meint Stegemann, wer sind die Deklassierten, denen die dialektische Methode Gerechtigkeit verschaffen könnte? Meint er die Lohnabhängigen aller Länder, die Subalternen, eine deklassierte Multitude oder nur ein historisches Subjekt, das irre geleitet wurde? Oder geht es am Ende nur um Bildungshuberei, die Verteidigung des Klassenkämpferwortschatzes einer marxistisch-leninistischen Ära, mit und zwischen Lukacs, Brecht, Hacks und Dath noch durchzublicken, ohne dass einem die Sprache ausgehe, in einer Zeit, in der Warren Buffet offen vom Klassenkampf von oben spricht?
Allerorten finde eine Lähmung der theatralen Möglichkeiten statt. Schauspielkunst finde nicht mehr statt, wenn Autoren, Regisseure und nicht zuletzt auch Schauspieler nicht mehr darauf vertrauten, dass eine dialektische Bewegung auf der Bühne Antagonismen auflösen könne, anstatt Widersprüche bestehen zu lassen. Das Theater sei unter seinen Möglichkeiten, wenn Unterbrechung, Authentizität und Selbstreferenz eigentliche Bühnenhandlungen und Figurenspiel ersetzten, wenn Realität nur noch ambivalent, kontingent, komplex und undurchschaubar erscheine. Es sei an der Zeit, die Stop-Taste zu drücken, wie Katrin Röggla es auf dem Podium auszudrücken pflegte, um dem Realismus Tribut zu zollen. Doch was ist Realismus?
Ohne theoretische Alternative bleibt das "Lob des Realismus" rein rhetorisch
"Die schärfste Ideologie: Dass sich die Realität auf ihren realistischen Charakter beruft." So heißt es in einem poetologischen Aufsatz von Alexander Kluge. Sollten zum einen Warren Buffet und Co. sich auf den Klassenkampf berufen, auf der anderen Seite die "Internationale" aber nicht mehr das verbindliche und verbindende Signal sein, das die Völker einst noch hören sollten, dann muss doch nicht nur klar gemacht werden, wohin das – nach Marx – falsche Bewusstsein namens Ideologie uns heute führt, sondern auch: Wie eine Alternative zu machen wäre. Ansonsten, bliebe die Geste eines "Lobs der Realismus" rein rhetorisch, würde die vorherrschende Meinung einmal mehr unwidersprochen bleiben: Dass jedwede Anstrengung, das Gemeinsame zu finden, immer nur zum Gulag geführt hätte, dass man sich heute mit der marktförmigen Demokratie als der besten aller möglichen Welten zu begnügen habe, allenfalls: Green Economy, bla bla.
Bei Kluge folgen aus der Analyse nicht nur ästhetische Schlüsse. In Kluges Film "Die Patriotin" geht die großartig-groteske Schauspielerin Hannelore Hoger voller Protestenergie und Urvertrauen auf den SPD-Parteitag und fordert in der Rolle der Geschichtslehrerin positives Material für ihren Geschichtsunterricht. Patriotismus, das ist hier – mit Ernst Bloch – als "der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch" einen Ort des Gemeinsamen zu erfinden, worin noch niemand war, der "ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet" wäre. Kluge versuchte Patriotismus damit entgegen den faschistoiden Zügen eines Franz-Joseph Strauss zu retten, dessen Nähe zur neoliberalen Kaderschmiede in Pinochets Chile, dessen Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus alarmieren mussten.
Verflüssigung der Verhältnisse geht anders
Wenn stattdessen nun ein kapitalistischer Realismus den Ton angäbe und von sich selbst immerfort sagte: Es gibt keine Alternative; wenn Stegemann einen Realismus zwar lobte, aber nicht anzugeben in der Lage wäre, wohin der Realismus drängt, an welchen Adressaten er gerichtet ist, welche verbesserten Verhältnisse er einzuläuten vermag usf. Dann ist doch die Frage, ob Bernd Stegemann die Verhältnisse nicht zementiert, anstatt sie zu verflüssigen; ferner ob er es nicht seinerseits dabei belässt, lediglich auf die zementierten Verhältnisse hinzuweisen, dabei den eigenen Zeigefinger ständig ins Visier nehmend, um ihn ins akademische Feld zu führen und bestenfalls noch den Härte- und Belastungsgrad des Zements nachzuweisen. Will Stegemann überhaupt, dass sich etwas grundlegend ändert?
Verflüssigung geht anders.
Der sozialistische Realismus wurde schon einmal als Waffe gegen das bürgerliche Kammerspiel und letzten Endes gegen den in seinem Illusionismus harmlosen Theaterbetrieb entfaltet. Zuschauer sollten nicht glotzen, sich nicht einfühlen, vielmehr eine Denkhaltung einnehmen. Die Verhältnisse wurden nicht mehr naturhaft hingenommen, sondern galten als veränderlich, veränderbar. Die Alternative war lange klar und als sie nicht mehr klar war und ihrerseits Verjüngungskuren benötigt hätte, in der Theorie und in der Praxis, hatte sich auch hier eine Alternativlosigkeit längst ins Eiserne verfestigt (Bahro konnte dann diesseits des Eisernen Vorhangs nach einer „Alternative" suchen). Wenn sich in Stegemanns Vorschlag also Dialektik wieder als probates Mittel rehabilitieren soll, das Ende der Geschichte seinerseits zu beenden: Welche Antagonismen gedenkt sie wohin aufzulösen? An wen oder was ist das gerichtet? Wie wird das Unfassliche fasslich?
Marx als "radical chique"
Bei Stegemann nun ist es so, dass sein Vortrag die vermeintlich Brechtsche Denk- statt Fühl- und Spielhaltung ins rein Polemische und Rechthaberische steigern kann, wenn er zum Grabenkampf gegen die falschen Realisten ansetzt. Hier und dort macht er Feinde aus, auf die er eindreschen kann. Hier wettert er gegen Hans-Thies Lehmann als theoretischen Steigbügelhalter des "postmodernen Theaters", der sich nur einen lächerlichen Popanz vorgenommen habe, nämlich Ibsens bürgerliches Drama (eine Kritik, vorbereitet durch Peter Szondi), das er mühelos habe zerlegen können. Hier macht er sich über den aktuellen Kurator der Biennale Venedig Okwui Enwezor lustig, der tatsächlich Marx' Kapital – "auf englisch!" – lesen lasse, tutti completti, um dem globalen Jetset mit der harmlosen Geste des "radical chique" zu begegnen. Schließlich sind es Rimini Protokoll, die des Naturalismus bezichtigt werden, einstudiert mit "handwerklichen Fähigkeiten von Erstsemestern".
Der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann hatte Ende der 90er Jahre einen Paradigmenwechsel formuliert, der wohl bemerkt heute wie damals als Nachruf verstanden werden muss, wie jede Wissenschaft, die ihren Gegenstand braucht. Les- und messbare Theaterereignisse wurden rückwirkend anders gelesen, bekamen einen anderen Überbau, der nicht mehr in der Negation des vormaligen Theaterbetriebs, sondern in der Innovation, der Dekonstruktion, Neuschreibung, Überschreibung und Position bestand. Dass darin eine Programmatik des "postmodernen Theaters" vorgelegt wurde, der nunmehr eine ganze Generation von Theatermachern folgen sollte, ist eine pauschale, letztlich ungeprüfte Annahme, die es anscheinend braucht, wenn nun der Begriff des Realismus wiederum positioniert werden soll.
Heiner Müller und die Anfänge der Postdramatik
Drischt Stegemann nicht seinerseits auf einen Popanz ein, den er aufblasen muss? Lehmanns wegweisendes Beispiel beginnt in den 70er Jahren, maßgeblich mit Heiner Müller, der das Ende der real existierenden Geschichte der Systemkonkurrenz durch die Dramatisierung der Geburtsfehler des Sowjetkommunismus und DDR-Sozialismus vorwegnimmt, der fragmentiert schreibt, auf sein eigenes, schreibendes Selbst referiert, in der Ohnmacht des schreibenden Intellektuellen und Künstlers die Ambivalenz des Dramas begreift. Das Drama Müllers, in der Reformulierung von Brechts Lehrstück als letzte dialektische Bewegung hin zur Auflösung der Klassengegensätze: Es findet nicht mehr statt. Antagonismen lassen sich bei Müller nicht mehr auflösen, wenn nicht mehr Arbeiter gegen Kapitalisten stehen, sondern Arbeiter gegen Apparatschiks, die die Geschicke der Arbeiterklasse in die Hand genommen haben, als es endlich gilt, die Geschichte nicht mehr nur zu interpretieren, sondern selbst zu verändern.
Schüttelt Müllers Stimme in der "Hamletmaschine" die Faust gegen sich, so ist das die Unterbrechung der fatalen Teleologie des Marxismus-Leninismus, der sich nie darüber im Klaren war, ob es kraft geschichtlicher, wissenschaftlich deutbarer Gesetzmäßigkeiten ohnehin zum Kommunismus kommen werde oder nur, indem der Motor der Geschichte, das proletarische Kollektivsubjekt fortwährend vertreten und vorwärts getrieben werden muss; auch wenn bereits allerorten unklar geworden war, wer sich noch einer Klasse zugehörig und wer bereits dem Typus des westlichen, individuellen Konsumenten verfallen war, wem die Warensammlung also nicht mehr „ungeheuer" erschien, wie es gleich zu Beginn des "Kapitals" heißt, sondern wer sich selbst gar nicht mehr vom Ungeheuer der Warenproduktion unterscheiden konnte. Oder durch die Brille von Müllers "Herakles 5" (oder die Hydra) gesprochen: Wer die eigenen Arme von den Fangarmen des Waldes nicht mehr trennen und wer auf dem schwankenden, schwindelerregenden Boden längst nicht mehr Halt unter seinen Füßen spüren konnte.
Deutschtheaterzentristisch
Wenn Stegemann gegen die Trittbrettfahrer und Epigonen wettert, so verkennt er den Umstand, dass postmodernes Theater (bevor ihm noch das Label anhaftete) einmal anders angetreten war und dass sich eine hochgradig realistische Methode binnen zwanzig, dreißig Jahren mit Sicherheit in modische Effekthascherei zerstreuen muss, wenn sie ihr Unterscheidungsvermögen und ihre subversives Geschichtsbewusstsein einbüßt.
Was also ist das Lob des Realismus? Ich frage Stegemann einfach, wem denn das Lob des Realismus im 21. Jahrhundert nun gelte, da doch die vorherrschende Meinung sei, dass die letzte dialektische Bewegung – wie gesagt – im Gulag und am Ende der Geschichte angelangt sei. Stegemann weiß im Grunde sinngemäß nicht mehr zu antworten, als dass er nichts als das minderbemittelte, postmoderne Verständnis von Bühnenkunst entkräften wolle, um wieder mehr Inhalte zu sehen, weniger Formspielereien. Ein Regieschüler habe neulich eine Erfahrung aus Griechenland mitgebracht, aber das seien "kleine Pflänzchen", von denen er nichts verstehe. Ja, das möge durchaus arrogant sein, wenn er das so sehe.
Auf die Frage aus dem Podium, ob sein Blick nicht eurozentristisch sei, ob der Realismusbegriff sich nicht etwa auch zu den Entwicklungen in Südamerika und Indien verhalten müsste, weiß Stegemann nichts anders zu antworten als: "Davon habe ich keine Ahnung. Und ja, mein Blick ist nicht nur eurozentristisch, sondern deutschesstadttheaterzentristisch". "Das ist eine Schande", murmelt die Dozentin der Lateinamerikastudenten, leider leise, mehr zu ihrem Kurs, als ins Mikrofon.
Es wäre tatsächlich eine Schande, wenn die Richtung, in die politisches Theater heute zeigen kann, als kleines Pflänzchen verlacht werden könnte und die eingestandene Arroganz ob der real existierenden Alternativen den größten Applaus findet. Am Ende, nachdem auch Frank Raddatz noch einen viel zitierten Satz zur Richtigstellung von Brecht eingeworfen hat ("Die Photographie der Krupp-Werke ergibt beinahe nichts..."), scheint nur die theatrale Sehnsucht nach dem großen Pathos einer inzwischen verblühten Brechtkunst übrig zu bleiben. Die Realität ist ins Nostalgische gerutscht.
Der Sprung des Papiertigers wird selbst L'art pour L'art
Stegemann hat einige eloquente Joker im rhetorischen Gepäck, die selbst zu Taschenspielertricks verkommen, wenn die dialektische Bewegung, die er neu verorten möchte, keinen Ort außerhalb des Theater kennt, wenn seine Begriffe nur am Schreibtisch verhandelt werden können. Brechts dialektische Methode kann er nicht brauchbar machen, außer im rückwirkenden Verweis auf die interne Diskussion einer Generation von sozialismusaffinen Germanisten und Philosophen, die fachidiotisch, museal und vorgestrig anmuten muss, wenn eine Kritik an den neoliberalen Verhältnissen kein anderes Beispiel kennt als die zeitgenössische Performance und die zukünftigen, noch unbekannten "Kollaborationen" der Berliner Volksbühne unter Chris Dercon.
In Brechts "Lob des Kommunismus" hieß es einmal: Es ist das Einfache, das schwer zu machen ist. Stegemann will nun das Schwere, Komplexe und Uneindeutige unbedingt wieder einfach in den alten Kasten kriegen und dazu das Theater Theater sein lassen. Wenn des Dramaturgen einzige Referenz der Rekurs auf den Zettelkasten ist, die Realität einer vernetzten, transnationalen Gegenbewegung zur Globalisierung nicht nur ausgespart wird, sondern darüber eingestandenermaßen auch noch eine völlige Unkenntnis besteht, so ist das ganze Konzept ein Papiertiger, nicht nur zahnlos, sondern selbst l'art pour l'art, unfassliche Geste eines belesenen, weißen Mannes, der Recht haben möchte, dass die richtige deutsche Stadttheaterkunst um der richtigen deutschen Stadttheaterkunst willen bestehen bleiben soll.
Kevin Rittberger, geboren 1977 in Stuttgart, ist Regisseur und Autor.
Er studierte Neuere deutsche Literatur, Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Berlin. Sein Stück "Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung" war in der Inszenierung von Felizitas Brucker 2011 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 2010 erhielt Rittberger den Kurt-Hübner-Regiepreis, 2012 den Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis.
Bernd Stegemanns Studie Kritik des Theaters besprach André Mumot für nachtkritik.de. Seine Vision des Künstlertheaters formulierte Stegemann in der Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de.
Die Buchpräsentation und Diskussion, die am 13. Mai 2015 in der Berliner Akademie der Künste stattfand, lässt sich hier im Audiostream nachhören.
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Meine vielleicht etwas zu polemischen Äußerungen über einige Tendenzen im Gegenwartstheater habe ich schon nach Ihrem Einwand zu erklären versucht. Ich sehe tatsächlich das noch immer sehr gut finanzierte deutschsprachige Theatersystem bedroht. Und die Vehemenz meiner Aussagen rührt daher, dass ich dafür zwei Gründe auszumachen vermeine: die selbstbezüglichen Ästhetiken des postmodernen Theaters und der neoliberale Umbau der öffentlichen Orte. Und nach meiner Meinung haben beide ursächlich miteinander zu tun.
Ich vermute, dass Ihre Vehemenz gegen meine Versuche auch aus der Sorge um die Kunst des Theaters rührt. Darum möchte ich unsere Differenzen gerne ausführen, in dialektischer Hoffnung auf eine Entwicklung. Ich lade Sie auf ein Getränk Ihrer Wahl ein. Nachtkritik wird sicherlich einen Kontakt zwischen uns herstellen können. Ich würde mich freuen, wenn Sie die Einladung annehmen.
Bernd Stegemann
Wenn man schon vorher wüßte, auf welches Ziel die dialektische Bewegung gerichtet ist, wäre sie Ideologie, nicht Suchbewegung.
Insofern ist Rittbergers Ausgangsbehauptung ein schönes Beispiel für das, was Aristoteles ein "Enthymem" nennt und unter die Überzeugungskunst ("Rhetorik") einordnet: Etwas, das überzeugend klingt, aber falsch ist.
(Sehr geehrter Hans, wir lesen in der "kruden Schreibe" wichtige Nachfragen an die Veranstaltung, u.a. an den Stellenwert der dialektischen Denkfigur in Stegemanns Realismus-Diskussion und an die Charakterisierung des "postdramatischen Theaters" zum Zwecke seiner Verabschiedung. Wir denken, hier kann der Anfang zu einer spannenden Diskussion um politische Grundlagen und die Mittel einer zeitgenössischen Ästhetik liegen. Mit besten Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
(Sehr geehrte Rahel, die Rezension zur Buchkritik gibt es von André Mumot, hier entlang: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10997:lob-des-realismus-bernd-stegemann-schreibt-weiter-an-seiner-kritik-des-zeitgenoessischen-theaterschaffens&catid=100&Itemid=100087. Mit besten Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
Zuerst: Trinken Sie ein Bier (oder Club Mate) mit Stegemann, uns Studenten (Theaterwissenschaft und Literatur) und anderen und lassen Sie uns alle zusammen überlegen, wie wir die Markt- uns Selbstfanaten daran hindern können, aus Theater und Performace und Tanz und Co. mediatisierte, virtuelle und post-post-moderne Dezentralisierungspartys zu machen.
Wie viele andere aus meiner Generation (Anfang, Mitte zwanzig), habe ich auch die Nase voll von der Party der Verrätselung, des "Ich bin kein Autor, ich bin die Metaebene", des selbst dienenden Subjektivismus, des ewig Uneindeutigen (ja, das haben wir verstanden. Nietzsche und Wittgenstein wollten es zur Grundlage für ein erhabenes und lebenswertes Leben aller Wesen machen, nicht zu erlahmenden Selbsterkenntnissen).
Ebenso ermüdet bin ich von der "Popanz" des Pessimismus, den eurozentrisch selbst feiernden WG-Geschichten von She-She-Pop, Gob Squad und co. (sie gehören ja zu den besten des Mainstreams, Rimini Protokoll, ist immer wieder sehr spannend und subversiv, eine Ausnahme wie auch matthaei&konsorten) und Dramatiker*innen, die alles Bewegende, Treibende, Subversive und "Utopische" aus den Blicken verloren haben außer ihren "Agenten und Performen", dem "Markt" und seinen Richtlinien der Destruktion, (für mich sind die Ausnahmen u.a. Wolfram Lotz und Nicoleta Esinencu).
Also anschreiben.