Kolumne: Als Ob! - Michael Wolf sieht Moral am Werk, wo politische Ideen geboten wären
Rechtschaffene Rituale
Von Michael Wolf
19. März 2019. Letzte Woche haben die Kulturminister der deutschen Bundesländer verkündet, dass sie das Grundgesetz weiterhin super finden. In einer Abschlusserklärung "bekennen" sie sich dazu, "die kulturelle Vielfalt einer freien und offenen und demokratischen Gesellschaft zum zentralen Maßstab ihrer Entscheidungen zu machen". Ich finde es gut, dass unsere Minister die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht angreifen wollen, hätte dergleichen aber auch nicht erwartet. Woher rührt der Bekenntniszwang? Ich glaube, die Damen und Herren Kulturpolitiker bedienen einen Trend.
Umkehrung der "Nazi-Keule"
Im November des letzten Jahres verabschiedeten Berliner Kulturinstitutionen die "Erklärung der Vielen". Konkret verpflichten sie sich dazu, "völkisch-nationalistischer Propaganda" kein Podium zu bieten. Ich gehe oft in Berliner Theater, kann mich aber nicht daran erinnern, schon mal eine nationalistische Revue oder ein Volksstück von Björn Höcke gesehen zu haben. Im Grunde beteuern die Kulturschaffenden hier nur öffentlichkeitswirksam, dass sie weitermachen wollen wie bisher. Aber eben nicht einfach nur so, weil sie besonnene Bürger wären. Das genügt ihnen nicht, sie haben weitaus gewichtigere Motive: "Als Aktive der Kulturlandschaft in Deutschland stehen wir nicht über den Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden. In diesem Land wurde schon einmal Kunst als entartet diffamiert und Kultur flächendeckend zu Propagandazwecken missbraucht. Millionen Menschen wurden ermordet oder gingen ins Exil, unter ihnen auch viele Künstler*innen."
Wie sind eigentlich die Australier oder Schweden zu ihren freiheitlichen Gesellschaften gekommen? Dem deutschen Kulturarbeiter ist es offenbar ein Rätsel. Nur durch die Erinnerung an historische Schuld schafft er es mühsam, sich an die Grundrechte zu halten. Und darauf scheint er stolz zu sein. Es ist längst ein Klischee, wie Demut sich hier nationalistischer Arroganz nähert. Erst waren wir weltweit die Nummer eins im Fach Faschismus und jetzt macht uns keiner was vor bei dessen Bekämpfung. Ich beobachte in letzter Zeit immer öfter eine mindestens geschmacklose Umkehrung der sogenannten "Nazi-Keule": Der Verweis auf den Nationalsozialismus legitimiert dann jede Einlassung und sichert sie gegen Kritik ab. Die Erinnerung an die "größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte" verkommt zum rhetorischen Kniff.
Ein Motto der Erklärung lautet "Solidarität statt Privilegien", aber es ist eine zwiespältige Solidarität. Laut der Website der Aktion veröffentlichten bislang Bündnisse aus achtzehn Bundesländern und Großstädten ähnliche Texte. Das ist eine beachtliche Zahl. Inzwischen setzen Die Vielen vor allem jene "Wenigen" in ein schlechtes Licht, die nicht mitmachen. In Sachsen hat sich mit Dresden nur eine einzige Stadt angeschlossen. Bekennen sich die anderen etwa nicht? Finden die den Nationalsozialismus am Ende gar nicht so schlimm? Ich glaube eher, man muss dort damit leben und arbeiten, dass ein Teil des Publikums offen rechte Ansichten vertritt. Sollte man die vor den Kopf stoßen oder gleich vor die Tür setzen? Ich bin pragmatisch. Wer Ibsens "Volksfeind" schaut, zettelt in dieser Zeit wenigstens keine Hetzjagden an. Wohlfeile Gesten muss man sich leisten können.
Wo soll denn das sein, dieses "raus"?
Das ständige Distanzieren von rechten Positionen erschöpft sich allzu oft in der eigenen Profilbildung. Es tut gut, auf der richtigen Seite zu stehen; es ist ein schönes Gefühl, recht zu haben. Mit einem prallen Sendungsbewusstsein ausgestattet, muss man sich auch nicht mehr an die lästigen Regeln eines respektvollen Umgangs halten. Schließlich befindet man sich mitten im "Kulturkampf". Ein liberales Bekenntnis schlägt so auch mal in Despotismus um, regelmäßig aber in Gehässigkeit. Da wird der Rückzug der erkrankten Sahra Wagenknecht bejubelt. Da wird der Leiterin des Dessauer Bauhauses "vorauseilende Unterwerfung" vorgeworfen, weil sie in ihrem Haus keine Saalschlacht austragen wollte. Da werden Journalisten denunziert, weil sie sich vor der Teilnahme an einer Party nicht die Persilscheine der anderen Gäste schicken ließen.
Wer nicht schnell genug "Nazis raus" twittert, ist selber einer. Was für eine rührend naive Forderung übrigens. Wo soll denn das sein, dieses "raus"? Wo sollen sie denn hin, die Nazis? Sollen wir sie ausbürgern? Einsperren? Einweisen? Fragen wie diese stören nur den Schlaf der Selbstgerechten. Denn da würde es politisch werden, wo's doch moralisch bleiben soll.
Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit betonte kürzlich in einem Interview, dass der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik eher deutlich ab- als zugenommen habe. Will das jemand hören? Wohl kaum. Es schmälert das eigene Heldentum. Der besorgte Musterbürger hat ein erstaunlich lockeres Verhältnis zur Geschichte. Er benötigt sie nur zur Ausrufung des Ausnahmezustands. Man fühlt sich wohl in den heraufbeschworenen Weimarer Verhältnissen. Hier, kurz vor der Apokalypse, ist die eigene Haltung endlich mal ohne Zweifel berechtigt.
Vom Weltende aus betrachtet, lässt sich die Gegenwart freilich leicht überblicken. Als Optimist halte ich die Lage für deutlich komplexer. Das soll nicht heißen, dass wir kein Problem hätten. Im Gegenteil, ich glaube, es ist sogar erheblich schwerer zu lösen als viele offenbar meinen. Denn es wird kein einziger Rechtsradikaler dadurch verschwinden, dass alle anderen immer und immer wieder betonen, wie rechtschaffen sie selbst sind.
Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.
Zuletzt ließ sich Michael Wolf vom Sportjournalismus und der Gastrokritik inspirieren.
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Die Demokratie ist nicht durch die Angriffe der Demokratie-Feinde gefährdet, sondern durch die Passivität ihrer Verteidiger. Jede Aktivität gegen demokratiezersetzenden Nationalismus ist gut!
Zunehmender Rechtsruck, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus sind unübersehbar. Es ist richtig und notwendig demokratieverteidigende Zeichen sicht- und hörbar zu setzen.
Und so geht es im DIE VIELEN -Aufruf vor allem auch um die Verteidigung der Freiheit der Kunst vor Zu- und Angriffen rechter Gruppierungen.
Ich bin Theater-Intendant in einer Region, in der ein AfD-nahes “Bürgerforum” zum Boykott des Theater aufgerufen hat, in der die Besetzung des Hauptmann von Köpenick mit einem Afrikaner zu wüsten Beschimpfungen geführt hat, in der fremdländische Ensemblemitglieder immer wieder von fremdenfeindlichen Vorfällen berichten (und Hundebesitzer ihre Hunde mit den Namen Adolf und Hermann rufen).
Eine Region aber auch, in der sich Menschen intensiv mit künstlerischen Auseinandersetzungen zu Themen wie Ausgrenzung und Rassismus beschäftigen und ein starkes Bedürfnis nach Gegen-Statements haben, sich zB nach einer Vorstellung von Weinbergs Auschwitz-Oper DIE PASSAGIERIN geschlossen spontan zu einer “fünfminütigen Schweigeminute” erheben.
Der Autor schreibt in seinem Profil, er möge “Theater am liebsten, wenn es schön ist, es muss nicht wahr und gut sein”
Ich denke, Theater wird dadurch schön, dass es wahr und gut ist. Und ich denke auch, dass Theater als Forum für politische Bewusstmachung noch lange nicht am Ende ist.
Kay Kuntze
Intendant Altenburg-Gera
Ich lass mir doch nicht von der Wirklichkeit vorschreiben was ich wahrnehme, ist wohl der kollektive Schlachtruf. Und so bedient man sich weiter einer selektiven Wahrnehmung, die sich von jeder konkreten Handlung außer der Abwehr entbindet.
Ich verstehe, dass Michael Wolf einigen Widerwillen hat gegen die mühelosen Bekenntnisse in Komfortzonen, die mehr als Profilierung aufzufassen sind. Es kostet nichts, in Berlin Sprechblasen aufsteigen zu lassen.
Andererseits gebe ich ausdrücklich Kay Kuntze recht, dass die Theater in Gera und Altenburg mit täglicher Arbeit Räume der Toleranz, der Vielfalt, der Zivilgesellschaft offen halten. In einer Region, wo eher Nazis die Keule schwingen als dass politisch Überkorrekte die nationalsozialistische Vergangenheit als Totschlagargument strapazieren.
Auch sehe ich durchaus die Notwendigkeit, dass Kultureinrichtungen wie Theater in einer deeskalierten Atmosphäre für Meinungsstreit mit Vertretern rechter Ansichten sorgen sollten. Ein bloßes „Nazis raus“ dient gegebenenfalls nur der Aufschaukelung von Hass-Positionen.
….
Was ist eine Käseglocke? - Eine Käseglocke ist eine konvexe Form, die über aufgeschnittenen Käse gestülpt wird, um sowohl zu verhindern, dass der Käsegeruch hinausdringt, als auch zu bewirken, dass unerwünschte Einflüsse von außen auf den Käse eindringen. So bleibt der Käse geschützt.
…
Auf die Situation des Theaters in Deutschland angewandt, scheint mir, dass über den gesamten deutschen Sprachraum ein gigantisches ideelles (ideologisches!) Behältnis (Überbau!) sich wölbt, welches einen vitalen Austausch zur (Außen-) Welt verhindert. Ein reelles Verhältnis zur Welt ist verunmöglicht, solange das Verhältnis zum Ist-Zustand ungeklärt bleibt.
@an alle Diejenigen, die der „völkisch-nationalistischen Propaganda“ `kein Podium bieten´ wollen: wie erklären denn SIE, dass das Wort `Volk´ ein deutsches Wort war, lang BEVOR die „Ideologie“ über die Welt hereinbrach? Wie ertragen Sie es, dass es eine `Volksbühne´ in Berlin gibt und ein `Volkstheater´ in Wien, … , sind das nichts als überkommene Bezeichnungen? Es ärgert mich, dass Sie das „Völkisch-nationalistisch!“-Vergehen verhängen wollen und können, wann immer es Ihnen passt!
Solange die Deutschsprachigen, Deutschdenkenden, Deutschen, Österreicher, Alemannen über sich selbst nachdenken wollen, also über IHRE ureigenste Situation – wofür seit der Moderne das Theater eine bedeutende Plattform war -, solange erweisen sie sich als vital.
Wenn sie einmal aufgegeben haben werden, das Theater als Ausdrucksform frank und frei für sich zu nutzen, … na dann Gute Nacht.
i.Ü. liegt die Größe der "Passagierin" eben gerade darin, dass sie weitgehend ohne diese Betonung der eigenen Rechtschaffenheit auskommt, die Wolf so missfällt.
Ich würde das eine astreine Verschwörungstheorie nennen. nachtkritik.de setzt einen Autor "strategisch" ein .... Gute Güte. Lieber Hannes, kommen Sie aus Ihrem Film zurück ins wirkliche Leben. nachtkritik.de ist eine vielstimmige Plattform, die gar nicht den Willen und das Vermögen hat, einen Autor "strategisch" zur Erreichung eines Zieles einzusetzen wie etwa das, die moralisch-politische Zersetzung des Bürgertums zu befördern. Gute Güte.
wie kommen Sie denn zu Ihrer Einschätzung?
Wie haben Sie für Ihre Kolumne recherchiert?
Mit welchen Berliner Theaterleiter*innen haben Sie diskutiert, um ihre Beweggründe für die Unterzeichnung der Vielen kennen zu lernen?
Mit welchen Theatermitarbeiter*innen haben Sie gesprochen, um herauszufinden, wie diese zur Erklärung der Vielen stehen?
Haben Sie sich die einzelnen Presseerklärungen, die viele der Berliner Institutionen zur Erklärung der Vielen veröffentlicht haben, durchgelesen?
Der Soziologe und Dramaturg Bernd Stegemann setzt sich mit diesem Konflikt in seinem Buch "Die Moralfalle" auseinander.
Siehe hierzu bei Interesse auch: www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15343
@ #4 "man stelle sich mal vor, sie träten in solidarischem zusammenschluß für eine erhöhung der erbschaftssteuer ein.."
Das ist in meinen Augen tatsächlich ein kritischer Punkt.
Mit einem Engagement gegen Rassismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, etc. erntet man im Regelfall von Medien und Herrschenden nur Lorbeeren. Weitaus kniffeliger wäre es m. E., sich öffentlich gegen wirtschaftliche Ausbeutung, soziale Ausgrenzungen und für eine gerechtere Vermögensverteilung, etc. einzusetzen.
Wer sich ausschließlich der Identitätspolitik, die sich vor allem für Fragen der Anerkennung und Diversität einsetzt, verpflichtet sieht und dabei die soziale Frage ausklammert, der trägt in meinen Augen letztlich wenig dazu bei, die Kluft zu verkleinern, auf dessen Boden m. E. Rechtspopulismus, Ressentiments, Rassismus, etc. gedeihen.
Gruß aus Celle
von Stefan Eichardt
Mitunterzeichner der Celler Erklärung der Vielen
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Ich fürchte, nassforsche Jungjournalisten wie Wolf würden ihm sagen, das sei ja wieder mal so eine blöde Moral-Keule statt Politik. Ich hoffe für sie, dass sie niemals auf die Solidarität angewiesen sind, die heute alle diejenigen im Land brauchen, die wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder schlicht, weil sie einigen betrunkenen Skinheads nicht deutsch genug scheinen, um ihre Gesundheit und manchmal ihr Leben fürchten müssen.
Welchen Solzialdemokraten wohin genau? Wozu Sie ebenfalls geschwiegen haben, weil Sie keiner sind?
Welchen Gewerkschafter wohin? Worüber Sie konkret schweigen, weil Sie eventuell kein Gewerkschafter sind?
Gesten, die Sie als solche bezeichnen, die früher Linke als Solidarität bezeichnet hätten, waren jedenfalls keine Gesinnungsbekennerschreiben und auch keine Menschenketten oder Knicklicht-Menschenwogen - da waren Linke genau da vor Ort, wo Linke bedroht wurden und gegen die Bedrohung des Menschlichen durch faschistoiden Strukturwillen und die ihn kennzeichnende nationalistische Gewalt. Ich denke nicht, dass die Berliner Theatermacher sich da in einer Blase befinden. Sie könnten solidarisch in den Vorstellungen von KollegInnen auftauchen, die bedroht werden. Sie könnten zu Kay Kuntze gefahren sein und sich in den den "Hauptmann von Köpenick" des Hauses gesetzt haben. Und ganz gewiss war Kay Kuntze auch beispielsweise in "Fear" als der Schaubühne wegen der Inszenierung der Prozess gemacht werden sollte. Oder im Friedrichsstadtpalast beim Kollegen Schmidt...
Und dann wollen wir nur hoffen, dass hier in Deutschland (ebenso Schweiz und Österreich) und heute keine Theaterkritiker wo hingeholt werden. Denn die Theologen wie Niemöller sind schon nicht mehr da und Theaterkritier könnten dann wahrscheinlich auch nicht mehr protestieren.
Ein nassforscher Jungjournalist wäre für mich einer, der einigermaßen den Finger in aktuell gern verdrängte Wunden legend für die Universitätszeitung schreibt - Aus dem Alter ist der Herr Wolf ja wohl doch schon heraus, nicht wahr? Ich kenne den nicht, aber ich persönlich mag es ausgesprochen gern, wenn Kolumnisten sich wagen, ICH zu sagen. Eine Kolumne ist kein Nachrichtenformat - warum muss man das eigentlich ausgerechnet Ihnen erklären???
Warum sollte ausgerechnet ein Theater mehr als jede andere Betriebs-/und Organisationsform gegen ein "Außen" abgedichtet sein? Theater vereinen in ihrem Ensemble auf der Bühne, hinter der Bühne, in allen Werkstätten und Büros Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensläufen und Vertragsverhältnissen. Theater ist allein aufgrund dieser Realitäten ein besonders herausgeforderter und herausfordernder Raum, der Erfahrungen eines anderen "Außen" ebenso integrieren kann wie jeder andere Betrieb. Dies geschieht immer durch einen Frame: Kein Unternehmen, keine Organisation kommt ohne Fokus und Vision aus. Im Theater jedoch prallen Welten aufeinander, die beispielhaft für die Veränderung der Gesellschaft in den letzten Jahren stehen: Menschen mit hoher Bindungsdauer- und -intensität an eine Stadt, Zugehörigkeit zu Gewerkschaften/Verbänden interagieren mit NV-Bühne-Beschäftigten, die sich im Laufe der Zeit u. a. als unfreiwillige Avantgarde neoliberal flexibilisierter Arbeitsverhältnisse betrachten "durften". Eine tendenziell engere Verflechtung mit künstlerischen Prozessen in allen Bereichen, die eine Herstellung warenförmigen Outputs oft nicht erlaubt, eröffnet am Theater die Möglichkeit einer kritischen, selbstkritschen Diskussion, die keine gesellschaftlichen Lebensrealitäten verschweigt. "Schöner" im landläufigen Sinne, lieber Herr Wolf, wird Kunst dadurch nicht. Theater ist keine Blase sondern ein besonders heterogener Kunst- und Lebensraum, der vielfältige Chancen für neue Entwürfe gesellschaftlichen Lebens bietet. Wir Theaterschaffenden sollten, über alle Grenzen und "vierten Wände" hinweg, um Bilder, Klänge Szenen, Zeichen für konfligierende Haltungen, Zeitgefühle und Ideologien ringen, Utopien riskieren, Orte für alle Menschen sein. Sich 2018, 2019 ff. des Grundgesetzes anno 1949 bewusst zu sein, bedeutet nicht, es auf sich beruhen zu lassen. Artikulierten wir nicht, dass Menschenwürde, Freiheit und Demokratie eine Voraussetzung für öffentliche Kultureinrichtungen 2019 ff. sind und rängen wir nicht um Bilder und Zeichen dafür, machten wir uns einer freiwilligen Blindheit für die Gegenwart schuldig. Rosenberg, der Chef-Mythologe der Nazis, wollte dem "Abstraktionsmonstrum" Demokratie eine Art arische Blut-Transfusion verpassen, abstraktes Verwaltungshandeln wiederbeleben durch Mythos. Es ist grundlegend für das Überleben von Menschen in Würde, andere Bilder zu finden, andere Geschichten zu erzählen. Ich glaube nicht, dass Theater dies Parteien oder Werbemitteln einer Bundesregierung überlassen sollte. Freie Wahlen garantieren noch lange nicht, dass die Entwicklung und Sicherung von Menschenwürde gesichert ist. Auch innerhalb der EU können Demokratien rasch nicht "nur" illiberal sondern tödlich für viele Menschen werden.
Ich fand es vor zwanzig Jahren viel gruseliger, als fast alle blauäugig behaupteten, es gäbe dieses Problem gar nicht mehr und man solle sich keine Sorgen machen. Ich machte mir Sorgen. Zu recht. Es war absehbar. Aber es nützt auch nicht stolz auf diese Prognose zu sein. Jeder Aufrichtige hätte sie abgeben können. Die Geschichte der Theater der letzten zwei Jahrzehnte ist eine Geschichte der Versäumnisse. Und nun wacht man unsanft auf.
Was der Autor fordert, ist ein Paradigmenwechseln vom Moralischen hin zum Politschen. Wie will dieser Staat politisch verfahren mit den „Nazis“ und der AFD. Bisher gibt es sowohl institutionelle, interaktionelle, wie auch eine strukturelle Diskriminierung dieser Gruppe und sie bläht sich in dieser Ausgrenzung als Opfer. Das ist nicht gut und beklagenswert. Leugnen macht keinen Sinn. „Nazis raus“ ist eine Strategie der Ausgrenzung, die in einer Demokratie nicht greift.
Sollen sie sich doch in den Parlamenten abarbeiten. Der Mahlstrom der Debatten und Diskurse, der Diskussionen schleift sie. Die Trägheit der Entscheidungsprozesse dieser Demokratie lähmt ihren Narzismus. In der Umarmung der Parlamente nutzen sie sich ab. Das ist gut so. Reden sie mit ihnen. Debattieren sie mit ihnen den ganzen Tag lang.
Ladet sie noch mal und noch mal in eure Theater ein. Schreibt in fetten Lettern auf eure Fahnen „Nazis are welcome!“. Nehmt ihnen den Wind aus den Segeln. Bearbeitet breit und populär ihre Themen. Das ist eure Aufgabe, eurer Kulturauftrag. Dieses Rumgezicke ist unerträglich und kindisch. Schließt sie fest in eure Arme und lasst nicht mehr locker!
um es Ihnen ganz einfach zu erklären: Pastor Niemöller hat mit seinem Text verdeutlicht, dass wir auch dann uns einsetzen Sollten, wenn es nicht Leute wie wir sind, die von Nazis verfolgt werden, sondern zum Beispiel, wie es zu Beginn der NS-Zeit war, zunächst einmal die Kommunisten, dann die Sozialdemokraten, später die Gewerkschafter usw., also Gruppen der Gesellschaft, mit denen sich ein Gutteil des Bürgertums nicht identifizierte, weshalb es diesem Teil schlicht egal war, ob man die inhaftierte oder nicht.
Und ich denke auch nicht, dass die Berliner "Theatermacher" sich in einer Blase befinden, Jung-Kolumnisten wie Herr Wolf, der meines Wissens kein Theatermacher ist, und die ihn schreiben lassende Nachtkritik-Redaktion, die ja auch bisher nicht durch Theatermachen aufgefallen ist, aber schon.
Und @Inga: Pastor Niemöller wollte meines Wissens niemanden "zwangsbekehren", was immer Sie damit meinen könnten. Vielleicht lesen Sie einfach mal ein wenig nach, was er so gemacht hat, bevor Sie über ihn im Stile "die Sorte Pastoren" schreiben?
Er wollte m.E. vor allem sagen, dass man r e c h t z e i t i g über das nachdenken soll, was man tut oder unterlässt. Nämlich bevor die Reue über das Tun oder Lassen einen auch nicht mehr rettet. - Das hat jetzt mit Bürgertum oder anderen Gesellschaftsgruppen erst einmal nicht grundsätzlich was zu tun, sondern mit Charakter und öffentlicher Selbstkritik.
Ihr Bürgertums-Begriff scheint mir extrem schwammig: Es gab viele Kommunisten, die dem Bürgertum entstammten und nicht nur proletarische. Es gab viele atheistische Kommunisten, was Theologen auch dann ein Dorn im Auge war, wenn diese sich für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben und g e g e n die kapitalistische Eigendynamik, der die sich imperialisierenden Konzerneigentümer nicht im Sinne des Weltfriedens selbst-regulierend entgegenstellten. Es gab viele Gewerkschafter, die diesem geballten imperialistischen Unwillen zur Selbstregulierung ein Dorn im Auge waren.
Es gab Pastoren wie Niemöller.
Und es gab andere, die nicht nur lange stillgehalten haben, als es gegen Kommunisten und Sozialdemokraten und gegen Gewerkschafter ging, sondern auch solche die aktiv gegen die grundsätzlich als atheistisch Verorteten vom Willen zur sozial-ökonomischen Gerechtigkeit Getriebenen, vorgingen.
Diese Theologen-Kollegen hatten aus der wilhelminische Ära noch intus, dass Könige und Kaiser Stellverteter Gottes auf Erden sind. Wenns denn dem Papst ebenfalls recht ist, zumindest...
Es mag auch sein, dass Jung-Kolumnisten oder die NK-Redaktion sich in einer Blase befinden - in die Sie wie ich schließlich fleißig einkehren, nicht wahr? - Das ist in einer Blasen-Zeit jedoch eine lässliche Sünde, solange man sich für Kommentare offenhält? - Dass weder der Kolumnist noch die Redaktion bisher durch Theatermachen aufgefallen seien, wollen Sie nicht ernsthaft Journalist*Innen zum Vorwurf machen?
Man wirft einem Arzt auch nicht vor, dass er bisher nicht durch Erkrankung aufgefallen ist!
Ihre große Bewunderin mit freundlichsten Grüßen
Lieber Christian Esch,
man muss nicht Skandal rufen, es sei denn, man will es unbedingt. Natürlich sind die Nazis da und gehören so gesehen zu Deutschland. Wie Muslime. Wie Autofahrer. Wie iPhone-Nutzerinnen. Wie Bayern. Wie Dicke. Und Dünne. Sie alle "gehören" zu Deutschland. Deutschland ist sozusagen alles, was hierzulande der Fall ist. Ob wir es uns so wünschen oder anders wünschen. Genau bis hierhin reicht Baucks Vergleich.
Sie sind da / Sie gehören dazu .. wie ...
Kein Stück weiter. Er schreibt und er insinuiert auch nicht: die Nazis sollen weg sein WIE DIE MUSLIME auch weg sein sollen ("der Islam"). Tut er nicht, nur sie wollen es so lesen, gelt?
Ich bin nicht einverstanden mit Baucks weiteren Ausführungen, aber man muss nicht gleich den Untergang des Abendlandes ausrufen seinetwegen.
#19 Hannes
Lieber Hannes,
wir sind ganz einig. Die "Vertrollung" des Publikums hat sich in unseren Kommentarspalten schon früh gezeigt. Allerdings nicht bloß die Vertrollung des konservativen Bürgertums oder des konservativen Publikums, sondern die Vertrollung der großen Mehrheit des Publikums. Die Lust und Kunst zu argumentieren ist leider durch die Kommentarspalten nicht befördert worden, sag ich mal vorsichtig. Ob aber nun die Verrohung=Vertrollung ein neues Phänomen ist oder nur ein Phänomen, das durch die Teilhabemöglichkeiten jetzt sichtbar geworden ist (was Sascha Lobo auch sagt), halte ich für noch nicht geklärt. Wilhelm Heitmeyer etwa hat schon in den 90er Jahren auf den antisemitischen Bodensatz der Gesellschaft in der Größenordnung von 10 bis 15 % hingewiesen. So gesehen hat sich vielleicht gar nicht so sehr viel verändert, es ist bloß sichtbar geworden (verzeigen Sie mir meine impliziten Gleichsetzungen von Antisemiten, Afd-Wählern, bürgerlichen und anderen Trollen). Darf ich weiter mitteilen, dass wir als Redaktion weder auf die Vertrollung unseres Publikums noch die Blasentheorien reagiert haben, als wir Michael Wolf das Angebot gemacht haben, unserer Redaktion beizutreten. Wir haben einen guten Autor gesucht und gefunden und einen kompetenten Redakteur. Wir sind in der Redaktion politisch nicht auf einer einheitlichen Linie. Das haben wir auch nicht angestrebt. Wir besetzen keine Redaktionsstellen nach politischen Farben. Wir versuchen nicht das Spektrum von konservativ bis links abzudecken. Wir achten lediglich darauf, dass unsere Redakteurinnen nicht auf Geburtstagen von Herrn Mattussek sich facebookweit in die Brust werfen und die Festrede halten.
ps. Wir vermissen Dirk Pilz ebenfalls, sein Verlust ist unermesslich.
der Begriff „Faschist“ und das Schimpfwort „Nazi“ sollte man unterscheiden können und von „küssen“ war nie die rede. Ansonsten haben sie recht, das Dasein einer Person zu akzeptieren, heißt nicht seine Auffassungen zu teilen. Aber ich bin es leid mich zu Selbstverständlichkeiten zu bekennen.
die interpretation von martin baucks fahrlässig dahingeschriebenen vergleich möchte ich mal vorsichtig als sehr wohlwollend bezeichnen. wir müssen doch hier nicht über die macht des framings diskutieren: "der islam gehört zu deutschland" ist ein geläufiges zitat aus einer hitzigen debatte, in der es darum geht, den islam als teil unserer demokratie, unserer gesellschaft und unserer von uns angestrebten pluralistischen kultur anzuerkennen, zu unterstützen und zu respektieren. herr baucks weiß zwar vermutlich selber nicht, was er da von sich gibt, aber es steht doch ausser frage, dass die umdichtung in "die Nazis gehören zu deutschland" in diesem kontext geschmacklos ist. aber genau darum geht es ja in dieser diskussion: um fahrlässiges spiel mit dem feuer, um geschichtsvergessenheit: siehe baucks und seine "nazi-umarmung", als wäre hitler nicht von den liberalen ebenso umarmt worden, und als hätte nicht exakt diese strategie die nsdap an die macht gebracht. und um das fahrlässige weglassen von fakten, wie bombendrohungen, rassistischen attacken und brennenden büros, wenn herr Wolf Menschen unterstellt, es hätte keinen anlass und keine notwendigkeit für ihre deutlichen positionierungen, ihre erklärungen gegeben, und eben den tatsächlichen kontext einfach unterschlägt, damit seine dünne argumentation wenigstens so aussieht, als hätte sie substanz. alles das vor dem hintergrund eines gefährlichen erstarken faschistischer kräfte. da erscheint es mir als blauäugig, wenn darauf verwiesen wird, dass die 15% antisemiten jetzt eben einfach nur sichtbar geworden wären, und sich sonst nichts verändert hätte. diese 15% sind ohne frage tatsächlich vor allem sehr viel mächtiger geworden, sie sitzen im parlament und haben zugriff auf staatliche resourcen. motivation, agressivtät und gefährlichkeit steigen mit dem erfolg weiter an. parallel erleben wir eine normalisierung rechtsradikalen gedankenguts in der mitte der gesellschaft. ich halte es für mehr als notwendig, dagegen anzusteuern.
Baucks schreibt eine provokante Formulierung hin und sie setzen sich gleich drauf und sehen die Häuser brennen. Ich halte diese Empörung für wohlfeil und Quatsch.
#36 Lieber Kirillov,
der Kollege Wolf schreibt gar nicht, es gäbe keinen Anlass und keine Notwendigkeit für eine Positionierung gegen Rechts. Er schreibt sinngemäß die Theaterleute machten es sich in ihrer großen Mehrheit zu einfach mit ihren Bekenntnissen. Das mag man falsch finden.
Im übrigen haben Sie natürlich ganz Recht. Die 15% mit antisemitischer, rechtsradikaler Gesinnung von Heitmeyer haben in der AfD sozusagen ihren Ausdruck gefunden und sind heute sichtbarer, mächtiger, einflussreicher und gefährlicher als lange Zeit zuvor (Theweleit weist in dem Interview, das Wolf erwähnt, darauf hin, dass in den 50er und 60er Jahren rechtsextreme Gesinnung personfifiziert von Franz-Josef Strauß und Eugen Gerstenmaier der Mainstream in der BRD waren). Dazu kommt, dass zahlreiche Hinweise vorliegen, dass rechtsradikale Gesinnung in Polizei, Justiz und Armee verbreitet ist. Auch sehe ich wie Sie die "normalisierung rechtsradikalen gedankenguts in der mitte der gesellschaft" und finde es wie sie absolut unerlässlich "dagegen anzusteuern". Fragt sich halt bloß wie und fragt sich, ob die ritualisierten Appelle und Beteuerungen und Beschwörungen uns weiter bringen.
Auf das, was Theweleit sagt, ging man gar nicht ein, man ist nicht bereit, eine nichtlinke Haltung in irgendeiner Weise zu akzeptieren, geschweige denn zu respektieren. Was Michael Wolf sagte, ist richtig, Höcke schreibt keine Theaterstücke, die AfD bedient sich nicht des Mediums Theater. Wohl aber die Linke, traditionell. (Wieso bespricht das niemand jemals? So wie es keine politische Rechte geben darf – AfD = böse! -, so gibt es erst recht kein rechtes („konservatives“, „schönes“ ) Theater. Wie lange wird das noch so sein? Ist das ein guter, ein richtiger Zustand? )
Auf die Frage „Wie gegensteuern?“ kann man nur antworten: erst einmal den Ist-Zustand erfassen; so wie dieser ruhige, besonnene Artikel, der den Verfall der Theatertradition über einen langen Zeitraum hin konstatiert, nicht erst die jüngste Vergangenheit oder Gegenwart betreffend; ohne Empörung, ohne Alarmismus, ohne Zeigefinger. Sogar mit einem Lichtblick am Horizont:
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.schauspieler-mit-schlechter-aussprache-kannitverstan-im-parkett.2d9da736-91d9-4bab-be5f-a25d8d8e1936.html
Da reden Menschen mit einem Herrschaftsanspruch. Sie wollen steuern, wie Könige, wo sie gar nicht die Mittel haben zu steuern und ihnen die Demokratie auch keine zuspielt.
Was wäre, wenn alles ganz normal ist?! Wir haben nun im Spektrum am rechten wie am linken Rand Parteien, die bestimmte Gruppen in dieser Gesellschaft repräsentieren. Sie bringen sich in die Parlamente ein, was ihr gutes Recht ist und gegen dieses Recht kann niemand ansteuern.
Herr Merck, Herr Kirillov ihnen fehlen einfach die Mittel dazu, um gegen etwas anzusteuern, dass mit solcher Wucht im Begriff ist sich zu etablieren. Sie verheben sich da und sind überfordert. Sie schreiben in einer Kommentarspalte und in Zeitschriften über Theaterveranstaltungen. Es gibt vom Theater aus kaum reale Berührungspunkte mit der rechten Szene, da das Theater nicht das Medium dieser Szene ist. Wohl aber gibt es ein paar Angriffe auf dieses Medium aus der rechten Ecke, was ihm wieder zu mehr Aufmerksamkeit und eventueller Relevanz verhilft. Mehr auch nicht.
Der wahre Schauplatz sind die Parlamente und die haben ihre große Not darauf entsprechend zu reagieren. Noch verharren alle in althergebrachten Mustern. Man speist sich interlektuell aus dem vorherigen Jahrhundert und niemand sieht, dass die Rechten dort in den parlamentarischen Abläufen gut aufgehoben sind. Ich vertraue unserer Demokratie und glaube an ihre Stärke. Nun sind sie erst einmal zu großen Teilen von der Straße weg die Nazis und das ist gut so.
Die Steuerung liegt fast allein in den parlamentarischen Debatten und nicht in ihren Händen. Machen sie sich das bitte vollkommen bewusst und richten sich danach aus. Wieweit auch die Theater diese Debatten plural aufzuarbeiten vermögen, steht gerade in den Sternen, denn noch regieren dort die Reflexe und Rituale der eineitig Bekennenden. Noch ist niemand wirklich in den dramatischen Konflikt eingestiegen.
„Bevor Sie sich hier weiter ausbreiten, lassen Sie uns eines ein für alle Male klären: …“ Nein. Lasse ich nicht. Von Anfang an gehen Sie mich in einer autoritären Art und Weise an, die ich nicht gut finde. Und Ihre etymologischen Erklärungsversuche sind hanebüchen.
Wissen Sie, wofür ich Sie halte, großer@Gegenwind? Für ein Beispiel von einem (Sprach-) „Positivisten“, wie ich sie für meinen persönlichen Sprachgebrauch nenne. Darunter verstehe ich Zeitgenossen und -genossinnen, die auf oberflächlichem Niveau den Anderen, Andersdenkenen festnageln wollen. Und zwar auch noch zurecht, schließlich sprach ich ja tatsächlich von „Volksbühne“ und „Volktheater“, richtig, aber dass Sie mich daraufhin in die völkische Ecke stellen (nicht?), Unsinn.
„Bertolt Brecht fand den Begriff "Volk" dermaßen völkisch versifft, dass er lieber ganz auf ihn verzichten wollte - er hat stattdessen nur noch von der Bevölkerung gesprochen.“
Und? Das finden Sie nachahmenswert? Ich nicht. (...) Das muss gestattet sein.
Abgesehen davon, dass BB ein großer Meister der Sprache war und von mir aus ein Genie, war er… Marxist. Die derart bedingte Schlagseite zum Ideologischen und Totalitären, die stört Sie gar nicht? Nein? Nur weil sie von links kommt? - Sehen Sie, mich schon.
Dieses Problemfeld gehört dringend besprochen. Das gelingt aber nur zwischen hinreichen Konfliktfähigen.
@Inga: Man denkt deutsch, wenn man - sofern man gerade in Sprache und nicht in Tonfolgen, Formeln oder Bildern konkret denkt - in deutscher Sprache denkt.
Ich bin mir nicht sicher, ob der/die Brise das meint, aber ich würde ihr/ihm zutrauen, das so zu meinen und eben nicht völkisch.
Es ist eben nicht einfach mit dem Argumentieren. Aber man kann sich darin üben. Ich denke, man kann auch von den besten Argumenten u.U. nicht überzeugt werden von einem anderen Denken als welchem man selbst anhängt. Das ist eine Frage des jeweiligen Charakters. Wenn man die Eigenschaft hat, mehr an dem Denken zu hängen, an dem man hängt als an dem Gedanken, dass man durch andere lernen kann, irgendetwas besser zu machen oder klüger als bislang zu bedenken, dann nutzen auch die besten Argumente nichts. Wenn einen das anödet, hört man auf zu argumentieren und zählt Buchstaben oder Schäfchen oder Fugen in Pflasterungen von großen Plätzen in der Hoffnung, irgendwann geschieht ein Charakterwunder (bei sich selbst oder anderen) oder dergleichen...
Unter anderem spricht er sich gegen eine Politik der Unausweichlichkeit aus. Konkret sagt er, daß wir die Sprache der Geschichte nutzen können, um Grenzen und Möglichkeiten gegenwärtiger Situationen zu verstehen und zu ändern. Aber auch, daß wir nicht automatisch einem Kreislauf des Guten oder Bösen ausgeliefert sind.
Vor diesem Hintergrund lese ich: „…als wäre hitler nicht von den liberalen ebenso umarmt worden, und als hätte nicht exakt diese strategie die nsdap an die macht gebracht“. Der Aufstieg Hitlers und der Umbau zur Diktatur war kein monokausales Ereignis. Allein bei der Wahl zum Ermächtigungsgesetz spielten großflächigen Inhaftierungen, gezielte Beeinflussung durch Bedrohung oppositioneller Politiker, sowie der (fehlgeleitete) Glaube an Zusicherungen Hitlers eine entscheidende Rolle. Es gab zu diesem Zeitpunkt erwiesenermaßen auch ausserhalb der NSDAP Befürworter und Opportunisten, auf keinen Fall kann aber der gesamte Sachverhalt zu einer „Umarmung“ oder „exakt dieser Strategie“ uminterpretiert werden.
Ich gehe darauf etwas ausführlicher ein, weil ich hier einen Zusammenhang mit Snyder sehe. Unsere geteilte Angst vor dem Erstarken rechtsradikaler und faschistoider Kräfte sollte sich nicht in Gedanken der Unausweichlichkeit auflösen.
In dem Artikel: „Das Spiel mit der Angst“ schrieb Norbert Kostede in der Zeit anno 1992 :“Die CSU steckt in einem nahezu ausweglosen Dilemma. Seit Jahrzehnten in der Regierungsverantwortung, versucht die Partei verzweifelt, sich gleichzeitig als volkstümliche Opposition gegen das "Bonner Politbiotop" (Gauweiler) zu profilieren. Ein schwieriger Spagat, um die Macht in München und Bonn zu sichern. Gelingt es der CSU nicht, nationalistische Ressentiments, Ärger über Asylbewerber und den Groll der Stammtische "gegen die da oben" abzufangen, werden sich Franz Schönhubers Republikaner demnächst vielleicht als Zwanzig-Prozent-Partei rechtsaußen etablieren können.“
Wie historische Vergleiche zum Dritten Reich hat dieser Abschnitt ebenfalls etwas erschreckend Aktuelles und ermüdend Repetitives. Wie wir wissen war der Ausgang hier allerdings ein anderer, und die Republikaner konnten sich als Partei nicht dauerhaft behaupten. 1933 ist nicht 1992 ist nicht 2019.
Als unfreiwilligen Beitrag der Linken benennt Snyder unter anderem die Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen (im Gegensatz zu großkapitalistischen Unternehmen). Seine allgemeine Forderung ist eine Politik der Verantwortung.
Snyder befasst sich natürlich nicht mit dem kulturellen Sektor, aber hier sehe ich die Überschneidung mit der aktuellen Diskussion. Institutionen und Kulturminister bekennen sich zum Grundgesetz und gegen eine rechte Übernahme. Gut so. Eine offene Frage ist inwieweit diese Stimme eine nachhaltige Rolle spielt. Der Schutz der Institutionen ist keine traditionell linke Position, im Gegenteil. Die öffentlichen Theater (und Museen etc) werden oft als zu bürokratisch, altbacken etc. diskreditiert. Privat geförderte Initiativen können aufgrund der Kapitalkraft zunehmend spannendere Namen an sich binden. Da wird ungern nachgefragt, woher das Geld kommt. Unter Umständen wird ein Protest als Aushängeschild nach Absprache einverleibt. In einer konkreten Situation effektiv Haltung zeigen ist der Karriere auf dem freien Markt selten dienlich.
Ähnlich sehe ich es mit dem Begriff „Verantwortung“, den ich gerne in diesem Zusammenhang in „Verbindlichkeit“ ändern würde. Wie sähe es denn aus jemanden wie Herrn Kuntze nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zu unterstützen? Zum Beispiel mit einem Theaterbesuch Präsenz zeigen, oder sogar ein Projekt zu verwirklichen? Kleinere Häuser zu unterstützen und vielleicht sogar einen Teil der Kosten zu übernehmen weil es einem aus Überzeugung wichtig ist (meinetwegen crowdfundung)? Das sind eigentlich Initiativen, die ich mir von einem Netzwerk der Vielen erhoffe. (Wären in Altenburg-Gera nicht auch Gelder des „360 Grad“-Fonds gut aufgehoben?)
--- aber ihm zu unterstellen, er sähe keinen grund, dass theater sich positioniert, wie einige hier in diesem thread das tun, zeigt, dass solche kommentare hier oft anscheinend geschrieben werden, bevor der letzte satz gelesen ist. und mit nur wenig recherche versteht man zumindest seinen impetus: nachzulesen zum beispiel in der empfehlenswerten publikation der böll stiftung, moralische anstalt 2.0, dort michael wolf zu 'wie theater politisch wirksam werden kann' https://www.boell.de/de/2019/01/30/moralische-anstalt-20-ueber-theater-und-politische-bildung. übrigens, seine dort aufgestellte forderung, 'vor ort' wirken zu wollen, erfüllen viele der regionalen VIELEN erklärungen - aber wie gesagt, an genauem lesen mangelt es wohl auf allen seiten ....
(Sehr geehrte Leserin, nein, die Kolumne ist nicht nachträglich bearbeitet worden. Mit besten Grüßen aus der Redaktion / Christian Rakow)
die entscheidenden Sätze der Erklärung der Kulturminister sind diese:
"Es ist das Recht künstlerischer Arbeit, gesellschaftspolitische Fragen zu reflektieren und Position zu beziehen. Daher begrüßt die Kulturministerkonferenz Initiativen von Künstlerinnen, Künstlern, Verbänden und Kultureinrichtungen, die die Bewahrung kultureller Freiheit und Vielfalt zum Gegenstand haben. Sie sichert ihnen darüber hinaus die Freiheit zu, sich zu solchen Initiativen aktiv zu bekennen und sie zum Gegenstand der eigenen Arbeit zu machen, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung engagiert verteidigen.
Nach übereinstimmender Auffassung der Kulturministerkonferenz besteht kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot staatlich finanzierter Einrichtungen, wenn die Verteidigung verfassungsrechtlicher Grundfreiheiten Gegenstand der Aktivitäten ist. Kultureinrichtungen ist die Möglichkeit zu sichern, sich zu gesellschaftlichen oder politischen Problemlagen zu äußern und auch kritisch Stellung zu beziehen. Dies ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt."
- Schade, dass Sie sich auf diese Sätze nicht bezogen haben. Denn leider gibt es Gründe genug, warum das mal so dezidiert ausgesprochen und garantiert werden musste.