Spielräume schaffen!

von Matthias Rebstock

Hildesheim, 23. Januar 2013. Es gibt eine lebendige Musiktheaterszene jenseits der Opernhäuser, doch sie tritt nicht als zusammenhängende in Erscheinung, ist vielmehr zersplittert in Einzelszenen.
Gegenüber diesen Szenen verhalten sich die Opernhäuser geradezu hermetisch verschlossen. Es gibt eine Reihe von Ausnahmen (zuletzt Einrichtung der "Tischlerei" an der Deutschen Oper Berlin im November 2012), aber es ist nicht erkennbar, dass sich hieraus ein nachhaltiger Trend ablesen lässt. Den neu eingerichteten Spielstätten stehen ebenso viele Abwicklungen gegenüber (z.B. "Forum Neues Musiktheater", Stuttgart, Reihe "Visible Music", Mannheim etc.) Nach wie vor werden viele der bemerkenswerten Entwicklungen im Musiktheater nicht an Opernhäusern, sondern an Sprechtheaterbühnen gezeigt (z.B. Ruedi Häusermann, David Marton).

Für einen weiten Begriff von "MusikTheater"
Der Terminus "Musiktheater" wird auf zwei sich widersprechende Weisen verwendet:
    •    quasi als Ersatz für den Terminus "Oper". In dieser Bedeutung hat er programmatischen Charakter und steht für eine Oper, die als Theater ernst genommen werden will.
    •    als Sammelbegriff für verschiedenste Aufführungsformen, die in besonderem Maße durch die Inszenierung von oder mit Musik bestimmt sind.
Um das Musiktheater in diesem weiten Sinn zu bezeichnen, verwende ich die Schreibweise "MusikTheater". Es lässt sich in drei große Bereiche einteilen: den Bereich der Oper, des Komponierten Theaters und der szenischen Konzerte.

Zum Bereich der Oper gehören einerseits Aufführungen, die sich auf besondere Weise mit Repertoireopern oder selten gespielten (Kammer)Opern beschäftigen, und andererseits der der Neuen Musik nahe stehende Bereich der "Neuen Oper" bzw. des "Neuen Musiktheaters". Das Komponierte Theater ist wiederum ein Sammelbegriff für Musiktheaterformen, die sich durch die Verwendung kompositorischer Verfahren und Strategien auszeichnen. Dieses Feld liegt zwischen den klassischen Gebieten des Theaters, der Oper und des Tanzes. Beim szenischen Konzert bildet das Konzert als Aufführungsform den Ansatzpunkt: Es geht darum, die traditionelle Konzertform aufzubrechen und durch verschiedene Formen der Inszenierung andere Hörweisen zu ermöglichen.

Historische Gründe für die Zersplitterung der MusikTheaterlandschaft

1. Ein Großteil der Musiktheaterformen, die sich in den 60er Jahren gebildet haben (Musikalische Aktionen und Happenings von John Cage, Fluxus, Experimentelles Musiktheater, Instrumentales Theater), sind aus musikalischen und kompositorischen Fragen entstanden (Theatralisierung der Musik). Die Oper spielte für diese noch nicht einmal als Gegenmodell eine Rolle und kam als lebendige Kunstform gar nicht in Betracht. Die gegenseitige Ablehnung hat also Tradition, ist jedoch inzwischen als überholt anzusehen.

2. Die Theateravantgarden des 20. Jahrhunderts hatten ein besonderes Interesse für die Abstraktheit der Musik und die Genauigkeit ihrer Organisation mittels Partituren. In dem Maße, in dem die Vorrangstellung des Textes im Theater kritisiert wurde, rückten musikalische Gestaltungsprinzipien in den Vordergrund. Das gilt auch für das Postdramatische Theater, für das Hans-Thies Lehmann eine besondere Musikalität bzw. eine Musikalisierung des Theaters als Signum angibt. Von daher ist leicht zu sehen, dass ein Teil der MusikTheaterlandschaft starke Berührungspunkte mit der Freien Theaterszene hat bzw. sogar in dieser aufgeht.

3. Das MusikTheater hatte an der Herausbildung des Freien Theaters in Deutschland kaum Anteil. Freie Opernproduktionen bzw. freie MusikTheaterensembles finden sich in Deutschland erst seit Ende der 80er Jahre. Gegenüber dem Freien Theater fehlen der Freien MusikTheaterszene die historischen Wurzeln, die ursprünglich politischen, gesellschaftlichen und soziokulturellen Triebkräfte und die Breite der Verankerung (publikumsmäßig, kulturpolitisch und institutionell).

Es gibt gleichzeitig zu viele und zu wenige Spielorte für MusikTheater

Das Freie MusikTheater wird an den Spielstätten des Freien Theaters gespielt, es gehört aber nirgends zu den profilbildenden Faktoren der Häuser bzw. Festivals. Einzige Ausnahme in Berlin ist die Neuköllner Oper, die aber nur klein besetzte Projekte umsetzen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Einrichtung von Studiobühnen als wichtiger und überfälliger Schritt zu begrüßen.

Zehn Forderungen für das MusikTheater

1. Die Opernhäuser müssen sich dem MusikTheater in seiner ganzen Breite an Formen öffnen. Hierfür ist die Einrichtung kleinerer Spielstätten, auf denen nicht der Auslastungsdruck der großen Bühnen lastet, Voraussetzung.

2. Die internen Strukturen der Opernhäuser müssen so verändert werden, dass die gemeinsame Projektarbeit mit Beteiligten aus den Häusern und Teams von außen und Produktionsweisen aus der Freien (Musik)Theaterszene überhaupt möglich wird (Flexibilisierung der Tarifverträge, Zulagenregelungen, Dienstplangestaltung etc.).

3. Keine Alibiveranstaltungen: Die Studiobühnen müssen zu einem festen Bestandteil der Hausprofile werden und müssen entsprechend auch in den regulären Budgets verankert sein. Ausschließlich über Sponsoren- oder andere Zusatzmittel finanzierte Einrichtungen können nicht  die nötige Kontinuität garantieren.

4. Im Bereich des KindermusikTheaters sind in den letzten Jahren bereits Erfahrungen mit spartenübergreifender Projektarbeit und alternativen Produktionsprozessen gesammelt worden, an die angeknüpft werden kann.

5. Das Freie MusikTheater muss als zusammenhängendes Feld sichtbarer werden. Hierfür wäre eine eigene "Leistungsschau" von zentraler Bedeutung (ähnlich dem "Impulse" Festival für das Freie Theater).

6. Die Spielstätten, die es im Freien MusikTheater gibt, müssen sich stärker zu Netzwerken und Koproduktionspartnern zusammenschließen.

7. Es muss ein eigener Diskurs um das MusikTheater entstehen.

8. Die Ausbildung an den Musikhochschulen muss auf die veränderten Aufgabenfelder und Kompetenzanforderungen im freien MusikTheater, aber auch in den festen Orchestern reagieren.

9. Auch auf Seiten der Macher der freien Spielstätten braucht es eine verstärkte Kompetenz auf dem Feld des MusikTheaters. Zu viele Projektideen werden nicht weiterverfolgt oder unterstützt, weil sich niemand für die musikalische Seite zuständig fühlt.

10. Die Qualität muss stimmen: Letztlich ist die Qualität der Stücke der entscheidende Faktor, um eine stärkere öffentliche Aufmerksamkeit für das Freie MusikTheater zu erreichen.

matthiasrebstock kleinMatthias Rebstock ist Professor für szenische Musik an der Universität Hildesheim. Er beschäftigt sich mit Formen des musikalisierten Theaters, Musiktheaters und der Oper sowie der Geschichte und Ästhetik der Neuen Musik. Zuletzt erschienen ist 2012 "Composed Theatre. Aesthetics, Processes, Practices" (zusammen mit David Roesner). Schwerpunkt seiner Arbeit als Regisseur im Bereich des Neuen Musiktheaters bilden Stückentwicklungen im Grenzbereich zwischen Musik und Theater und Uraufführungen im Spektrum von szenischen Konzerten bis neuen Opern.

 

Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de

Alle Hildesheimer Thesen sind im Lexikon zu finden.

Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de

 

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Kommentare  
Hildesheimer Thesen XII: vielen Dank
Auch dieser Vortrag widmete sich, im Anschluss an die letzte Woche, der Öffnung des Stadttheaters zur freien Szene - nur bezogen auf das Musiktheater. Und vermutlich hat besonders das Musiktheater diese Öffnung nötig: Wird im Stadttheater nicht besonders an dieser Stelle das zahlende Publikum bedient, die Entwicklung und Aktualität der Kunst aber eher vernachlässigt?
Durch die deutlichere Formulierung "Musiktheater" scheint sich diese Sparte schon etwas freigeschwommen und ihre Absichten wenigstens im Namen deutlich gemacht zu haben. Aber durch diese klare Beschreibung des Tätigkeitsbereiches und die Abgrenzung zum Sprechtheater wird doch vorausgesetzt, dass sich das Musiktheater mit seinen Inhalten auseinander gesetzt hat. Dem ist scheinbar nicht so, wenn sich die verschiedenen Ausprägungen von Musiktheater untereinander konkurrierend voneinander abgrenzen. Ist aber nicht die Diskussion über das Musiktheater als solches mit seinen verschiedenen Schwerpunkten die Grundlage für das Bestehen der Gattung?
Vielen Dank für die Fokussierung allein auf das Musiktheater - es scheint neben dem Sprechtheater in der Diskussion oft unterzugehen.
Hildesheimer Thesen XII - endlich trauen
Ich habe auch den Eindruck, dass das „Musiktheater“ neben dem Sprechtheater und der klassischen Oper oft nicht richtig zur Geltung kommt und untergeht.
Das ist äußerst bedauerlich.
Schade finde ich es auch, dass sich die Opernhäuser anscheinend so konsequent nicht für das Musiktheater als solches interessieren und es nicht mit in ihre Spielpläne aufnehmen, wo doch so viel Potenzial in ihm stecken kann.
Und es sollten sich wohl auch ein paar Spielstätten des freien Theaters endlich trauen und das Musiktheater als eine ihrer Hauptprogramme zu führen.
Hildesheimer Thesen XII: freie Szene?
@1: David Marton ist Teil der freien Szene?
Hildesheimer Thesen XII: nur ein Beispiel
ausser dass David ja mal im Umfeld einer freien Szene in Berlin anfing, steht er hier ja nur für ein Beispiel musikalischen Theaters, dass nicht an Opernhäusern zu sehen ist. Was ja kein Nachteil sein muss
Hildesheimer Thesen XII: Sonderfall Musiktheater?
Bisher war mir der Terminus Musiktheater nicht wirklich ein Begriff. Ich konnte mir unter diesem natürlich etwas vorstellen, was aber alles dazu gezählt werden sollte und kann, hat mir erst dieser Vortrag gezeigt. Danke also für diese Aufklärungsarbeit, Professor Rebstock.
Eine Frage allerdings bleibt mir noch, nach diesem Vortrag in Bezug auf die von Ihnen aufgelisteten Forderungen, an das Musiktheater in Deutschland. Sie erwähnen ja z.B. Dinge wie die Öffnung der Häuser für die Freien der Theaterszene, eine Veränderung der Struktur in den Häusern wäre anzustreben, freie Aktuere bräuchten eine bessere Vernetzung, etc.
Also meine Frage:
Sind das nicht eher weniger Probleme zwischen Opernhäusern und des Musiktheaters als vielmehr Probleme zwischen der freien Szene und dem instiutionalisiertem Theater?
Hildesheimer Thesen XII: ein eigener Diskurs fürs Musiktheater
Dass ich die MusikTheater-Landschaft bisher selbst nicht in dem Maße auf dem Schirm hatte, beweist wie recht Prof. Dr. Rebstock mit seinen Thesen und Forderungen hat und dass es überaus sinnvoll ist, dem MusikTheater Raum für seinen Diskurs zu gewähren. („Es muss ein eigener Diskurs um das MusikTheater entstehen!“) Der weite Begriff des Musiktheaters/MusikTheaters erscheint mir sehr angemessen und es ist interessant, was sich doch alles dahinter verbirgt – abgesehen von Oper. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass auch mich (obwohl ich nicht der größte Opern-Fan bin) MusikTheater durchaus etwas angeht. Wieder wurde mir ein neuer und aufschlussreicher Blickwinkel vermittelt – vielen Dank dafür!
Hildesheimer Thesen XII: eigenartiges Schlussmuster
Es kann einem angst und bange um unsere Studenten werden, wenn man eine "Argumentation" wir die von Karolin liest. "Dass ich die MusikTheater-Landschaft bisher selbst nicht in dem Maße auf dem Schirm hatte, beweist wie recht Prof. Dr. Rebstock mit seinen Thesen und Forderungen hat." Das Schlussmuster ist hier: "Bei mir stimmt es, das beweist, dass es auch allgemein stimmt." Und dann tut Karolin auch noch so, als sei der Begriff "Musiktheater" eine hochinteressante neue Begriffsschöpung (die ihr zudem "sehr angemessen" erscheint) ... Nachbarin, Euer Fläschchen!
Hildesheimer Thesen XII: Netzwerk MusikTheater
Ich denke es ist nötig für AkteurInnen der MusikTheaterszene kulturpolitisch aktiv zu werden und sich zu einem Netzwerk o.ä. zusammen zu schließen. Es wäre eine Möglichkeit, um Forderungen, u.a., jene, die Herr Rebstock uns Studierenden letzten Mittwoch vorgetragen hat, als Zusammenschluss an Institutionen heranzutragen und diese versuchen umsetzbar zu machen. Ein Netzwerk für MusikTheater würde versuchen die in einzelne Szenen zersplitterte MuiskTheaterlandschaft zusammenzubringen und gemeinsame Forderungen nach außen zu tragen.
Hildesheimer Thesen XII: profilbildende Verschmelzung
„Das Freie MusikTheater wird an den Spielstätten des Freien Theaters gespielt, es gehört aber nirgends zu den profilbildenden Faktoren der Häuser bzw. Festivals.“
Gerade hier stellt sich mir die Frage, warum es in dem Großteil der Spielstätten noch zu keiner Verschmelzung dieser beiden Bereiche gekommen ist? Beide Bereiche sind nach meinem Erachten profilbildend und besitzen das Potenzial sich gegenseitig zu Bereichern. Ein gutes Beispiel für eine solche Art von Verschmelzung sind, wie ich glaube, einige Jugendtheaterproduktionen.
Hildesheimer Thesen XII: Opernhäuser müssen sich öffnen
MusikTheater war für mich auch ein neuer Begriff. Für mich gab es immer Oper und Sprechtheater und das Sprechtheater hat auch Musiktheater gemacht. Daher finde ich die Aufforderungen von Herr Rebstock richitg und wichtig. Meiner Meinung nach müssten die Opernhäuser/abteilungen aufhören Angst zuhaben sich zu verändern bzw zu öffnen. (-->Bekommt man nicht dadurch auch ein neues jüngeres Publikum ?) Im Theater Bereich ist der Opernbereich der am meist Staatlichfinanzierte teil, somit verkörpern sie für mich auch die Aufgabe MUSIK zu unterstützen, dazu gehört wie ich jetzt gelernt habe dann auch das MusikTheater. Sollte man also nicht auch die finanzierungs verteilung der Musiksparte überarbeiten!? Sie nicht nur in die Freie Szene einordnen?
Hildesheimer Thesen XII: kaum Vernetzung
ein faktor ist natürlich auch, das sich selbst die freien Spieltstätten untereinander kaum vernetzen/kooperieren/koproduzieren, was musiktheater angeht. was zum beispiel im bereich performance oder tanz ganz anders ist. da haben sich ja schon ganz andere strukturen entwickelt, die es für freies musiktheater so einfach nicht gibt.
Hildesheimer Thesen XII: hoher Anspruch
Obwohl im Fachbereich "Kulturwissenschaften und ästhetische Kommunikation" an der Uni Hildesheim interdisziplinär, also auch zwischen Musik und Theater, gelehrt wird, scheint - den Kommentaren zufolge - das MusikTheater dennoch kein wirklich geläufiges Kunstformat zu sein. Dies verdeutlicht, dass der Anspruch, den das MusikTheater stellt, sowohl an Produzierende als auch Vermittler und Rezipienten, hoch ist: Qualifikationen in beiden Künsten, der Musik und dem Theater. Wie Prof. Rebstock in seinem Vortrag beschrieben hat, scheint dies auch eine Schwierigkeit in der Praxis, v.A. an festen Häusern mit sich zu bringen, da zum Beispiel Dramaturgen eher Kompetenzen für das "normales Sprechtheater" haben. So scheinen sich die Ausbildungsstätten in der Bundesrepublik meist auf eine Disziplin zu fokussieren: Theater oder Musik. So stellt sich mir dir Frage, ob nicht die Ausbildungsstätten stärker interdisziplinär arbeiten sollten, um eine breitere Plattform für MusikTheater zu ermöglichen.
Hildesheimer Thesen XII: Keine Thesen heute?
Wo bleiben denn die neuen Thesen? Die Vorlesung hat doch schon längst begonnen!

(Lieber Simon, die Redaktion hat gestern mit Thomas Oberender telefoniert. Herr Oberender erklärte in diesem Gespräch, dass es ihm - ganz unabhängig von nachtkritik.de - unbehaglich sei, seine Texte von anonymen Kommentatoren diskutiert zu sehen, und dass er daher keine Thesen zur Verfügung stelle. Die Redaktion respektiert diese Entscheidung.
Wolfgang Behrens für die Redaktion)
Hildesheimer Thesen XII: gegen das Konzept
ein wenig feige und irrsinnig obendrein, widerspricht das doch grundlegend dem Konzept. Wir sollen brav schlucken aber dazu sagen dürfen wir nichts, oder wie?
Hildesheimer Thesen XII: jenseits der Sparten
Im Zuge der zunehmenden Hybridisierung der Künste, liegt für mich das Potenzial der Grenzverschwimmung zwischen Theater/Musik/Konzert/Performance nahe und damit die Eröffnung neuer Experiemtierfelder jenseits von festumrissenen Sparten. Da stimme ich einem Vorredner zu, dass die Interdisziplinarität sowohl in der Ausbildung als auch bei den freien und institutionellen Theater- und Konzerthäusern eine größere Rolle spielen sollten bzw. müssten, um einerseits neue künstlerische Strömungen und Formate zu etablieren als auch einen von der Öffentlichkeit wahrgenommenden Diskurs zu beginnen. Opernhäuser und Konzerthäuser arbeiten in wenigen Fällen schon zunehmend zusammen, ebenso Schauspiel und Musiktheater, gerade in größeren Häusern kann eine Bedeutungszunahme von Kooperation und Kommunikation zwischen den Sparten beobachtet werden, die es sicherlich noch zu fördern gilt.
Vielleicht bedarf es aber auch neuen Häusern mit eigenen strukturellen Bedingungen, die insbesondere bemüht sind verschiedene Kunstformen zusammen zu bringen - wie es beispielsweise beim Radialsystem in Berlin geschieht.
Vielleicht sind eine Art "Zukunftshäuser" als Expermentierlabore für neue künstlerische Formen notwendig, um Strukturen und Bedingungen auszuloten und damit eine Brücke zu den bisherigen institutionellen Häusern zu schaffen, dessen Veränderung eine langwierige Prozedur ist.
Gerade in den Opernhäusern ist ein Umdenken sicherlich notwendig - einerseits aufgrund der massiven finanziellen Subventionen aber auch gegenüber der traditionsbehafteten Vorstellungen. Zeitgenössischere Inszenierungen werden meist nicht von den klassischen Besuchern besucht oder mit Empörung vorzeittig verlassen. Besucher, die ein Interesse für zeitgenössische, abstrakte und neue Formen von Musik und Theater haben, suchen diese sicherlich nicht im Opernhaus, obwohl es schon wenige Formate geben würde, bei denen man dies zusehen bekäme.

Das junge Musiktheater oder in vielen Fällen auch als Kinderoper oder Junge Oper bezeichnet, gibt es tatsächlich viele Produktionen, die anspruchsvoll zwischen Musik, Konzert und Theater changieren. Hier traut man sich neue Formen auszuprobieren und vertraut vielleicht auch auf die künstlerische Offenheit von Kindern und Jugendlichen, die weniger von Vorstellungen "über" Oper und Theater etc. beeinflusst sind. Ja, es bedarf einer Offenheit in den Häusern selbst, aber es setzt auch das Einlassen auf neue Formate bei den Besuchern voraus.
Kann diese Spartentrennung noch bestehen, ist das produktiv oder immer wieder ein Hindernis, sowohl für Kunstproduktionen als auch für die Besucher? Oder sollten im Gedanken einer Utopie Theater zu "Häusern der Künste" umgebaut werden?
Hildesheimer Thesen XII: Etablierung neuer Spielstätten
Ich denke, dass hier vor allem auch die Vermittlungsarbeit eine große Rolle spielt. Denn das Publikum kennt nur das, was an den Stadttheatern gezeigt wird und das sind hauptsächlich Opern. Demnach ist es nachvollziehbar, dass die Aufklärung über das, was Musiktheater eigentlich genau ist und damit auch die Nachfrage danach sehr gering ist. Es muss ein Weg gefunden werden, dass Musiktheater den Menschen näher zu bringen und präsenter zu machen, was eben vor allem durch die Etablierung neuer Spielstätten für Musiktheater erreicht werden kann.Daher sehe ich es genau richtig, dass Herr Rebstock diesen maßgeblichen Punkt in seinen Thesen aufgreift.
Hildesheimer Thesen XII: sucht euch andere Türen!
Die Forderungen für das MusikTheater angesichts der Tatsache, dass Opernhäuser sich der neuen MusikTheater- Szene öffnen sollten, kann ich sehr gut nachvollziehen. Die zugehaltenen Türen der Opernhäuser gegenüber der MusikTheater – Szene sind vergleichbar mit denen der Stadttheater gegenüber der freien Theaterszene, deren Projekte und Konzepte sich von den Repertoirespielplänen und der Idee des Regiegenies abgrenzen. Wie das von ihnen genannte Theaterfestival „Impulse“ zeigt, hat sich die freie Theaterszene jenseits der Stadttheater selbstorganisiert und dadurch an Stärke gewonnen. Warum sollte man die Zusammenarbeit mit den Opernhäusern fördern, wenn die freie MusikTheater-Szene sich doch auch jenseits dieser zusammentun und ihren eigenen Raum schaffen könnte? Meine Forderung für die zersplitterte MusikTheater- Szene lautet: Tut euch zusammen und schafft euch eure eigenen Räume! Wenn die Opernhäuser die Türen zuhalten, sucht euch andere Türen!
Hildesheimer Thesen XII: Opernhäuser sollen es versuchen
Die Forderung nach einem Dialog zwischen den Opernhäusern und der freien Musiktheaterszene erinnert tatsächlich stark an die Forderungen nach mehr Kooperationen zwischen der freien Theaterszene und den Stadttheatern. Dass diese Forderungen in vielen Fällen ins Leere laufen und sich die freie Theaterszene selbst organisiert, sollte meiner Meinung nach aber nicht dazu führen, die selben Forderungen nicht auch in Bezug auf die Opernhäuser und die freie Musiktheaterszene zu stellen. Warum sollten es die Opernhäuser nicht besser machen können als die Stadttheater? Parallel bin ich aber wie auch mein Vorredner der Meinung, dass von einer Vernetzung der verschiedenen Spielstätten und Gruppen in der freien Musiktheaterszene nur profitiert werden kann. Wenn dazu dann noch die Opernhäuser mittelfristig ihre Türen für die Musiktheaterszene öffnen ist dies nur umso besser.
Hildesheimer Thesen XII: Langwieriger Prozess
Wiedermal ein Vortrag, der sinnvolle Vorschläge und Impulse, hier zur Verbesserung der MusikTheater, bietet. Dennoch frage ich mich, wie man die Öffentlichkeit auf die problematische Situation hinweisen und sie zum aktiven Diskurs motivieren könnte. Sicherlich wäre es wichtig diese Thematik durch verschiedenste Plattformen nicht nur an Akteure der Szene, sondern auch an mögliche Rezipienten zu richten, damit sich Netzwerke bilden und erhalten bleiben können.
Eine gezielte Ausbildung ist selbstverständlich nötig, um eine solide Basis aufzubauen, welche sich nicht nur mit der Umsetzung der Stücke sondern auch mit der Vermittlung der Situation und den Veränderungen beschäftigen sollte.
Alles in allem finde ich die Thesen sehr schlüssig und nachvollziehbar, doch ich denke, dass es sich um einen langwierigen Prozess handelt, der viele innovative Ideen und Engagement benötigt, damit u.a auch kleinere, dennoch vielversprechende Projekte dauerhaft bestehen und sich etablieren können.
Hildesheimer Thesen XII: anerzogenen Schweinehund überwinden
Wer MusikTheater macht ist also angehalten sich schamlos mit den Machern der Freien Theaterszene zusammenzufinden (und umgekehrt). Genauso wie es Musiker und Komponisten gibt, die nach neuen Formen des musikalischen Ereignisses suchen gibt es freie Theaterkollektive, die verstärkt mit musikalischen Parametern umgehen und es dort tatsächlich nur zu „mindere Qualität“ gereicht, weil der Musiker fehlt.
MusikTheater heißt auch den anerzogenen Schweinehund überwinden und die heilige pure Musik dem erbarmungslosen Aufführungsmoment preis zu geben und in diesem einzuordnen. Ohne zweifel schade, wenn der Zugriff auf Kultur, die Menschen mit musikalischer Ausbildung auszeichnet, in den Kammerorchestern verborgen bleibt. Mehr Musiker mit Sinn und Interesse für die Form der Aufführung würde mehr Aufmerksamkeit und Qualität für das MusikTheater bedeuten.
Auf einen mutigen Umgang mit Aufführungsformaten hinzuarbeiten beginnt natürlich an den Unis und Hochschulen, an denen ein neuer Musik Begriff im Besonderen eine neue Vorstellung der Musikaufführung angeregt werden kann. Weiter geht es mit der Entwicklung neuer Organisationsstrukturen in der freien Kulturszene wie sie Annemarie Matzke in dieser Vorlesungsreihe schon angebracht hat.
Die wesentliche Kulurpolitische Forderung ist jedoch zunächst diese: weniger Geld und Infrastruktur für elitäre, ermüdende, standardisierte Operninszenierungen, mehr davon für eine innovative freie Szene. So werden auch mehr Festivals und andere Knotenpunkte ermöglicht, die so ein Sparten übergreifendes Programm erstellen können.
Hildesheimer Thesen XII: intimeres Umfeld
Das sich das Musiktheater mehr auf die freie Szene konzentrieren sollte, ist ein interessant gelungener Ansatz. Allerdings sollte sich auch das Stadttheater und vor allem der "Opernbereich" mehr auf das Musiktheater konzentrieren. Nur weil Opern immer noch das meiste Geld an Zuschüssen bekommen heißt das nicht das sie sich gegen andere Formen und Strukturen verschließen sollten. Auch finde ich die Idee von mehr Studiobühnen für das Musiktheater durchaus sinnvoll. Zu mindestens in meinem persönlichen Empfinden ist es so, dass Musik und Spiel mich viel mehr berührt, wenn es in einem kleineren viel intimeren Umfeld, anstatt auf einer großen Opernbühne stattfindet. Auch wäre es für die Stadttheater ein guter weg Musiktheater in ihren Spielplan einzuführen und zu sehen, ob es vom Publikum angenommen wird. Somit könnte man vielleicht die verhärteten Strukturen der Opernproduktion ein wenig auflockern und gleichzeitig auch der freien Szene eine Chance an den Stadttheatern geben.
Hildesheimger Thesen XII: Anpassungsgefahr
Wenn dann also die freie Szene MusikTheater in die Stadttheater einzieht- verliert sie dann nicht eventuell ihren Charme? Es ist vorstellbar, dass ganz andere Projekte zustande kommen, wenn alle Türen offen stehen, als wenn mühsam nach den Schlüsseln gesucht werden muss. Sicher ist das Arbeiten angenehmer, wenn man sich heute nicht um das Geld kümmern muss, und morgen um einen Probenraum- doch um welchen Preis? Forderung Nr.10: "Die Qualität muss stimmen:…" Es besteht die Gefahr: Am Ende wird man sich anpassen- und alles beginnt von vorn…
Hildesheimer Thesen IX: Öffnung möglich
"Die Qualität muss stimmen" ist eines der wichtigsten Kriterien jeglicher Formen des Theaters. Hingegen der Auffassung, dass nöglicherwiese das MusikTheater seinen Charme verliert, denke ich ehr, dass es noch an Charme gewinnen kann. Durch eine Öffnung der Opernhäuser für das MusikTheater kann ein breiteres Publikum angesprochen werden und es können sich neue Formen oder Mischformen entwickeln. Durch die finanzielle Förderung können Projekte, die voher möglicherweise nicht realisierbar waren, realisiert werden. Somit ist eine Öffnung des MusikTheaters durchaus möglich und wie ich finde wünschenswert. Denn durch eine Öffnung beider Parteien können sehr spannende Projekte entstehen die mit Sicherheit nicht zur Anpassung des MusikTheaters an die Oper führen. Der Weg von einer "nicht etablierten Kunstform" zu einer etablierten schließt nicht zugleich einen Qualitätsverlust mit ein. Eine Gefährdung der Qualität durch eine Öffnung für diese Kunstform ist für mich somit nicht nachvollziehbar. Gerade durch finanzielle Unterstützung kann eine gewisse Qualität gewährleistet werden. Weiterhin geben die Opernhäuser dem MusikTheater eine Bühne und ich denke, dass ist genau das was für eine Weiterentwicklung nötig ist. Wie soll das MusikTheater sonst eine breitere Masse ansprechen und in den öffentlichen Diskurs gelangen?
Hildesheimer Thesen XII: z.B. Staatsoper Hannover
Die Staatsoper in Hannover zum Beispiel konzentriert sich immer mehr auf moderne Kunstformen und auf die Umsetzung einer von Schülern und Jugendlichen angenommenen Ästhetik, die ein Ballett zur "leichten Kost" macht. Dieser Wandel könnte bedeuten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, dass sich ein MusikTheater in die derzeitigen Kunstformen etabliert. Sobald das Angebot auch angenommen wird und die Kunstschaffenden sich vernetzen, werden Opernhäuser sicherlich deutlicher darauf aufmerksam und für das MusikTheater lässt sich eine Bühne finden.
Wie schon bereits gesagt, ist es wichtig die Qualität durch finanzielle Unterstüzung zu gewähleisten und in dieser Kunstform das große Potential zu erkennen.
Hildesheimer Thesen XII: in der Ausbildung ansetzen
Dass die Ausbildung an den Musikhochschulen sich den Veränderungen und Entwicklungen des Musiktheaters anpassen muss ist meiner Meinung nach eine wichtige Forderung. Umgang und Konfrontation mit Musiktheater verschiedener Arten und klarere Definitionen der Begriffe des Musiktheaters und dessen verschiedene Formen sollten wichtige Inhalte für Musikstudenten sein. Vor allem sehe ich spartenübergreifende Projektarbeit als wichtig an, um die Studenten möglichst in ihrem interdisziplinären Denken und Handeln bezüglich des Musiktheaters zu fördern bzw. zu motivieren und auf neue Ideen zu bringen. Die Öffnung kleinerer Spielstätten hierfür, gerade in den Opernhäusern, trägt zum Beispiel zu direkterem,"persönlicherem" Kontakt zum Zuschauer und somit seinem "Draht" zum Musiktheater bei.
Hildesheimer Thesen XII: Musical fehlt
Ich weiß, Theaterkreisen ist es durchaus verschrieen, doch fehlt mir in diesem Diskurs das Musical. Während wir in den obrigen Thesen sehr gut eine Gegenüberstellung von Oper und freiem Musiktheater, also subventionierte, feste Institution und freie, unsichere Szene gut nachvollziehen können, fehlt mir doch diese Untergruppe, die die Sparte Musik-Theater doch auch besonders mitprägt.
Ein vor allem wirtschaftlich, unterhaltendes Genre, ist so im reinen Theater schwer zu finden. Auch wenn man sich selbstverständlich um deren innovativen, hochkulturellen Gehalt streiten kann, zeigt die ganze Debatte ums Theater, dass sich gegenseitig ignorieren noch nie jemandem etwas gebracht hat.
Musical läuft, in großen Formaten, gut besucht. Vielleicht ist es für die Oper an der Zeit, zu verstehen, dass die eine große Masse niemals kommen wird, außer man spielt jedes Jahr alle populären Klassiker rauf und runter und bewegt sich in eingefahreren Bahnen.
Für mich ist hier der Diskurs wieder nur eine Spiegelung der Diskussiom ums Theater und freies Theater. Die Inhalte sind unterschiedlich, woran gearbeitet werden muss, sind die Strukturen.
Hildesheimer Thesen XII: Kooperation im Musiktheater
Auch ich habe nach dem Vortrag sofort an das Stadttheater gedacht. Gerade bei dieser Institution habe ich oftmals das Gefühl, dass sie sich vom MusikTheater abwendet. Natürlich spielt der finanzielle Aspekt für jede Form von Theater wohl die mit größte Rolle, doch auch wenn der Bereich der Oper die meiste Förderung erhält, bringt es meiner Meinung nach wenig. Man muss vielen Projekten die Chance geben, sich dauerhaft zu etablieren und nicht nur als "Experiment", an das nach ein paar Monaten keiner mehr denkt. Nur so ist es in meinen Augen möglich, auch langfristig die erfolgreiche Kooperation zwischen Opernäusern (oder, wie gesagt, auch Stadttheatern) und der MusikTheater-Szene zu sichern. Auch eine andere Art von Publikum könnte so langfristig gesichert werden, denn leider wissen wir ja, dass es hauptsächlich Publikum der älteren Generation in das Theater treibt.
Hildesheimer Thesen XII: endlich konkret
Endlich einmal konkrete Forderungen, die nicht einfach nur das Problem benennen, sondern schon fast an der Wurzel anpacken; auch wenn sie gerne etwas ausformulierter hätten sein können. Was meint zum Beispiel die "alternativen Produktionsprozesse" im Bereich des Kindermusiktheaters?
Punkt 7 ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Ich glaube, dass den weinigsten interssierten Theaergängern (mir eingeschlossen) die Bandbreite der MusikTheater-Formen und Ausprägungen bekannt sind.
Auch der Ansatz bei der Ausbildung ist sehr logisch und richtig. Gibt es überhaupt die Möglichkeit in Deutschland, Musiktheater, das über klassische Formen hinaus geht, zu studieren?
Hildesheimer Thesen XII: aufdrängender Eindruck
bei aller Sympathie zum hier Vorgetragenen und Diskutierten drängt sich mir hier - und an vielen ähnlichen Stellen - dennoch der Eindruck auf, dass letztlich ausschließlich über Formen diskutiert wird. Stückformen, Spielortformen, Institutionsformen. Und unabhängig von dem Einwand, ob hier die bereits vorliegenden Ergebnisse von - wenn man so will - 2500 Jahren überlieferter Theatergeschichte und -experimente ausreichend gewürdigt werden (und jede Zeit weiß von einer Avantgarde zu berichten, auch wenn diese heute oft nicht mehr als solche wahrgenommen werden will), drängt sich mir doch die Frage auf, was mit diesen gefundenen oder noch zu findenden Formen zu einem wie auch immer gearteten Publikum letztlich transportiert werden soll. Und ob es nicht die Antworten auf diese Frage sein müssten, die die Durchsetzung von den hier zusammengefassten - oft recht ressourcenintensiven - Forderungen nicht nur legitimieren müssten, sondern auch ermöglichen könnten. Sofern letztere dann noch Bestand haben.
Hildesheimer Thesen XII: Nachfrage
und noch eine Frage, was bitte ist mit Abstraktheit der Musik gemeint, und was war das Interesse daran?
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