Hildesheimer Thesen I - Reformbedarf auf der Baustelle Theater
Under Construction.
von Wolfgang Schneider
Hildesheim, 24. Oktober 2012. Fünf Thesen zum Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Theater. Entwickeln. Planen. Kulturpolitische Konzeptionen zur Reform der Darstellenden Künste" des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim
Die Krise des Kulturstaates ist die Krise der Kulturfinanzierung in den Kommunen ist die Krise der Kulturpolitik! Kommunale Kulturförderung hat es versäumt, eine Verständigung darüber herzustellen, welche Rolle Theater zukünftig in der Gesellschaft spielen soll, welche Strukturen hierfür nachhaltig Wirkung erzielen und welche Maßnahmen zu ergreifen wären, um eine breite Partizipation der Bevölkerung zu ermöglichen.
Erstens
Die künstlerischen und politischen Träger der deutschen Stadt- und Staatstheater sind mit Schuld an der Misere, weil sie allzu gerne nur auf die Perpetuierung ihres Systems beharren. Die Situation, in der wir uns im Moment befinden, ist nicht nur eine Folge des Versagens der Kulturpolitik, sondern auch der Theater. Wenn sie sich selbst für neue Formen geöffnet haben, dann nur in einigen wenigen Projekten. Wenn sich etwas geändert hat, dann eigentlich nur durch einzelne künstlerische Persönlichkeiten, die hier und da die Zeichen der Zeit erkannt haben. Aber es ist nichts Strukturelles passiert, bei dem man sagen könnte, dass es eine Perspektive für das Überleben wäre.
Zweitens
"Ich gehe sehr ungern ins Theater", schreibt der 17-jährige Mourad R. dem Forum Freies Theater Düsseldorf. Warum er nicht gerne ins Theater geht, kann man im dritten Band einer Brief-Edition unter dem Titel "Absagen ans Theater" (April 2012) lesen: " ... ich habe Besseres und vor allem Wichtigeres zu tun". Theater ist für ihn wie für viele andere Schüler "eine nervende Pflichtveranstaltung". Anscheinend hat unsere viel gerühmte Theaterlandschaft nicht angemessen auf Zuwanderung reagiert und kulturelle Vielfalt nicht entsprechend auf der Agenda. Dabei bezeichnen sich doch insbesondere die Stadt- und Staatstheater gerne als Spiegel der Gesellschaft. In unserem Kulturstaat ist das Schauspiel aber ziemlich deutsch geblieben. Nicht nur das Publikum entspricht nicht der bunten Republik, auch im Personal und in den Produktionen ist das Theater wenig multiethnisch.
Drittens
Die Enquete-Kommission spricht von einer Theaterlandschaft und nimmt damit die Darstellenden Künste in der Breite wahr. Es gibt zum Beispiel mehr als 2500 Vereine des Amateurtheaters in Deutschland, die regelmäßig über das Jahr verteilt Aufführungen anbieten, manchmal auf der großen Freilichtbühne den ganzen Sommer lang mit vielen Mitwirkenden. Manchmal ist es aber eben auch eine kleine Gruppe, hochartifiziell, politisch, im kleinen Raum, in der Provinz. Dies ist ein Bereich, den ich für ebenso anerkennungswürdig halte und den auch ein freies Theater oder ein Stadttheater nicht einfach als "Laiensclub" abtun kann. Theater ist mehr als das, was feuilletonistisch verhandelt wird.
Viertens
Immer wieder behaupten Intendanten, Theater sei per se kulturelle Bildung und plappern damit den Sonntagsreden der Politik hinterher. In der Breite fehlen klare Konzepte. Und in Anbetracht von Spielplänen, die sich an den Pflichtlektüren orientieren, drängt sich die Frage auf, ob Theater nicht kurz vor der Instrumentalisierung, man könnte auch Funktionalisierung sagen, steht. Kulturelle Bildung muss also immer wieder neu definiert werden, als eine Bildung für und um das Theater, als eine Wahrnehmungsschulung, eine Schule des Sehens und ein Programm der ästhetischen Bildung.
Fünftens
Theaterförderung ist auch Risikoprämie. Wer öffentliche Mittel erhält, erhält auch die Lizenz zum Scheitern. Das unterscheidet auch die Begrifflichkeiten: Investitionen einer Kulturpolitik in Theater müssen nicht die Marktfähigkeit der Darstellenden Kunst erzeugen – wie etwa Subventionen einer Wirtschaftspolitik! Aber auch Investitionen bedürfen der Konzeptionen. Standortsensibilität sollte Theater vor Ort an allen Orten entwickeln, spielen und spielen lassen als theatrale Grundversorgung verstehen, mobile "Szenische Einsatzkommandos" (SEK) sollten über kurz oder lang als dramatische Interventionstruppen die Landesbühnen in ihrem gesellschaftlichen Auftrag ablösen.
Kann man diese Überlegungen nun kulturpolitisch konturieren? Wichtig wäre in dem Zusammenhang, dass es die Theaterleute selbst in die Hand nehmen müssen, aber die Kulturpolitik den Auftrag hat, das mindestens zu moderieren und den Mut aufzubringen, die Möglichkeit hierfür zu schaffen. Das Ziel einer Theaterentwicklungsplanung könnte also sein: Mehr Theater für mehr Publikum. Das Prinzip dabei muss sein, kulturelle Vielfalt zu gewährleisten, nämlich verschiedene Formen und auch verschiedene Strukturen von Theater. Ein kulturpolitisches Kriterium einer solchen Theaterentwicklungsplanung wäre Interdisziplinarität. Das jetzige System ist diesbezüglich völlig überholt. Wo gibt es das noch, dass wir vom Sprechtheater reden, dass das Musiktheater ein eigener hermetischer Komplex ist genauso wie das Ballett, das Tanztheater und irgendwo auch das Kinder- und Jugendtheater sowie das Figurentheater. Gerade die Avantgarde arbeitet von jeher interdisziplinär und selbstverständlich auch am Stadt- und Staatstheater. Mehr davon!
Prof. Dr. Wolfgang Schneider, geb. 1954, ist Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim, war Sachverständiges Mitglied der Bundestag-Enquête-Kommission "Kultur in Deutschland" und ist seit 1997 Vorsitzender der ASSITEJ Deutschland (Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche).
Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de
Alle Hildesheimer Thesen sind im Lexikon zu finden
Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de
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Nach dem Wegfall der zweiten (kommunistischen) Welt, der Einführung des Euro und der Erkenntnis, dass in den Auseinandersetzungen mit der dritten Welt Kultur offenbar keine Rolle spielt wird sie als nationenbindendes Element nicht mehr benötigt. Deutschland ist endlich in der Lage, sich auf die Kulturgrösse anderer kapitalistischer Staaten zu reduzieren, wie wir sie z.B. aus dem amerikanischen Kino kennen:
Mainstream-Kino, ShoppingMalls, College-Theater, dazu einige wenige Opernhäuser und abseits der Hauptstrassen die unterfinanzierte Avantgarde.
Solange die Debatte nicht an diesem Kern ansetzt bleibt sie lebenserhaltende Massnahme für ein dem Tod geweihtes Überbleibsel von 500 Jahren europäischer Kulturgeschichte. Wenn die Debatte hier ansetzen würde, käme vielleicht ein wunderschönes Requiem zustande. Was mir - neben dem zu erhoffenden kultursoziologischen Erkenntnisgewinn - lieber wäre.
Er sagt: Was wir brauchen, sind nicht neue Formen, was wir brauchen, ist eine offener, freier Blick. Das Theater dürfen wir nicht als Institution von 152 Theatern begreifen. Was wir in Deutschland haben, ist eine vielfältige Theaterlandschaft.
Aber wem sagt er das? Jungen Menschen, die wohl über die unterschiedlichsten Wege zum Theater und zu ihm in die Vorlesung gekommen sind.
Sie haben ein Praktikum in einem soziokulturellen Zentrum oder ein FSJ in einem kleinen Puppentheater gemacht. Er braucht uns nicht zu erklären, dass das Theater vielfältig ist. In unseren Köpfen gibt es keine Grenzen. Was wir aber brauchen ist Planungssicherheit, sind neue Konzeptionen, eine Reformation des Stadttheaters. Das Theater findet bei den Menschen statt, im Bürgerhaus und Jugendzentrum und nicht nur in Berlin! Wollen wir uns diese Vielfalt bewahren? Empört euch, würde Stéphane Hessel sagen.
Wir, die Theatermacher von morgen, sind es, die entscheiden, wie das Theater der Zukunft aussehen wird. Wollen wir eine Monopolstellung von einigen wenigen Institutionen oder wollen wir ein interkulturelles Theater, das bei uns vor der Haustür stattfindet? Wir müssen unsere künstlerische Tätigkeit legitimieren. Das kann und darf uns nicht egal sein!
Der Mann, der kein Pastor sein will, ist es doch. Wovon er spricht ist kein Parolengedöns, sondern steckt mich an. Es weckt in mir die Frage "Könnte es nicht ganz anders sein?"
Bin gespannt, was noch kommt.
Danke.
@ Ulrich Heinse - ich finde, dieses antiamerikanische und kulturpessimistische herumgebashe eigentlich dem Diskurs hier unangemessen. Die Theater haben in ihren luft- und lichtdicht verschlossenen Bunkern lange an der Wirklichkeit vorbeiproduziert und gedacht. Trotzdem stehen sie dem Publikum immer noch mit diesem Oberlehrergetue gegenüber und denken, sie sind schlauer als die Leute im Zuschauerraum. Aber das ist eben der Irrtum. Ich selber finde Shoppen manchmal inspirierender als irgend einen spießigen Avantgardekrampf zu erdulden, der mir als Kunst vorgesetzt wird.
ich bin überrascht über die schnell entfachte Diskussion.
Nun sind also optimale, adjektivische Bezeichnungen momentanen Theaters (wie partizipatives und risikobereites) gefallen.
Solches Theater bläst in Zukunft dem Zuschauer nicht mehr (Wind) ins Gesicht (denn das mögen selbst Katzen und Hunde nicht), sondern tritt ihm verantwortlich, ehrlich und aufrichtig gegenüber.
Aber ob die Wirkkraft solcher Formen und Ästhetiken momentanen Theaters damit völlig überschätzt und unliebsame Nebenwirkungen von Theater unterschätzt/unbenannt werden, wäre anhand nun notwendiger Überlegungen für eine Umsetzung endlich zu überprüfungen.
In welche Strukturen zirkulieren solche Theaterproduktionen bereits in den Metropolen Europas? HAU...Ftt..Sophiensäle.. Ringlokschuppen?
Oder welche kleineren, ähnlichen Verteilerkatalysatoren gibt es da bereits auf dem Land?
Benötigt es in Zukunft einen Booking-Agenten für präferierte Theaterproduktionen in allen Landestheatern?
Anstatt Kohlhaas in der Stadthalle nun Doppelpass-Produktionen?
Ist jemand an einer Diskussion mit dem Stab eines Landestheaters einverstanden?
Prof. Dr. Schneider, ich bin gespannt.
Heute findet in Thüringen ein Fachtag zum Thema "Perspektive und Wahrnehmung - Theaterpädagogische Projekte zwischen Kunst und Kulturvermittlung" statt, ausgerichtet von der LAG Spiel und Theater Thüringen und dem Thüringer Theaterverband, um in die Zukunft zu blicken und Standpunkte zu formulieren.
Ich hoffe, dieser Fachtag und die anschließende Vergabe des ersten Thüringer Theaterpreises, sowie das Festival verlaufen wünschenswert und die Ergebnisse bleiben nicht im Dunkeln.
Gegen-These 1.2: Das Theater braucht keine “Überlebensperspektive" (und erst recht keinen Masterplan!). Theater lebt auch vom Vorgefühl des eigenen Untergangs, in der Aura der bevorstehenden Katastrophe, mit dem letzten Finger sich am Hang über dem Abgrund haltend – so macht Theater doch erst Spaß! Es ist schließlich Theater. Es ist Freude am und Beweis des eigentlich Unmöglichen.
Schlechte Bedingungen sind fürs Theater ideale Bedingungen.
Gegen-These 2: Es wird und muss immer »…Besseres und vor allem Wichtigeres zu tun« geben als Theater. Theater darf nicht selbstverständlich sein, denn selbstverständliches ist alltäglich. Theater ist Ausfall des Alltags. und immer auch(!) un-verständlich und gnadenlos unwichtig. Aber das Unwichtige ist für Menschen ja erfreulicherweise ziemlich wichtig.
Gegen-These 4: Nahezu alle Theater sind bemüht um neue Formen oder mindestens neue Stücke (dass dabei viele auf einander ähnliche Ideen kommen, heißt nicht, dass die Ideen schlecht sind). Wenn sich der Spielplan zudem an der Schullektüre orientiert und Schüler auf diese Weise zum Theater gelangen, wo sie (idealerweise) derart unterhalten werden und ein bisschen die Fassung verlieren (also eine neue suchen müssen = Bildung), dass sie wiederkommen. Vorwürfe sind hier eher dem Deutschunterricht zu machen, aus dem der Begriff "Pflichtlektüre" längst gestrichen sein sollte.
Gegen-These 5: Ein (finanzieller) Freibrief zum Scheitern, verunmöglichte das Scheitern. Scheitern kann nur, wer eigentlich nicht scheitern darf. Zum Scheitern gehört, dass es ein Problem ist. Keine Risikoprämie! Risiko, das prämiert wird, ist kein Risiko.
Schlusswort:
Aristoteles ist tot (schon lange), er hat's überlebt.
Will sagen: Nicht weinen, alles wird gut.
Vielen Dank! Das nenn ich mal Theater für das Volk. Die Kunst schaufelt sich durch ihren elitären pseudo-intellektuellen Kurs doch ihr eigenes Grab!
Menschen gehen ins Theater, um in eine andere Welt einzutauchen und um mitgerissen zu werden. Heutzutage kommen sie eigentlich nur aus dem Zuschauerraum mit (im besten Fall) gerunzelter Stirn und einem Gefühl von "Was sollte das jetzt?" (Ich habe lange genug an der Garderobe in der Oper gearbeitet um genau diese Reaktionen zu beobachten).
Meiner Meinung nach sollte hier angesetzt werden. Das Potential der Stücke an sich ist derart groß, dass es schmerzt zu sehen, wie sehr es immer mehr verkümmert, weil ein Regisseur mal wieder zeigen will, welch vermeintlich intellektuellen Anspruch er doch hat. Selbstprofilierung statt Engagement.
Wenn man dieses Potential aber komplett neu ausschöpfen würde, vielleicht auch mal den Mut zu Pompösität statt Nihilismus zeigt, und Wert auf schauspielerische Leistung legt (speziell in der Oper), die Psychologie der Figuren ausarbeitet und alles aus den Stücken rausholt, was an Potential längst vorhanden ist, dann würde eine verstaubte Kunstform auch wieder zu neuem Leben erwachen und viel mehr Menschen erreichen.
So wie sie sich jetzt aber präsentiert, kann ich leider nachvollziehen, dass jemand wie Mourad "Besseres und vor allem Wichtigeres zu tun" hat als ins Theater zu gehen, denn das habe ich unter diesen Bedingungen auch.
Natürlich klingt es erst mal toll zu sagen, die Klasse geht ins Theater, doch das war es dann meist auch schon. Es fehlen kompetente Lehrer und die Zeit Theaterstücke ordentlich vor- und nachzubereiten. Das sorgt je nach Inszenierung für Verwirrung, Unverständnis und Abschreckung bei Schülern.
Ich denke Theater in der Schule, sei es der Besuch von Aufführungen, aber auch der Unterricht selbst, also Darstellendes Spiel, könnte eine Möglichkeit sein, den Schülern Kultur näher zu bringen, aber darüber hinaus auch Lerninhalte anderes zu vermitteln, ein Gemeinschaftsgefühlt zu fördern und soziale Fähigkeiten zu verbessern. Aber eben nur, wenn man dem Theater in der Schule einen anderen Stellenwert gewährt!
Würden die Filmemacher sich auch so sehr dem Drama und der Schauspielkunst (Identifikation!)verweigern, wären die Kinos leer. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ich habe im übrigen die 30 noch nicht erreicht, bin selber Regisseur und betrachte mich wahrlich nicht als konservativ!
Wer die Häuser leerspielt, hat seitens der Politik keine Berechtigung auf Alimentierung vom Staat. Und leer gespielt werden sie größtenteils durch "postdramatisches Theater", wo die Turntheaterfraktion um die Wette brüllt.
Man macht es sich zu leicht in jeder Änderung von tradierter Aufführungspraxis den Niedergang des Theaters zu sehen, viel mehr müssen sich alle Theatermacher - egal aus welcher Schule - fragen, wie man den Zuschauer erreicht (und manchmal erreicht man Zuschauer auch durch Befremden), und das gelingt sowohl mit 'traditionellen' und 'postdramatischen' Inszenierungen (nicht).
um nur ein weiteres beispiel herauszugreifen, die 'lehrstück' wenn sie den von brecht geprägten terminus leiten, waren nie für vorstellungen vor publikum gedacht, sondern um die aufführenden in moralischen fragen zu lehren, in dem sie diese mit ihren eigenen leben darstellen. wollte man sich an eine historie der theaterpädagogik wagen, liegt hier ihre geburt. echte lehrstücke finden heute aber vermutlich eher beim firmentheaterworkshop o.ä. statt.
ich möchte hier nicht das alte lied der veränderung singen. ich möchte sie 11, lediglich um eine definition von
darf ich sie bitte um eine schlüssige definition von 'postdramatischem theater' bitten. und als vertreter einer jungen generation an ihr verantwortungsgefühl appelieren diese diskussion genau zu führen. es geht in erster linie um ihre zukunft, das theater schert sich einen dreck um seine. da gebe ich ihnen recht. das hat's immer gegeben und das wirds immer geben.
These 1: zur fehlenden strukturellen Weiterentwicklung der deutschen Theaterlandschaft: das ist sicherlich richtig und auch wichtig. Und gerade daher stellt sich mir die Frage nach der richtigen Aus- und Weiterbildung. Wir studieren an Universitäten entweder die künstlerische Praxis (an Schauspielschulen), um darauf vorbereitet zu werden, in dem gängigen Ensemblesystem zu funktionieren. Wir studieren Managementstudiengänge, die darauf vorbereiten, die rechnerischen und verwaltungsrelevanten Fragen zu klären. Wir studieren Kulturwissenschaften, das versucht, beide Bereiche miteinander zu verbinden. Wir studieren im letzteren Fall die Ungereimtheiten, die uns bei der Analyse der gegenwärtigen Situation aufstoßen. ABER wir studieren nicht die Weiterentwicklung - wir üben nicht an den Hochschulen - in dem geschützten Rahmen überhaupt - positive Utopien in mögliche Realsysteme zu übertragen, wir üben nicht damit umzugehen, unser eigenes System zu realisieren. Dafür fehlt in diesem Fall die genaue Beschäftigung mit allen möglichen Systemen und ihren Verbesserungsmöglichkeiten. Wir studieren, um uns in ungewissen Situationen neue Lösungen zu erdenken, aber reicht diese rein theoretische Beschäftigung aus? Wo sind die Kooperationen und Netzwerke, um gemeinsam Diskussion anzuwerfen. Aber auch: wo ist der Willen derjenigen Führungspositioneninhaber, der forschenden jungen Generation Teilhabe anzubieten. Warum geht es immer um die Ellbogengesellschaft denn um ein gemeinschaftliches Weiterdenken?
These 2: zur nicht angemessenen Reaktion der Theaterlandschaft auf "Zuwanderung" und "kulturelle Vielfalt": hier schließe ich mich auch einem Vorredner in Bezug auf veränderte Wahrnehmungsgewohnheiten an: Warum wird der Wandel nur in Bezug auf die Zusammensetzung der Gesellschaft gesehen (sicherlich auch berechtigt)? Mit welchen Formen und Ästhetiken auch auf ein verändertes Freizeitverhalten oder Sehgewohnheiten eingegangen werden könnte, bliebe noch zu erruieren, aber mich nervt die reine Beschäftigung mit der nun interkulturellen Gesellschaft.
These 4: zur kulturellen Bildung und zur Wahrnehmungsschulung: Das betrifft ja nicht nur den Bereich des Theaters. Ich erachte eine kulturelle Bildung in dieser Form als gesamtheitliches Prinzip für äußerst relevant. Aber auch hier liegt das Problem in der Aussage begraben. Ich glaube, es ist fatal, dass wir immer noch einen unüberwindbaren Graben zwischen die Bereiche der Politik einerseits, der Kultur andererseits und der Gesellschaft bzw. dem Individuum auf einer dritten Seite haben. Solange diese Bereiche nicht als eines verstanden werden, kommt jede "Hilfe" zu spät, bleibt sie nicht im Willen des Subjekts, in seinem Interesse verhaftet. Dann bleibt auch Kultur als etwas Fremdes, alltägliches aber nicht mit ihm/ihr verbundenes Element seines Umfeldes bestehen.
Zum letzten Absatz: Ich glaube, die Suche auf der wir sind - auch wenn das sprachliche Korinthenleserei sein mag - lässt sich eher mit dem Wort der Transdisziplinarität beschreiben. Nicht das Nebeneinanderbestehen der Formen sollte wünschenswert sein, um dem Zeitgenössischen Rechnung zu tragen, sondern es ist die Auflösung der Grenzen in neue, noch zu definierende Formen.
(Alle Darstellungen sind erheblich verkürzt, es hätte zu lange gedauert, alles noch weiter im Detail auszuformulieren. Ich bitte das zu entschuldigen.)
Genauso sind auch die Tarifverträge in den einzelnen Systemen alles andere als einheitlich. Die arbeitsrechtlichen Bedingungen sind schwierig, schaut man sich die Unterscheide an zwischen dem Gehalt eines Musikers und dem eines Schauspieler, da fragt man sich wo die Gerechtigkeit bleibt. Strukturelles Umdenken ist unausweichlich.
Das gilt genauso für die Zukunft des Theaters. Wichtig ist dort vor allem, die Reise mit dem Publikum anzugehen und sich am Interesse der Gesellschaft zu orientieren. Man sollte auf Zielgruppen achten und das Publikum kennenlernen, dazu sind Umfragen und Untersuchen von Nöten, die nicht nur an der Oberfläche bleiben. Was ist der Grund? Weshalb gehen viele Menschen nicht ins Theater?
Vielmehr ist es im Rahmen der von Herrn Schneider angebotenen Ringvorlesung Pflicht, zu drei Vorträgen einen Kommentar auf dieser Seite zu posten. Da dies auf dieser Page nirgends vermerkt ist, jedoch für den interessierten Kommentareleser (welchen ich ja, als Adressaten, im Produktionsmodus der von mir hiermit abgeleisteten Studienleistung in gewisser Weise voraussetzen muss, um eben diese Studienleistung am Semesterende von Herrn Schneider als erfolgreich erfüllt bestätigt zu bekommen, um wiederum mein Bachelorstudium abschließen zu dürfen) bei der Einschätzung der anderen Postings von Bedeutung sein könnte, möchte ich es doch kurz erwähnt haben.
Anmerken möchte ich zudem, dass, wenn Herr Schneider am Ende seiner zweiten These davon spricht, das Theater sei "wenig multiethnisch", der Begriff eigentlich durch "multikulturell" ersetzt werden müsste.
Bildung ist das nächste. Wenn Theater eine Bildungsauftrag haben sollen, dann muss die Zusammenarbeit mit anderen Bildungseinrichtungen funktionieren. Regionale Schultheatertage die abgesagt werden müssen, weil Lehrer keine Lust auf unbezahlte Überstunden haben. Schüler die am Tag nach der Premiere Klassenarbeiten schreiben...es gibt viele Beispiele die zeigen, das Theater an den Schulen nicht als wichtig begriffen wird.
Was nicht heißt, das die Theater nicht noch einiges zu verändern hätten.
("Akademikerkinder, wie wir es an der Uni vorwiegend sind" - Das war vielleicht vor einigen Jahrzehnten noch so, aber die Gesellschaft verändert sich ja bekanntlich und damit auch der Zugang zur Bildung, nicht wahr?)
Sehr prägend, wenn auch plakativ und weniger empirisch, sind die herangezogenen Beispiele im Abschnitt „Zweitens“. Sich Mourad R. (17) heraus zu picken dient sicher zur Verdeutlichung der Distanz im „Multi-Kulti-Staat“, löst jedoch eine Hebelwirkung in die falsche Richtung aus. Um ein multikulturelles Theaterprogramm zu konzipieren, bedarf es zunächst einem gemeinsamen Interesse am Theater. Als ehemaliger Projektmanager im Ruhrgebiet wurde ich (zu) oft Zeuge davon, wie Anträge für Projekte in der Jugendkultur zunächst der „Überprüfung“ des Integrations-Aspektes unterzogen wurden und erst im zweiten Schritt der inhaltliche Wert des Projektes eine Rolle bei der Vergabe von Fördergeldern spielte. Wenn dann noch in Zeile zwölf, Absatz drei der Begriff der „Nachhaltigkeit“, und wenn auch nur im Nebensatz, zu finden war, standen die Chancen auf Finanzierung weitaus besser als für ein Projekt, das möglicherweise langatmig erschien, dafür aber Strukturen vorwies. So entgeht die politische Front ganz pragmatisch dem möglichen Vorwurf einer unzureichenden Integrationspolitik. Natürlich verkörpert in dessen das Ruhrgebiet eine Ausnahmestellung und was Integration im Allgemeinen betrifft, eine vorbildliche Haltung. Nur hat man das Gefühl, dieser politische Großauftrag sorgt für temporäre, willkürliche Handlungsweisen, in denen „nichts Strukturelles passiert“. Kurz: lieber irgendeinen Haken setzen als gar keinen. So bekommt man Mourad R. möglicherweise zu einem verschulten 3-Tage-Workshop bewegt, jedoch nicht zur dauerhaften Teilnahme am Theater. Kulturpädagogik, Kunstpädagogik, Soziale Arbeit, Kulturelle Bildung – alles in einen Topf und kräftig rühren. Bestenfalls kommt dabei ein Pausen-Snack heraus, jedoch keine feste Mahlzeit.