Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Über das Lachen
Darf man das?
17. Mai 2022. Wie kann man unter den aktuellen Umständen Theater machen? Wie gar ein Publikum erreichen, das den ganzen Tag am Newsfeed klebt? Darf man im Theater überhaupt noch lachen, jetzt, wo die Welt alles andere als zum Lachen ist?
Von Esther Slevogt
17. Mai 2022. Wie kann man noch Theater machen, wenn die Welt untergeht? Diese Frage ist mir in den letzten Wochen oft begegnet. Gerade hatte der Spielbetrieb mit der vorsichtigen Hoffnung auf ein langsames Ende der Pandemie wieder begonnen, als der Krieg ausbrach und die nächste Sinnkrise den Betrieb ergriff. Dann liegen ja nicht nur Krieg und Pandemie bleischwer über einem Bereich, der in den letzten beiden Jahren als Unterhaltung ganz hinten in der Relevanzkette stand, sondern auch der Klimawandel mit seinen immer krasseren Symptomen. Wie aber kann man unter solchen Umständen Theater machen? Wie gar ein Publikum erreichen, das den ganzen Tag am Newsfeed klebt? Darf man im Theater überhaupt noch lachen, jetzt, wo die Welt alles andere als zum Lachen ist?
Vom Lachen zum Denken
Diese Frage habe ich bei unserer letzten Konferenz "Theater+ Netz" auch mit zwei bemerkenswerten Gästen auf einem Podium diskutiert: Mit Anne Lenk und Herbert Fritsch, die beide auf höchst unterschiedliche Weise die große Kunst beherrschen, ihr Publikum zum Lachen und mit dem Lachen zum Denken zu bringen. Ihre Sicht auf Fragen der Kompatibilität von Komödie und Krieg beschäftigen mich seitdem, berühren sie doch die dahinter liegende Frage nach dem, was Kunst grundsätzlich kann oder können sollte.
Es fing schon damit an, wie Anne Lenk berichtete, dass sie angesichts des Kriegsausbruchs im Februar den Plan umwarf, als nächstes eine Tragödie zu inszenieren. Stattdessen wird es nun eine krachende Komödie. Denn eine Tragödie, sagte sie, stimme angesichts des Schreckens in der Welt klagend ins allgemeine Lamento mit ein und verhalte sich damit im Grunde affirmativ zu den bedrückenden Verhältnissen dabei gelte es doch, ihnen etwas entgegenzusetzen. Das Lachen, so hat Herbert Fritsch seine Position auf den Punkt gebracht, stellt einen Abstand zur Welt her, der es erlaubt, weiter mit Vernunft auf die Ereignisse zu schauen.
Der Vergleich mit einem Arzt fiel, der erschüttert vor einem schwer kranken Patienten steht und zu weinen beginnt, statt den Patienten zu behandeln. Der Patient stirbt dann an dieser distanzlosen Empathie, die ja im Grunde bloß eine erweiterte Form des Selbstmitleids ist, und den Arzt oder die Ärztin und alle Handlungsoptionen lahm legt. Hier schafft die Komödie Distanz, sortiert die Verhältnisse, hält den Kopf kühl, frisch und wach und hilft so beim Überleben. Weil wir uns im Lachen gegen die Verhältnisse behaupten, das manchmal (so Herbert Fritsch) auch ein bestialisches Lachen sein kann, ein Lachen, das alle Ordnung und alle Unterdrückung sprengt. Es sei schließlich auch ein Ausdruck unserer Freiheit, sagte Anne Lenk sinngemäß einmal, dass wir uns in diesen Zeiten überhaupt mit Kunst und Komödie beschäftigen können. Ist es da nicht unsere Pflicht, diese Freiheit auch auszuüben?
Warum machen wir das überhaupt?
Und so berührten die beiden Gäste auf dem Podium mit der Beiläufigkeit eines Satyrspiels den Kern der Sinnfrage dieser Tage: Warum machen wir das alles? Warum versammeln wir uns überhaupt? Wie muss das Theater auf die in Unordnung geratene Welt reagieren, um relevant statt eskapistisch zu wirken?
Vielleicht ist die Antwort ja gerade, dass es keine Antwort gibt. Weil das Theater manchmal erst seine Resilienz und Alchemie entwickelt, wenn es nicht so tut, als gäbe es sie. Wenn es sich also erst einmal darum kümmert, dass ein Gelächter entsteht. Gelächter, das den Blick klärt und uns selber Antworten finden lässt.
Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
In ihrer letzten Kolumne beschäftigte sich Esther Slevogt mit dem Tod des Regisseurs Hans Neuenfels und dem damit einhergehenden Verschwinden einer Spielhaltung.
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Es war die lustigste Traurigkeit, die heiterste Verzweiflung, die nachhaltigste Erschütterung meines Alltags, die ich seit langer langer Zeit erleben durfte. Es ist -das ist für mich ganz klar- ein Meilenstein. Und was Oliver Kahn im Tor war, ist für mich Fabian Hinrichs auf der Bühne: ein Gigant, ein zerbrechlicher Gigant.
Der Theaterraum könnte noch viel mehr eine Ideenwerkstatt und Denkfabrik werden, wie der Mensch in Situationen auch handeln könnte, sei es bei familiären Zerwürfnissen oder in den Problemen die wir uns mit dem Klima und dem Artensterben geschaffen haben. Das fände ich Interessant. Und Komik, Poesie, die Welt aus einer anderen Perspektive sehen, kommt da für mich ganz nach vorne. Es schadet auch nicht, das Publikum mit einem erfüllten positiven Gefühl zu entlassen, das motivieren kann, das man vielleicht dem Elend nicht hoffnungslos ausgeliefert ist. Sonst versinken alle geschockt in eine Opferstarre und niemandem ist geholfen. Lachen ist positive Energie, zeigt neben dem Verstehen auch menschliche Wärme, die man immer gut gebrauchen kann. Ein begeisterter energetischer Applaus nach einem gelungenen Schauspiel ist auch nicht nur für den Spielenden schön, sondern auch für mich im Publikum. Theater ist für mich auch eine Form gemeinsam Mut und Kunst zu feiern, das kommt mir gerade manchmal zu kurz.