Der Bühnenbildner Bert Neumann ist tot
Einer der Großen seiner Berufe
31. Juli 2015, letztes Update 23:20. Der Bühnenbildner und Ausstattungschef der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Bert Neumann ist tot. Das meldete zuerst der Nordbayerische Kurier aus Bayreuth. Mittlerweile hat auch die Volksbühne die Nachricht bestätigt.
Bert Neumann wurde am 9. November 1960 in Magdeburg geboren und wuchs in Ost-Berlin auf. Er war an der Volksbühne als Bühnentechniker beschäftigt und studierte von 1980 bis 1985 Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Weißensee. Seit 1988 arbeitete Neumann als freier Künstler. Im gleichen Jahr begann seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Frank Castorf, seit 1992 war er Ausstattungsleiter der von Castorf geleiteten Volksbühne. Gemeinsam mit seiner Frau, der Fotografin Lenore Blievernicht, betrieb Neumann auch das Grafikbüro LSD, das u.a. für das Corporate Design des Hauses verantwortlich ist. Für die Volksbühne erfand Neumann auch das berühmte Räuberrad-Logo. Er war nicht nur stilprägend für das Theater von Frank Castorf, sondern auch für die Arbeit von René Pollesch. Seit 2004 hat Neumann auch immer wieder Bühnen für Inszenierungen von Johan Simons gebaut.
Bert Neumanns "Neustadt"-Bühnenbild. Hier spielte unter anderem "Der Idiot". © Thomas Aurin
Auf Wikipedia heißt es: "Bert Neumann war der erste Raumkünstler des deutschsprachigen Theaters, der geschlossene Räume und daraus resultierend die Großaufnahme (per Video) in das deutschsprachige Theater brachte. Ebenso neuartig ist seine Raumkonstruktion im Prater, der zweiten Spielstätte der Volksbühne, zu den Rosenkriegen von Shakespeare (1999), in der er das 'Globe' neu interpretierte als 'New Globe'." 2002 baute er im Großen Haus der Volksbühne die "Neustadt" mit verschiedenen übereinandergetürmten Räumen, in der u.a. Castorfs Dostojewski-Inszenierung "Der Idiot" und Polleschs "24 Stunden sind kein Tag" aufgeführt wurden. Zuletzt schuf er die Räume für die Castorf-Inzenierung Die Brüder Karamasow sowie für Keiner findet sich schön von Pollesch. Im Streit um das Ende der Intendanz Castorf hatte er gegen die Wahl Chris Dercons Position bezogen.
2003 wurde Neumann mit dem Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung Berlin ausgezeichnet. In diesem Jahr erhielt er den Hein-Heckroth-Preis für Bühnenbild. Seit 2009 war er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Am 30. Juli ist Bert Neumann mit 54 Jahren überraschend an den Folgen einer Krankheit in seinem Mecklenburger Haus verstorben.
(Wikipedia / jnm)
Im Gedenken an Bert Neumann dokumentieren wir die Laudatio von René Pollesch zur Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises an Bert Neumann am 26. April 2015.
Nur im Extrem – Anke Dürr auf Spiegel online
Ein Bühnen-Erfinder mit Hang zum Flitter – Michael Laages auf Deutschlandradio Kultur
Der Souverän der Volksbühne – Carl Hegemann in der FAS
Durch seine Bühnenräume flirrt die Zeit – Barbara Villiger-Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung
Der Spielraum-Baumeister – Frederik Hanssen im Tagesspiegel
Landebahnen für das Unvorhersehbare – Dirk Pilz in der Berliner Zeitung
Der Unbestechliche – Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung
Er war der Mann, der die Volksbühne baute – Jan Küveler in der Welt
Die Containuität – Hans-Dieter Schütt im Neuen Deutschland
Charmant anarchisch – Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der letzte Vorhang – Katrin Bettina Müller in der tageszeitung
Ein kaum zu fassender Verlust – Thomas Irmer in Der Freitag
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(Verehrte Sachs, natürlich haben wir das nicht ungeprüft veröffentlicht.
Inzwischen steht auch auf Spiegel-online ein Nachruf.
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/bert-neumann-buehnenbildner-der-berliner-volksbuehne-ist-tot-a-1046175.html
Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Ich möchte es nicht glauben, so unvermittelt, so einschneidend ist es.
Ich bin fassungslos...
Und Michael Pehlke, Autor, Regisseur, literarisches Mastermind, Dramaturg u.a. am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, in Mannheim, Theater am Neumarkt Zürich, am Theater Bonn, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Schauspiel Frankfurt und dem Schauspiel Bochum starb am 15. Mai.
Mehr als bitter und machtbesessen.
Auch dieser wird sicherlich kassiert!
(Lieber "Verlust", bitte nicht böse sein, aber wir wollten hier in den Kommentarspalten keine Todesmeldungen in die Welt setzen, die von uns nicht erst mal recherchiert und verifiziert worden sind. Das ist bitte nicht als machtbesessen zu verstehen, sondern als unsere Art, mit der Verantwortung umzugehen, die nun mal das Betreiben eines Portals wie nachtkritik.de mit sich bringt. Herzliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Über was denn sonst?!
Man redet über die Krankheit der Jugend, der Gesellschaft, der Märkte, und folgerichtig auch über seine Eigenen und die der Epigonen. Bert Neumann begegnete mir hin und wieder an der Kastanienallee Ecke Schönhauser. Wir besuchten die selbe Apotheke aus dem selben Grund. Es war immer ein kleinen Schock ihn zu sehen. Denn ich mochte viele seiner Arbeiten nicht. Dennoch beschäftigte er einen, mich. Ganz besonders verübelt habe ich ihm den Bühnenraum zu „Kaputt“. Bin ich jetzt uncharmant?
Das waren seine Räume zuweilen auch. Aber ich konnte ihm meine Liebe nie verweigern, wenn ich ihn sah. Das ist eine große Qualität, vor der ich mich verbeuge, verneige. Sein Tod hat mir tiefe Schmerzen verursacht. Ich denke mir mein Gegenüber nicht einfach weg, ich begehre es. Vielleicht bin ich ja ein ganz schlimmer Verbrecher.
Aber bei Bert Neumann ist es begründet kriminell zu werden.
Da gab es diese „Weber“ Inszenierung. Und wenn ich mich richtig erinnere, war die Bühne plötzlich menschenleer. Und es stand da nur ein Webstuhl vor einem Hintergrund von Leuchten. Und er arbeitete. Ganz ohne uns. Wir waren abwesend. Menschen wurden nicht mehr gebraucht. Und das ging gefühlt minutenlang. Das war reine Kunst. Das Theater konnte man sich wegdenken. Castorf konnte man sich wegdenken. Die Dramaturgie war abwesend. Es war nur Raum.
Niemals zuvor und niemals danach hat jemand einen Gedanken so konsequent eingelöst, außer eventuell Beuys mit der „Honigpumpe“.
Ich verbeuge mich tief vor diesem Moment. Denke aber zugleich, darin verbirgt sich auch der Impuls zu der neuen Intendanz Dercon. Versöhnt euch.
Es ist eine merk(-)würdige Vorstellung Sie nicht mehr unter uns zu wissen. Zu wissen, dass dieser von Ihnen geteilte Reichtum nach und nach versiegen und sich verflüchtigen wird. Ihr Werk spricht (wieder und wieder), widerspricht, steht, berauscht, flucht, klagt und schäkert, schert sich nicht. Das ist Trost. Doch auch einer, der Ihren Gang noch schmerzvoller macht. Mit diesen Ihren Räumen zu sein ohne Sie ist einfach ganz ganz großer Mist, so groß wie es die (Erinnerung an die) unterlaufende Schönheit und Garstigkeit Ihrer Arbeiten bleibt. (Bleiben muss, wie es steht.)
Wir trauern schwer sagbar.
Mögen Räume in Berlin und sonstwo enstehen, nachgebaut&neuerobert werden - nach Neumanns Credo. Auf das alle, Geflüchtete und (im Prinzip) Behauste Asyl und Elysium finden ...