Pssst!

25. April 2023. Was ist das für ein Ort? Ausstattung und Ansprache ähneln einer Signa-Performance, das Regelwerk einer Theateraufführung, es regieren Lippen, Zungen, Gaumenzäpfchen, allerdings körperlos. Über ein Freizeitvergnügen, das viel, aber nicht alles mit dem Theater teilt.

Von Janis El-Bira

25. April 2023."Welcome, step inside", sagt der große, freundliche Mann im Türrahmen. Oder besser: Er flüstert’s, in jenem leicht dauerbeseelten Singsang, den ein britischer Akzent manchmal mitbringt. "Soft-spoken" beschriebe ihn ganz gut, wie er im Lichtkegel seines Tablets – eine strenge Reservierungskontrolle folgt der warmen Begrüßung auf dem Fuße – ins Dunkel des hinter ihm liegenden Raums deutet. Gefunden.

Und das war nicht leicht. Ein paar Minuten zuvor stehen wir nämlich noch mit ein, zwei anderen Verwirrten im zweiten Hinterhof eines Berliner Altbaukomplexes. Wir suchen Klingeltableaus ab, prüfen noch einmal die Adresse, wählen Telefonnummern und steigen kurze Außentreppen hinauf und hinab. Vergeblich. Bis irgendwann doch noch jemand den Namen des uns verheißenen Ortes briefmarkengroß angeschlagen findet. Zwei ausgesprochen sinistre Treppenabsätze höher und vorbei an einer gesundgrünen Topfpflanze wird nochmals geklingelt: Welcome, step inside.

Körperlose Töne

Um die naheliegendsten Berlin-Klischees gleich aus dem Weg zu räumen: Kein hip-geheimes Pop-Up-Restaurant hatte sich so versteckt, auch keinesfalls ein Sex-Club und nicht einmal ein kleines Off-Off-Theater – obwohl Ort, Ausstattung und Ansprache einer Signa-Performance gut zu Gesicht stünden. Stattdessen geht es um Musik. Musik allerdings ganz ohne Tanzen und wer sich dazu dennoch anschickte, der oder die würde wohl freundlich deutlich aufgefordert, den zuvor zugewiesenen Platz wieder einzunehmen.

Dabei ist es noch nicht einmal Live-Musik, deretwegen an diesem Abend lauter schemenhaft erkennbare Gestalten an den Gemeinschaftstischen und am kurzen Bartresen dieser seltsamen Dunkelkammer sitzen. Stattdessen säumen zwei kleiderschrankgroße Lautsprecher wie Karyatiden eine Bühne, auf der nichts zu sehen, aber umso Eindrücklicheres zu hören ist. Marimba-Töne schwingen an und wieder aus, unheimlich genau im Raum materialisiert, Bässe steigen in tiefste Katakomben hinab, Stimmen sind eine Verführung aus Lippen, Zungen, Gaumenzäpfchen, Spucke. Toll.

Hinter der Bar wird geräuschlos gerührt und geschüttelt

Drumherum versammelt: Die Zuspieler dieses großen Auftritts. Röhrenverstärker glimmen vom Elektronenflug befeuert vor sich hin, ein holzeingefasster Plattenspieler dreht hypnotisierend seine Runden. Selbstverständlich, dass hier alle Musik von Platten kommt und jede davon von Anfang bis Ende durchgespielt wird. Genauso selbstverständlich, dass man hinter der Bar geräuschlos Hochprozentiges rührt und schüttelt.

"Listening Bars" wie diese sind ein junger Trend im urbanen Vergnügungsangebot. Ihren Ursprung haben sie in den japanischen "Jazz Kissas", kleinen Hörstuben, die schon nach dem Zweiten Weltkrieg anfingen, hochwertige Musikreproduktion mit einem überschaubaren gastronomischen Angebot zu verbinden. Es sind bis heute vergleichsweise streng reglementierte Orte. "Please keep conversation levels low", heißt das bei uns, und wo eine Tischrunde dieses Gebot überreizt, da beugt sich der große, freundliche Mann vom Eingang zu ihnen hinunter und legt stumm einen Finger ans Ohr. Er hat hier eh alles unter Kontrolle, vom Einlass über die Auswahl und das Abspielen der Musik bis hin zur Sitzordnung und dem Servieren der Getränke. Widersprechen will ihm niemand.

Faszninierende Selbstgenügsamkeit

"Ich wurde euch zugewiesen", sagt einer fast entschuldigend, als er sich zu uns setzt. Flüsternd kommt man ins Gespräch. Viele sind an diesem offenkundig ausgebuchten Abend allein hier, bleiben für einen Drink und anderthalb LP-Seiten. Sie besichtigen die Bar wie ein kleines Kunstwerk.

Oft musste ich während des Besuchs ans Theater denken, das mit diesem in vielen Details inszeniert scheinenden Raum manches teilt. Aber natürlich nicht alles. Die Öffentlichkeit der Theater ist eine andere, ihr Geld kommt zu wesentlichen Teilen anderswo her. Zwangsläufig muss auch ihr Publikum ein anderes und größeres sein – und natürlich ist auch die Art der jeweils dargebotenen Kunst eine andere. Faszinierend erschienen mir jedoch die Selbstgenügsamkeit dieses Ortes genauso wie die Bereitschaft seines Publikums, sich seinem sehr eigenen Regelwerk zu fügen. Vielleicht wollen die Leute ja gar nicht immer abgeholt werden, sondern liefern sich gern einer Sache aus, wo sie mit Hingabe und Verstand verfolgt wird. Andernfalls kann man schließlich auch einfach wieder gehen. Sofern man denn den Weg findet.

Kolumne: Straßentheater

Janis El-Bira

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

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