Die Skalen sind geeicht?

21. November 2023. Der Nahostkonflikt zwingt auch im Kulturbetrieb zur Positionierung – und er schürt das Misstrauen, wie der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich eben aufgezeigt hat. Rechte Kräfte nutzen die Situation längst für ihre eigene Agenda. Worauf können sich die in Bedrängnis geratenen Institutionen berufen?

Von Janis El-Bira

21. November 2023. Längst sind die Erschütterungen des 7. Oktober und seiner Folgen im Kulturbetrieb angekommen. Das gegenseitige Vertrauen, so es denn einmal da war, scheint schwer beschädigt. Man beäugt einander, will nicht mit den Falschen in Verbindung gebracht werden. Und wo man sich zerfleischt über der Frage, wer an wessen Seite steht, da kreisen verlässlich bereits die Geier: "Die Zwietracht, die im Kulturbetrieb um sich greift, ist umso folgenreicher, als sie mit einem gravierenden Rechtsrutsch koinzidiert", analysiert etwa der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich in einem bemerkenswerten Text im Tagesspiegel.

Abräumen, was immer schon genervt hat

"Fassungslos" mache es, dass der Kampf gegen Antisemitismus inzwischen für eine "rassistische und minderheitenfeindliche Agenda" genutzt werde. Denn für all diejenigen, die schon immer verächtlich auf die enervierend ausdifferenzierten Sensibilitäten postkolonialer, antirassistischer, queer-feministischer und sonst wie "woker" Kreise blickten, scheint nun die große Stunde gekommen. Die Strategie rechter Kräfte laufe, so Ullrich, seit dem 7. Oktober konsequent darauf hinaus, "noch hartnäckiger, noch dreister auf weitere Spaltungen hinzuwirken". Es werde mittelfristig gar zu einer "offenen Feindschaft gegen die lange Zeit vorherrschenden Programmlinien des Großteils der Kulturinstitutionen" kommen, ist sich der Autor sicher.

Endlich nämlich, so wollen diese Kräfte behaupten, haben sich die Verhältnisse im Blutrausch des 7. Oktober zur Kenntlichkeit entstellt: Der Feind steht wieder im hellen Licht vor uns, das Bedeutende ist vom Unbedeutenden geschieden. Die Skalen sind wieder geeicht und sie zeigen an: Wer jetzt beispielsweise in der "Aufarbeitung" des westlichen Kolonialismus eine unverändert vordringliche Aufgabe sieht, hat den Schuss, nein: hat die Schüsse nicht gehört. Die Vertreter des Ressentiments, die noch nie Lust hatten, über die Rückgabe geraubter Kulturgüter oder diversere Theaterensembles zu sprechen, gewinnen Oberwasser. Wolfgang Ullrich spricht zu Recht von einem "aggressiven Willen zur Verdrängung" und einem "revanchistischen Agitieren", das sich auch gegen den mit den Anliegen des Globalen Südens gemeinhin solidarisch stehenden Kulturbetrieb richte. Seit dem 7. Oktober lässt sich wieder bequem abräumen, was immer schon genervt hat.

Vom Äußersten aus betrachtet

Es liegt ein hoher Verführungswert darin, Ereignissen eine besondere Klarheit zuzuschreiben, indem man sie mit Begriffen wie "Zeitenwende" oder "Singularität" belegt. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist dieser Verführung ein Stück weit erlegen, wenn sie jüngst in einem vielbeachteten Text schreibt, für die Hamas-Mörder seien mit ihrer Terrortat alle "Bemühungen zur Aufnahmsprüfung in die Zivilisation" verfallen.

Waren sie dieser "Aufnahmsprüfung" denn zuvor näher? Mit der Hamas war nie etwas anzufangen, erst recht kein Staat zu machen – aber um das zu wissen, brauchte es den 7. Oktober nicht. Eskalationsereignisse wie dieses machen die Dinge nicht klarer oder einfacher. Im Gegenteil, sie machen sie unendlich komplizierter. Weil man nun anfängt, gleichsam von der Spitze des Eisbergs aus auf das Darunter- und Zurückliegende zu blicken. Und von oben, vom Äußersten aus betrachtet, sieht alles anders aus.

Privilegien diesseits des Ausnahmezustands

Da ist die vier Jahre alte Unterschrift unter einem Dokument, das Zionismus als "rassistische Ideologie" bezeichnet, und die nun einen Rücktritt zur Folge hat. Oder die Unterschrift unter der "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit", die man lieber zurückgezogen hat. Oder die öffentliche Förderung eines über Eck mit der BDS-Bewegung assoziierten Kulturzentrums, die nun in Frage gestellt werden soll. Überhaupt: Unterschriften, Likes, Sympathiebekundungen, Interviewaussagen – vom 7. Oktober aus besehen weiß man alles besser.

Das ist die vermeintliche, täuschende Klarheit, die das brutale Morden schafft. Aber so wie es stimmt, dass eine Bewegung wie der BDS lange vor dem 7. Oktober vollkommen unmöglich war, so gilt auch, dass sie der 7. Oktober nicht noch schlimmer gemacht hat. Vor dem Hintergrund des Terrors mit Kontaktschuld-Argumenten zu operieren, würde die deliberative Demokratie absehbar aushöhlen. Die Kultureinrichtungen, auch die Theater, gehören zu ihren sensibelsten, verletzlichsten Institutionen. Sie sind dieser Tage ein leichtes Ziel für jene, denen an Differenzierung nichts liegt. Zu den vielen Privilegien einer Gesellschaft diesseits des Ausnahmezustands gehört aber, dass sie sich eben dieses Differenzieren noch leisten kann.

Kolumne: Straßentheater

Janis El-Bira

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

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Kommentare  
Kolumne El-Bira: Unterkomplex
Man muss ja den Autor fast schon beglückwünschen für diese gekonnte Umdeutung von Verantwortlichkeiten: Jetzt sind es also "die Rechten" (wer immer das genau sein soll), die unsere schöne Theaterwelt bedrohen, weil sie die Unzulänglichkeiten, Ungenauigkeiten und Naivitäten einiger Personen benennen, die sich offenbar als "links" verstehen wollen. "Die Rechten" wollen spalten, klar, die BDS-Bewegung und die Hamas-Versteher wollen das nicht, oder? Hemmungslos legen diese "Rechten" die Widersprüche und Fehler der Kulturszene offen, das ist wirklich unerhört.

Kritik an Irrwegen bitte nicht mehr äußern, scheint die Losung, solange es um die Solidarität des Kulturbetriebs "mit den Anliegen des Globalen Südens" geht. Ich wüsste gern, welche Anliegen Janis El-Bira genau im Blick hat, wenn er diesen undifferenzierten Begriff verwendet... Wollen wir die Solidarität mit der Unterdrückung der Uiguren in China? Oder möchte er sich an die Seite der Mehrheit der argentinischen Bevölkerung stellen, die einen libertären Kapitalisten zum Präsidenten wählt? Will er die Solidarität mit der iranischen Religionspolizei oder nur mit den "einfachen Menschen", die Schwule am Liebsten steinigen möchten? Oder geht es ihm um die indischen Familien, in denen Mädchen abgetrieben werden?

Sorry, aber ich kann diese unterkomplexe Selbstgerechtigkeit nicht mehr ertragen. Klar sind "die Rechten" schlimm, aber manche im Kulturbetrieb machen es ihnen eben auch sehr einfach, z.B. mit Kolumnen wie diesen.
Kolumne El-Bira: Fragen
Es gibt immer erschütternde Fragestellungen. Zum Beispiel: Wie viele Juden und Jüdinnen oder Israelis leben im Gazastreifen? - Und wie viele Menschen mit arabischen Wurzeln leben in Israel? Wäre die sich zuspitzende Fortführung der Fragen, die jedoch gestellt werden müssen. Aktuell beträgt die Einwohnerzahl Israels 9.092.000 Menschen. Davon sind 6,74 Millionen Juden (74,2%), 1,91 Millionen Araber (21%). Wäre man zynisch könnte man noch hinzufügen: Aktuell leben hoffentlich im Gazastreifen noch etwas mehr als zweihundert jüdische Geiseln. Das sind einige Zahlen zur aktuellen Situation. Was sie aussagen ist nur schwer nachvollziehbar. Und mit linken oder rechten Denken überhaupt nicht erfassbar. Da reicht man nur mit einer neutralen Position heran. Selbstverständlich muss im Gazastreifen eine Regierungsform gefunden werden, die es vielen verschiedenen Menschen, ähnlich wie in Neukölln, möglich macht dort zu leben. Es wäre eine der edelsten Aufgaben europäischer Kulturinstitutionen auch für den Gazastreifen eine Möglichkeit für eine diverse und freie Gesellschaft zu fordern. Stattdessen fürchten hiesige Theater den Missbrauch dieses Konflikts durch rechte Kräfte. Das sagt sehr viel über die Ängste europäischer Kulturschaffenden aus. Und trägt nur wenig zu einer praktischen Lösung bei. Offensichtlich versucht die israelischen Armee nun die politische Situation in Gaza mit militärischen Mitteln grundlegend und nachhaltig zu verändern. Ist das begrüßenswert, eingedenk der Tatsache, dass die israelische Armee wahrscheinlich die ungeeignetste Armee überhaupt ist, einen solchen Plan durchzuführen? Vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung in Israel selbst. Wäre es nicht eine internationale Aufgabe eine solche diverse und freie Gesellschaft auch für den Gazastreifen zu fordern und die entsprechenden Mittel und Möglichkeiten bereitzustellen? Was für die Ukraine möglich ist zu fordern, kann eigentlich für Gaza keine absurde Forderung sein. Und trotzdem klingt es so. Warum? Weil man alte linke und rechte Denkmuster nicht ablegen möchte. Sie sind so einfach zu bedienen und ein Garant dafür den eigentlichen Konflikt zu marginalisieren, nämlich die Befreiung der israelischen Geiseln und letztendlich der gesamten Zivilbevölkerung des Gazastreifen. Ein anderes Denken, dass nicht um die eigenen Ängste kreist, ist erforderlich und hierin zeigt sich die gesamte Disfunktionalität der europäischen Kulturbetriebe in diesem Punkt. Es geht ihnen hauptsächlich um die eigene, nunmehr gefährdete linke, woke, diverse, feministische und queere Identität, die den Kampf gegen Antisemitismus eher rechts verortet und nicht bei sich selbst. Das macht sprachlos, vor allem vor dem Hintergrund einer Rede des türkischen Präsidenten, die man wohl zu teilen als antisemitisch bezeichnen könnte, der ja nun wirklich national und chauvinistisch, bisweilen rechts zu nennen ist. Antisemitismus ist eben auch rechts, übrigens ebenso wie aktuelle israelische Regierung, und der Kampf gegen Antisemitismus wird nicht allein von rechten Kräften gegen linke Identitäten instrumentalisiert, das mag für die AFD in der Bundesrepublik stimmen, sondern wird auch von rechten Kräften auf internationale Ebene betrieben. Angesichts eines solchen Panoramas sind linke Ängste eher zu vernachlässigen und können nicht Hauptthema werden. Außerdem glaube ich an den hartnäckigen Widerstand linker und woker Kräfte gegenüber einer rechten Okkupation der Kulturbetriebe. Die Rechte hat dort in Deutschland überhaupt keine Lobby. Weder in den Betrieben selbst, noch auf der zugeordneten politischen Ebene. Was sollen diese Linken Ängste also bezwecken? Etwa eine Verschiebung des eigentlichen Konflikts in den eigenen schmalen Horizont? Das wäre fatal.
Kolumne El-Bira: Angst
#2. Naja, lieber Martin Baucks, Angst -also echte - kann man sich nicht aussuchen, man hat sie halt. Deshalb kann auch die Angst selbst nichts bei anderen bezwecken, sondern nur das öffentliche Reden(Schreiben) über die Angst kann etwas bezwecken wollen. Das ist dann ein manipulativer Zweck des Redens. Weil man anderen die Verantwortung für die eigene Angst aufhalsen will und sie verpflichten, sie gefälligst für einen abzuschaffen.
Man kann natürlich Angst auch anschaffen, die ist dann eben nicht echt, sondern eher so Art Emotionshandelsware. Diese Art von angeschaffter Angst hat meist einzig und allein ökonomische Zwecke, weil man mit ihrer verbalen undoder medialen Verbreitung in irgendein lohnendes Geschäft kommen will.
Das ist dann wirklich eine beabsichtigte Verschiebung eines Konfliktes in einen schmalen Horitont. Vermutlich aus Angst, nicht gut undoder tief genug unbetreut denken zu können...
Kolumne El-Bira: Keine Ignoranz
Sorry, aber Wolfgang Ullrichs Text finde ich nicht „bemerkenswert“, sondern schwurbelig und so konstruiert. Ich verstehe auch nicht, warum ihn Janis El-Bira gut findet. Es ist doch legitim zu fragen, warum beispielsweise ein Teil der queeren „Community“ auf Pro-Palästina-Demos auftauchen muss. Solidarität ist eine super Sache, erst recht, wenn Krieg herrscht. Doch Solidarität bedeutet nicht Ignoranz oder Doofheit. Die palästinensischen Queers wären in einem freien Palästina, das sich vom Jordan bis zum Mittelmeer erstreckt – also ohne Israel –, gleich nach den Jüdinnen und Juden dran, sich nach einer neuen Heimat umschauen zu müssen. Und das nur dann, wenn sie das Glück haben, dem Zorn der Islamisten und des Mobs rechtzeitig zu entkommen. Denn was viele dieser Demonstrierenden nicht wahrhaben wollen: In Palästina ist es lebensgefährlich, queer zu sein. Als queerer Mensch für Palästina zu demonstrieren ist „wie als Huhn für die Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken (KFC) zu demonstrieren“, schrieb vor kurzem ein US-amerikanischer Blogger.
Haarsträubende antizionistische wie antisemitische Überzeugungen herrschen nun mal in nicht wenigen queer-feministischen Gruppen, intersektionalen Bündnissen und migrantischen Koalitionen vor. Das zu kritisieren, finde ich richtig und wird dabei nicht für eine "rassistische und minderheitenfeindliche Agenda" genutzt.
Ich habe doch klein Problem damit, die israelische Rechts-Regierung für verpasste Verständigungsfragen zu kritisieren, aber ich würde auch gleichzeitig davor warnen, das israelische Trauma des 7. Oktobers mit dem Kriegsleid in Gaza zu relativieren.
Kolumne El-Bira: Schattenboxen
Lieber Janis El Bira,


Ihre Analyse scheint mir zu kurz gegriffen. Ein Rückblick in die 80er Jahre zeigt, dass damals mächtige Theaterintendanten und Kurationszellen prägend waren. Diese Intendanten, oft Männer, waren bekannt für ihre Verbalattacken und eine rücksichtslose Sprache. Sie solidarisierten sich mit linken Terrorist:innen und nutzten Gewalt als ästhetisches Mittel, was beim Publikum für Faszination sorgte.

Diese Zeit war auch geprägt von einer Solidarisierung mit dem scheinbar Schwächeren, wobei oft eine "coole" Ästhetik im Vordergrund stand, gerade in der Solidarisierung mit RAF und (damals) PLO. Dieses Muster findet sich heute wieder, wie beispielsweise bei der Documenta in Kassel, wo kollektive Werke mit antisemitischen Tendenzen präsentiert wurden.

In der Musikindustrie, wie am Beispiel von RED BULL ACADEMY ersichtlich, wurden dann in ab den Nuller-Jahren vermehrt Künstler:innen mit antisemitischen Neigungen gefördert, was die Marktfähigkeit identitärer Politik und Haltung aufzeigte und natürlich durch und durch geprägt war vom rechtsidentitären Gründers des RED BULL Konzerns

Heute beobachte ich eine ähnliche Tendenz in Kunst-Kurationszellen, die trotz ihrer bürgerlichen Prägung oft eine übermäßige Toleranz gegenüber antisemitischen Positionen zeigen. Sie nutzen aktuelle Themen wie Ökologie oder queere Anliegen, um sich ein progressives Image zu geben, dabei werden jedoch antisemitische Positionen verharmlost.

In den sozialen Medien zeigt sich, dass bei jungen Leuten, die nahe an der Kulturbranche sind - palästinensische Themen oft mehr Aufmerksamkeit und Zustimmung erhalten als jüdische Anliegen. Dies spiegelt eine problematische Tendenz wider, die Ihre Analyse nicht ausreichend berücksichtigt: Die anhaltende Problematik des Antisemitismus in dieser Kulturbranche.

Ein Geschichtslehrer von mir erklärte mir am Gymnasium, dass die Gemeinsamkeit faschistischer Bewegungen darin bestünden, dass sie alle "vitalistisch" seien und die Kraft des Lebens, der Jugend, der Grausamkeit feiern. Dies kommt mir in diesen Tagen immer wieder in den Sinn. Wenn ich in die Bubbles der sozialen Medien schaue ist es offensichtlich: Die coolen Testemonials für die Palästina-Demos generieren mehr mehr Identifikation in der Kulturszene (Hunderte von Likes) - auf der popkulturellen Wahrnehmungs-Ebene - als die sehr einfach gehaltenen Poster der israelischen Geiseln (diese liken zu 80% sich als jüdisch lesende Menschen die Bilder, alle anderen Menschen liken das nicht). Die einen (Palästinenser:innen) scheinen für viele die echtem "Opfer", die jüdischen Opfer und Geiseln hedonistische Wohlstands-Menschen, die halt Pech hatten bei einem Rave zu sein. Weil letztere näher an "unserer eigenen Lebenswelt" sind, also einen harmlosen "Rave" besuchen, wird ihnen - von der Kulturszene - mit eiskalter Gleichgültigkeit begegnet. (Natürlich wird man in anderen Bubbles als der Kulturbubble genau das umgekehrte erleben: dass palästinensiche Opfer weniger Empase erfahren als israelische - ich spreche hier dezidiert von der von jener Kultur-Bubble, die nahe an den gut finanzierten Kurations-Zellen ist)

Aus diesem Grund greift ihre Analyse zu kurz. Viele hier betreiben hier eine Art Schattenboxen, viele von uns sind nicht im Krieg, viele von uns sind noch verschont. Aber die Kulturbranche muss viel stärker auf diese Potentiale innewohnender antisemitischer Affekte achten, die scheinbar Kern dieses Kulturbegriffs sind. Wann immer der Kulturbetrieb etwas als "böse" markiert oder als "imperialistisch" sollten wir besonders achtsam sein, ob wir nicht eine sehr alten Prägung zum Antisemitismus folgen. Dieser Antisemitismus in den Kulturbranchen ist aktuell das weitaus dringendere Phänomen als anti-muslimische Affekte oder Ausschluss von Themen aus dem globalen Süden. Jeder Blick in die Leporellos zeigt das auf.
Kolumne El-Bira: Danke
Ein Dankeschön an #5 — Sama Schwarz
Kolumne El-Bira: Wirksamkeit
Ich denke, lieber Samuel Schwarz, dass der ganzen Debatte ein viel grundlegender Denkfehler zu Grunde liegt, nämlich die Fortschreibung der Erzählung von der Wichtigkeit europäischer Kulturbetriebe. Zwar werden dort weiterhin große Themen verhandelt, aber ihre Wirksamkeit bleibt bei weitem hinter dem zurück, was Arbeiten aus den Siebzigern und Achtzigerjahren noch erreichen konnten. Keine dieser Arbeiten kann beispielsweise an die Wirkkraft eines doch recht einfachen Stücks wie „Andorra“ anknüpfen. Und falls sie mit einer Ästhetik der Gewalt zum Beispiel ein Stück wie „Ghetto“ meinen, dürften sie ebenfalls falsch liegen. Zwar waren die Szenen zwischen Esther Ofarim und Ulrich Tukur von Gewalt geprägt, aber diese war nicht nur ästhetisch, sondern auch historisch begründet und belegt. Deshalb ihre große Wirkung bis tief in die Gesellschaft hinein. Heute hingegen bleibt die Wirkung weitgehend in der Bubble. Das ist die eigentlich Gefahr. All diese Analysen sind sich ihrer Unwichtigkeit nicht bewusst. Vielmehr versuchen sie immer noch, jedoch relativ erfolglos, die Geschichte der Wichtigkeit des Regietheaters fortzuschreiben. Es ist jedoch ziemlich egal, wie beispielsweise im Theater Antisemitismus verhandelt wird, solange sich das Theater selbst die Ausdrucksmittel verweigert die aktuelle Gewalt überhaupt abbilden zu dürfen. Wie will ein heutiges Theater, mit seinen zensierten Mitteln, überhaupt an die reale Gewalt dieses erneuten Progroms in Israel heranreichen? Wie? Wenn zusätzlich, wie sie sagen, auch noch die entsprechende Empathie für die Opfer, während eines öffentlichen Konzerts fehlen?! - Denken Sie einmal an die Opfer des Anschlags im Bataclan und was dort die gesellschaftliche Reaktion war und dann vergleichen sie, auch wenn dies unsittlich erscheint. Sie werden dann feststellen müssen, dass nicht nur der Kulturbranche die Mittel und Wirkkraft fehlen, sondern der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die mangelnde Empathie mag das eine Problem sein, das Verbot der Sichtbarkeitmachung für reale Gewalt ist ein weiteres. In beiden waren uns die Siebzigerjahre weit voraus. Doch trotz über siebzig Jahren Demokratie gibt es weiterhin Phänomene, die mit der Vorkriegszeit zu vergleichen wären. Das ist das eigentliche Drama und die Tragödie der Demokratie und ihrer Kulturbetriebe. Die westlichen Demokratien sind keine Garanten mehr für Empfindsamkeit und ihre Kunstbetriebe keine wesentlichen Seismografen mehr für reale Gewalt.
Kolumne El-Bira: Antisemitismus der Mitte
Antisemitismus im Kulturbetrieb gab es in den 70er, 80er Jahren auch schon, man denke nur an die Debatte um das Fassbinder-Stück. Wir hören zur Zeit viel über "importierten Antisemitismus", muslimischen Antisemitismus, linken Antisemitismus und rechtsbürgerlichen Antisemitismus, hier geht es um den Antisemitismus der Mitte einer liberalen Kulturelite. Dieser Antisemitismus ist viel schwieriger zu erkennen, denn er hat sich in Gedenkroutinen etwa zum 9. November eingekitscht und damit gegen Kritik immunisiert. Aber er kommt eben doch zum Vorschein, sobald es um Israel geht. Da steht dann auch gleich eine intellektuell verbrämte Assoziationskette bereit, die die BDS-Begriffe "Apartheid", "Genozid" und "weißer Siedlerkolonialismus" abspult und damit zu verbergen versteht, dass man von der Geschichte des sog Nahostkonflikts in Wahrheit nicht den Funken einer Ahnung besitzt...
Kolumne El-Bira: Sprachregelung
Liebe(r) Anti-Anti, munter wiederholen Sie die Behauptung, dass das Fassbinder-Stück antisemitisch gewesen sei. Immerhin gab es qualifizierte Stimmen, die dieser These widersprachen. Und wenn, wie Sie erklären, der Antisemitismus zum Vorschein kommt, wenn es um Israel geht, dann sind die Tausenden Israelis, die gegen die Politik Netanjahus und fanatischer Siedler auf die Straße gehen, Antisemiten. Wie wäre zur Abwechslung einmal eine Sprachregelung, die jene Antisemiten nennt, die (jüdischen!) Gegnern der aktuellen israelischen Politik in den Rücken fallen und, wie nicht wenige deutsche oder österreichische Rechtsextreme, Juden lieber in Israel sehen als im eigenen Land.
Kolumne El-Bira: Neue Diskursfelder
@Thomas Rothschild
Diese Sprachregelung gibt es nicht, klar wäre eine solche sinnvoll, aber es gibt sie nicht und man kann die Sprachregelungen nicht so rasch ändern.
Die Diskussion über Fassbinders Stück lenkt aber sehr ab. Darüber zu verhandeln ist wirklich nun so sinnreich.

Die Rede von "weissem Siedlerkolonialismus", die Anti-Anti erwähnt - die immer wieder zu hören ist (besonders in mündlichen Gesprächen) verweist auf das grosse Kernmechanik des aktuellen und uralten Antisemitismus. Antisemitismus scheint immer auch die Zuordnung/Beschreiben des "jüdischen" als etwas maskenhaftes, unechtes zu sein. Zu Empfehlen die Dissertation von KATHARINA KRCAL, Nachahmen und Täuschen,Die ›jüdische Mimikry‹ und der antisemitische Diskurs im 19. und 20. Jahrhundert). Der Antisemitismus kann jüdische Existenz immer beschreiben als etwas "anderes", oder "unechtes", oder dann eben (neu) sogar "weisses" (wenn es dem antisemitischen Blick zudient) So kann heute - sozusagen in perverser Differenz zu den Zuordnungen der "globale Süden"-Aktivist:innen ( die Israels Handeln als "weiss" diffamieren) parallel Elon Musk auf X behaupten, jüdische Kreise würden gerade Rassismus gegen "Weisse" vorantreiben. Antisemitismus kann also jüdische Menschen immer zu etwas "anderem" machen. Dieser Antisemitismus bezieht sich dann eben nicht mehr auf reale Politik, reale schlimme und kritikwürdige politische oder militärische Taten eines Staats oder einer Armee, sondern ist ein bösartiges Phantasma... Antisemitismus ist deswegen wohl auch nicht 1:1 zu vergleichen mit Rassismus gegen PoC, Muslime. Es gibt - bei allen Gemeinsamkeiten (u.a. Rassismus) auch Elemente, die Antisemitismus zu etwas anderem machen, welches diesem Kulturbetrieb besonders innewohnt. Und da analysieren sich gewisse linke Kulturschaffenden in ihren raschen Affekten zu wenig, wenn sie auf Seite des richtigen - "nicht imperialen" stehen wollen und dabei nicht begreifen, dass diese Zuordnung von Israel als "weisse Macht" einer auch durch und durch imperialen und sehr mächtigen PR-Kampagne sehr mächtiger und finanzkräftiger Oel-Staaten gegen Israel war, die u.a dann auch von Saddam Hussein (dem die Palästinenser völlig gleichgültig waren) gerne vorantrieb. "Palästina" als der Sehnsuchtsraum von heute, der sich gegen "weissen Zionismus" stellt - ist in dieser Definition erst knapp 40/50 Jahre alt. Mächtige Menschen wie Elon Musk können dann wiederum problemlos, wenn es ihnen in den Kram passt, jüdisch und "weiss" als Gegensätze definieren, wie die Nazi-Bewegungen das machen. Diese beiden Formen von Antisemitismus sind aktuell dauerpräsent, und unsere - auf anti-imperialen Rhetorik getrimmten Stadttheater-Dramaturgien fallen regelmässig in diese Falle. Fazit: Es braucht vielleicht neue Formen der internationalen Solidarität, der aktuell zelebrierte "Globale Süden"-Diskurs hat leider ausgedient. Er wurde gekapert.
Es braucht vielleicht neue Diskursfelder und Namen um Antisemitismus zu begegnen.
Kolumne El-Bira: "Es denkt in mir..."
Ich behalte diese Bezeichnung lieber dem Phänomen vor, das damit benannt werden soll nämlich Feindschaft zu JüdinnenJuden. Auf die Hunderttausende, die in Israel auf die Strasse gingen (und wieder gehen) gegen die aktuelle, extrem rechte Regierung, die geplante Justizreform (Demokratieabbau a la Ungarn) und deren Versagen am 7.10. trifft das mit Sicherheit nicht zu. Was Fassbinders Stück betrifft, so ist an jenen Satz zu erinnern, den er dazu geäußert hat: "Es denkt in mir..." (zu ergänzen: solche Assoziationen und Metaphern über JüdinnenJuden, die sein Stück bebildern). "Es" scheint gerade wieder in sehr vielen Köpfen zu denken, gerade auch im akademischen und Kunst- und Kulturbetrieb, so dass sie nicht nur beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen können (wie einst Kippenberger spottete), sondern auch keinen Antisemitismus, selbst wenn JüdinnenJuden und allen, die dafür gehalten werden, Davidsterne an die Haustüren gesprüht werden. Oder sie, wie kürzlich in Paris, an der Türschwelle sbgestochen werden. Da kann ein Zivilisationsbruch wie am 7.10. passieren - aber alle machen weiter...
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