Kolumne: Straßentheater - Über Freibäder als theatrale Settings, egalitäre Orte und Austragungsorte gesellschaftlicher Konflikte
Arenen der Abkühlung
18. Juli 2023. Welche Rolle spielt das Schwimmbad im Kanon der Theaterliteratur und auf den Bühnen? Anlässlich aktueller Meldungen über Freibäder als Hotspots städtischer Aggressionsentladung – und natürlich aufgrund der Rekordhitze – ist ein Blick auf diesen Ort gesellschaftlicher Dramen angezeigt.
Von Janis El-Bira
18. Juli 2023. Die einschlägige Theaterliteratur kennt so viele schöne Szenenanweisungen. Es gibt Kneipen und Gaststätten bei Horváth und Anna Gmeyner, miefige Bürgerstuben bei Ibsen, wohnliche Mülltonnen bei Beckett, ein Jagdhaus bei Thomas Bernhard und Unzähliges mehr. Nur ein Freibad gehört meines Wissens nicht dazu. Gut, es gibt wenigstens ein Schwimmbad, das mit seinem Schmuddelwasser in Ibsens "Volksfeind" tatsächlich Theater-Weltliteratur geworden ist – aber das bekommt man im Stück ja nicht einmal zu Gesicht.
Poolparty-Produktionen
Eine verschenkte Gelegenheit, auch wenn mildernd hinzugefügt werden darf, dass viele Klassiker schon allein aus historischen Gründen keine Gelegenheit hatten, die erst im 19. Jahrhundert gründende Institution des bürgerlichen Freibads gebührend zu würdigen. Immerhin: Abseits des Kanons hat sich das (Frei-)Bad zumindest in manch schönem Regie- und Bühnenbildeinfall behauptet. Die Poolpartys bei Frank Castorf und Herbert Fritsch gehören dazu, natürlich auch das eindrückliche Bahnenziehen zuletzt bei Florentina Holzinger in "Ophelia’s Got Talent". Und Theatervorstellungen in (ehemaligen) Bädern – klar, auch die gibt’s.
Kein Wunder eigentlich, spiegelt sich doch in der Freibadarchitektur gewissermaßen der Theaterraum selbst. Hier, wo alle um die Zentralbühne des Beckens herum im Gras liegen, Blickachsen sich kreuzen, man mal beobachtet, mal mitmacht, mal döst und dämmert. Es ist einer der letzten wirklich egalitären Orte unserer städtischen Öffentlichkeit. Hier bist du nur so toll wie der Sitz deiner Badehose, wie dein Mut auf dem Fünfmeterbrett. Die heruntergefallenen Pommes-Schranke zermatschen unter allen Füßen gleich.
Rückeroberung des Badevergnügens?
Halbnackte Körper, Hitze, überschießender Hormonspiegel: Das ist der Stoff, aus dem schon die Antike ihre Dramen zu spinnen wusste. Klar auch, dass dieser Ort, der erst einmal so radikal die Unterschiede einebnet, zur Eroberung einlädt und jede Saison neu in Besitz zu nehmen ist. Kai Wegner, der bislang wenig glücklich agierende Regierende Bürgermeister von Berlin, hat das reaktiv und medienwirksam getan, als er letzte Woche bei einem recht kuriosen Vororttermin am Beckenrand die Einführung einer Ausweis- und Registrierungspflicht für den Freibadbesuch verkündete. Rückeroberung des Badevergnügens von den Krawallmachern mithilfe der seit Corona leichter durchsetzbaren Mittel zur individuellen Überwachung – das scheint der Plan.
In den sozialen Medien hielten sich Spott und Zustimmung augenscheinlich die Waage. Bis vor wenigen Jahren hätte das ganz anders ausgesehen und dem Bürgermeister wären seine personalisierten Schwimmbadtickets als Provinzspießerei um die Ohren geflogen. Aber die Lage hat sich merklich gedreht, die Unschuld des Spiels, auch des ernsten, ist verloren gegangen. Offenbar denken viele heute beim Freibad nicht mehr an das Theater der Gleichen, sondern an die Ausweitung der Kampfzone.
Explosive Emotionen
Ohnehin kocht es in den Arenen der Selbstbehauptung zur Zeit gewaltig über, wie jede:r bestätigen kann, der oder die gerade viel unterwegs ist. Als sei den Leuten unsere an Zumutungen reiche Gegenwart in den Kopf gestiegen und habe sich mit allem, was da eh schon ist, zu einem explosiven Hirnbrei vermengt. Man muss sie nur ganz leicht anpieksen, dann platzen sie schon. Abkühlung wird dringend benötigt. So lange also die Theater, die in ihren besten Momenten den Kopf kühl und das Herz heiß halten, im Sommerschlaf sind, wissen Sie, wo Sie mich finden.
Kolumne: Straßentheater
Janis El-Bira
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
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