Kolumne: Straßentheater - Wie Kulturinstitutionen durch den Nahostkonflikt in Bedrängnis von Rechts geraten
Die Skalen sind geeicht?
21. November 2023. Der Nahostkonflikt zwingt auch im Kulturbetrieb zur Positionierung – und er schürt das Misstrauen, wie der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich eben aufgezeigt hat. Rechte Kräfte nutzen die Situation längst für ihre eigene Agenda. Worauf können sich die in Bedrängnis geratenen Institutionen berufen?
Von Janis El-Bira
21. November 2023. Längst sind die Erschütterungen des 7. Oktober und seiner Folgen im Kulturbetrieb angekommen. Das gegenseitige Vertrauen, so es denn einmal da war, scheint schwer beschädigt. Man beäugt einander, will nicht mit den Falschen in Verbindung gebracht werden. Und wo man sich zerfleischt über der Frage, wer an wessen Seite steht, da kreisen verlässlich bereits die Geier: "Die Zwietracht, die im Kulturbetrieb um sich greift, ist umso folgenreicher, als sie mit einem gravierenden Rechtsrutsch koinzidiert", analysiert etwa der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich in einem bemerkenswerten Text im Tagesspiegel.
Abräumen, was immer schon genervt hat
"Fassungslos" mache es, dass der Kampf gegen Antisemitismus inzwischen für eine "rassistische und minderheitenfeindliche Agenda" genutzt werde. Denn für all diejenigen, die schon immer verächtlich auf die enervierend ausdifferenzierten Sensibilitäten postkolonialer, antirassistischer, queer-feministischer und sonst wie "woker" Kreise blickten, scheint nun die große Stunde gekommen. Die Strategie rechter Kräfte laufe, so Ullrich, seit dem 7. Oktober konsequent darauf hinaus, "noch hartnäckiger, noch dreister auf weitere Spaltungen hinzuwirken". Es werde mittelfristig gar zu einer "offenen Feindschaft gegen die lange Zeit vorherrschenden Programmlinien des Großteils der Kulturinstitutionen" kommen, ist sich der Autor sicher.
Endlich nämlich, so wollen diese Kräfte behaupten, haben sich die Verhältnisse im Blutrausch des 7. Oktober zur Kenntlichkeit entstellt: Der Feind steht wieder im hellen Licht vor uns, das Bedeutende ist vom Unbedeutenden geschieden. Die Skalen sind wieder geeicht und sie zeigen an: Wer jetzt beispielsweise in der "Aufarbeitung" des westlichen Kolonialismus eine unverändert vordringliche Aufgabe sieht, hat den Schuss, nein: hat die Schüsse nicht gehört. Die Vertreter des Ressentiments, die noch nie Lust hatten, über die Rückgabe geraubter Kulturgüter oder diversere Theaterensembles zu sprechen, gewinnen Oberwasser. Wolfgang Ullrich spricht zu Recht von einem "aggressiven Willen zur Verdrängung" und einem "revanchistischen Agitieren", das sich auch gegen den mit den Anliegen des Globalen Südens gemeinhin solidarisch stehenden Kulturbetrieb richte. Seit dem 7. Oktober lässt sich wieder bequem abräumen, was immer schon genervt hat.
Vom Äußersten aus betrachtet
Es liegt ein hoher Verführungswert darin, Ereignissen eine besondere Klarheit zuzuschreiben, indem man sie mit Begriffen wie "Zeitenwende" oder "Singularität" belegt. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist dieser Verführung ein Stück weit erlegen, wenn sie jüngst in einem vielbeachteten Text schreibt, für die Hamas-Mörder seien mit ihrer Terrortat alle "Bemühungen zur Aufnahmsprüfung in die Zivilisation" verfallen.
Waren sie dieser "Aufnahmsprüfung" denn zuvor näher? Mit der Hamas war nie etwas anzufangen, erst recht kein Staat zu machen – aber um das zu wissen, brauchte es den 7. Oktober nicht. Eskalationsereignisse wie dieses machen die Dinge nicht klarer oder einfacher. Im Gegenteil, sie machen sie unendlich komplizierter. Weil man nun anfängt, gleichsam von der Spitze des Eisbergs aus auf das Darunter- und Zurückliegende zu blicken. Und von oben, vom Äußersten aus betrachtet, sieht alles anders aus.
Privilegien diesseits des Ausnahmezustands
Da ist die vier Jahre alte Unterschrift unter einem Dokument, das Zionismus als "rassistische Ideologie" bezeichnet, und die nun einen Rücktritt zur Folge hat. Oder die Unterschrift unter der "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit", die man lieber zurückgezogen hat. Oder die öffentliche Förderung eines über Eck mit der BDS-Bewegung assoziierten Kulturzentrums, die nun in Frage gestellt werden soll. Überhaupt: Unterschriften, Likes, Sympathiebekundungen, Interviewaussagen – vom 7. Oktober aus besehen weiß man alles besser.
Das ist die vermeintliche, täuschende Klarheit, die das brutale Morden schafft. Aber so wie es stimmt, dass eine Bewegung wie der BDS lange vor dem 7. Oktober vollkommen unmöglich war, so gilt auch, dass sie der 7. Oktober nicht noch schlimmer gemacht hat. Vor dem Hintergrund des Terrors mit Kontaktschuld-Argumenten zu operieren, würde die deliberative Demokratie absehbar aushöhlen. Die Kultureinrichtungen, auch die Theater, gehören zu ihren sensibelsten, verletzlichsten Institutionen. Sie sind dieser Tage ein leichtes Ziel für jene, denen an Differenzierung nichts liegt. Zu den vielen Privilegien einer Gesellschaft diesseits des Ausnahmezustands gehört aber, dass sie sich eben dieses Differenzieren noch leisten kann.
Kolumne: Straßentheater
Janis El-Bira
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
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Kritik an Irrwegen bitte nicht mehr äußern, scheint die Losung, solange es um die Solidarität des Kulturbetriebs "mit den Anliegen des Globalen Südens" geht. Ich wüsste gern, welche Anliegen Janis El-Bira genau im Blick hat, wenn er diesen undifferenzierten Begriff verwendet... Wollen wir die Solidarität mit der Unterdrückung der Uiguren in China? Oder möchte er sich an die Seite der Mehrheit der argentinischen Bevölkerung stellen, die einen libertären Kapitalisten zum Präsidenten wählt? Will er die Solidarität mit der iranischen Religionspolizei oder nur mit den "einfachen Menschen", die Schwule am Liebsten steinigen möchten? Oder geht es ihm um die indischen Familien, in denen Mädchen abgetrieben werden?
Sorry, aber ich kann diese unterkomplexe Selbstgerechtigkeit nicht mehr ertragen. Klar sind "die Rechten" schlimm, aber manche im Kulturbetrieb machen es ihnen eben auch sehr einfach, z.B. mit Kolumnen wie diesen.
Man kann natürlich Angst auch anschaffen, die ist dann eben nicht echt, sondern eher so Art Emotionshandelsware. Diese Art von angeschaffter Angst hat meist einzig und allein ökonomische Zwecke, weil man mit ihrer verbalen undoder medialen Verbreitung in irgendein lohnendes Geschäft kommen will.
Das ist dann wirklich eine beabsichtigte Verschiebung eines Konfliktes in einen schmalen Horitont. Vermutlich aus Angst, nicht gut undoder tief genug unbetreut denken zu können...
Haarsträubende antizionistische wie antisemitische Überzeugungen herrschen nun mal in nicht wenigen queer-feministischen Gruppen, intersektionalen Bündnissen und migrantischen Koalitionen vor. Das zu kritisieren, finde ich richtig und wird dabei nicht für eine "rassistische und minderheitenfeindliche Agenda" genutzt.
Ich habe doch klein Problem damit, die israelische Rechts-Regierung für verpasste Verständigungsfragen zu kritisieren, aber ich würde auch gleichzeitig davor warnen, das israelische Trauma des 7. Oktobers mit dem Kriegsleid in Gaza zu relativieren.
Ihre Analyse scheint mir zu kurz gegriffen. Ein Rückblick in die 80er Jahre zeigt, dass damals mächtige Theaterintendanten und Kurationszellen prägend waren. Diese Intendanten, oft Männer, waren bekannt für ihre Verbalattacken und eine rücksichtslose Sprache. Sie solidarisierten sich mit linken Terrorist:innen und nutzten Gewalt als ästhetisches Mittel, was beim Publikum für Faszination sorgte.
Diese Zeit war auch geprägt von einer Solidarisierung mit dem scheinbar Schwächeren, wobei oft eine "coole" Ästhetik im Vordergrund stand, gerade in der Solidarisierung mit RAF und (damals) PLO. Dieses Muster findet sich heute wieder, wie beispielsweise bei der Documenta in Kassel, wo kollektive Werke mit antisemitischen Tendenzen präsentiert wurden.
In der Musikindustrie, wie am Beispiel von RED BULL ACADEMY ersichtlich, wurden dann in ab den Nuller-Jahren vermehrt Künstler:innen mit antisemitischen Neigungen gefördert, was die Marktfähigkeit identitärer Politik und Haltung aufzeigte und natürlich durch und durch geprägt war vom rechtsidentitären Gründers des RED BULL Konzerns
Heute beobachte ich eine ähnliche Tendenz in Kunst-Kurationszellen, die trotz ihrer bürgerlichen Prägung oft eine übermäßige Toleranz gegenüber antisemitischen Positionen zeigen. Sie nutzen aktuelle Themen wie Ökologie oder queere Anliegen, um sich ein progressives Image zu geben, dabei werden jedoch antisemitische Positionen verharmlost.
In den sozialen Medien zeigt sich, dass bei jungen Leuten, die nahe an der Kulturbranche sind - palästinensische Themen oft mehr Aufmerksamkeit und Zustimmung erhalten als jüdische Anliegen. Dies spiegelt eine problematische Tendenz wider, die Ihre Analyse nicht ausreichend berücksichtigt: Die anhaltende Problematik des Antisemitismus in dieser Kulturbranche.
Ein Geschichtslehrer von mir erklärte mir am Gymnasium, dass die Gemeinsamkeit faschistischer Bewegungen darin bestünden, dass sie alle "vitalistisch" seien und die Kraft des Lebens, der Jugend, der Grausamkeit feiern. Dies kommt mir in diesen Tagen immer wieder in den Sinn. Wenn ich in die Bubbles der sozialen Medien schaue ist es offensichtlich: Die coolen Testemonials für die Palästina-Demos generieren mehr mehr Identifikation in der Kulturszene (Hunderte von Likes) - auf der popkulturellen Wahrnehmungs-Ebene - als die sehr einfach gehaltenen Poster der israelischen Geiseln (diese liken zu 80% sich als jüdisch lesende Menschen die Bilder, alle anderen Menschen liken das nicht). Die einen (Palästinenser:innen) scheinen für viele die echtem "Opfer", die jüdischen Opfer und Geiseln hedonistische Wohlstands-Menschen, die halt Pech hatten bei einem Rave zu sein. Weil letztere näher an "unserer eigenen Lebenswelt" sind, also einen harmlosen "Rave" besuchen, wird ihnen - von der Kulturszene - mit eiskalter Gleichgültigkeit begegnet. (Natürlich wird man in anderen Bubbles als der Kulturbubble genau das umgekehrte erleben: dass palästinensiche Opfer weniger Empase erfahren als israelische - ich spreche hier dezidiert von der von jener Kultur-Bubble, die nahe an den gut finanzierten Kurations-Zellen ist)
Aus diesem Grund greift ihre Analyse zu kurz. Viele hier betreiben hier eine Art Schattenboxen, viele von uns sind nicht im Krieg, viele von uns sind noch verschont. Aber die Kulturbranche muss viel stärker auf diese Potentiale innewohnender antisemitischer Affekte achten, die scheinbar Kern dieses Kulturbegriffs sind. Wann immer der Kulturbetrieb etwas als "böse" markiert oder als "imperialistisch" sollten wir besonders achtsam sein, ob wir nicht eine sehr alten Prägung zum Antisemitismus folgen. Dieser Antisemitismus in den Kulturbranchen ist aktuell das weitaus dringendere Phänomen als anti-muslimische Affekte oder Ausschluss von Themen aus dem globalen Süden. Jeder Blick in die Leporellos zeigt das auf.
Diese Sprachregelung gibt es nicht, klar wäre eine solche sinnvoll, aber es gibt sie nicht und man kann die Sprachregelungen nicht so rasch ändern.
Die Diskussion über Fassbinders Stück lenkt aber sehr ab. Darüber zu verhandeln ist wirklich nun so sinnreich.
Die Rede von "weissem Siedlerkolonialismus", die Anti-Anti erwähnt - die immer wieder zu hören ist (besonders in mündlichen Gesprächen) verweist auf das grosse Kernmechanik des aktuellen und uralten Antisemitismus. Antisemitismus scheint immer auch die Zuordnung/Beschreiben des "jüdischen" als etwas maskenhaftes, unechtes zu sein. Zu Empfehlen die Dissertation von KATHARINA KRCAL, Nachahmen und Täuschen,Die ›jüdische Mimikry‹ und der antisemitische Diskurs im 19. und 20. Jahrhundert). Der Antisemitismus kann jüdische Existenz immer beschreiben als etwas "anderes", oder "unechtes", oder dann eben (neu) sogar "weisses" (wenn es dem antisemitischen Blick zudient) So kann heute - sozusagen in perverser Differenz zu den Zuordnungen der "globale Süden"-Aktivist:innen ( die Israels Handeln als "weiss" diffamieren) parallel Elon Musk auf X behaupten, jüdische Kreise würden gerade Rassismus gegen "Weisse" vorantreiben. Antisemitismus kann also jüdische Menschen immer zu etwas "anderem" machen. Dieser Antisemitismus bezieht sich dann eben nicht mehr auf reale Politik, reale schlimme und kritikwürdige politische oder militärische Taten eines Staats oder einer Armee, sondern ist ein bösartiges Phantasma... Antisemitismus ist deswegen wohl auch nicht 1:1 zu vergleichen mit Rassismus gegen PoC, Muslime. Es gibt - bei allen Gemeinsamkeiten (u.a. Rassismus) auch Elemente, die Antisemitismus zu etwas anderem machen, welches diesem Kulturbetrieb besonders innewohnt. Und da analysieren sich gewisse linke Kulturschaffenden in ihren raschen Affekten zu wenig, wenn sie auf Seite des richtigen - "nicht imperialen" stehen wollen und dabei nicht begreifen, dass diese Zuordnung von Israel als "weisse Macht" einer auch durch und durch imperialen und sehr mächtigen PR-Kampagne sehr mächtiger und finanzkräftiger Oel-Staaten gegen Israel war, die u.a dann auch von Saddam Hussein (dem die Palästinenser völlig gleichgültig waren) gerne vorantrieb. "Palästina" als der Sehnsuchtsraum von heute, der sich gegen "weissen Zionismus" stellt - ist in dieser Definition erst knapp 40/50 Jahre alt. Mächtige Menschen wie Elon Musk können dann wiederum problemlos, wenn es ihnen in den Kram passt, jüdisch und "weiss" als Gegensätze definieren, wie die Nazi-Bewegungen das machen. Diese beiden Formen von Antisemitismus sind aktuell dauerpräsent, und unsere - auf anti-imperialen Rhetorik getrimmten Stadttheater-Dramaturgien fallen regelmässig in diese Falle. Fazit: Es braucht vielleicht neue Formen der internationalen Solidarität, der aktuell zelebrierte "Globale Süden"-Diskurs hat leider ausgedient. Er wurde gekapert.
Es braucht vielleicht neue Diskursfelder und Namen um Antisemitismus zu begegnen.