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Pina-Bausch- oder Hindenburgplatz?
Wo kommen wir da hin?
7. November 2009. Solingen streitet derzeit um die Frage, ob die berühmteste Tochter der Stadt, die Solinger Gastwirtstocher Pina Bausch, im Stadtbild verewigt werden soll. Das berichtet heute das Solinger Tageblatt.
Dem Bericht zufolge wollte die Stadtverwaltung in Solingen-Gräfrath eine kleine Stichstrasse, die nahe Pina Bauschs längst abgerissenem Elternhaus in der Forcher Strasse beginnt und in ein Neubaugebiet mit Reihenhäusern führt, entsprechend benennen. In der Begründung des Vorhabens spielte auch die räumliche Nähe des geplanten Pina-Bausch-Wegs zum ehemaligen "Café Müller" am Central eine Rolle, das durch das gleichnamige Tanzstück von Pina Bausch zu Weltruhm gelangte. Bereits im Sommer war über eine Gedenktafel an dem gründerzeitlichen Haus mit den grünen Fensterrahmen und der grauen Schieferfassade diskutiert worden, in dem sich heute eine Apotheke befindet.
Mit den Stimmen von SPD, Grünen, BfS sowie Linkspartei schmetterte die Bezirksvertretung nun den Antrag ab, wie die Rheinische Post zu berichten weiß, weil man das Strässchen für wenig repräsentativ und den heutigen Hindenburgplatz in Solingen-Wald für deutlich geeigneter hält, Pina Bausch zu ehren. Hier nun wiederum erhebt die CDU Einspruch. "Wo kommen wir hin, einer Dame den Platz einzuräumen, nur weil sie hier geboren wurde?" wird die CDU-Lokalpolitkerin Rosemarie Emons zitiert.
Auch das Verhältnis Pina Bauschs zu ihrer Geburtsstadt galt als nicht besonders innig – spätestens seit es dort im Zuge eines Gastspiels Anfang der achtziger Jahre mit dem Stück Nelken Debatten um das Bühnenbild gab: eine Torfschicht, in die unzählige Nelken gesteckt waren, die im Laufe des Abends zertanzt wurden, was damals die Frage nach dem Aufwand für die Reinigung der Bühne zum städtischen Skandalon machte.
(sle)
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Apropos Boot. Mein erster „Kontakt“ zu Pina war völlig unbewusst. Auf einem, inzwischen eingegangenen, Privatsender sah ich Fellinis „Schiff der Träume“. Pina Bausch spielte eine blinde Prinzessin. Ich wusste nicht viel von Fellini, wenig vom Tanztheater, überhaupt nicht, wer/was war/ist Pina Bausch. In Fellinis Kosmos war sie eine krude Märchenfigur zwischen Moderne und Endzeit, aus Fellinis Futurisme-Avalon, Titania auf einem Ozeandampfer. Heute schmeckt schon diese Beschreibung wie melancholischer Kitsch. Meiner Generation, der Mittsiebziger, so empfinde ich es oft, misslingt gerade das Schwärmen zum Sentiment, ins Verlogene, weil ich behaupte etwas zu besitzen, was mir nicht mal abhanden kam, weil ich es nie hatte. Natürlich waren die Sechziger und Siebziger Jahre die legendären (sic!) Jahre des deutschen Theaters. An ihnen hatte ich keinerlei Anteil. Selbst wenn ich ausgereift gewesen, mit ca. sechzehn verständige Leidenschaft fürs Theater entwickelt hätte, wär das knapp über die Klippe der Wiedervereinigung. Die legendären Jahre waren auf jeden Fall vorbei. Pina Bausch war nicht vorbei, auch nicht Zadek oder Grüber, aber sie waren „vorüberer“ als vorher. Der Impuls war selbst in ihrer Gegenwart ein Echo, das begann in den Lehrplänen der Theaterseminare wiederzuhallen. Jüngst sah ich die Verabschiedung Peymanns aus Stuttgart im Hinterzimmer des Theaterkanals, den siebzig Minuten Applaus. Ist es so, dass der Intendantenabschied heute, selbst „im Guten“, keine Verabschiedung ist?
Pina Bausch, Peter Michael Grüber, Peter Zadek – oder, wie einige Kollegen heute sie vertraulich nennen: „Pina“, „Peter Michael“, „Peter“, als wären die adelige Verwandtschaft – tatsächlich hätte ich noch Chance gehabt, ihre Arbeit wirklich kennen zu lernen. Bevor sie, als Ahnengeister, im Schrein der Theaterwissenschaft aufgestellt wurden. Die Chance habe ich verpasst. Theoretisch kenne ich sie, als Mittsiebziger. Ich habe sie pflichtgemäß verehrt, gelobt, auch gegenüber jüngeren Kollegen (den nun Mittachzigern), die gerade die Regieklassen entern und Pina Bauschs Maßgeblichkeit kennen und preisen. Der Verlust wird mir eigentlich erst klar, wenn ich meine eigene Verlogenheit prüfe. Ich will mich fragen, ob ich die Verlogenheit nicht auch systemisch finde.
Die Empörung ist überschaubar. Nachrufe auf Grüber, Bausch, Zadek: für Spezialisten und Orchideengärtner? Die Ahnengeister des Theaters: auf dem Rückzug aus einer säkularen Welt (das ist kein Lamento de la Emperatríz über Kino, Fernsehen, Netz). Theater, das von Fachleuten, ausgebildet, zertifiziert, hergestellt wird, als Spezialistenveranstaltung. Insidertheater, so selbstbezüglich wie illustrierte Theatertheorie sein kann. Autoren- oder Regietheater, eine onanistische Ersatz-Streitigkeit. Theater kapriziert sich auf seine Mechanismen und legt sie masochistisch frei. Aus den Reformatoren (Adorno, Müller etc.) gingen die Puritaner hervor. Expertenschanz, satt an Impulsen der sechziger, siebziger, IMHO genauso parasitär, wie ich mich über Hindenburg versus Pina Bausch ereifere: als Theater-Gutmensch: wozu ich gar kein Recht habe: weil ich die Ungnade der späten Geburt habe: Pina Bausch mich nicht mehr undank meiner Ignoranz in dem Maße erreichte, wie es zu meinem leider verpassten Reichtum hätte sein können.
Ich bin selber misstrauisch gegenüber der ganzen Romantik, Herbstmelancholie, dem Sentiment, Selbstmitleid letztendlich, zu dem ich den kuriosen Streit „Pina Bausch / Hindenburg“ in ausgerechnet Solingen, der Scherenstadt, missbrauchte. Ich ärgere mich vor allem selber über meine verpassten Chancen, Pina Bausch betreffend, oder Zadek oder Grüber, und erschreckend viele anderen. Es ist ein Neid auf die Besitzenden, die das Privileg hatte, Zeitgenossen in deren Frühling und Sommer gewesen zu sein, nicht nur im Herbst und Winter, wie ich. Es ist eine Angst vor dem Insidertheater, den Spezialisten, die, wie ich fürchte, das Theater selber in die Lehrpläne treibt. Die schlimmsten Leute sind die klugen Leute. Man klopft so gern aufs Holz und sagt: Theater gibt es seit Jahrtausenden, es wird es weitere Jahrtausende geben.
Ja, sicher. Weltweit. Gott sei Dank, Theater hat ja keinen Nabel.
Museum Baden,Solingen, Pina-Bausch-Platz 1.
Wie man hört und liest, hat sich in Solingen die Diskussion um die Bennennung einer Strasse oder eine Platzes nach Pina Bausch in den banausischen Niederungen örtlicher Kleingeister verfangen. Sehr zum Schaden der Stadt, die doch alles daran setzen sollte, ihr Image aufzubessern.
Wenn man in Solingen schon nicht mit Namen aufwarten kann wie im benachbarten Wermelskirchen mit Leverkus, in Remscheid mit Roentgen, Mannesmann und Hasenclever oder in Wuppertal mit Engels, Dörpfeld und Bayer, ist es doch geradezu hirnrissig, die Gelegenheit zur Imageaufbesserung auszuschlagen, die sich mit der Verankerung des Namens der berühmtesten in Solingen geborenen Künstlerin im Stadtbild und im öffentlichen Bewußtsein Solingens bietet.
Nachdem Solingens Ruhm als Klingenstadt bekanntlich längst verblichen ist und die Stadt im Gedächtnis der Nation allenfalls als Stadt des Brandanschlags oder Geburtsstadt Eichmanns präsent ist, sollten die Solinger intelligenterweise alles tun,um ihre Stadt wieder etwas positiver im öffentlichen Bewußtsein erscheinen zu lassen.
Manche Bürger fragen: "Was hat Pina Bausch für Solingen getan,um dort bleibend geehrt zu werden?" Da kann ich nur antworten, daß beispielsweise jedem Bonner die Frage absurd erschiene: "Was hat Beethoven für Bonn getan?"! Oder, so könnte man weiter fragen: "Was hat Peter Paul Rubens für seine Geburtsstadt Siegen (in der er nur sein ersten Lebensjahr verbrachte) getan, daß sich Siegen heute solz 'Rubensstadt' nennt" - "Was hat der Nobelpreisträger Conrad Roentgen für seine Geburtsstadt Remscheid (woe er nur seine ersten drei Lebensjahre verbrachte und dann nie wieder dort gesehen wurde) getan, daß es in Solingens Schwesterstadt heute ein Roentgen-Museum gibt, eine Roentgen-Straße, ein Roentgen Gymnasium"? etc. etc. etc.
Um die zugegebenermaßen (mittel)großen Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich mit einer Straßen- und Platz-um-benennung ergeben, schlage ich vor, den Vorplatz des Museums Baden in Gräfrath Pina-Bausch-Platz zu bennenen und diesen - mittlerweile zu einem reinen Parkplatz verkommenen Platz (früher war er ein Park-Platz!) - mit einem entsprechend gestalteten Themenbrunnen oder einer zentrtalen Figur(engruppe) zu akzentuieren: Das wäre, so glaube ich, eine noble Geste, die der Stadt und ihrer berühmtesten Tochter gemessen wäre!
Der Pina-Bausch-Platz läge dann zwar nicht in unmittelbarer Nähe des Gräfrather Geburtshauses der Künstlerin, aber immerhin in Gräfrath und vor allem vor einem Haus, in dem die Kunst zu Hause ist und Kunst und Künstler nicht mit der kurzen Elle einiger geistiger Tieffflieger gemessen werden, die zu diesem Thema zur Zeit in den örtlichen Medien ihre Banalitäten absondern, was man hier in Griechenland zu Recht als "kleinseelig" bezeichnen würde. Also, liebe Solingen: Ehere, wem Ehre gebührt!-