Wegen eines Nazi-Tattoos sagt Evgeny Nikitin seinen Auftritt in Bayreuth ab
Der Eismeer-Holländer fliegt nicht mehr
Bayreuth, 21./22. Juli 2012. Bislang wussten die meisten von der Besetzung der Titelrolle des "Fliegenden Holländers", der am 25. Juli bei den Bayreuther Festspielen in der Regie von Jan Philipp Gloger Premiere haben wird (nachtkritik.de wird wie gewohnt am Morgen danach berichten), nicht viel mehr, als dass der russische Bass-Bariton Evgeny Nikitin aus der Eismeer-Stadt Murmansk kommt und am ganzen Körper tätowiert ist. Einigen dieser Tattoos ist es nun geschuldet, dass Nikitin seinen Auftritt in Bayreuth abgesagt hat.
Wie die Festspiele heute bekanntgaben, hat eine Recherche der "BILD am Sonntag" ergeben, dass unter den Tätowierungen Nikitins auch solche sind, die "in Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ideologie stehen. Die Festspielleitung bekam von der Recherche Kenntnis und suchte daraufhin schnellstmöglich das Gespräch mit dem Künstler. Im Ergebnis der ca. halbstündigen Unterredung wurden Evgeny Nikitin die Konnotationen dieser Symbole gerade in Verbindung mit der deutschen Geschichte bewusst."
Nikitin hat dazu folgende Erklärung abgegeben: "Ich habe mir die Tattoos in meiner Jugend stechen lassen. Es war ein großer Fehler in meinem Leben und ich wünsche mir, dass ich es niemals getan hätte. Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen. Darum habe ich mich entschieden, auf meinen Auftritt bei den Bayreuther Festspielen zu verzichten."
Als Ersatz wurde mittlerweile der Südkoreaner Samuel Youn, Ensemblemitglied der Oper Köln, benannt, der bei der Generalprobe des "Holländers" am Samstag bereits auf der Bühne stand.
Regisseur Jan Philipp Gloger wird dahingehend zitiert, dass "die künstlerische Beschädigung der Inszenierung selbst nach Einarbeitung eines Ersatzes immens" sei und "bis zur Premiere am 25. Juli eventuell nicht restlos abgewendet werden" könne.
(Bayreuther Festspiele / wb)
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Möge man die Arbeit des Regisseurs doch an allen Szenen messen, in denen kein (neuer) Holländer auftritt - und dann entscheiden, wieviel Beschädigung, wieviel Kunst und wessen Unvermögen vorliegen.
2. Zuerst dachte ich: Den kann man wirklich nicht in Bayreuth auftreten lassen. (Ich habe ihn live als Amfortas unter Marek Janowski gehört: er ist ein wunderbarer Wagner-Sänger: weicher Bariton mit viel Seele, wunderbare Diktion, tolle Expressivität.)
Beim zweiten Nachdenken ärgerte ich mich: Neonazismus ist eine Realität in Russland. (Nicht nur in... ) Das ist schockierend. Davor darf man die Augen nicht verschließen. Es darf in der Kunst keine Kuschelecken geben, in die man sich vor der Wirklichkeit verkriecht. Die Kunst darf kein Erholungsurlaub für die Seele sein.
Ein Nazi des 21. Jahrhunderts tritt in einem Stück von einem Nazi des 19. Jahrhunderts... Was für ein Schock!
Und Christian Thielemann, der nun wirklich keiner rechten Gesinnung verdächtigt werden kann, schlägt den Takt dazu.
Was wäre, wenn es so wäre?
Wenn Deutschland jährlich internationale Antisemiten-Festspiele feierte?
Nicht 1882, sondern 2012.
3. Richard Wagner zu Cosima W., 18.12.1881: "Dann erzählt er von einer neulichen Aufführung des "Nathan", wo bei der Stelle, Christus war auch Jude, ein Israelit im Parterre bravo gerufen habe. ... Er sagt im heftigen Scherz, es sollten ALLE Juden in einer Aufführung des "Nathan" VERBRENNEN." (Tagebuch, Bd.. 2 S. 852)
4. Von Wagner sagen die Wagnerianer, er sei kein Nazi, könne keiner sein, weil es den Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert noch nicht gab. (Es gab Nationalismus und Sozialismus. Wagner hing beidem an.)
Nikitin ist vielleicht auch kein Nazi. Vielleicht wusste er nicht, was das ist, als er sich das Hakenkreuz aus reinem Protest oder Deko tätowieren ließ. Vielleicht ist er heute klüger als damals. Wer will ihn richten.
Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, Menschen zu verurteilen.
Es geht um das Erschrecken darüber, dass das Gegenteil möglich sein könnte.
5. Fazit: Die Bayreuther Festspiele scheuen das echte Risiko.
Es wird permanent darüber gequatscht, wie revolutionär Wagner sei.
Aber wenn die Mine tatsächlich mal hochzugehen droht, wird sie schnell entschärft.
Bitte keine Diskussionen?
Hier gilt's der Kunst?
Oder doch eher der Unterhaltung?
Wenn einem das ganze Erbe um die Ohren fliegt, votiert man doch lieber um Bestandserhalt.
Es geht nicht um die Frage, ob Nikitin Neonazi ist oder nicht. Es geht um die Frage, wieviel Gift uns das geniale Werk des meistgespielten und international bestverkäuflichen deutschen Komponisten verabreicht.
Wenn es dem Musikbusiness ernst wäre mit dem Fall Nikitin, dann müsste Baden-Badens Intendant Andreas Mölich-Zebhauser heute abend auch Nikitins Mentor Valery Gergiev rausschmeißen. Im Sommer 2008 folgte er den russischen Panzern mit seinem Kirov-Orchester in die südossetische Hauptstadt Zchinwali, um dort mit einem russlandweit übertragenen Propagandakonzert (Schostakowitschs Leningrader Sinfonie) in den Ruinen der Stadt, umgeben von Alten und Kindern den Einmarsch der russischen Truppen in Georgien zu verherrlichen (…).
derselbe herr emmerich erklärt uns jetzt die moralische verwerflichkeit ein Tattoos, das sich nikitin als jugendlicher hat stechen lassen und inzwischen überstochen hat.
ist nikitin in bayreuth irgendwie unangenehm aufgefallen? fehlanzeige. der fall ist ein weiteres beispiel für die unerträgliche doppelmoral in der oberfränkischen provinz.
und für den lächerlichen medienhype "die besondere bedeutung von bayreuth gebietet....." - erinnert ungut an den abgang des parzival sängers in der schlingensief inszenierung.
müssen künstler moralische vorbilder sein? warum eigentlich? ich nehme von nikitin seine darstellung des holländers wahr. würden alle künstler mit absonderlichen ansichten die konträr zum moralischen mainstream verlaufen nicht mehr auftreten dürfen, dann sähe die landschsaft aber leer aus. und bitte: Niktin hat das tattoo überstechen lassen - war ihm wohl selbst klar, dass die idee nicht so klasse ist.
http://www.sueddeutsche.de/kultur/samuel-youn-singt-in-bayreuth-ploetzlich-hollaender-1.1420619
http://www.sueddeutsche.de/bayern/umstrittene-nazi-tattoos-von-evgeny-nikitin-symbole-fuer-lebensborn-und-hitlerjugend-1.1420472
Ich bin zutiefst davon überzeugt: Es wird immer Rechtsradikale geben. Sie bilden einen Teil der Möglichkeit menschlicher Charaktere ab.
Sie einzubinden in soziale und kulturelle Aufgaben wäre eine Tugend. Nur so überprüfen sich ihre Auffassungen am Realen. Dies wäre in B. möglich gewesen und wurde leider vereitelt von Menschen, die nicht minder belaste sind, aber weiterhin profitieren von ihre Geschichte und Tradition.
Das ist verlogen und verantwortungslos. Ich schließe mich der Haltung von Herrn Bachler an.
Wie nennt man das, wenn der Matrosenchor wie ein Preußischer Marsch dirigiert wird, mit Pauken, die wie Kanonenschüsse losböllern und schweren Zählzeiten im 2/4-Takt, die wie Bomben hoch gehen?
Die einen tragen's auf der Haut, die andern in ihrer Kunst.
Versteht das jemand?