Geräumtes Embros Theater - Warum der Protestbrief von René Pollesch eine Anmaßung ist
Ein "Wir" irrt sich gewaltig
von Michael Wolf
Berlin, 23. Juni 2021. Außerhalb Griechenlands erregt das Athener Embros-Theater vor allem Aufsehen, wenn es mal wieder in seiner Existenz bedroht ist. 2006 fiel die Förderung weg, einige Zeit stand es leer. 2011 besetzten Künstler das staatseigene Gebäude, zwei Jahre später folgte die Räumung, dann eine erneute Besetzung. Die selbstverwaltete Bühne, so liest man, hat sich seither zu einem soziokulturellen Zentrum entwickelt. Der Eintritt ist frei, Studenten, Flüchtlinge und Nachbarn treffen dort aufeinander. Im Mai endete diese Erfolgsgeschichte vorerst, die Behörden versiegelten das denkmalgeschützte Gebäude mit Beton. Der Staat, immer noch in größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten, will es wohl einer kommerziellen Nutzung zuführen. Nach Protesten soll das Theater Medienberichten zufolge inzwischen aber wiedereröffnet worden sein.
Stadt als Beute
Etwas verspätet erreicht ein Offener Brief (hier im englischen Original) von René Pollesch die deutsche Öffentlichkeit. Der designierte Intendant der Berliner Volksbühne protestiert in dem auf den 9. Juni datierten Schreiben an das griechische Kulturministerium gegen die Räumung des Embros. Pollesch hat eine Kooperation mit dem Theater geplant. Zudem entspricht die Idee der Autonomie und Selbstverwaltung einer Kulturstätte, der "Stadt als Beute", wohl seinen Idealvorstellungen. Es ist also weder verwunderlich, dass er sich für das Embros einsetzt, noch gäbe es daran etwas auszusetzen, wenn er seinen Brief nicht in einem derart schwer erträglichen Ton verfasst hätte.
Pollesch ist der alleinige Unterzeichner, schreibt aber offenbar stellvertretend für ein Kollektiv, ein "Wir", das wohl sein Intendanz-Vorbereitungsteam meint, vielleicht aber auch "die Bürger Europas"*, die er ganz sicher an seiner Seite weiß. Dieses "Wir" jedenfalls beklagt den Fall Embros als Teil einer Serie von Ereignissen, die nicht anders zu beschreiben sei als eine "autoritäre Transformation", als "Angriff auf die Zivilgesellschaft". In populistischem Jargon bietet sich das Wir nun als Retter an. Es sei bereit, Freiräume der Kunst und des Lebens gegen eine "von oben" verhängte Politik zu verteidigen, die alles unterdrücken wolle, "was die Geldmaschine nicht am Laufen hält".
Staatsbürgerliche Nachhilfestunde
Man darf sich an dieser Stelle fragen, ob wirklich eine "money-machine" in Athen herumsteht, und wenn ja, warum da dann alle ständig von Schulden reden? Befremdlich nimmt es sich zudem aus, die griechische (!) Kulturministerin (!) "freundlich" daran zu erinnern, dass die gleichzeitige Entwicklung von Theater und Demokratie kein historischer Zufall gewesen sei. Aber sei's drum, der eigentliche Tiefpunkt dieser staatsbürgerlichen Nachhilfestunde kommt erst noch. Nachdem Polleschs Wir die Regierung ermahnt, nicht in "Barbarei" zu verfallen, droht es noch mit seiner Reaktion, sollte sie sich doch danebenbenehmen: "Wir wissen nun, wie eng Austeritätspolitik mit autoritären Maßnahmen verbunden ist und wir werden nicht tatenlos zusehen, wie dieser Kontinent in eine postmoderne Version der schrecklichen Dreißigerjahre abrutscht."
Mangelndes Geschichtsbewusstsein
Schwer zu entscheiden, wo man hier anfangen soll. Vielleicht mit der Austeritätspolitik, die keine fixe Idee der Griechen war, sondern diesen von der EU und insbesondere einem deutschen Finanzminister aufgezwungen wurde. Oder mit den "schrecklichen Dreißigerjahren", die doch vor allem wegen eines ganz anderen Landes schrecklich waren. Ein Nachgeborener dieses Landes sollte es sich besser zweimal überlegen, die Griechen anlässlich der Räumung eines Theaters davor zu warnen, den ganzen Kontinent in Brand zu stecken. Von einem deutschen Theaterintendanten dürfte man ein stärker ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein durchaus erwarten.
*Übersetzungen vom Autor
Michael Wolf, Jahrgang 1988, hat Medienwissenschaft in Potsdam und Literarisches Schreiben in Hildesheim studiert und ist Redakteur bei nachtkritik.de.
Mehr zum Thema:
Meldung vom 22. Juni 2021: René Pollesch protestiert gegen Räumung von Athener Theater
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Es steckt viel, sehr viel Anmassung in Pollesch's wir.Sehr Deutsch.
Bei #nachtkritik beschwert sich Michael Wolf über René Polleschs anmaßendem Ton in einem Solidaritätsbrief für das anarchistische Embros Theater, der an die griechische Kulturministerin ging: „Es ist also weder verwunderlich, dass er sich für das Embros einsetzt, noch gäbe es daran etwas auszusetzen, wenn er seinen Brief nicht in einem derart schwer erträglichen Ton verfasst hätte.“
Nicht verwunderlich ist für Wolf der Einsatz von #RenéPollesch für das Theater, weil „die Idee der Autonomie und Selbstverwaltung einer Kulturstätte, der "Stadt als Beute", wohl seinen Idealvorstellungen“ entspreche.
Was Michael Wolf nicht versteht: Das Embros-Theater ist nicht einfach nur selbstverwaltet und irgendwie von der Idee her autonom. Es ist ein politischer Ort, in dem sich Antifaschist*innen treffen, ja, „die Antifa“. Es ist ein Ort der explizit linksradikalen, anarchistischen, queerfeministischen und antirassistischen Kunstproduktion. Da treffen sich Leute, die eine rechstkonservative Regierungspartei Nea Dimokratia ebenso kritisieren wie sie zuvor die pseudosozialistische SYRIZA kritisierten.
Dieser Brief also verteidigt nicht nur ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, sondern ist eine politische Solidaritätserklärung mit einer linksradikalen Minderheit von Kulturschaffenden.
Ist der Brief also anmaßend? Klar! Aber nicht, weil ein Deutscher, der vermeintlich doch auch für die unsägliche Troika steht und somit für eine Austeritätspolitik, die den Griech*innen die Beine weggehauen hat, an eine rechtskonservative Politikerin schreibt. Er ist anmaßend, weil ein offenbar mit linksradikalen Ideen Sympathisierender an eine rechte Staatsfunktionärin schreibt im vollen Bewusstsein seiner Anmaßung.
Der Brief ist auch nicht anmaßend, weil ein Deutscher (mit Nazihintergrund) eine Griechin an die 30er Jahre erinnert, sondern weil an die „Position-Linksaußen“ erinnert wird und somit an diejenigen, die in den 30er Jahren versuchten den Faschismus zu verhindern.
Und wo taten sie es unter anderem? Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Und wer hat versagt? Die Sozialdemokrat*innen und all die anderen, die jene ewig währende deutsche Schande nicht verhinderten.
Es ist also völlig richtig zu betonen, dass WIR(!) dies kein zweites Mal zulassen werden, weder in Deutschland noch anderswo, und dabei an jene Stimmen erinnern, die damals im linksradikalen Widerstand gegen die Nazis ihr Leben ließen.
Wem es also offenbar an Geschichtsbewusstsein mangelt, dürfte klar sein.
(...)"
(Der Kommentar wurde um eine Passage gekürzt. Bitte beachten Sie unsere Kommentarregeln: https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=102
Beste Grüße aus der Redaktion - jeb)
Es war sicher nicht in ihrem Sinn - aber "nachtkritik" wurde mit der Zeit zu einer unerschöpflichen Quelle für unfreiwillige Komik und Absurdität.
Wie sich Pollesch jetzt als Theater-Staatsmann geriert, (...) unbezahlbar.
Weiter so!
Vielleicht kann man ja Gerhard Polt zu einer allerletzten Folge von "Wie aus dem richtigen Leben" überreden, mit Fränky, René, dem Lederer Klaus und allen anderen. :)
Sicherlich sind sich alle hier darüber einig, dass die Schließung eines Theaters als Raum für subversive Diskurse zu beklagen ist.
Der Ton aber macht die Musik.